Archiv für den Monat: September 2014

Nach dem Unfall „geschummelt“ – kein Versicherungsschutz

© ferkelraggae - Fotolia.com

© ferkelraggae – Fotolia.com

Einen Sachverhalt, wie er im täglichen Leben sicherlich häufiger vorkommt, behandelt das OLG München, Urt. v. 25.04.2014 – 10 U 3357/13. Es geht (mal wieder) um die Frage der (arglistigen) Obliegenheitsverletzung durch Falschauskünfte nach einem Entfernen vom Unfallort und damit um die Haftung der eigenen Kfz-Vollkaskoversicherung. An der Stelle wird ja nicht selten „geschummelt“. So auch hier:

Der Sohn der Klägerin war mit deren Pkw unterwegs. Es kommt am 17.04.2011 zu einem Verkehrsunfall. Der Sohn des Klägers kommt dabei am Unfallort auf einer 6 m breiten Straße von der Fahrbahn ab und fährt gegen einen Erdwall, bei dem er zugleich gegen einen Zaun nebst Begrenzungspfosten gestoßen ist, der durch den Anstoß erheblich beschädigt wurde und auch in entsprechender Höhe deutliche Schadensspuren am Fahrzeug hinterlassen hat. An nächsten Morgen (18.04.2011) sucht er gegen 8 Uhr eine Versicherungsagentur der beklagten Vollkaskoversicherung auf und zeigte den Schadensfall an. Er gibt an, aufgrund einer Kurve bei etwa 50 km/ trotz Bremsens von der Fahrbahn abgekommen zu sein, ohne dass dabei ein Fremdschaden entstanden wäre. Eine weitere Erklärung für das Abkommen könne er nicht angeben, er will aber nach dem Schaden noch gewartet und sich den PKW in Ruhe angesehen haben. Die erlittenen eigenen Verletzungen gibt er ebenso wenig wie den entstandenen Fremdschaden an. Die beklagte Vollkaskoversicherung verweigert die Leistung unter Hinweis auf eine Obliegenheitsverletzung.

Das OLG München gibt der beklagten Versicherung Recht. Es lässt die Klage allerdings nicht daran scheitern, weil der Sohn der Klägerin die erforderlichen Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich gem. § 142 Abs. 2 Nr. 1 StGB ermöglich hat, weil eben nicht jeder Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB zur Leistungsfreiheit führe (vgl. dazu Nach dem Unfall weggelaufen – kein Versicherungsschutz (mehr)?). Aber es bejaht eine Obliegenheitsverletzung des Sohnes der Klägerin, den es als sog. Repräsentanten ansieht, und geht auch von Arglist aus. Der OLG-Entscheidung lassen sich auf der Grundlage etwa folgende Leitsätze voranstellen:

  1. Eine nachträgliche Mitteilung ist dann noch unverzüglich im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB, wenn sie noch den Zweck erfüllt, zugunsten des Geschädigten die zur Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit notwendigen Feststellungen treffen zu können
  2. Trotz demnach unverzüglicher Mitteilung kann es dennoch zur Leistungsfreiheit des Versicherungsunternehmens kommen, wenn dessen Unterrichtung mit einer Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers verbunden ist.
  3. Eine solche liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer wahrheitswidrig angibt, er sei mit dem Fahrzeug an der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von etwa 50 km/h von der Fahrbahn in die angrenzende Wiese abgekommen wobei der Pkw an einem Erdwall erheblich beschädigt worden sei und dabei sowohl überhöhte Geschwindigkeit, Fremdschaden an einem Wildschutzzaun als auch eigenen Personenschaden unerwähnt lässt.

Was lernen wir daraus: Immer schön bei der Wahrheit bleiben, wenn es um solche Dinge geht 🙂 .

Darf ich meinen Vorgesetzten u.a. als „Psychopathen und als „irre“ bezeichnen?

FragezeichenIch mache ja kein Arbeitsrecht, aber lese dann doch immer mit Interesse die arbeitsrechtlichen Entscheidungen in anderen Blogs oder in der Tagespresse. So auch das LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. Urt. v. 24.07.2014 – 5 Sa 55/14, das sich mit der Frage befasst, ob ich als Mitarbeiter meinen Vorgesetzten einen „Psychopathen“ nennen darf, ohne dass mir wegen der darin liegenden Beleidigung gekündigt wird. Der Mitarbeiter einer Chemiefirma hatte seinen Chef zwar nicht direkt beleidigt, sondern war beim Rauchen im Kollegenkreis über ihn hergezogen/hergefallen. Dabei soll er den Produktionsleiter dann aber nicht nur „Psychopath“, sondern auch „Arschloch“ genannt haben. Außerdem habe er gesagt „Der gehört eingesperrt“, „Der ist irre“ und „Der wird sich noch wundern“. Der Mitarbeiter war sauer, weil sein Vorgesetzter ihn am Tag zuvor bei einem Personalgespräch aus dem Zimmer geworfen hatte. Beide hatten über eine neue Gehaltsstufe gestritten, die der Mitarbeiter für ungerecht hielt. Das Gespräch war dann eskaliert. Nie zuvor habe er sich so gedemütigt gefühlt, hat der Mitarbeiter später gesagt. Nachdem er über den Chef hegefallen war, hatten ihn die Kollegen angeschwärzt (vgl. auch hier bei LTO).

Schon ganz schön dicke, was das an Äußerungen gefallen ist, oder? Das LAG war allerdings dann doch der Ansicht, der Mitarbeiter habe darauf vertrauen können, dass seine Rede im Rauchercontainer nicht nach außen dringt und der Betriebsfrieden damit nicht verletzt wird. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB sei nicht gerechtfertigt und trotz der groben Beleidigungen nach den Umständen des vorliegenden Falls wegen des Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig. Auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt. Das LAG hielt daher eine Abmahnung und Versetzung für geeigneter.

Der Mitarbeiter wird jetzt sicherlich unter Dauerbeobachtung stehen. Man trifft sich ja im Leben meist zweimal 🙂 .

Gebisshaftcreme für Oma geklaut – Gedanken zur Strafzumessung :-)

entnommen wikimedia.org Urheber RosarioVanTulpe

entnommen wikimedia.org
Urheber RosarioVanTulpe

Beim samstäglichen Frühstück bin ich gerade auf eine Meldung in der Tagespresse gestoßen, bei der ich gleich gedacht habe, passt ganz gut in unseren „Kessel Buntes“ oder auch: Machen wir auch mal wieder was Kurioses, wenigstens ansatzweise 🙂 . Es ist die Meldung über die 27 Jahre alte Frau aus NRW, die im bayerischen Herzogenaurach Gebisshaftcreme aus einem Supermarkt entwendet hat. Als Beweggrund für den Diebstahl hat die 27-Jährige, die noch auf dem Parkplatz des Supermarkts erwischt worden ist, angegeben, dass sie ihrer Großmutter ein Geschenk habe machen wollen (vgl. hier in der Märkischen Onlinezeitung).

So weit, so gut. Ob das überhaupt ein Strafzumessungsgesichtspunkt ist/sein kann, der etwas bringen kann, lassen wir mal dahingestellt. Jedenfalls wird es in dem Fall schwierig werden. Denn es hat sich nicht um eine Tube Gebisshaftcreme gehandelt, die entwendet wurde, sondern es waren 49 Tuben auf zwei Paletten im Wert von 134 €. Damit ist dann § 248a StGB wohl dahin.

Und: Ich würde – siehe Strafzumessung – als Amtsrichter in der Hauptverhandlunng mal nach dem Alter von Oma fragen. Denn was will/soll Oma mit 49 Tuben Gebisshaftcreme? Das ist ein Abonnement und kein einmaliges Geschenk. Kommt natürlich auf das Alter von Oma an. Je jünger, desto besser für die Angeklagte. Aber dann stellt sich die wieder die Frage: Hat Oma denn überhaupt schon ein Gebiss? Die Enkelin wird es wissen. In Augenschein würde ich das Gebiss allerdings in der Hauptverhandlung nicht unbedingt nehmen wollen.

Ich habe da mal eine Frage: Gibt es dafür keine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG?

© AllebaziB - Fotolia.com

© AllebaziB – Fotolia.com

Vor einigen Tagen hatte ich Kontakt zu einem Verteidiger, der eine Beschuldigte im Ermittlungsverfahren verteidigt hat. Dieses endete mit einem Antrag auf Erlass eine Strafbefehls (§§ 407 ff. StPO).  Den hat die Staatsanwaltschaft beim AG beantragt. Das AG hat den Erlass des Strafbefehls nach § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO abgelehnt und der Staatskasse die Kosten und die notwendigen Auslagen der Betroffenen auferlegt. Im Kostenfestsetzungsverfahren hat der Verteidiger dann auch eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 2 VV RVG geltend gemacht. Und zu seinem Erstaunen: Die ist nicht festgesetzt worden.

Er fragt nun: Richtig oder falsch, oder: Ist die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Nr. 2 VV RVG nicht doch entstanden?. Mehr bzw. die Antwort dazu dann am Montag.

Gehts noch? Nur 15 Minuten Stellungnahmefrist sollen rechtliches Gehör sein?

entnommen wikimedia.org  Urheber Ulfbastel

entnommen wikimedia.org
Urheber Ulfbastel

Manche Entscheidungen sind so „schön“, dass ich sie nicht lange in meinem Blogordner hängen lassen will. So der OLG Naumburg, Beschl. v. 26.08.2014 – 105 SsBs 82/14 (2 Ws 174/14) -, den mir der Verteidiger bzw. das Verteidigerbüro des Betroffenen erst gestern übersandt hat. Wenn man ihn liest, ist man schon – gelinde ausgedrückt – erstaunt und fragt man sich, was das eigentlich sollte, was das AG da „veranstaltet“ hat.

Die Verteidigerin hatte im Bußgeldverfahren den Amtsrichter am Tag vor der Hauptverhandlung abgelehnt. Am Tag der Hauptverhandlung erhält er dann die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters per Fax übersandt – mit einer Stellungnahmefrist von 15 Minuten (!!!!). Die Verteidigerin „überschreitet“ diese Frist um 5 Minuten. Zu dem Zeitpunkt war dann aber das Ablehnungsgesuch bereits als unbegründet verworfen worden. Dann wird der Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Der Betroffene rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und erhält beim OLG Recht:

Der Betroffene hat den erkennenden Richter am 11. Juni 2014 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit Fax vom 12. Juni 2014, welches 8:29 Uhr vom Amtsgericht Dessau-Roßlau versandt wurde und 8.35 Uhr bei der Verteidigerin einging, wurde dieser die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters mit einer Stellungnahmefrist von 15 Minuten übersandt. Diese hat mit Fax vom 12. Juni 2014 8.55 Uhr hierzu Stellung genommen. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch bereits der Beschluss des Amtsgerichts Dessau-Roßlau ergangen, der das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückwies. Dieser Beschluss wurde vom Amtsgericht Dessau-Roßlau um 8.53 Uhr per Fax versandt.

Die Stellungnahmefrist von 15 Minuten zur dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters war unangemessen und verletzt den Betroffenen in seinem Recht auf rechtliches Gehör. Im Gegensatz zur Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft kann der Senat — im Hinblick auf die beachtlichen Argumente die der Betroffene bereits zur Begründung seines Ablehnungsgesuches vorgebracht hatte — nicht ausschließen, dass das Ablehnungsgesuch — bei Berücksichtigung der Stellungnahme seiner Verteidigerin — Erfolg gehabt hätte. Insofern beruhen die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch sowie die spätere Entscheidung zur Verwerfung des Einspruches auf diesem Gehörsverstoß. infolge dessen war das Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Juni 2014 aufzuheben.

Hintergrund der Geschichte ist/war ein „Kampf“ um die Terminsverlegung. Also ist die „knappe“ Fristsetzung im Grunde eine Retourkutsche. Was das OLG vom Vorgehen des Amtsrichters hält, ergibt sich dann zudem auch noch daraus, dass, was nicht so häufig ist, „der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht [hat], die Sache gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an ein anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.