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OWi II: Wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen, oder: Wenn der Betroffene abwesend ist

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 27.04.2020 – 3 Ws (B) 49/20 – zu den Grundlagen der Bußgeldbemessung und zur Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei erlaubter Abwesenheit des Betroffenen Stellung genommen. M.E. reichen hier die Leitsätze der Entscheidung, den Rest der recht umfangreichen Begründung bitte selbst lesen:

1. Auch unter dem Regime der Bußgeldkatalog-Verordnung (nachfolgend: BKatV) bleiben die Kriterien des § 17 Abs. 3 OWiG die Grundlage für die Bußgeldbemessung.

2. Systematisch stellen diese Regelsätze Zumessungsrichtlinien dar, die der Tatrichter bei der Ausübung seines Rechtsfolgeermessens nicht unbeachtet lassen darf.

3. Lassen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des erlaubt abwesenden Betroffenen nicht feststellen, zwingt die Aufklärungspflicht das Tatgericht nicht zu weiteren Ermittlungen, wenn es beabsichtigt, eine Geldbuße von mehr als 250 Euro zu verhängen. Denn die persönlichen und wirtschaftlichen Umstände sind aufgrund der Regel-Ausnahme-Systematik der BKatV nicht von vornherein Gegenstand der Amtsaufklärung. Es obliegt vielmehr dem Betroffenen, konkrete Tatsachen vorzutragen, die ein Abweichen vom Regelsatz nahelegen, um so die tatrichterliche Aufklärungspflicht auszulösen.

Absehen vom Fahrverbot: Den Betroffenen trifft keine „Beweislast“…..

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Ich hatte vorhin über den OLG Bamberg, Beschl. v. 28. 12. 2015 – 3 Ss OWi 1450/15 und die dort vom OLG als nicht ausreichend gerügten Feststellungen berichtet. Das hatte zur Folge, dass das OLG Bamberg die Absehensentscheidung des AG aufgehoben und selbst ein Fahrverbot festgesetzt hat. Zu der Problematik mangelnde Aufklärung passt dann ganz gut der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 02.11.2015 – 3 (5) SsBs 575/15, den mir der Kollege S. Kabus, Bad Saulgau, übersandt hat. Das spielt auch mangelnde Aufklärung eine Rolle. Aber mit einem für den Betroffenen positiven Ausgang. Das OLG hat nämlich die amtsgerichtliche Fahrverbotsentscheidung aufgehoben, weil das AG nicht alle für die Entscheidung zur Ablehnung vom Absehen vom Fahrverbot erforderlichen Feststellungen getroffen hatte und auch wohl nicht treffen wollte, weil es den Betroffenen offenbar insoweit als „beweispflichtig“ angesehen hat:

„Jedoch hält die Begründung, mit der das Amtsgericht die vom Betroffenen für den Fall der Verhängung eines Fahrverbots vorgetragene Existenzgefährdung verneint, der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie erweist sich als lückenhaft.

Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßig Folge des Fahrverbotes sind, für ein Absehen hiervon nicht genügen, sondern als selbstverschuldet hinzunehmen sind. Auch hat das Amtsgericht nicht verkannt, dass bei drohendem Verlust des Arbeitsplatzes oder der wirtschaftlichen Existenz durch das Fahrverbot eine Ausnahme – wenn auch nicht zwingend – gerechtfertigt sein wird. In solchen Fällen bedarf die Verhängung des Fahrverbots – auch in den Regelfällen – näherer Begründung (Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 25 StVG Rdn. 25).

Vorliegend hat das Amtsgericht die Verhängung des Fahrverbots damit begründet, dass aussagekräftige Unterlagen über die wirtschaftliche Situation des Betroffenen nicht vorgelegt worden seien sowie dessen Einkommensverhältnisse ebenso wie die Lage der Einsatzorte und eventuell bestehende Hilfsmöglichkeiten durch Verwandte bzw. Freunde unklar geblieben seien. Diese Ausführungen – auch in Verbindung mit der Feststellung, dass angesichts der Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen keine näheren Einzelheiten über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bekannt geworden seien, – lassen aber besorgen, dass das Amtsgericht dem Betroffenen, den, es von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hat, insoweit eine Beweislast auferlegt hat.

Nach § 77 Abs. 1 OWiG hat das Gericht von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen. Die Aufklärungspflicht erstreckt sich auf alle Tatsachen, die für die Anwendung des sachlichen Rechts, auch in Bezug auf Art und Maß der Rechtsfolgen, erheblich sind, soweit die dem Gericht aus den Akten, durch Anträge oder Beweisanregungen oder auf sonstige Weise bekannt gewordenen Tatsachen Ermittlungen nahelegen. Daher bedarf es in Fällen, in denen der Bußgeldkatalog ein Regelfahrverbot vorsieht, im Hinblick auf eine möglicherweise vorliegende Härte in Gestalt einer drohenden Arbeitsplatz- oder Existenzgefährdung umfassender Aufklärung durch das Tatgericht, sofern der Betroffene Anknüpfungstatsachen vorbringt. Dabei muss auch für den Betroffen klar sein, welche konkrete Angaben das Gericht für seine Entscheidung für erheblich hält. Vorliegend hätte das Amtsgericht sich die Einkommensteuerbescheide für den Betroffenen – nicht für die Fa. L. GmbH – vorlegen lassen können, notfalls nach Entbindung von der Schweigepflicht auch den Steuerberater des Betroffenen als Zeugen anhören können. Falls der Betroffene Angaben machen will und sein Verteidiger nicht zu vollständigen Angaben in Vertretung des Betroffenen in der Lage ist, dürfte die Anordnung seines persönlichen Erscheinens naheliegen. Falls der Betroffene eine Schweigepflichtsentbindung nicht abgeben und auch Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen und sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht machen will, wird das Gericht zu prüfen haben, ob aus diesem Teilschweigen im Rahmen der Beweiswürdigung Schlüsse gezogen werden können (BGHSt 20, 298).“

Sollte man als Verteidiger im Auge haben 🙂 .

Alles richtig gemacht…, oder: Streitvermeidung

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Ja, alles richtig gemacht, hat es ein (beigeordneter) Nebenklägervertreter in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Das LG München II hatte den Angeklagten u.a. wegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aber abgelehnt. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, über die der BGH inzwischen mit BGH, Urt. v. 28.04.2015 – 1 StR 594/14 – entschieden hat. Aber darum geht es hier gar nicht in erster Linie, sondern um den BGH, Beschl. v. 27.04.2015 – 1 StR 594/14, der eine gebührenrechtliche Frage zum Gegenstand hat.

Nämlich die für den Nebenklägervertreter interessante Frage: Fahre ich zum Hauptverhandlungstermin beim BGH und wenn ich fahre, bekomme ich Reisekosten ersetzt? Das hängt nun wieder davon ab, ob die Reise erforderlich ist/war und da hatte der Nebenklägervertreter – wohl weil es (nur) eine Revision der Staatsanwaltschaft war – Zweifel/Bedenken. Und ich denke, dass in der Situation der Nebenklägervertreter sich an § 46 Abs. 2 RVG erinnert und die Möglichkeit einen Antrag dahin zustellen, die Notwendigkeit der Reise anch München festzustellen. Den hat er dann gesteellt und der BGh hat ihn im Beschl. v. 27.04.2015 positiv beschieden.

„Der Antragsteller ist beigeordneter Nebenklägervertreter (§ 397a StPO) des durch die verfahrensgegenständlichen Straftaten geschädigten Kindes. Er hat mit am 2. April 2015 eingegangenen Schriftsatz beantragt festzustellen, dass seine Reise zu der am 28. April 2015 vor dem Senat stattfindenden Hauptverhandlung über die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2014 erforderlich ist.

Dem Antrag war gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG zu entsprechen. Die Teilnahme des Antragstellers an der Revisionshauptverhandlung, in der über die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu entscheiden ist, ist zur Wahrnehmung der Interessen des Nebenklägers und seiner Rechte (§ 397 Abs. 1 StPO) geboten. Dass der Nebenkläger die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung nicht isoliert rügen könnte (§ 400 Abs. 1 StPO), steht nicht entgegen. Bei einem zulässigen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleiben die Beteiligungsrechte des Nebenklägers aus § 397 StPO bestehen. Dies begründet die Notwendigkeit der Reise des Antragstellers, der in die Strafsache aufgrund seiner Beiordnung bereits in erster Instanz eingearbeitet ist.

Es wird darauf verwiesen, dass über die Angemessenheit von Auslagen erst bei der Festsetzung der Vergütung zu entscheiden ist (vgl. BFH, Beschluss vom 10. August 2007 – III S 26/07 Rn. 6).“

Damit konnte der Nebenklägervertreter zum Termin fahren. Die Reisekosten waren gesichert. Denn der Beschluss nach § 46 Abs. 2 RVG hat für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindende Wirkung. Der Nebenklägervertreter muss sich also nach Abschluss des Verfahrens nicht (mehr) mit dem Rechtspfleger über die Erforderlichkeit seiner Reise streiten.

Auslagen für den Pflichtverteidiger

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Wenn der Pflichtverteidiger wissen will, ob Auslagen, die er während der Führung des Mandates tätig später auch aus der Staatskasse erstattet werden, dann hat er die Möglichkeit nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG vorzugehen Er kann dann einen Antrag auf Feststellung der Erforderlichkeit der in Aussicht genommenen Auslage stellen. In § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG ist zwar nur die Rede von „Reise“, in der Praxis geht man aber davon aus, dass die Vorschrift auch für andere Auslagen gilt.

Diese Möglichkeit hat für den Pflichtverteidiger den Vorteil, dass die gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindend ist. Der Pflichtverteidiger muss sich also später darüber nicht mit der Staatskasse streiten. Wird die Feststellung abgelehnt, hat das keine bindende Wirkung, sondern die Auslage kann dann später trotzdem noch zur Festsetzung mit angemeldet werden. Deshalb dürfte es den Pflichtverteidiger auch nicht stören, dass die Entscheidung über seinen Antrag eauf Feststellung der Erforderlichkeit unanfechtbar ist. So der OLG Celle, Beschl. v. 25.06.2012 – 2 Ws 169/12, der ausdrücklich ausführt:

Dadurch entsteht der Beschwerdeführerin kein Rechtsnachteil, sie kann ihren Anspruch auf Erstattung von Reisekosten im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen und ihn dort auch im Rechtsmittelwege verfolgen.

Wann sind Feststellungen zur Eichung erforderlich?

Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur, wann bei einer Geschwindigkeitsmessung Feststellungen zur Eichung erforderlich sind. Dazu verhält sich OLG Oldenburg, Beschl. v.10.05.2011 – 2 SsBs 35/11, der allerdings einen Sonderfall betrifft: Das OLG führt aus:

Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts Multanova 6 F. Der in der Verwaltungsakte befindliche Eichschein bezieht sich auf das Messgerät 01-90-493 und nicht auf das nach dem Messprotokoll eingesetzte Messgerät 11-85-095 (BI. 4. d. unpag. Verwaltungsvorgangs).

Bei der Radarmessung mit dem eingesetzten Radarmessgerät Multanova 6 F handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Bamberg, DAR 2010, 279). Solche Messverfahren sind grundsätzlich beweiskräftig, wenn das Messgerät geeicht ist und richtig aufgestellt und bedient wird (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.).

Zwar genügt bei standardisierten Messverfahren in den Urteilsgründen in der Regel die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes (OLG Koblenz, NZV 2010, 212; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 3 StVO Rn. 59 m. w. N.). Unterschiedlich beurteilt wird, ob das Urteil darüber hinaus grundsätzlich Feststellungen zur notwendigen Eichung des eingesetzten Messgeräts enthalten muss (so: OLG Frankfurt, NZV 2002, 135) oder diese Feststellungen ohne konkreten Anlass entbehrlich sind, weil davon ausgegangen werden kann, dass von der Polizei eingesetzte Messgeräte grundsätzlich geeicht sind (so: OLG Düsseldorf, NZV 1994, 41, vgl. auch Hentschel, a. a. 0., anders aber: Hentschel, a. a. 0., Rn. 56 b).

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor, die in jedem Fall Feststellungen zur Eichung des eingesetzten Messgeräts erfordert hätten. Denn aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass dem Messbeamten das üblicherweise benutzte Messgerät aufgrund einer Reparatur nicht zur Verfügung stand und der sich daher ein baugleiches Messgerät von der Polizeiinspektion Cloppenburg ausgeliehen hatte. Da danach nicht auszuschließen ist, dass das ausgeliehene Messgerät von der Polizeiinspektion Cloppenburg zur Zeit der Tat nicht für Geschwindigkeitsmessungen vorgesehen war – was den Rückschluss auf die bestehende Eichung zuließe -, sondern nur zu Schulungszwecken eingesetzt worden sein könnte (vgl. S. 11 der Beschwerdebegründung), hätte das Amtsgericht insoweit weitere Feststellungen treffen müssen. Durch das Unterlassen der Inaugenscheinnahme der Eichscheine des ausgeliehenen Geräts der Polizeiinspektion Cloppenburg im Wege des Urkundsbeweises bzw. der unterlassenen Vernehmung des zuständigen Beamten der Polizeiinspektion Cloppenburg hat das Gericht seine Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG verletzt.“

Und noch ein zweiter interessanter Punkt: Dem Beschluss des OLG liegt eine erfolgreiche Aufklärungsrüge zugrunde.