Archiv für den Monat: Juni 2015

Was schert mich eine 10 Jahre alte Trunkenheitsfahrt? Oh, ggf. eine ganze Menge….

© Knipserin - Fotolia.com

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Eine ganz interessante Konstellation aus dem Fahrerlaubnisrecht behandelt der VG Würzburg, Beschl. v. 27.02.2015 – W 6 S 15.119. Im Verfahren ging es um die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG.
Der betroffene Kraftfahrer war vom AG Kitzingen am 16.02.2004 wegen einer Trunkenheitsfahrt – BAK 1,75 Promille – verurteilt worden. Die Fahrerlaubnis war entzogen worden. Am 18.06.2009 wurde sie wieder erteilt. Am 15.06.2014 führte der Kraftfahrer dann ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr mit einer festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l. Mit Schreiben vom 21.10.2014 forderte die Verwaltungsbehörde ihn erfolglos auf, bis spätestens 21.12.2014 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Als das nicht geschah, ist ihm mit Bescheid vom 30.01.2015 die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen worden. Darum, vor allem um die sofortige Vollziehung, ging es im Verfahren.

Und? Kein Erfolg für den Kraftfahrzeugführer: Denn:

 „Die Berechtigung der Fahrerlaubnisbehörde, die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens anzuordnen, ergibt sich hier aus § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, da wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Der Antragsteller hat sowohl am 17. November 2003 als auch am 15. Juni 2014 unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen. Die erste Alkoholfahrt wurde strafrechtlich, die zweite Alkoholfahrt als Ordnungswidrigkeit geahndet. Zuwiderhandlungen im Sinne des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV sind nicht nur Straftaten, sondern auch Ordnungswidrigkeiten, so dass die Gutachtensbeibringung bereits nach wiederholter Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a StVG zwingend vorgeschrieben ist. Ein Ermessen besteht weder im Rahmen der Gutachtensaufforderung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV noch im Rahmen des Schlusses auf die Nichteignung gemäß § 11 Abs. 8 FeV (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 13 FeV, Rn. 22; vgl. auch BayVGH, B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 -; B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 -; B.v. 28.7.2011 – 11 ZB 11.797 -; OVG NRW, B.v. 25.10.2013 – 16 B 856/13 -.

Die lange Dauer zwischen den beiden Trunkenheitsfahrten vom 17. November 2003 bis 15. Juni 2014 von über 10 1/2 Jahren führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Gutachtensaufforderung und der nachfolgenden Fahrerlaubnisentziehung, da die Trunkenheitsfahrt aus dem Jahr 2003 noch verwertbar ist. Denn wenn ein Verkehrsverstoß – wie hier – zu einer wiederholt registerpflichtigen Handlung führt, regelt sich dessen Fahreignungsrelevanz nach den für dieses Register geltende Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen. Ist der anlassbezogene Sachverhalt danach verwertbar, ist für eine zusätzlich einzelfallbezogene Prüfung kein Raum. Zwischen zwei Trunkenheitsfahrten können mehrere Jahre liegen, solange wie hier keine Tilgungsreife eingetreten ist (vgl. OVG NRW, B.v. 27.11.2013 – 16 B 1031/13NZV 2014, 543; B.v. 25.10.2013 – 16 B 856/13 – […]; BayVGH, B.v. 27.9.2013 – 11 CS 13.1399 – […]; B.v. 22.8.2011 – 11 ZB 10.2620 – […]; B.v. 6.9.2007 – 11 CS 07 480 und 11 CE 07.481 – […]; B.v. 22.3.2007 – 11 CS 06.1634 – […]; vgl. auch BVerwG, B.v. 21.5.2012 – 3 B 65/11 – Buchholz 442.10, § 65 StVG Nr. 2). In der Rechtsprechung wurden sogar noch deutlich längere Zeiträume als 10 Jahre zwischen zwei relevanten Alkoholfahrten akzeptiert, ohne dass sie einer Gutachtensaufforderung entgegenstanden, so etwa 12 Jahre (BayVGH, B.v. 31.10.2014 – 11 CS 14.1627 -) oder 13 Jahre (VG Bayreuth, U.v. 13.12.2011 – B 1 K 10.772 -).

Auch eine Zäsurwirkung einer positiven medizinisch-psychologischen Begutachtung sowie der Umstand der Neuerteilung der Fahrerlaubnis führen zu keiner anderen Beurteilung, zumal neue Umstände hinzugetreten sind (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 11 CS 13.2562 – ; B.v. 22.6.2012 – 11 ZB 12.837 – ; SächsOVG, B.v. 24.7.2008 – 3 B 18/08 – VRR 2008, 403).

Die Frage, wie lange einem Inhaber einer Fahrerlaubnis ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten entgegen gehalten werden darf, beantwortet sich vielmehr ausschließlich nach Maßgabe der gesetzlichen Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen, vorliegend nach § 29 StVG a.F. ….“

Oh, heilige Justitia hilf….

© helmutvogler - Fotolia.com

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Heute ist in NRW Feiertag. Die katholische Kirche feiert das Fronleichnamsfest, was hier dann zugleich auch öffentlicher Feiertag ist. Und ich hoffe, dass die hl. Justitia – wenn es sie denn gibt, was ich jetzt nicht ausgegoogelt habe – diesen kirchlichen Feiertag zum Anlass nimmt, einem Kollegen zu helfen. Pfingsten hat da leider bei dem nichts genutzt.

Um was geht es?

Nun, mich erreichte gestern die Nachricht eines befreundeten Kollegen, der mich fragte, ob er bei § 317 StPO irgendwelche Änderungen übersehen habe. An den Kollegen war eine potentielle Mandantin herangetreten, die vom AG verurteilt worden war und gegen das Urteil (selbst) Berufung eingelegt hatte. Die potentiellen Mandantin hat dem anfragenden Kollegen auch den Schriftwechsel mit ihrem bisherigen Verteidiger zur Kenntnis gebracht. Darunter war eine Mail, in der der Kollege seiner Mandantin geschrieben hatte:

„….das Amtsgericht X. teilte uns mit, dass Sie Rechtsmittel gegen das Urteil vom 07.05.2015 eingelegt haben. Die Berufung sollte begründet werden. Die Frist beträgt hierfür eine Woche ab Zustellung des Urteils, endet also am nächsten Freitag, dem 05.06.2015.  Wir dürfen um Mitteilung der Gründe für Ihre Berufung bitten. Wird die Berufung nicht innerhalb dieser Frist begründet, ist es wahrscheinlich, dass diese allein wegen der Fristversäumnis abgewiesen wird.“

Also, da fehlen mir die Worte und ich hoffe auf Erleuchtung durch die hl. Justitia 🙂 – für den Kollegen . Denn seit wann muss denn im Strafverfahren die Berufung begründet werden? § 317 StPO lässt sich das gerade nicht entnehmen. Da heißt es klar und deutlich – nur – „kann“. Und wenn der Angeklagte nicht begründet – um die Sinnhaftigkeit einer Begründung kann man streiten -, dann wird eben ohne Begründung Hauptverhandlungstermin anberaumt.

Und selbst wenn die Mandantin selbst nur (ein unbestimmtes) Rechtsmittel eingelegt haben sollte (was ich mir kaum vorstellen kann), müsste dieses nicht begründet werden. Wird das unbestimmte Rechtsmittel nicht begründet bzw. – innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des begründeten Urteils – keine Wahl getroffen, dann wird das Rechtsmittel automatisch als Berufung behandelt (BGHSt 40, 395). Also auch da kein (Berufungs)Begründungszwang. Und ich komme auf die/behandele die Variante auch nur, weil es in der Mail des bisherigen Verteidigers zunächst heißt: „….dass Sie Rechtsmittel gegen das Urteil …“ eingelegt haben. Ich glaube allerdings, dass dem Kollegen die feinsinnigen Unterschiede kaum bewusst waren.

Da kann man wirklich nur hoffen, dass die h. Justitia kommt und den bisherigen Verteidiger erleuchtet. Für die Mandantin bringt das aber nichts mehr. Die hat sich nämlich, nachdem ihr die Rechtslage mit „wohl gesetzten“ Worten vom befreundeten Kollegen erläutert worden ist, für die weitere Verteidigung durch den entschieden. Wäre vielleicht besser gewesen, sie wäre gleich dorthin gegangen.

Waffengleichheit

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig, Im Recht der Pflichtverteidigung sieht § 140 Abs. 2 StPO sich als Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers die „Unfähigkeit der Selbstverteidigung“ vor. Als „Untergrund“  hat sich der Begriff der sog. „Waffengleichheit“ etabliert. Davon spricht die Rechtsprechung u.a. immer, wenn einer von mehreren Angeklagten einen Verteidiger hat, ein anderer aber noch nicht und ggf. die Gefahr besteht, dass diese Angeklagten sich gegenseitig belasten. So auch die Konstellation im LG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2015 – 3 Qs 51/15:

„Ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 StPO liegt zwar ersichtlich nicht vor. Allerdings ist dem Angeklagten gemäß § 68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger unter anderem auch dann beizuordnen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann. Die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten richtet sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und den sonstigen Umständen des Falles. Die Fähigkeit des Angeklagten, sich selbst zu verteidigen, kann auch dann erheblich beeinträchtigt sein, wenn ein Mitangeklagter einen Verteidiger hat und sich zum Beispiel die Mitangeklagten gegenseitig, belasten. Dahingehend bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit einer jeweiligen, Einzelfallprüfung (vgl. Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., 2015, § 140 Rn. 30,31; LG Verden, Beschluss vom 04.03.2014, 1 Qs 36/14). Vorliegend liegt den Anklagen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Angeklagten T und S , welcher von Rechtsanwalt M verteidigt wird, derselbe tatsächliche Lebenssachverhalt zugrunde. Beide Angeklagten sollen insbesondere auf den Zeugen H. zeitgleich eingeschlagen haben. Aufgrund der räumlichen, zeitlichen und personellen Nähe der bei beiden angeklagten Tat besteht zumindest die nicht fernliegende Möglichkeit, dass der verteidigte Mitangeklagte S in einer gemeinsamen Hauptverhandlung den Tatvorwurf betreffend eine den Angeklagten T belastende Aussage machen könnte. Bislang haben die Angeklagten T und S keine Angaben zur Sache gemacht. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch, dass nach dem angeklagten Sachverhalt aufgrund der mehreren beteiligten Personen Änderungen des bisherigen Aussageverhaltens nicht nur der Mitangeklagten, sondern auch von Zeugen möglich erscheinen und gegebenenfalls für einzelne Handlungen Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen. Aus dem Grundsatz eines fairen Verfahrens heraus ist es daher erforderlich, dem Angeklagten T. einen Pflichtverteidiger zu bestellen, um seine Fähigkeit, sich zu verteidigen und auf eventuelle belastende Angaben insbesondere des Mitangeklagten S. angemessen reagieren zu können, sicherzustellen.“

Klein, aber fein: Das AG Amberg und die „unnütze Förmelei“ bei der Akteneinsicht

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Das Thema der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren hat 2011 und 2012 die Amtsgerichte bewegt. Jetzt scheint es da durch zu sein, denn es gibt nur noch wenige amtsgerichtliche Entscheidungen, die sich mit den Fragen befassen (müssen). I.d.R. haben wir es jetzt mit OLG-Entscheidungen zu tun. Aber es gibt dann immer mal wieder ein AG, das sich, weil die Verwaltungsbehörde „nicht will“, dann doch noch mal mit der Akteneinsicht befassen muss. So das (bayerische) AG Amberg im AG Amberg, Beschl. v. 27.05.2015 – 7 OWi 284/15.

Der Verteidiger hatte dort offenbar Einsicht in die Testfotos, die Gebrauchsanweisung für das verwendete Messgerät sowie die Lebensakte beantragt, was nicht gewährt worden war. Das AG macht kurzen Prozess/Beschluss und entscheidet, dass diese Unterlagen dem Verteidiger in Kopie zu übersenden sind:

„Die Ablehnung der Einsicht in die im Tenor genannten Dokumente durch den Verteidiger beschränkt den Betroffenen in seinen Rechten auf sachgemäße Verteidigung. Er hat einen Anspruch auf Vorlage der gewünschten Dokumente in Kopie.

Die Einschränkung, dass die entsprechenden Daten auf Anforderung des Gerichtes doch herausgegeben werden, stellt eine unnütze Förmelei dar und verzögert lediglich das Verfahren.“

Tja, warum gibt man eigentlich nicht sofort das heraus, was man auf Anforderung des Gerichts dann doch herausgeben muss/wird?

Eine sichere Bank: Das nicht gewährte letzte Wort

© Corgarashu – Fotolia.com

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Der Revisionsverteidiger weiß: Die Nichtgewährung des letzten Wortes an den Angeklagten (§ 258 StPO) ist in der Revision eine sichere Bank. Denn dieser Verfahrensfehler (§ 337 StPO) führt in der Regel zumindest dazu, dass der Rechtsfolgenausspruch aufgehoben wird. Beim Schuldspruch wird man – beim geständigen Angeklagten – hingegen meist das Beruhen auf diesem Rechtsfehler ausschließen können. So  vor kurzem noch einmal das OLG Celle im (kurzen) OLG Celle, Beschl. v. 09.02.2015 – 32 Ss 167/14:

1.) Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils wegen vorsätzlicher Körperverletzung hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

Auf dem dargelegten und im Rahmen einer zulässigen Verfahrensrüge ausgeführten Verfahrensfehler der Nichtgewährung des letzten Wortes an den Angeklagten gem. § 258 Abs. 2 StPO kann der Schuldspruch nicht beruhen. Bei einem geständigen Angeklagten kann zwar der Rechtsfolgenausspruch, regelmäßig aber nicht der Schuldspruch auf einem solchen Verfahrensfehler beruhen (vgl. BGH, NStZ 2012, 587, Beschluss vom 17.07.2012, Az.: 5 StR 253/12; BGH, NStZ-RR 2010, 152, Beschluss vom 04.02.2010, Az.: 1 StR 3/10). Der Senat kann angesichts des vollumfänglichen Geständnisses des Angeklagten durch Verteidigererklärung in der Hauptverhandlung und der ansonsten gegebenen klaren Beweislage ausschließen, dass der Angeklagte in einem letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können.

Insoweit verwirft der Senat die Revision des Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 StPO.

2.) Dagegen kann der Ausspruch über die Strafe auf dem Verfahrensfehler beruhen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, welche die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten.“

Muss man als (Revisions)Verteidiger einen Blick für haben 🙂 .