Archiv für den Monat: März 2016

Interessenkonflikt und fehlerhafte Pflichtverteidigerbestellung; aber: Beruht das Urteil darauf?

© eyetronic Fotolia.com

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Dem BGH, Beschl. v. 01.12.2015 – 4 StR 270/15 – liegt eine (möglicherweise) fehlerhafte Bestellung zum Pflichtverteidiger (§ 140 StPO) zugrunde. Möglicherweise fehlerhaft, weil ein Interessenkonflikt vorgelegen hat/haben könnte. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie wegen Betruges verurteilt. In der Revision wird gerüht, Rechtsanwältin M. sei dem Angeklagten trotz eines gravierenden Interessenkonflikts zur Pflichtverteidigerin bestellt worden. Die Rüge hatte im Ergebnis keinen Erfolg:

„a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Anklage vom 26. Juli 2010 legte dem Angeklagten zur Last, in neun Fällen über Rechtsanwalt K. betrügerisch zivilrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit von ihm absichtlich herbeigeführten Verkehrsunfällen geltend gemacht zu haben. Die Strafkammer regte nach Eingang der Anklage gegenüber der Staatsanwaltschaft an, zu überprüfen, ob gegen Rechtsanwalt K. ein Ermittlungsverfahren einzuleiten sei, was daraufhin am 18. August 2010 geschah. Der Angeklagte hatte am 7. Juli 2009 Rechtsanwältin M. mit seiner Verteidigung beauftragt, welche ihre Tätigkeit in Sozietät mit Rechtsanwalt K. ausübt und die den Angeklagten in einem weiteren Fall der Anklage, der später vom Gericht gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, zivilrechtlich vertreten hatte. Im Termin zur Verkündung des Haftbefehls am 19. August 2010 stellte Rechtsanwältin M. den Antrag, als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden. Die Staatsanwaltschaft äußerte keine Bedenken. Mit Verfügung des Vorsitzenden der Strafkammer vom 30. August 2010 wurde Rechtsanwältin M. zur Verteidigerin bestellt.

b) Die Revision ist der Auffassung, dass in der Person der Pflichtverteidigerin ein Interessenkonflikt vorgelegen habe. Als Mitglied der Sozietät“ M. & K. Rechtsanwälte“ hafte sie persönlich für Schäden, die von ihrem Sozius im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit verursacht worden seien. Das zum Schadensersatz verpflichtende Handeln des Mitgesellschafters sei der Sozietät als BGB-Gesellschaft gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Im Hinblick auf die Summe der Schäden in den Fällen, in denen Rechtsanwalt K. für den Angeklagten tätig geworden sei, habe ein ganz erhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse der Pflichtverteidigerin an dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestanden. Sie habe den Angeklagten nicht mehr unabhängig und unbeeinflusst etwa über die Möglichkeit und den Inhalt eines frühen und umfassenden Geständnisses beraten können.

c) Es trifft zwar zu, dass ein konkret manifestierter Interessenkonflikt ein Grund ist, von der Verteidigerbestellung abzusehen oder eine bereits bestehende Bestellung aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173; Urteil vom 11. Juni 2014 – 2 StR 489/13, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Verteidigerbestellung 1), zumindest ist der Angeklagte zu einem möglichen Interessenkonflikt anzuhören (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2005 – 3 StR 327/05, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 10). Ob ein solcher Interessenkonflikt hier die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung geboten hätte, kann dahinstehen. Denn der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler beruhen würde. Die Hauptverhandlung hat an 33 Tagen stattgefunden; ab dem 10. Hauptverhandlungstag war der Angeklagte zusätzlich durch die Wahlverteidigerin S. verteidigt. Ein Antrag auf Entpflichtung der Verteidigerin M. ist nicht gestellt worden, auch nicht von der Wahlverteidigerin S. Anhaltspunkte für eine unzureichende Verteidigung bestehen nicht, zumal die Pflichtverteidigerin M. schon vor dem Auftreten der Wahlverteidigerin ein Geständnis des Angeklagten bei einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellt hatte, wie der Vermerk des Vorsitzenden über das Verständigungsgespräch vom 8. Januar 2014 ausweist.“

Wenn nicht „unfassbar“, dann aber „unverständlich“, oder: Der fehlerhaft abgelehnte Entbindungsantrag

© Alex White - Fotolia.com

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Manche Fragen sind in der Rechtsprechung so „ausgepauckt“, dass es dazu an sich keine obergerichtlichen Entscheidungen mehr geben dürfte. Und man fragt sich dann, warum gibt es sie doch? Fahrlässige Unwissenheit der Tatrichter oder bewusste Negierung der obwergerichtlichen Rechtsprechung. Hoffen wir, dass es der ersten Grund, der ist schon schlimm genug.Und auf dem Feld bewegt man sich, wenn es um die Frage der Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens geht. Da ist es einhellige Meinung, dass dann, wenn der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich einräumt und erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde, er auf seinen Antrag von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens zu entbinden ist.

Das hatte ein Amtsrichter beim AG Potsdam dann anders gesehen. Sein Verwerfungsurteil ist dann psotwendend auf die Rechtsbeschwerde des Verteidigers hin durch den OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.02.2016 – 1 53 Ss-OWi 617/15 304/15 aufgehoben worden:

„b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Mit ihr trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass die Vorgehensweise des Tatgerichts, den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, gegen § 73 Abs. 2 OWiG verstößt. Das Bußgeldgericht hatte dem Antrag vom 02. Juli 2015 zu entsprechen, weil die Voraussetzungen für eine Entbindung erfüllt waren. Der Verteidiger hatte in der Antragsschrift ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich einräume, sich in der Hauptverhandlung aber nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde. Eine wirksame Vertretungsvollmacht befand sich bereits bei den Gerichtsakten.

In der Nichtberücksichtigung der Einlassung des in der Hauptverhandlung abwesenden Betroffenen aufgrund fehlerhafter Ablehnung des Entbindungsantrags und in der Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache liegt eine Verletzung des Grundrechts des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art 103 Abs. 1 GG. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit zur Sache verhandelt und entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens vorliegen (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 — 1 Ss-OWi 351 Z/15 m. w. N.).“

Kann man m.E. nicht mehr viel zu sagen, außer: Wenn nicht „unfassbar“, dann aber zumindest „unverständlich“.

„Fall Thomas Fischer“?, oder: Klatsche für ….?

entnommen openclipart.org

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Nun, ob der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 03.02.2016 – 1 Ws 186/15 – ein „Fall Thomas Fischer“ ist – so mein Lieblingsurteilslieferant, der mich auf den Beschluss hingewiesen hat – weiß ich nicht. Jedenfalls ist es aber eine Sache, die vor ein paar Tagen auch schon die Presse interessiert hat – die FAZ hat unter demTitel „Bundesgerichtshof Immer nur um Fischer Wie „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ seine Arbeit macht. Oder auch nicht.“ berichtet – und es ist m.E. ein Beschluss, der einen Blogbeitrag wert ist. Denn er ist – in meinen Augen – eine Klatsche, wobei ich offen lassen will, ob nur für den Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH, oder vielleicht auch noch den BGH oder auch noch die Justizverwaltung, die mit der personellen Ausstattung der Justizbehörden nicht ganz so spendabel ist.

Was ist passiert? Nun, es geht in erster Linie mal nicht um Thomas Fischer, sondern um einen Angeklagten, der am 23.04.2013 vorläufig festgenommen worden ist. Einen Monat später die Anklage, Urteil des LG Gießen auch recht zügig, schon am 26.09.2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe tateinheitlich mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten; ferner wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Dagegen die Revision. Am 28.01.2014 fertigte der GBA seine Stellungnahme. Die Stellungnahme wurde dem Verteidiger am 06.02.2014 zugestellt. Die Stellungnahme des GBA ging am 05.02.2014 beim BGH ein.

Aber dann stellt das OLG auf der Grundlage der zuvor von ihm (genüsslich) referierten Grundsätze des Beschleunigungsgrundsatzes und der Rechtsprechung des BVerfG fest:

Die Prüfung des Verfahrensverlaufs ergibt, dass das Verfahren bis Eingang beim Bundesgerichtshof am 05.02.2014 mit der gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist….“

um dann anzuschließen:

„Nach den genannten Maßstäben ist bei weiterer Prüfung jedoch festzustellen, dass das Verfahren nach Eingang beim Bundesgerichtshof (Az.: …) am 05.02.2014 den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht mehr vollständig gerecht wird. Eine relevante Verfahrensverzögerung ergibt sich insofern daraus, dass die Akten dem Berichterstatter durch den Vorsitzenden erst am 26.05.2014 zugeleitet wurden. Bereits diese mangelnde Förderung des Verfahrens zwischen Eingang des Verfahrens und Zuweisung an den Berichterstatter im Jahr 2014 führt zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer.“

Das war es dann an sich schon für die Frage der weiteren Haftfortdauer – die Aufhebung des Haftbefehls ist/war unvermeidlich. Aber das OLG lässt es sich nicht nehmen:

„..Ein sachlicher Grund, welcher den Zeitraum von etwa drei Monaten zwischen Ablauf der Frist zur Gegenerklärung und Zuweisung rechtfertigt und eine den staatlichen Verfolgungsorganen zurechenbare und vermeidbare Verfahrensverzögerung ausschießt, ist nicht ersichtlich. Selbst unter Berücksichtigung einer angemessen Bearbeitungszeit hätte im vorliegenden Verfahren, welches sich als nicht überdurchschnittlich umfangreich und schwierig darstellt, nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme mit einer Zuleitung binnen einer Woche gerechnet werden können…..“

Und man hat es auch genau wissen wollen und hatte beim Vorsitzenden des 2. Strafsenats Thomas Fischer nachgefragt:

„Der Vorsitzende Richter des zuständigen 2. Strafsenats am Bundesgerichthof hat auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 13.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben:

„(…), auf Ihre Anfrage teile ich mit, dass mir die Sache … vermutlich am 07. Februar 2014 zugeleitet wurde. Am 26. Mai 2014 habe ich das Senatsheft gelesen und an den Berichterstatter zugeleitet. Besondere Gründe in der Sache, die zu der überdurchschnittlich langen Liegezeit bei mir Anlass gaben, gab es nicht. Die Verzögerung beruhte vielmehr auf der allgemeinen Geschäftslage des Senats mit einer hohen Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreichen Hauptverhandlungen und einer Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren.“

Und das OLG setzt dann noch „einen drauf“ und meint: Nicht nur verzögert, sondern noch nicht mal dann schneller gearbeitet, als die Verzögerung eingetreten war. Denn:

„Zwar kann die kurzfristige, weder voraussehbare noch vermeidbare Überlastung des Gerichts einen wichtigen Grund für eine Verzögerung des Verfahrens darstellen, nicht jedoch eine nicht behebbare Belastung des Spruchkörpers. Gemäß der Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kann zum damaligen Zeitpunkt nicht von einer nur kurzfristigen Überlastung des Gerichts gesprochen werden, da er ausdrücklich die hohe Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreiche Hauptverhandlungen und eine Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren anspricht. Es verbleibt deshalb bei einer der Justiz zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von rund drei Monaten, die unter Beschleunigungsaspekten nicht mehr hinzunehmen ist.

Die Verzögerung des Verfahrens ist auch nicht etwa durch eine spätere besonders intensive Bearbeitung ausgeglichen worden, auch wenn Verzögerungen letztlich auf den Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt A teilweise zurückzuführen sind. Unabhängig davon, ob die Heilung einer schon eingetretenen Verletzung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes durch nachfolgende überpflichtmäßige Beschleunigung überhaupt möglich ist [hierzu BVerfG, NJW 2006, 272], wären die Strafverfolgungsorgane und Gerichte nunmehr verpflichtet gewesen, das Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben. Gemessen daran stellt sich die weitere Bearbeitung nicht als eine hervorzuhebende besondere Förderung dar.“

Fazit für das OLG:

„Auch wenn sich mit der Verurteilung – auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist – das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs vergrößert [BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005, 2 BvR 109/05, BeckRS 2005, 24599], ist die vorliegend eingetretene – von den Justizbehörden zu vertretende Verfahrensverzögerung – in einem durchschnittlich gelagerten (Revisions-) Verfahren wie dem hiesigen – der Angeklagte war in der Hauptverhandlung in vollem Umfang geständig – selbst unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der zu erwartenden mehrjährigen Freiheitsstrafe nicht mehr zu rechtfertigten. Hier ist maßgeblich in Blick zu nehmen, dass die Untersuchungshaft inzwischen über zwei Jahre und neun Monate andauert. Bei einer derart langen Dauer der Untersuchungshaft ist auch einer einzelnen Verzögerung von etwa drei Monaten besonderes Gewicht beizumessen.“

Fazit für mich und hoffentlich auch für den Leser: Wenn nicht ein „Fall Thomas Fischer“, dann aber zumindest eine Klatsche. Und der ein oder andere Richterkollege des Kollegen Fischer wird es sicherlich gern lesen….. Ich frage mich dann aber auch: Was hat das OLG Frankfurt bewogen, es so deutlich/breit auszuführen? Retourkutsche?

„Hausaufgaben“ nicht gemacht?, oder: „Zur Strafe“ dann wird das Bußgeldverfahren eingestellt

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Es mehren sich die Hinweise der AG auf und die Anwendung des § 69 Abs. 5 OWiG. Die Vorschrift gibt dem Amtsrichter die Möglichkeit bei offensichtlich ungenügender Aufklärung des Sachverhalts die Sache unter Angabe der Gründe mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen. Verneint der Richter dann bei erneuter Übersendung den hinreichenden Tatverdacht einer Ordnungswidrigkeit, so kann er die Sache durch Beschluß endgültig an die Verwaltungsbehörde zurückgeben. Und das hat das AG Minden im AG Minden, Beschl. v. 04.03.2016 – 15 OWi 502 Js 3652/15 (154/15) – getan.

Es ging um die Identifizierung des Betroffenen, die dem Amtsrichter auch im zweiten Anlauf noch nicht genügte:

„Die Verwaltungsbehörde hat eine weitere Sachaufklärung durchgeführt und die Akten erneut dem Amtsgericht zur Durchführung des Verfahrens vorgelegt. Eine erneute Prüfung hat jedoch ergeben, dass auch nach diesen weiteren Ermittlungen ein hinreichender Tatverdacht nicht besteht. Deshalb war das Verfahren gemäß § 69 Abs. 5 Satz 2 OWiG endgültig an die Verwaltungsbehörde zurückzugeben.

In der erstmaligen Zurückverweisung gern. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Fahreridentifizierung nach Aktenlage nicht möglich ist. Selbst wenn der Halter des Fahrzeugs und Vater des Betroffenen nach erforderlicher Belehrung nach § 52 StPO und zusätzlicher qualifizierter Belehrung über die Nichtverwertbarkeit seiner Angaben im Rahmen der durchgeführten informatorischen Befragung in der Tatnacht seine Angaben sodann wiederholen würde, kann hieraus eine sichere Fahrerfeststellung nicht getroffen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass eine unbekannte dritte Person der Fahrzeugführer war. Ein Abgleich durch die Polizeibeamten – beispielsweise mit dem beim Einwohnermeldeamt hinterlegten Lichtbild des Betroffenen – war zum Zeitpunkt der ersten Zurückverweisung nicht erfolgt. Die Fahrerbeschreibung „kurze Haare, dem Anschein nach größere Person“ ist wenig individuell. Der Betroffene beruft sich auf sein Schweigerecht.

Die Verwaltungsbehörde hat nunmehr ein EMA-Lichtbild des Betroffenen vorgelegt. Hierauf hat der Betroffene längere Haare, über seine Größe können anhand des Bildes keine Aussagen getroffen werden. Das Lichtbild ist zudem aus dem BPA aus 2010 und damit wenig aussagekräftig für das Aussehen des Betroffenen zum Tatzeitpunkt.

Zudem sind die eingesetzten Polizeibeamten erneut zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert worden. POK pp. gibt an, dass eine zweifelsfreie Identifizierung des Fahrzeugführers durch ihn nicht möglich sei, da das Gesicht nicht wahrgenommen werden konnte. PK pp. gibt an, dass das Gesicht des Fahrzeugführers nicht wahrgenommen werden konnte. Zudem ergänzt er den Inhalt der informatorischen Befragung des Vaters des Betroffenen in der Tatnacht und gibt insoweit an, dieser habe auf Nachfrage ausgeschlossen, dass sein Sohn das Fahrzeug Freunden zur Verfügung stelle und dass er davon ausgehe, dass sein Sohn selbst gefahren sei.

Davon abgesehen, dass dieser Inhalt der informatorischen Befragung nunmehr erstmals aktenkundig gemacht wird, bestehen aus den vorstehenden Gründen Bedenken in Bezug auf die Verwertbarkeit. Eine richterliche Vernehmung des Vaters des Betroffenen ist nicht erfolgt. Nicht einmal eine ergänzende förmliche Vernehmung des Vaters durch die Polizei wurde offenbar für erforderlich gehalten.

Doch selbst wenn der Vater des Betroffenen nach den erforderlichen Belehrungen seine Angaben wiederholen würde, könnte hieraus kein sicherer Tatnachweis gezogen werden, da es sich allenfalls um Mutmaßungen des Vaters und ggfls. dessen Erfahrungswerte handelt. Solange der Betroffene sich auf sein Schweigerecht beruft, wird eine Täterfeststellung nicht gelingen.“

Fahrverbot II: Erfolgreich „nachgeschult“?, dann entfällt das Fahrverbot

entnommen wikimedia.org Urheber: Wiki-text

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Nichts wesentlich Neues bringt das AG Landstuhl, Urt. v. 08.02.2016 – 2 OWi 4286 Js 11724/15. Es stellt aber noch einmal klar, was schon h.M. in der amtsgerichtlichen Rechtsprechung ist, dass nach erfolgreicher Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Maßnahme von einem Fahrverbot abgesehen werden kann.

„…In einer Reihe von jüngst ergangenen Urteilen wurde bei der Teilnahme an einer verkehrserzieherischen Maßnahme die Anordnung eines Fahrverbotes für entbehrlich halten (AG Bernkastel-Kues, Urt. v. 21.10.2013 – 8 OWi 8142 Js 18729/13; AG Mannheim, Beschl. v. 31.07.2013 – 22 OWi 504 Js 8240/13; AG Niebüll, Urt. v. 24.07.2013 – 6 OWi 110 Js 7682/13 (23/13); AG Traunstein, Urteil vom 14.11.2013 – 520 OWi 360 Js 20361/13 (2) jeweils zitiert nach juris). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des entscheidenden Gerichts (AG Landstuhl, Urteil vom 11. September 2014 – 2 OWi 4286 Js 11751/13 –, juris). In den genannten Entscheidungen zeigt sich die klare und begrüßenswerte Tendenz, das Bemühen des Betroffenen zur Vermeidung der Denkzettelfunktion eines Urteils mit Fahrverbot durch Teilnahme an einer verkehrserzieherischen Maßnahme zu honorieren. Je nach Fallgestaltung haben die zitierten Gerichte das Fahrverbot entfallen lassen, reduziert oder gegen Erhöhung der Geldbuße von der Anordnung abgesehen. Zutreffend wird zwar teilweise auf die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung verwiesen, dass alleine die Teilnahme an einem Aufbauseminar (für das alte Register nach § 4 Abs. 8 StVG) nicht zu einem Wegfall des Fahrverbotes führen kann (z.B. AG Celle, Urt. v. 31.03.2001 – 22 OWi 822 Js 918/01 – 54/01 – ZfSch 2001, 520; OLG Bamberg, Beschl. v. 17.03.2008 – 2 Ss OWi 265/08VRS 114, 379; OLG Saarbrücken, Beschl. v 12.02.2013 – Ss (B) 14/13 (9/13 OWi)). Dass aber generell die Nachschulung schon früher herangezogen wurde, um vom Fahrverbot abzusehen, steht ebenso fest (AG Bad Segeberg, Beschl. v. 05.07.2005 – 8 OWi 361/04; AG Rendsburg, Beschl. v. 01.12.2005 – 17 OWi 555 Js-OWi 20236/05 (136/05) – NZV 2006, 611; AG Recklinghausen, Urt. v. 08.09.2006, zit. bei Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 2. Aufl., S. 299). Das hier entscheidende Gericht hält lediglich den Wegfall des Fahrverbots gegen Erhöhung der Geldbuße für angezeigt und dogmatisch vertretbar. Insbesondere ist die kritische Position von König (König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., 2013, § 25 StVG Rn. 25) zu berücksichtigen. Dieser stellt darauf ab, dass dem Bußgeldrecht keine erzieherische Komponente innewohnt und der Tatcharakter maßgeblich für die Ahndung des Betroffenen sei. Dementsprechend ist der Wegfall der Erforderlichkeit des Fahrverbotes bei Teilnahme an einem verkehrserzieherischen Seminar nicht gegeben, wohl aber die Möglichkeit nach § 4 Abs. 4 BKatV. Denn die Denkzettelfunktion ist bei dem Betroffenen durch die Teilnahme an einer verkehrspsychologisch begründeten Einzelmaßnahme bereits auf den richtigen Weg gebracht und angesichts der schon getätigten zeitlichen und monetären Aufwendungen dürfte eine nochmalige Erhöhung der Geldbuße samt dem Eindruck des Verfahrens in der Regel genügen, das Absehen vom Fahrverbot nach § 4 Abs. 4 BKatV zu bejahen.“

Grundsätzlich zutreffend ist es, dann die Geldbuße zu erhöhen.

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