Archiv für den Monat: Mai 2012

Verfall beim Hartz-IV Empfänger?

Das LG verurteilt den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das BtM-Gesetz und ordnet den Verfall eines Geldbetrags in Höhe von 37.140 € an. Der Angeklagte legt Revision ein und hat beim BGH Erfolg. Der BGH, Beschl. v. 29.02.2012 – 2 StR 426/11 hat die Anordnung des Verfalls aufgehoben:

„..Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 37.140 € begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da das Landgericht die Ermessensvorschrift des § 73c Abs. 1 Satz 2 StPO nicht erörtert hat, obwohl dazu Anlass bestanden hätte.

Der Angeklagte bezog nach den getroffenen Feststellungen vor seiner Inhaftierung im vorliegenden Verfahren Hartz IV-Leistungen und hatte nicht unerhebliche Geldschulden, die nicht aus Drogengeschäften stammten. Es liegt daher nicht fern, dass der Angeklagte die für die Tat erlangten Beträge zumindest teilweise verbraucht oder zur Schuldentilgung verwendet hat. Das Landgericht hätte deshalb Veranlassung zu der Prüfung gehabt, ob der Wert des Erlangten zur Zeit der Anordnung im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden war und sie deshalb ganz oder teilweise zu unterbleiben hatte…“

Der BGH-Beschluss zu Winnenden – am Ende ein wenig verwirrend

Seit gestern steht BGH, Beschl. v. 22.03.2012 – 1 StR 359/11 auf der Homepage des BGH online (vgl. auch hier die PM des BGH). Ein erste Einschätzung der Entscheidung führt zu folgenden Anmerkungen:

  1. Der BGH hat das Urteil des LG Stuttgart nur teilweise aufgehoben. Die Feststellungen zum Geschehen am 11.03.2009 und die Ereignisse des Tages hat er bestehen lassen. Das bringt vielleicht ein wenig Entlastung für die Beteiligten, die zum Geschehen am 11.03.2099 nun nicht noch einmal aussagen müssen.
  2. Erfolg hatte die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensrüge, mit der die Beeinträchtigung des Fragerechts des Angeklagten geltend gemacht worden ist. Und zwar hervorgerufen dadurch, dass die Strafkammer einer Zeugin – Therapeutin des Sohnes des Angeklagten – ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht eingeräumt hatte, das diese auch in Anspruch genommen hat. Der BGH sieht dieses Auskunftsverweigerungsrecht wegen versuchter Strafvereitelung nicht.
    Frage, die sich in dem Zusammenhang stellt: Hat die Zeugin nicht jetzt im neuen Durchgang ein Auskunftsverweigerungsrecht wegen einer ggf. falschen Aussage in der ersten Hauptverhandlung?
  3. Eine Segelanweisung gibt der BGH wegen der nicht erfolgten Verwertung einer Epikrise betreffend den Sohn des Angeklagten. Insoweit bleibt aber offen, wohin der BGH tendiert. Jedenfalls reicht ihm die bislang gegebene Begründung für die Nichtverwertung nicht aus.
  4. Und: Der BGH gibt eine Segelanweisung hinsichtlich des Schuldspruchs.

Die Strafkammer hat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zutreffend neben den Verstößen gegen das Waffengesetz auch fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung bejaht. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte hätte voraussehen können, dass sein Sohn als Folge der unzulänglichen Sicherung von Waffen und Munition auf Menschen schießen wird, nicht notwendig davon abhängig sein muss, wie präzise die Kenntnis des Angeklagten über das Maß der psychischen Erkrankung seines Sohnes war. Schon diese unzulängliche Sicherung von Waffen und Munition unter Verstoß gegen die spezifischen waffenrechtlichen Aufbewahrungspflichten kann den Vorwurf der Fahrlässigkeit für Straftaten begründen, die vorhersehbare Folge einer ungesicherten Verwahrung sind. Für die Vorhersehbarkeit könnte hier zudem die – für sich gesehen bislang rechtsfehlerfrei getroffene – Feststellung sprechen, dass der Angeklagte entgegen dem Rat des Klinikums nicht für eine Weiterbehandlung seines Sohnes sorgte, dies selbst dann noch nicht, als sich dessen psychischer Zustand wieder deutlich verschlechterte.

Stattdessen ermöglichte der Angeklagte seinem, wie ihm jedenfalls bekannt war, psychisch sehr labilen Sohn, der seit Jahren in Computerspielen auf andere schoss, sich im Schützenverein im Umgang mit realen Schusswaffen zu üben.“

Letzeres wird man zukünftig auch in anderen Verfahren wegen fahrlässiger Tötung zu beachten haben.

Was ist nun verwirrend? Nun, das aufgehobene Urteil stammt von einer Strafkammer. Zurückverwiesen wird an eine Jugendkammer. Das erschließt sich mir nicht. bzw. das bleibt unklar. Wieso?

Sag mir, wer du bist, und ich sage dir, was es kostet…

Das AG verurteilt den Betroffenen wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 360 €. Dagegen die Rechtsbeschwerde, mit der die sog. Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) erhoben wird. Die greift im OLG Hamm, Beschl. v. 12.12.2011 – III-3 RBs 403/11 durch:

…Ausweislich der Urteilsgründe hat das Amtsgericht die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen, die auch die Tätigkeit des Betroffenen als Universitätsprofessor beinhalten, auf die angeblich durch den Verteidiger hierzu abgegebene Einlassung des Betroffenen gestützt. Mit seiner Rechtsbeschwerde beanstandet der Betroffene unter Mitteilung des Hauptverhandlungsprotokolls vom 2. August 2011 zu Recht, dass Angaben zu den beruflichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht prozessordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Soweit der vom persönlichen Erscheinen entbundene und deswegen in der Hauptverhandlung abwesende Betroffene laut Protokoll zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und zur Sache vernommen wurde, ist das Protokoll widersprüchlich und entfaltet diesbezüglich keine Beweiskraft.

Auf dem zulässig gerügten Verfahrensverstoß beruht das angefochtene Urteil. Es ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht auf eine geringere Geldbuße erkannt hätte, wenn es die angesichts der Höhe der Geldbuße notwendigen Feststellungen (vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflage, §17, Rdnr. 21 ff, 29) zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen prozessordnungsgemäß getroffen hätte und diese sich als unterdurchschnittlich herausgestellt hätten. In seiner Begründung für das Fahrverbot hat sich das Amtsgericht nach dem Inhalt des Urteils sogar ausdrücklich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen gestützt, indem es ausführt:

„… allerdings ist es ihm aufgrund seines Einkommens als Universitätsprofessor möglich, für die Zeit des Fahrverbots einen Fahrer zu beschäftigen.“.

Also: Es müssen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen schon Angaben in der Hauptverhandlung gemacht werden: Egal von wem, entweder also vom vertretungsberechtigten Verteidiger oder vom – anwesenden (!!) – Betroffenen.

Das Kühlhandy – was es nicht alles gibt… oder: So kann man dem Mandanten helfen

Der ein oder andere wird sich noch an OLG Hamm, Beschl. v. 13.09.2007 – 2 Ss OWi 606/07 (mein Gott, was ist das schon lange her) erinnern. Da ging es um die „interessante Frage“, ob die Benutzung eines Mobiltelefons/Handy als Wärmeakku „Benutzung“ i.S. des § 23 Abs. 1a StVO  ist. Der 2. Bußgeldsenat des OLG Hamm musste diese Frage letztlich nicht entscheiden, da nach den Feststellungen aus anderen Gründen von „Benutzung“ ausgegangen werden konnte.

An die Entscheidung habe ich mich (auch) erinnert, als ich vor einigen Tagen von einem Kollegen auf das „Kühlhandy“ hingewiesen worden bin. Wer unter dem Link mal nachschaut, wird sicherlich auch denken: Was es nicht alles gibt. Ich darf mit Erlaubnis des Betreibers der HP zitieren:

Bei dem „Kuehlhandy” handelt es sich um ein sog. hot-and-cold pack.
Man kann es sowohl zum Kühlen als auch zum Wärmen verwenden.
Sowohl beim Erwärmen als auch beim Abkühlen des „Kuehlhandys“ darauf achten, das es nicht zu Beschädigungen der Außenhaut des „Kuehlhandys“ kommt.
Zur Kühlung:
Das „Kuehlhandy“ kann im Kühlschrank, im Eisfach (bis – 18° C) oder im Kühlfach des Autos abgekühlt und danach zur Kühlung verwandt werden. Bei Abkühlung im Eisfach unbedingt darauf achten, das es nicht zu Erfrierungen auf der Haut kommt.
Zum Wärmen:
Das „Kuehlhandy“ im Wasserbad (am besten in einem Waschlappen) maximal 3 Minuten in kochendem Wasser erhitzen. Vor Hautkontakt vorsichtig die Temperatur des „kuehlhandys“ testen, um Verbrühungen zu vermeiden.
Es gibt jährlich 300.000 Betroffene (allein in Deutschland) von Bußgeldbescheiden wegen des Vorwurfs der Nutzung eines Handys am Steuer. Es drohen ein Bußgeld von 40,- Euro und ein Punkt in Flensburg. Nach Umfragen nutzt jede(r) zweite Autofahrer(in) regelmäßig ein Handy beim Autofahren.
Das neue Kuehlhandy sieht aus wie ein Smartphone, ist jedoch ein hot-and-cold-pack. Man kann es abkühlen oder erwärmen. Es kann zum Kühlen bei Zahnschmerzen, zum Wärmen bei Ohrenschmerzen oder einfach zur Steigerung des Wohlbefindens und zur Entspannung genutzt werden.
Die Nutzung des Kuehlhandys am Steuer ist bußgeldfrei und belastet nicht das Punktekonto. Bei Nutzung des Kuehlhandys am Steuer kann man nicht wegen verbotener Handynutzung am Steuer belangt werden. Das Kuehlhandy kann bei jeder Polizeikontrolle vorgezeigt werden.“

Na, ist das nicht eine Idee, mit der man dem ein oder anderen Mandanten vorbeugende helfen kann – der Griff zum Kühlhandy ist bußgeldfrei 🙂

Verlesung einer (eidesstattlichen) Erklärung eines Mitangeklagten: Zulässig oder nicht?

Über den BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 4 StR 491/11 hatte ich wegen der vom BGH behandelten materiell-rechtlichen Frage – Stichwort: Unrichtige Tatsachen im Mahnbescheid – schon berichtet (vgl. hier).

© Dan Race - Fotolia.com

Der Beschluss enthält aber auch noch ein interessante verfahrensrechtliche Klarstellung hinsichtlich der Zulässigkeit der Verlesung von Schriftstücken im Verfahren.  Das LG hatte die vom Angeklagten beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung einer Mitangeklagten nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der Begründung ablehnt hat, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen worden.

Der BGH hat das anders gesehen:

„Das Landgericht durfte die beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Mitangeklagten U. B. vom 19. Juni 2009 nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der Begründung ablehnen, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten U. B. und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen. Der Urkundenbeweis ist immer zulässig, wenn ihn das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet (BGH, Urteil vom 24. August 1993 – 1 StR 380/93, NStZ 1994, 184, 185 mwN.). Schriftliche Erklärungen von Angeklagten, zu denen auch in anderen Verfahren abgegebene eidesstattliche Versicherungen zählen, dürfen daher regelmäßig auch ohne Einverständnis der Beteiligten nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden (vgl. KK-StPO/Diemer 6. Aufl., § 249 Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 249 Rn. 13 mwN.). Das vom Landgericht herangezogene Verbot der vernehmungsersetzenden Urkundenverlesung gemäß § 250 Satz 2 StPO mit den in § 251 StPO geregelten Ausnahmen gilt nur für Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten, nicht aber für Aussagen von Mitangeklagten (SK-StPO/Velten 4. Aufl., § 250 Rn. 7 und § 251 Rn. 10) und war daher schon aus diesem Grund nicht einschlägig. Aus § 254 Abs. 1 StPO kann in Bezug auf Angeklagte lediglich ein Verbot der Verlesung polizeilicher Protokolle zum Beweis über deren Inhalt (BGH, Urteil vom 31. Mai 1960 – 5 StR 168/60, BGHSt 14, 310, 312; OLG Köln, Beschluss vom 3. Juni 1982 – 1 Ss 323/82, StV 1983, 97), nicht aber ein Verbot der Verlesung anderweitiger schriftlicher Erklärungen hergeleitet werden, sodass auch insoweit kein Verlesungshindernis bestand.“

Im Ergebnis hat die Abgrenzung der Begriffe bzw. Verlesungsmöglichkeiten dem Angeklagten aber nichts gebracht, das der BGH, ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Rechtsfehler ausgeschlossen hat.