Archiv für den Monat: September 2014

Manchmal haben Rechtspfleger mehr als „komische Ideen“ – das OLG richtet es dann aber…

© Igor Zakowski - Fotolia.com

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Gebührenrecht mache ich ja fast nur noch über mein freitägliches RVG-Gebührenrätsel, aber die ein oder andere Entscheidung kann/will ich dort nicht bringen. Und zwar vor allem dann, wenn die Lösung zu einem Problem klar auf der Hand liegt. Und das war/ist beim LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 19.05.2014 – 5 Ks 109 Js 368/13 – der Fall, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Der Kollege, der mir den Beschluss übersandt hat, war als Nebenklägervertreter tätig. Er hat in dieser Eigenschaft an drei Hauptverhandlungsterminen beim Schwurgericht teilgenommen. Der erste Hauptverhandlungstermin am 26.11.2013 hat von 9.00 Uhr bis 16.35 Uhr gedauert, der Hauptverhandlungstermin am 27.11.2013 von 9.00 bis 12.50 Uhr und der am 03.12.2013 von 9.00 bis 14:10 Uhr. Der Angeklagte ist vom Schwurgericht dann u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm sind die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden. Der Kollege hat u.a. drei Hauptverhandlungsgebühren Nr. 4120 VV RVG geltend gemacht, und zwar für den Termin am 26.11.2013 744,00 € und für die Termine am 27.11.2013 und am 03.12.2013 jeweils 530,00 €, was jeweils der Mittelgebühr entsprach. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des LG Nürnberg-Fürth hat auch für den Termin am 26. 11. 2013 nur die Mittelgebühr festgesetzt. Seine Begründung:

„Die vom Verteidiger vorgenommene Erhöhung der Mittelgebühr für die Hauptverhandlung am 26.11.2013 (mit der Begründung, die HV sei um 9.00 Uhr terminiert gewesen und habe um 16.35 Uhr geendet) ist in der Gesamtschau aller Hauptverhandlungstage nicht gerechtfertigt, da dieser Aspekt kompensiert wird, durch die Dauer der HV am 27.11.13 von 9.00 bis 12.50 Uhr und am 3.12.13 von 9.00 bis 14:10 Uhr.

Insgesamt gesehen sind die Hauptverhandlungen für ein Schwurgerichtsverfahren -mit entsprechend hohen Anforderungen bei der Beurteilung der Kriterien nach § 14 RVG- damit nicht als überdurchschnittlich einzustufen, sodass -nachdem der Nebenklageanwalt auch für den 2. und 3. Hauptverhandlungstag trotz unterdurchschnittlicher Dauer die Mittelgebühr ansetzt- auch für den 1. Hauptverhandlungstag nur die Mittelgebühr angemessen ist. Die vom Verteidiger bestimmte Gebühr i.H.v. 744 EUR ist deshalb unbillig hoch.“

Auf das Rechtsmittel des Kollegen hat das OLG diese falsche Entscheidung im OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.08.2014 – 1 Ws 270/14 – aufgehoben und für den ersten Hauptverhandlungstermin die beantragten 744 € festgesetzt:

„Angesichts der Dauer der Hauptverhandlung vom 26.11.201-3 von 9.00 Uhr bis 16.35 Uhr ist die vorliegende Bemessung nicht als unbillig anzusehen. Insbesondere ist keine Gesamtbewertung der drei Hauptverhandlungstage angezeigt.“

Wenn man es bewerten soll, kann man nur sagen: Das OLG hat mehr als Recht. Ich bin immer wieder erstaunt, auf welche Ideen Rechtspfleger kommen. Ich bin mir dann auch nie sicher, ob ich über den Erfindungsgeist der Rechtspfleger bewundernd staunen soll oder doch (lieber) weinen. So auch hier. Mir ist bislang keine Entscheidung bekannt, in der im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG eine „Gesamtbetrachtung“ oder „Gesamtbewertung“ vorgenommen wird, mit der Folge, dass nur geringere Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsumfang des Rechtsanwalt in einem Verfahrensabschnitt und/oder in einem Termin zur Minderung der Gebühren für andere Verfahrensabschnitte und/oder Termine führt. Eine solche Kompensation wird zwar teilweise im Bereich der Pauschgebühr nach § 51 RVG vorgenommen – was m.E. ebenfalls nicht zutreffend ist (vgl. dazu Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, § 51 Rn. 156 f.) -, für § 14 Abs. 1 RVG ist das bislang aber noch nicht vertreten worden. Und m.E. auch mit gutem Grund. Denn eine Kompensation, wie sie hier dem LG Nürnberg-Fürth vorschwebte – widerspricht nicht nur dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 RVG, sondern auch dem Gesamtgefüge der anwaltlichen Abrechnung bei Betragsrahmengebühren. In § 14 Abs. 1 RVG ist die Rede davon, dass der Rechtsanwalt „die Gebühr im Einzelfall … nach billigem Ermessen“ bestimmt. Es kommt also auf die für die jeweilige einzelne Gebühr – „die Gebühr …“ – maßgeblichen Kriterien an. Eine Gesamtbetrachtung findet nicht nur nicht statt, sondern ist danach m.E. ausgeschlossen. Es ist ja auch nicht so, dass der Rechtspfleger nach Abschluss der Prüfung der Gebührenbestimmung eine abschließende wertende Betrachtung vornimmt und dabei noch einmal überprüft, ob das, was sich aufgrund der Gebührenbestimmung insgesamt an Vergütung ergibt „angemessen“ ist. Er ist vielmehr an die vom Rechtsanwalt etroffene Gebührenbestimmung (für die einzelne Gebühr) gebunden, wenn sie nicht unbillig ist, d.h. die angemessene Gebühr um nicht mehr als 20 % überschritten wird. Ist die Bestimmung unbillig, bestimmt er die angemessene Gebühr. Eine Gesamtbewertung findet also nicht statt. Für das OLG war das offenbar so klar, dass es auf die Frage nicht mehr als einen Satz verwandt hat. 🙂

Im Übrigen: Warum bei einem Termin, der von 09.00 Uhr bis 16.35 Uhr gedauert hat, eine Wahlanwaltsgebühr von 744 € unbillig sein soll, erschließt sich mir nicht. Und eine Begründung – außer Kompensation – hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle/der Rechtspfleger auch nicht.

PoliscanSpeed – OLG unterliegen einem „Zirkelschluss“

Poliscan Speed - RadarIch hatte ja in den letzten Wochen wiederholt über PoliscanSpeed-Entscheidungen berichtet (vgl. dazu unten die Zusammenstellung). In dem bereits vorgestellten Urteil des AG Friedberg vom 11.08.2014 wird auf eine Entscheidung des AG Emmendingen verwiesen, die auch an anderen Stellen bereits in der Diskussion erschienen ist. Ein Kollege hat mir das Urteil – ergangen in einem Sammelverfahren 🙂 – zukommen lassen, so dass ich es der Vollständigkeit halber auch hier vorstellen kann. Das AG Emmendingen, Urt. v. 26.02.2014 – 5 OWi 530 Js 24840/12 – ist aber nicht nur ein „Lückenfüller/Abrunder“, sondern m.E. auch noch wegen der Argumentation des AG von Bedeutung, und zwar an mindest zwei Stellen:

„Die vorstehenden Entscheidungen sind für das AG Emmendingen nicht verbindlich. Sie überzeugen auch sachlich nicht. Im Wesentlichen handelt es sich um apodiktische Feststellungen. Als Gründe werden im Wesentlichen die Charakterisierung als „standardisiertes Messverfahren“ und die Tatsache, dass andere OLGe ebenso entschieden hätten, angeführt. Letzteres ist kein Argument, sondern ein Zirkelschluss. Ersteres vermag – wie bereits oben erwähnt – eine eigenständige, „zweifelsoffene“ Prüfung nicht zu ersetzen.“…..

Und dann noch ein Punkt, der in einigen anderen Entscheidungen auch schon eine Rolle gespielt und mit der „Dickfelligkeit“ der PTB zu tun hat:

„2. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat für das verfahrensgegenständliche Messgerät am 23.06.2006 eine Bauartzulassung erteilt (PTB-Zul. 18.11/06.01). Damit handelt es sich jedoch nicht schon um ein über jeden Zweifel erhabenes „standardisiertes Messverfahren“. Die auch in der Fachliteratur seitens physikalisch-technischer Sachverständiger immer wieder geäußerten Zweifel (vgl. nur Schmedding/Neidel/Reuß, SVR 2012, 121 ff; Löhle, DAR 2009, 422 ff) unterliegen beim zur Entscheidung berufenen Richter folglich keinem Denkverbot. Der Versuch, die bestehenden Zweifel durch zeugenschaftliche Befragung eines sachkundigen Mitarbeiters der PTB zu entkräften, ist gescheitert. Die PTB teilte dem Gericht mit, selbst im Falle einer Benennung werde dem Zeugen keine Aussagegenehmigung erteilt. Es unterbleibe jedoch aus grundsätzlichen Erwägungen im Hinblick auf eine massive Überbelastung der Fachabteilung bereits eine entsprechende Benennung.“

Ich weiß nicht, ob die Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Wenn nicht, wird dann sicherlich bald das OLG Karlsruhe entscheiden müssen. Vielleicht ja mal endlich ein OLG, dass den Zweifeln, die auch von sachverständiger Seite erhoben werden, folgt und den Status des „standardisierten Verfahrens“ „aberkennt“.

Zu Poliscan Speed aus den letzten Wochen dann auch noch:

… der Schlag mit dem Messergriff an den Kopf – gefährliche Körperverletzung?

© Dan Race - Fotolia.com

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Das mit dem „gefährlichen Werkzeug“ ist offenbar nicht so einfach. M.E. merkt man es daran, dass sich doch verhältnismäßig viele BGH-Entscheidungen mit den damit zusammenhängenden Fragen befassen (müssen). So auch vor kurzem das BGH, Urt. v. 14. 5. 2014 – 2 StR 275/13, dessen Schwerpunkt alllerdings in einer anderen Problematik gelegen hat. Der BGH weist aber zur gefährlichen Körperverletzung auf folgendes hin:

„a) Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Handlung des Angeklagten M. zum Nachteil des Zeugen D. auch als gefährliche Körperverletzung durch Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bewerten ist, weil er diesen mit dem Messerknauf am Kopf getroffen hat.

Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jeder feste Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Mai 2002 – 2 StR 113/02, NStZ 2002, 594). Mit einer erheblichen Verletzung ist eine nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzung oder Gesundheitsschädigung gemeint. Nach den Urteilsgründen ist eine solche Gefahr beim Einsatz des Messergriffs durch einen Schlag gegen den Kopf des Geschädigten nicht so fernliegend, dass auf eine Erörterung der Frage verzichtet werden konnte, ob deshalb § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingreift.“

Gedanken zur „Langstreckenradarfalle“

© lassedesignen - Fotolia.com

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In der vergangenen Woche ist ja schon an verschiedenen Stellen in der Tagespresse über den in Niedersachsen geplanten Versuch mit der „Langstreckenradarfalle“ berichtet worden (hier die PM des Innenministers aus Niedersachsen). Ich bin gespannt, was daraus wird. Hier zu der Problematik kurz ein paar erste Gedanken:

  • Wie es funktioniert bzw. funktionieren soll, konnte man m.E. ganz schön in der Welt nachlesen. Bunte Bildchen helfen immer 🙂 . Also deshalb dann hier der Link zu dem Beitrag oder auch heise.de.
  • Interessant(er) ist die Frage, ob diese „Langstreckenradarfalle“ rechtlich zulässig ist. Da stellt sich sicherlich zunächst mal die Frage, ob es überhaupt (schon) eine Rechtsgrundlage für diese Maßnahme gibt. Im StVG m.E. nicht. Folge wird m.E. sein, dass man im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Videomessung sicherlich wieder die Vorschrift des § 100h StPO heranziehen/überstrapazieren wird. Mit der Vorschrift hatte ich schon bei der Videomessung Bedenken (Stichwort: Anfangsverdacht durch eine Maschine?), aber alle OLG sind ja dem OLG Bamberg brav gefolgt und haben dessen Rechtsprechung übernommen bzw. vom OLG Bamberg einfach teilweise abgeschrieben 🙂 und Karlsruhe hat es durchgehen lassen. Aber bei der „Langstreckenradarfalle“ kommt es m.E. noch dicker. Denn es werden ja alle Kraftfahrer in einem bestimmten Bereich gefilmt, ohne dass dafür ein konkreter Anfangsverdacht vorliegt. Damit müsste § 100h StPO an sich als Ermächtigungsgrundlage ausfallen. Es sei denn, wir erleben (wieder) das Spiel: Ich suche eine Ermächtigungsgrundlage, finde sie nicht, stricke mir dann aber eine. Nur welche?
  • Und Punkt 3 – von erheblicher Bedeutung in der Praxis: Wie ist es, wenn ich bei Punkt 2 zu einem Beweiserhebungsverbot komme, dann mit einem Beweisverwertungsverbot? M.E. liegt angesichts der derzeitigen Rechtslage „Vorsatz“ nahe und damit dann Willkür, so dass ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen sein dürfte.

Nun, der niedersächsische Innenminister wird es sicherlich alles geprüft haben und anders sehen. Jedenfalls wird es mal wieder spannend und es gibt eine neue Runde im Verkehrsrecht. Dieses Mal dürfte dann zunächst ein niedersächsisches OLG gefragt sein, nämlich das OLG Celle, das sich sicherlich freuen wird. Endgültig entscheiden wird die anstehenden Fragen sicherlich dann letztlich aber erst das BVerfG.

Der unzulässige doppelte Bewährungswiderruf

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Liegt an sich auf der Hand: Einen doppelten Bewährungswiderruf gibt es nicht, so das KG im KG, Beschl. v. 31.07.2014 – 2 Ws 279/14. In dem Verfahren hatte – was in der Praxis nicht selten ist – ein unzuständiges Gericht die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Das war dann aufgefallen und die Sache war dann an das zuständige Gericht abgegeben worden. Das hatte die Bewährung dann gleich noch einmal widerrufen. Nun – so das KG – das geht nicht:

„Die angefochtene Entscheidung leidet unter einem Verfahrensmangel, der zu ihrer Aufhebung zwingt.

Zwar ist die Strafvollstreckungskammer grundsätzlich gemäß §§ 462a Abs. 1 Satz 1, 453 StPO für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zuständig, wenn – wie hier – gegen den Verurteilten zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird (vgl. Senat NStZ 2007, 422). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs – wenn auch nur in irrtümlicher Annahme seiner Zuständigkeit – bereits eine entsprechende Entscheidung erlassen hat, mag diese auch noch nicht zugestellt oder rechtskräftig sein. In diesem Fall ist es der Strafvollstreckungskammer solange verwehrt, erneut in der Sache zu entscheiden, wie die vorangegangene (fehlerhafte) Entscheidung existent ist. Es gilt insoweit nichts anderes als für die doppelte Anhängigkeit ein und derselben Sache bei verschiedenen Gerichten, die ein von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis begründet.

Vorliegend wird das Amtsgericht seinen Widerrufsbeschluss nun noch einmal ordnungsgemäß zuzustellen haben. Erst wenn der Verurteilte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegt und das Beschwerdegericht sie aufhebt, ist der Weg für eine Beschlussfassung durch die Strafvollstreckungskammer frei.“