Archiv für den Monat: Oktober 2013

(Angekündigte) Verspätung? Macht nichts, verwerfe trotzdem

© Stauke - Fotolia.com

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Eine der „klassischen Fragen“ des Berufungsverfahrens ist die nach der Länge der Wartezeit bevor die Berufung wegen Ausbleibens des Angeklagten verworfen werden kann. Dazu kann man m.E. feststellen, dass das Berufungsgericht mindestens 15 Minuten warten muss, bevor es die Berufung des ausgebliebenen Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO verwirft. Das kann man wohl als h.M. in Rechtsprechung und Literatur bezeichnen. Davon gibt es aber Ausnahmen im Fall der sog. „angekündigte Verspätung“. Dann muss das Gericht länger warten. Darauf hat jetzt das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 08.07.2013 – 2 Ws 354/13 – noch einmal hingewiesen.

Hauptverhandlungsbeginn sollte am 13.03.2013 um 09.00 Uhr sein. Am Terminstag herrschten – wie bereits einen Tag vorher – winterliche Straßenverhältnisse in B. (Bonn [?] und Umgebung. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Vorsitzende der Strafkammer um 09.00 Uhr mit dem Verteidiger des Angeklagten telefoniert, welcher mitgeteilt hat, er sei mit dem Angeklagten um 08.00 Uhr in Lohmar abgefahren und man stehe nun wegen der winterlichen Witterungsbedingungen im Stau und werde sich voraussichtlich um 20 Minuten verspäten. Der Vorsitzende hat darauf dem Verteidiger mitgeteilt, dass bei Nichterscheinen bis 09.30 Uhr die Berufung verworfen werde. Nachdem der Angeklagte bis 09.35 Uhr nicht erschienen war, hat die Strafkammer die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs.1 StPO verworfen und die Sitzung um 09:38 Uhr geschlossen. Um 09.50 Uhr sind der Angeklagte und sein Verteidiger im Sitzungssaal erschienen, worauf ihnen mitgeteilt worden ist, dass die Berufung zwischenzeitlich verworfen worden sei.

„Aus alledem ergab sich hier für die Strafkammer eine Wartepflicht, die bei Verkündung des Verwerfungsurteils noch nicht abgelaufen war.

Dabei  kann es dahingestellt bleiben, ob der Angeklagte mit seinem Verteidiger angesichts der am 13.03.2013 nicht überraschend herrschenden winterlichen Witterungsverhältnisse eine ausreichende Zeit für die Anreise zum Landgericht B. eingeplant hat. Denn der Angeklagte hat über seinen Verteidiger im Rahmen des mit dem Vorsitzenden am Terminstag gegen 09.00 Uhr geführten Telefonats jedenfalls deutlich gemacht, dass er sich dem Verfahren nicht entziehen, sondern an der Hauptverhandlung auf jeden Fall teilnehmen wollte und sein Nichterscheinen lediglich auf einer Verzögerung beruhte, die in absehbarer Zeit behoben sein würde. Eine solche Mitteilung kann zwar nicht dazu führen, dass das Gericht auf unbestimmte Zeit mit dem Verhandlungsbeginn auf den Angeklagten warten muss, jedoch waren vorliegend erweiterte Anforderungen an die Wartepflicht der Strafkammer zu stellen, aufgrund derer diese nicht bereits zwischen 09:35 Uhr und 09:38 Uhr die Berufung nach  § 329 StPO hätte verwerfen dürfen. Das Gericht war durch das Telefonat gegen 09.00 Uhr darüber informiert, dass der Angeklagte sich verspäten würde, wobei es dahinstehen kann, ob dem Vorsitzenden eine voraussichtliche Verzögerung von 20 Minuten oder 30 bis 40 Minuten mitgeteilt wurde und ob der Angeklagte den Sitzungssaal um 09.38 Uhr oder erst um 09.50 Uhr erreicht hat. Jedenfalls war aufgrund der Kenntnis des Gerichts von dem  Verzögerungsgrund eine längere Wartezeit vor der Verwerfung der Berufung geboten, die zum Zeitpunkt der Verkündung des Verwerfungsurteils noch nicht abgelaufen war, da sich der Angeklagte offensichtlich auf dem Weg zum Gericht befand und zu dem Verwerfungszeitpunkt aufgrund der konkreten, auch dem Gericht bekannten Umstände noch mit einem zeitnahen Eintreffen des Angeklagten zu rechnen war.“

Mir leuchtet nicht ein, warum man so schnell mit der Verwerfung bei der Hand ist,w enn die Verspätung angekündigt ist. Und man könnte das Ganze ja auch praktisch lösen, in dem man dem nach Verwerfung erscheinenden Angeklagten, Wiedereinstzung gewährt – von Amts wegen – und dann verhandelt. Dann ist die Sache im Zweifel auch erledigt und man muss nicht erst den Weg über das OLG gehen.

Gibt es aber nicht bloß im Rheinland, sondern auch an anderen Orten (vgl. hier).

 

Widersprüchliches Vorbringen – da ist man beim BGH „not amused“

© AllebaziB - Fotolia.com

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In einem der Verfahren, in denen das Urteil durch das „Verständigungsurteil“ des BVerfG vom 19.03.2013 aufgehoben worden ist, wird im nun wieder/noch beim BGH anhängigen Revisionsverfahren um die Entpflichtung des Pflichtverteidigers gekämpft. Begründung für den Entpflichtungsantrag: Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Pflichtverteidiger. Das reicht dem BGH so aber nicht, zumal der Angeklagte auch noch widersprüchlich vorträgt. Man merkt dem BGH, Beschl. v. 17.03.2013 – 1 StR 443/10 – schon an, dass der Vorsitzende, der den Entpflichtungsantrag zurückgewiesen hat, not amused ist. Er führt aus:

„Der Entpflichtungsantrag des Angeklagten und der Beiordnungsantrag von Rechtsanwältin K. bleiben erfolglos.1. Der Angeklagte beruft sich zur Begründung seines Entpflichtungsantrages auf eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zu seinem Pflichtverteidiger. Die Behauptung, das Vertrauen zwischen Verteidiger und Angeklagten bestehe nicht mehr, kann für sich genommen einen Anspruch auf Widerruf der Bestellung eines Verteidigers nicht begründen. Sie muss auf konkreten Tatsachenvortrag gestützt sein (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 1 StR 649/07, StraFo 2008, 243 mwN). Hieran fehlt es indes.

Der Angeklagte führt zwar an, der Pflichtverteidiger habe gegen seinen ausdrücklich geäußerten Wunsch im Verfahren vor dem Landgericht München II an einer Verständigung mitgewirkt. Im Revisionsverfahren hatte der Angeklagte indes zur Begründung der Revision noch vortragen lassen, sowohl der Pflichtverteidiger als auch er selbst hätten dem Verständigungsvorschlag des Gerichts seinerzeit ausdrücklich zugestimmt (RB S. 8).

Entgegen seiner weiteren Behauptung – er habe sich wegen der gegen seinen Willen erfolgten Verständigung „fortan“ von Rechtsanwältin K. verteidigen lassen und wolle dies auch weiterhin – hat sich der Angeklagte zudem im gesamten ersten Revisionsverfahren weiter durch Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger und durch Rechtsanwalt Prof. Dr. W. als Wahlverteidiger vertreten lassen. Rechtsanwältin K. hat sich demgegen-über erstmals am 20. März 2013 als Verteidigerin angezeigt.

Der nächste Winter kommt bestimmt: Die Haftung des Räumfahrzeuges

In einem beim OLG Koblenz anhängigen Verfahren wird gegen den Fahrer/Halter eines Räumfahrzeuges Schadensersatz wegen Schäden, die beim Räumen einer BAB durch ein Räumfahrzeug an einem anderen Fahrzeug entstanden sind, geltend gemacht. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist das OLG zu der Überzeugung gelangt, dass durch das von dem Beklagten eingesetzte Räumfahrzeug Schnee- und Eisbrocken auf die Gegenfahrbahn der BAB 61 geschleudert worden sind und dort den Pkw des Klägers beschädigt haben. Weiter ist der Senat davon überzeugt, dass eine ordnungsgemäße Räumung der BAB 61 am Unfalltag auch ohne Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn möglich gewesen wäre, der Unfall also nicht durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG verursacht worden ist. Dazu führt das OLG Koblenz, Urt. v. 09.09.2013, 12 U 95/12 – aus:

„Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Unfall auch nicht durch ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG verursacht worden. Unabwendbar ist ein Ereignis nämlich nur dann, wenn es nicht durch äußerste mögliche Sorgfalt abgewendet werden kann (so mit zahlreichen weiteren Nachweisen Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., Rn. 22). Von einem unabwendbaren Ereignis könnte somit nur dann ausgegangen werden, wenn eine ordnungsgemäße Räumung der Fahrspur tatsächlich nur unter zwangsläufiger Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn möglich gewesen wäre. Aus den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen …[D] in seinem Gutachten vom 25.02.2013 ergibt sich für den Senat aber zwingend, dass dies nicht der Fall war. So führt der Sachverständige u.a. aus, dass der Abstand zwischen dem äußeren Bereich der Überholspur in Richtung Süden und dem äußeren Bereich der Überholspur in Richtung Norden ca. 5 m betrage. Untersuchungen von Fahrzeugen im Räumvorgang mit angebautem Schneepflug hätten ergeben, dass durch die Fahrtgeschwindigkeit des Räumfahrzeuges die Abwurfweite und somit auch der Ausdehnungsbereich der vom Pflug aufgenommenen Schneemassen beeinflusst würde. Vom jeweiligen Fahrzeugführer des Räumfahrzeuges könne über die Fahrzeugverglasung die vom Pflug aufgenommene und nach links abgewiesene Schneemasse (Wurfweite) eingesehen werden. Bei übermäßiger bzw. gefahrträchtiger Ausdehnung der Wurfweiten der vom Pflug aufgenommenen Schneemassen könne der Fahrer diese begrenzen, indem von ihm die eingehaltene Geschwindigkeit entsprechend reduziert würde. Weiter sei festgestellt worden, dass bei einer vom Räumfahrzeug eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 30 bis 35 km/h eine Schneewurfweite, bezogen auf den äußeren Schneepflugbereich, von 2,5 m feststellbar gewesen sei. Bei Steigerung der Fahrgeschwindigkeit des Räumfahrzeuges auf einen Geschwindigkeitsbereich oberhalb 40 bzw. 45 km/h seien Schneewurfweiten bezogen auf die Längsachse des Fahrzeuges, von ca. 5 m feststellbar gewesen. Zusammenfassend hält der Sachverständige fest, dass davon auszugehen sei, dass mit dem bei dem Vorfall eingesetzten Räumfahrzeug die Räumung der Überholspur mit nach links eingestelltem Schneepflug bei entsprechender Fahrgeschwindigkeit nicht zwingend dazu hätte führen müssen, dass die Eis- und Schneemassen bis auf die Gegenfahrspur gelangen.“

Strafzumessung: „die Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“

In tatrichterlichen Strafzumessungserwägungen findet man häufig die Wendung, dass die Strafzumessung unter „Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“ erfolgt ist. Wird so argumentiert/begründet, dann muss aber auch eine Abwägung erkennbar sein bzw. es müssen für und gegen den Angeklagten sprechende Umstände angeführt werden, soll nicht diese Wendung eine bloße Floskel darstellen. Wo Abwägung drauf steht, muss also auch Abwägung drin bzw. erkennbar sein. Das gilt vor allem auch für belastende/strafschärfende Umstände, und zwar vor allem dann, wenn die Strafe am oberen Rand des Strafrahmens festgesetzt wird. So der BGH, Beschl. v. 13.08.2013 – 2 StR 180/13.

Im zugrundeliegenden Verfahren hatte das LG den Angeklagten u.a. wegen Totschlags verurteilt und eine Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren festgesetzt. Dazu der BGH, Beschluss:

a) Das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen; einen minder schweren Fall des Totschlags hat es unter Berücksichtigung von Tatbild und Täterpersönlichkeit verneint. Bei der Strafzumessung im engeren Sinn hat es zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich um ein situatives Tatgeschehen und keine von langer Hand geplante Tat gehandelt hat, der Angeklagte bei der Tat stark erregt war und er alters- und krankheitsbedingt besonders haftempfindlich und nicht vorbestraft ist. Strafschärfungsgründe führt die Strafkammer nicht auf.

b) Diese Ausführungen sind – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 3. August 2011 – 2 StR 207/11, Rn. 5 juris; BGH, Beschluss vom 17. Juli 2009 – 5 StR 241/09, NStZ-RR 2009, 336, jeweils mwN) – lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer stützt sich zur Begründung der im anwendbaren Strafrahmen gefundenen Strafe ausschließlich auf Strafmilderungsgründe. Eine Abwägung „aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände“ (UA S. 52) findet gerade nicht statt. Damit ist aber nicht erkennbar begründet, warum sich die Strafe am oberen Rand des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von elf Jahren drei Monaten bewegt.

Nebenklägerrevision ein Problem, das keins sein dürfte

© Dan Race - Fotolia.com

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Ich weiß nicht, wie oft der BGH sich im Jahr it der Frage der Zulässigkeit der Nebenklägerrevision befassen muss. Gefühlt mehrmals im Monat, wenn nicht so oft, sicherlich aber häufig. Auch ich habe hier ja schon öfters über das Problem, das an sich keins sein dürfte, berichtet. Und dennoch: Es wird immer wieder falsch gemacht – obwohl in jedem Buch zur Revision darauf hingewiesen wird, wie der Nebenkläger seine Revision begründen muss. Exemplarisch dazu und zur Wiederholung – vielleicht nutzt es ja – der BGH, Beschl. v. 12.09.2013 – 2 StR 375/13:

„Das Rechtsmittel ist unzulässig. Nach § 400 Abs. 1 StPO kann ein Ne-enkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird. Deshalb bedarf die Revision eines Nebenklägers in der Regel entweder eines konkreten Revisionsantrags oder einer Revisionsbegründung, die deutlich macht, dass ein zulässiges Ziel verfolgt wird. Daran fehlt es hier.“

In der Kürze habe ich es noch nicht gelesen. Aber vielleicht ist der BGH es auch einfach leid.