Archiv für den Monat: August 2012

Akteneinsicht in den Messfilm – die Geschichte geht weiter

Ein Kollege hat mir den AG Schleiden, Beschl. v. 13.07.2012 – 13 OWi 92/12 (b) -, den er erstritten hat, zugesandt. Es geht um die Einsicht in den Messfilm bzw. die Messdatei. Die hatte die Verwaltungsbehörde abgelehnt. Das AG Schleiden geht davon aus, dass das Akteneinsichtsrecht eines Verteidigers auch den Messfilm bzw. die Messdatei umfasst, das sich Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit einer Messung ergeben könne; die Einsicht in die gesamte Datei ist daher zur Beurteilung der Erfolgsaussichten des Einspruchs notwendig.  Die vollständigen Daten der Messserie der Geschwindigkeitsmessung vom 20.03.2012, Messbeginn 13:26 Uhr, bis zum 26.03.2012, Messende 13:27 Uhr, seien also dem Verteidiger zur Verfügung zu stellen.

Wie geht es weiter: Der Kreis Euskirchen schickt einen bespielten Datenträger. Allerdings muss der Verteidiger da mit Schreiben vom 27.07.2012 nachhaken; denn:

„Höflich wird angefragt, mit welchem – gängigen – Windows-Programm die Dateien abgespielt werden können. Mit keinem gängigen Player (Windows-Player/Real-Player/VLC-Player etc.) sind die Daten lesbar.“

Der Kreis antwortet darauf mit Schreiben vom 30.07.2012:

.. da es sich um die Original Dateien inkl. der Codierung handelt, sind diese nur mit entsprechendem Cod RSA-Key (wurde Ihnen mit übersandt) und entsprechender Biff Procecc Version der Fa. Jenoptik zu betrachten“.

Also, ich weiß nicht, was das ist (auch nach Lektüre dieses Artikels im Internet bin ich nicht viel schlauer). Der Kollege hat erst mal bei Jenoptik nachgefragt. Und ich stelle mir die Frage, ob der Kreis hier nicht ggf. „auf kaltem weg“ den Beschluss des AG unterläuft. Muss er denn nicht das Material in einer lesbaren Version zur Verfügung stellen? Die Frage stelle ich dann zur Diskussion. Die Fallgestaltung ist sicherlich anders als bei AG Peine, Beschl. v. 13.03.2008 – 2 OWi 2/08, StRR 2008, 390. Nämlich genau umgekehrt

 

Die gebrauchsbereiten Schraubendreher – reicht nicht

© Dan Race – Fotolia.com

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir wieder einen bösen Kommentar einhandele, weise ich auf den BGH, Beschl. v. 21.06.2012 – 5 StR 286/12 – hin. Der BGH geht von folgenden Feststellungen des LG aus:

a) Nach den Feststellungen hebelte der Angeklagte mit „zwei mitgebrachten Schraubendrehern“ ein Fenster auf, um in die Geschäftsräume einer Firma zu gelangen, aus denen er eine LED-Lampe entwendete. Kurze Zeit später begab er sich zu den Geschäftsräumen einer weiteren Firma und schlug zwei Glasschiebetüren zum Lagerraum ein oder hebelte sie auf. Er trug anschließend einen Wandtresor mit über 7.000 € hinaus, wobei er die „verwendeten Schraubendreher gebrauchsbereit bei sich führte“.
Das LG verurteilt wegen Verstoßes gegen § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB. Dem BGH reichen die Feststellungen nicht.

b) Diese Feststellungen reichen nicht aus, um die Erfüllung des Tatbestands von § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB zu belegen. Das Beisichführen eines anderen gefährlichen Werkzeugs im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass es sich um einen Gegenstand handelt, der nach seiner objektiven Beschaffenheit geeignet ist, einem Opfer erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Juni 2008 – 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257 – und vom 1. September 2004 – 2 StR 313/04, NJW 2004, 3437; Urteil vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09, StV 2010, 628), etwa bei einer Eignung als Stichwerkzeug. Solche Feststellungen zur objektiven Gefährlichkeit hinsichtlich der Beschaffenheit der als Einbruchswerkzeug mitgeführten Schraubendreher hat das Landgericht nicht getroffen. Es grenzt diese – ohne sie näher zu beschreiben – nicht von „sonstigen Werkzeugen“ in Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1b StGB ab, bei denen eine Verwendungsabsicht des Täters zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist.

Na  ja, ich bin mir nicht ganz sicher, ob man das nicht hätte auch anders sehen können. Mit den mitgebrachten Schraubendrehern wird das Fenster aufgehebelt und „Die verwendeten Schraubendreher gebrauchsbereit bei sich führt“.

Ach so: Warum böser Kommentar? Nun beim gestrigen Posting „Beweiswürdigung, es fehlte mal wieder das Basiswissen“ habe ich mir einen Kommentar eingefangen, der allerdings aus technischen Gründen leider nicht angezeigt wird. Da hieß es:

„Muss ja auf die Dauer sagenhaft befriedigend sein: Revisionsurteile exzerpieren und immer dazuschreiben “wie konnten die nur …”. Naja, andere Rentner ziehen durch ihr Wohnviertel und schreiben Falschparker auf, ist also offenbar ganz normal sowas …“

Also: Ich bin noch kein Rentner – jedenfalls habe ich nicht den Eindruck und interessanter, als Falschpaker aufzuschreiben ist das Bloggen auch. Obwohl es hier bei uns eine Menge Falschparker geben würde, die man aufschreiben könnte :-).

Auslagen für den Pflichtverteidiger

© Gina Sanders – Fotolia.com

Wenn der Pflichtverteidiger wissen will, ob Auslagen, die er während der Führung des Mandates tätig später auch aus der Staatskasse erstattet werden, dann hat er die Möglichkeit nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG vorzugehen Er kann dann einen Antrag auf Feststellung der Erforderlichkeit der in Aussicht genommenen Auslage stellen. In § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG ist zwar nur die Rede von „Reise“, in der Praxis geht man aber davon aus, dass die Vorschrift auch für andere Auslagen gilt.

Diese Möglichkeit hat für den Pflichtverteidiger den Vorteil, dass die gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindend ist. Der Pflichtverteidiger muss sich also später darüber nicht mit der Staatskasse streiten. Wird die Feststellung abgelehnt, hat das keine bindende Wirkung, sondern die Auslage kann dann später trotzdem noch zur Festsetzung mit angemeldet werden. Deshalb dürfte es den Pflichtverteidiger auch nicht stören, dass die Entscheidung über seinen Antrag eauf Feststellung der Erforderlichkeit unanfechtbar ist. So der OLG Celle, Beschl. v. 25.06.2012 – 2 Ws 169/12, der ausdrücklich ausführt:

Dadurch entsteht der Beschwerdeführerin kein Rechtsnachteil, sie kann ihren Anspruch auf Erstattung von Reisekosten im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen und ihn dort auch im Rechtsmittelwege verfolgen.

Beweiswürdigung – es fehlte mal wieder das Basiswissen

© Africa Studio – Fotolia.com

Gestern ist bereits über den OLG München, Beschl. v. 31.07.2012 – 5 Stt RR (I) 32/12 – berichtet worden, den der Kollege Sprafke gegen ein Urteil des LG Augsburg erstritten hat (vgl. hier der Beitrag des Kollegen: „Revision greift durch…„). Den Beschluss hat er mir dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt, so dass auch ich über ihn berichten kann.

  • Es geht um an sich ganz einfache Fragen der Beweiswürdigung, die das LG nicht beachtete hatte. Es sind zwei zentrale Punkte die das OLG angesprochen hat. Und zwar zunächst die Frage der Beweiswürdigung im Fall der Aufklärungshilfe, wenn der „Helfer“ § 31 BtMG in Anpruch nimmt bzw. zugebilligt bekommen hat. Da greift das OLG auf die insoweit maßgeblichen Grundsätze der Rechtsprechung zurück. Die besagen:  In einem Fall, in dem ein Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines anderen Tatbeteiligten überführt werden soll, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle entscheidungserheblichen Umstände erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und im Rahmen einer Gesamtwürdigung gewürdigt hat. Ein wesentlicher Gesichtspunkt hierbei ist, ob sich der tatbeteiligte Zeuge im Hinblick auf § 31 BtMG von seiner Aussage Vorteile versprochen hat. Liegt m.E. als offensichtlich auf der Hand und sollte von einer Berufungskammer auch beachtet werden.
  • Noch offensichtlicher ist m.E. der zweite Punkt, den das OLG moniert: Es vermisst die Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten, der die Tat nicht nur pauschal bestritten hatte. Letzteres ist für die Vollständigkeit der Beweiswürdigung allein schon deshalb erforderlich, weil das Revisionsgericht sonst nicht prüfen kann, warum und wieso das Tatgericht der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt ist und ob die Gründe dafür stichhaltig sind.

Ich will an sich nicht schon wieder schreiben: Basiswissen, das fehlt, aber leider ist es so. 🙂

Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Es gibt kein Urheberrecht

© Sven Grundmann – Fotolia.com

Zu einem weinenden und einen lachenden Auge hat bei mir der LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 23.07.2012 – 23 Qs 54/12 geführt, der sich mal wieder mit der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren befasst hat.

Warum ein weinendes Auge? Nun, das LG hat sich in der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde der Fraktion in der Rechtsprechung angeschlossen, die davon ausgeht, dass der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht in noch nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen (Bedienungsanleitung, Lebensakte und Beschilderungsplan) § 305 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG entgegen steht. Ist m.E. nicht richtig, aber muss man hinnehmen. Und es führt eben zu mehr Unruhe in der Hauptverhandlung durch Beweisanträge und/oder Aussetzungsanträge.

Warum ein lachendes Auge? Nun, das LG hat es mit den Ausführungen zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht gut sein lassen, sondern hat sich trotz seiner Rechtsauffassung noch zu der Frage geäußert, inwieweit dem Betroffenen und seinem Verteidiger ein Akteneinsichtsrecht zusteht. Dabei bezieht es sich ua. auf die Entscheidungen des LG Ellwangen und des AG Hildesheim, über die, wenn ich das richtig sehe, wir hier zu erst berichtet hatten.

Dem Verteidiger des Betroffenen steht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 StPO ein Akteneinsichtsrecht zu, das alle Akten und Aktenteile umfasst, auf die der Schuldvorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, die zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen werden (vgl. Karlsruher Kommentar zum OWiG; 3. Aufl., Rdnr. 97 zu § 60).

 Dies dürfte insbesondere für den Beschilderungsplan den Tatort betreffend als auch für die Bedienungsanleitung des im vorliegenden Fall verwendeten Messgerätes gelten.

 Sofern sich Unterlagen, die für den Betroffenen belastend oder entlastend relevant sein können, nicht in den Ermittlungs- oder Sachakten, sondern in anderen Akten oder bei anderen Behörden befinden, müssen auch diese den Akten und damit allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden. Ansonsten könnte der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt werden. Denn ohne Kenntnis von der Bedienungsanleitung des Messgerätes ist es dem Verteidiger unmöglich, den Polizeibeamten, der die betreffende Geschwindigkeitsmessung vorgenommen hat, als Zeugen zur ordnungsgemäßen Handhabung des Messgerätes zu befragen (vgl. LG Ellwangen in DAR 2011, 418 ff; LG Lübeck in DAR 2011, 713).

 Entsprechendes gilt für den Beschilderungsplan des Tatortes, aus dem sich die Aufstellung von Verkehrszeichen zur Tatzeit ersehen lässt und der damit erst eine korrekte Einordnung der Tatgeschehnisse ermöglicht.

 Da davon auszugehen ist, dass sich das Original der Bedienungsanleitung für das Messgerät bei der Verwaltungsbehörde — hier der Bußgeldstelle der Gemeinde Hoppegarten — befindet und dort im Hinblick auf andere Bußgeldverfahren auch verbleiben muss, dürfte aus Praktikabilitätsgründen die Beiziehung einer beglaubigten Kopie der Bedienungsanleitung ausreichend sein, die zur Akte genommen werden kann

 Hiergegen dürften auch keine durchgreifenden Bedenken urheberrechtlicher Art bestehen, denn die Bedienungsanleitung für das hier verwendete Messgerät beschreibt lediglich vorgegebene technische Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und ist keine eigenständige geistige Schöpfung ihres Autors (vgl. LG Ellwangen, a.a.O.). Darüber hinaus ist von einer zumindest konkludenten Einräumung entsprechender Nutzungsrechte durch den Hersteller mit dem Verkauf des Messgerätes an die Verwaltungsbehörde auszugehen (§ 31 Abs. 5 UrhG), da jedem Hersteller von solchen Geräten bekannt ist, dass die mit den Geräten durchgeführten Messungen Gegenstand von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind und insofern der Prüfung — auch durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung — unterliegen (vgl. AG Hildesheim in juris: Beschluss vom 29.12.2011 zum Az: 31 OWi 27/11).

 Über das Begehren des Verteidigers auf Beiziehung dieser Unterlagen, das als Anregung einer Beweisermittlung im weiteren Sinn verstanden werden kann, hat das Amtsgericht im Rahmen der Vorbereitung der Hauptverhandlung und der dort zu treffenden Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 219 StPO). Sollte der Anregung des Verteidigers vor der Hauptverhandlung nicht entsprochen werden, bleibt es diesem unbenommen, in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.

Schöner Beschluss des LG. Natürlich gibt es auch noch andere, so den AG Schleiden, Beschl. v. 13.07.2012 – 13 OWi 92/12 (b) AG Aurich, Beschl. v. 06.07.2012 – 5 OWi 1647/12 . Das wollen wir hier nicht verschweigen.