Manchmal haben Rechtspfleger mehr als „komische Ideen“ – das OLG richtet es dann aber…

© Igor Zakowski - Fotolia.com

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Gebührenrecht mache ich ja fast nur noch über mein freitägliches RVG-Gebührenrätsel, aber die ein oder andere Entscheidung kann/will ich dort nicht bringen. Und zwar vor allem dann, wenn die Lösung zu einem Problem klar auf der Hand liegt. Und das war/ist beim LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 19.05.2014 – 5 Ks 109 Js 368/13 – der Fall, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Der Kollege, der mir den Beschluss übersandt hat, war als Nebenklägervertreter tätig. Er hat in dieser Eigenschaft an drei Hauptverhandlungsterminen beim Schwurgericht teilgenommen. Der erste Hauptverhandlungstermin am 26.11.2013 hat von 9.00 Uhr bis 16.35 Uhr gedauert, der Hauptverhandlungstermin am 27.11.2013 von 9.00 bis 12.50 Uhr und der am 03.12.2013 von 9.00 bis 14:10 Uhr. Der Angeklagte ist vom Schwurgericht dann u.a. wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm sind die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden. Der Kollege hat u.a. drei Hauptverhandlungsgebühren Nr. 4120 VV RVG geltend gemacht, und zwar für den Termin am 26.11.2013 744,00 € und für die Termine am 27.11.2013 und am 03.12.2013 jeweils 530,00 €, was jeweils der Mittelgebühr entsprach. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des LG Nürnberg-Fürth hat auch für den Termin am 26. 11. 2013 nur die Mittelgebühr festgesetzt. Seine Begründung:

„Die vom Verteidiger vorgenommene Erhöhung der Mittelgebühr für die Hauptverhandlung am 26.11.2013 (mit der Begründung, die HV sei um 9.00 Uhr terminiert gewesen und habe um 16.35 Uhr geendet) ist in der Gesamtschau aller Hauptverhandlungstage nicht gerechtfertigt, da dieser Aspekt kompensiert wird, durch die Dauer der HV am 27.11.13 von 9.00 bis 12.50 Uhr und am 3.12.13 von 9.00 bis 14:10 Uhr.

Insgesamt gesehen sind die Hauptverhandlungen für ein Schwurgerichtsverfahren -mit entsprechend hohen Anforderungen bei der Beurteilung der Kriterien nach § 14 RVG- damit nicht als überdurchschnittlich einzustufen, sodass -nachdem der Nebenklageanwalt auch für den 2. und 3. Hauptverhandlungstag trotz unterdurchschnittlicher Dauer die Mittelgebühr ansetzt- auch für den 1. Hauptverhandlungstag nur die Mittelgebühr angemessen ist. Die vom Verteidiger bestimmte Gebühr i.H.v. 744 EUR ist deshalb unbillig hoch.“

Auf das Rechtsmittel des Kollegen hat das OLG diese falsche Entscheidung im OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.08.2014 – 1 Ws 270/14 – aufgehoben und für den ersten Hauptverhandlungstermin die beantragten 744 € festgesetzt:

„Angesichts der Dauer der Hauptverhandlung vom 26.11.201-3 von 9.00 Uhr bis 16.35 Uhr ist die vorliegende Bemessung nicht als unbillig anzusehen. Insbesondere ist keine Gesamtbewertung der drei Hauptverhandlungstage angezeigt.“

Wenn man es bewerten soll, kann man nur sagen: Das OLG hat mehr als Recht. Ich bin immer wieder erstaunt, auf welche Ideen Rechtspfleger kommen. Ich bin mir dann auch nie sicher, ob ich über den Erfindungsgeist der Rechtspfleger bewundernd staunen soll oder doch (lieber) weinen. So auch hier. Mir ist bislang keine Entscheidung bekannt, in der im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG eine „Gesamtbetrachtung“ oder „Gesamtbewertung“ vorgenommen wird, mit der Folge, dass nur geringere Tätigkeiten bzw. Tätigkeitsumfang des Rechtsanwalt in einem Verfahrensabschnitt und/oder in einem Termin zur Minderung der Gebühren für andere Verfahrensabschnitte und/oder Termine führt. Eine solche Kompensation wird zwar teilweise im Bereich der Pauschgebühr nach § 51 RVG vorgenommen – was m.E. ebenfalls nicht zutreffend ist (vgl. dazu Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, § 51 Rn. 156 f.) -, für § 14 Abs. 1 RVG ist das bislang aber noch nicht vertreten worden. Und m.E. auch mit gutem Grund. Denn eine Kompensation, wie sie hier dem LG Nürnberg-Fürth vorschwebte – widerspricht nicht nur dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 RVG, sondern auch dem Gesamtgefüge der anwaltlichen Abrechnung bei Betragsrahmengebühren. In § 14 Abs. 1 RVG ist die Rede davon, dass der Rechtsanwalt „die Gebühr im Einzelfall … nach billigem Ermessen“ bestimmt. Es kommt also auf die für die jeweilige einzelne Gebühr – „die Gebühr …“ – maßgeblichen Kriterien an. Eine Gesamtbetrachtung findet nicht nur nicht statt, sondern ist danach m.E. ausgeschlossen. Es ist ja auch nicht so, dass der Rechtspfleger nach Abschluss der Prüfung der Gebührenbestimmung eine abschließende wertende Betrachtung vornimmt und dabei noch einmal überprüft, ob das, was sich aufgrund der Gebührenbestimmung insgesamt an Vergütung ergibt „angemessen“ ist. Er ist vielmehr an die vom Rechtsanwalt etroffene Gebührenbestimmung (für die einzelne Gebühr) gebunden, wenn sie nicht unbillig ist, d.h. die angemessene Gebühr um nicht mehr als 20 % überschritten wird. Ist die Bestimmung unbillig, bestimmt er die angemessene Gebühr. Eine Gesamtbewertung findet also nicht statt. Für das OLG war das offenbar so klar, dass es auf die Frage nicht mehr als einen Satz verwandt hat. 🙂

Im Übrigen: Warum bei einem Termin, der von 09.00 Uhr bis 16.35 Uhr gedauert hat, eine Wahlanwaltsgebühr von 744 € unbillig sein soll, erschließt sich mir nicht. Und eine Begründung – außer Kompensation – hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle/der Rechtspfleger auch nicht.

5 Gedanken zu „Manchmal haben Rechtspfleger mehr als „komische Ideen“ – das OLG richtet es dann aber…

  1. RA JM

    @ clericus curiae:
    Sie glauben ja auch, dass Anwälte durch Biergärten ziehen und sich vor Jobcentern aufstellen um den Leuten Probleme einzureden.

  2. Rechtsmeister

    Manche nennen Oberstaatsanwälte auch nicht zu unrecht „Rechtsbrecher usw.“
    Man liegt da sogar fast immer richtigt, weil entlastende Tatsachen von der Staatsanwaltschaft grundsätzlich ignoriert werden.

    Leider sind die „guten“ Rechtspfleger usw. in der MInderzahl.

    Das OLG richtet auch nicht immer alles, sondern sogar ganz im Gegenteil, weil es immer auch auf das Ansehen der Person ankommt.
    Am Landgericht Bückeburg hatte ich als Prolet mal eine EV eingereicht. 2 Tage später lag die wieder bei mir im Briefkasten, weil am LG Anwaltszwang herrscht.
    Nachdem ich denm Richter das erklärt hatte funktioniert es alles so weit recht gut und die Gegenseite gab meine geforderte Unterlassungserklärung ab aber auch erst nachdem ich dem Dr.-Anwalt der Gegenseite alles erklärt hatte und ich konnte das Verfahren für erledigt erklären.
    Nun musste natürlich auch eine Bestrafung erfolgen. Ich durfte 80% der Kosten tragen, weil bei Bürgern die selbst Schriftstücke bei Gericht einreichen hypothetisch angenommen werden muss, dass diese falsch sind und man damit keine Rechte bei Gericht begünden kann.
    Ein Richter am OLG Celle bestätigte die Richtigkeit der Entscheidung.
    Jetzt kann man sich natürlich Fragen stellen, wenn Richter entsprechend hypothetisch annnehmen müssen….

    Aber es wird nicht immer alles gerichtet.

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