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Das riecht mal wieder nach Zoff beim BGH, oder: Die Ersetzung des Zeugenbeweises durch Erklärungsverlesung

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Ein wenig riecht der Beschluss des 2. Strafsenats des BGH, also der „Rebellensenats“ 🙂 , mal wieder nach Zoff bzw. aufziehendem Gewitter. denn der 2. Strafsenat ist (mal wieder) anderer Auffassung, als der 1. Strafsenat es vor einiger Zeit gewesen ist. Na ja, so richtig noch nicht. Aber er neigt immerhin dazu. Der BGH, Beschl. v. 11.11.2015 – 2 StR 180/15 – ist also (nur) ein „Neigungsbeschluss“, der andeutet, wohin es beim 2. Strafsenat in Abweichung der Auffassung des 1. Strafsenats gehen könnte.

Es geht in einem Verfahren wegen eines Totschlagsvorwurf um die Revision der Nebenklägerin. Die hatte gerügt, das LG habe gegen seine Amtsaufklärungspflicht gem. § 244 Abs. 2 StPO verstoßen, da es den Inhalt des ärztlichen Berichts eines sachverständigen Zeugen Dr. S. nicht verlesen habe. Der 2. Strafsenat nimmt dazu Stellung, zwar nur einem Zusatz und er „niegt2 auch nur, aber immerhin:

Die Aufklärungspflicht ist nicht verletzt. Der Senat neigt zu der Ansicht, dass die Verlesung des ärztlichen Berichts von Dr. S. bereits unzulässig gewesen wäre, weil seine Einführung in die Hauptverhandlung den in § 250 StPO – 3 – enthaltenen Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt hätte. Dr. S. , der kurz nach der Tat von den Ärzten, die die Angeklagte nach einem Suizidversuch intensiv-medizinisch behandelt hatten, im Hinblick auf eine möglicherweise weiterhin bestehende Suizidgefahr als Konsiliararzt hinzugezogen worden war und über seine Untersuchung einen schriftlichen Bericht gefertigt hatte, machte in der Hauptverhandlung zwar Angaben zur „Befindlichkeit“ der Angeklagten anläss-lich dieser konsiliarischen Untersuchung, berief sich im Übrigen aber – nach dem (vorsorglichen) Widerruf der Schweigepflichtentbindung durch die Angeklagte – auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO.

„Bei dieser Sachlage liefe die Verlesung des von dem Zeugen gefertigten Berichts auf eine nach § 250 Satz 2 StPO unzulässige Ersetzung des Zeugenbeweises hinaus. Denn Dr. S. hatte zum Inhalt des Berichts, der auch Angaben zu einer Befragung der Angeklagten enthielt, aus denen die Revision Rückschlüsse auf einen schon länger zuvor gefassten Tatplan ziehen will, vollumfänglich die Auskunft verweigert und lediglich Angaben zum Zustand der Angeklagten gemacht. Macht aber ein Zeuge zu einem bestimmten Sachver-haltskomplex von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch, würde die Verlesung der von ihm stammenden schriftlichen Erklärung dazu dienen, seine mündliche Vernehmung insoweit zu ersetzen. Dies würde zu einer Umgehung des durch § 53 StPO bezweckten Schutzes des Vertrauensverhältnisses zwi-schen den dort genannten Berufsgeheimnisträgern und einem Angeklagten führen. Der Senat neigt daher zu der Ansicht, dass eine Teilaussage nicht den pauschalen Zugriff auf alle schriftlichen Erklärungen ermöglicht (vgl. Pauly in: Radtke/Hohmann, StPO, § 250 Rn. 20). Soweit der 1. Strafsenat demgegenüber im Falle eines die Aussage nach § 55 StPO verweigernden Zeugen die Verlesbarkeit einer von ihm schriftlich abgegebenen Erklärung auch mit Blick auf § 250 Satz 2 StPO für zulässig erachtet hat, weil dieser jedenfalls Fragen zur Herkunft dieser Erklärung beantwortet hatte, weshalb sich ihre spätere Verlesung nicht als Ersetzung, sondern als zulässige Ergänzung seiner (auf die Herkunft begrenzten) Aussage darstellte (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1986 – 1 StR 514/86, NStZ 1988, 36 m. krit. Anm. Dölling NStZ 1988, 6, 10), vermag dies den Senat daher nicht zu überzeugen.

Indes bietet der vorliegende Fall keinen Anlass zur Erörterung der Frage, ob die im Zusammenhang mit § 55 StPO ergangene Entscheidung des 1. Strafsenats der Ansicht des Senats entgegenstehen würde, denn letztlich kommt es im hiesigen Fall darauf nicht an. Die Verwertung des schriftlichen Berichts des Zeugen Dr. S. musste sich dem Landgericht schon nicht aufdrängen. Ohne Rechtsfehler hat die Strafkammer in ihrer ablehnenden Entschei-dung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Verlesung des Berichts auch darauf hingewiesen, dass den Angaben der Angeklagten gegenüber Dr. S. nur geringe Bedeutung zukommen könne, weil sie anlässlich der Untersuchung nicht zu sachgerechten Äußerungen in der Lage gewesen sei.“

Darf der Angeklagte seine Einlassung verlesen? – Yes, he can.

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Eine interessante Frage, um deren Antwort es in der Praxis während der Hauptverhandlung häufig Streit gibt,  behandelt der BGH, Beschl. v. 29.12.2014 – 2 StR 29/14. Es geht um die Frage, in welchem Umfang der Angeklagte sich durch Verlesen (einer Erklärung) zur Sache einlassen darf/kann. Dass es nach der Rechtsprechung wohl nicht reicht, wenn der Verteidiger eine Erklärung des Angeklagten verliest, ist m.E. überwiegende Meinung. Auch kann nach der Rechtsprechung des BGH die Vernehmung des Angeklagten zur Sache grundsätzlich  nicht durch die Verlesung einer schriftlichen Erklärung des Angeklagten durch das Gericht ersetzt werden. Was aber  geht: Die Verlesung eines Manuskripts = einer vorbereiteten Erklärung durch den Angeklagten. Dazu der o.a. BGH, Beschl.:

„2. Der Angeklagte Z. beanstandet auch zu Recht mit einer seiner Rügen das Verfahren.

a) Nach dem durch das Protokoll der Hauptverhandlung belegten Vor-bringen des Beschwerdeführers Z. wollte dieser nach Verlesung des Anklagesatzes eine Sacheinlassung abgeben und dazu ein umfangreiches maschinenschriftlich erstelltes Manuskript verlesen, dem auch Anlagen beigefügt waren. Die Verlesung wurde ihm vom Vorsitzenden insgesamt untersagt, weil dies nicht als Teil der Vernehmung anzusehen sei. Diese prozessleitende Verfügung wurde auf Beanstandung der Verteidigung von der Strafkammer bestätigt. Daraufhin sah der Angeklagte Z. zunächst von der Abgabe einer Einlassung ab. Er äußerte sich später mit nicht dokumentierten Äußerungen zur Sache. Einzelne Passagen aus dem Text des zu Protokoll eingereichten Schriftstücks wurden im Lauf der Hauptverhandlung auch vom Gericht verlesen, die Anlagen zum Manuskript wurden als Urkunden im Selbstleseverfahren ein-geführt.

b) Die Zurückweisung einer Sacheinlassung durch Verlesung eines Manuskripts durch den Angeklagten war rechtsfehlerhaft. Zwar erfolgt gemäß § 243 Abs. 5 Satz 2 StPO die Vernehmung eines Angeklagten zur Sache nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 StPO, also durch mündlichen Bericht, mündliche Befragung und diesbezügliche Antworten. Die Verlesung einer schriftlichen Er-klärung durch das Gericht würde dieser Verfahrensweise nicht entsprechen. Dem Angeklagten ist es aber gestattet, seine mündliche Äußerung unter Ver-wendung von Notizen oder eines Manuskripts abzugeben (vgl. LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 243 Rn. 76; SSW/Franke, StPO, 2014, § 243 Rn. 21; SK/Frister, StPO, 5. Aufl., § 243 Rn. 72; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 243 Rn. 31; Radtke/Hohmann/Kelnhofer, StPO, 2011, § 243 Rn. 42; KK/Schneider, StPO, 7. Aufl., § 243 Rn. 51).

c) Der Senat kann entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Die Ausführungen des Angeklagten Z. in seinem Manuskript betreffen auch die innere Tatseite im Hinblick auf Einzelheiten zur aufwändigen Produktion und Ablieferung der Filme als aus seiner Sicht vertragsgemäße Leistungen, die das Landgericht so nicht erörtert hat. Hätte es die Einlassung entgegengenommen, wäre es gehalten gewesen, sich mit den wesentlichen Aspekten auch zur inneren Tatseite auseinanderzusetzen.“

Verlesung einer (eidesstattlichen) Erklärung eines Mitangeklagten: Zulässig oder nicht?

Über den BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 4 StR 491/11 hatte ich wegen der vom BGH behandelten materiell-rechtlichen Frage – Stichwort: Unrichtige Tatsachen im Mahnbescheid – schon berichtet (vgl. hier).

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Der Beschluss enthält aber auch noch ein interessante verfahrensrechtliche Klarstellung hinsichtlich der Zulässigkeit der Verlesung von Schriftstücken im Verfahren.  Das LG hatte die vom Angeklagten beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung einer Mitangeklagten nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der Begründung ablehnt hat, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen worden.

Der BGH hat das anders gesehen:

„Das Landgericht durfte die beantragte Verlesung der eidesstattlichen Versicherung der Mitangeklagten U. B. vom 19. Juni 2009 nicht nach § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO mit der Begründung ablehnen, dass eine Verlesung dieser Urkunde nur nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO möglich sei, die hierfür erforderlichen Einverständniserklärungen der Mitangeklagten U. B. und ihres Verteidigers aber nicht vorliegen. Der Urkundenbeweis ist immer zulässig, wenn ihn das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet (BGH, Urteil vom 24. August 1993 – 1 StR 380/93, NStZ 1994, 184, 185 mwN.). Schriftliche Erklärungen von Angeklagten, zu denen auch in anderen Verfahren abgegebene eidesstattliche Versicherungen zählen, dürfen daher regelmäßig auch ohne Einverständnis der Beteiligten nach § 249 Abs. 1 StPO verlesen werden (vgl. KK-StPO/Diemer 6. Aufl., § 249 Rn. 14; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 249 Rn. 13 mwN.). Das vom Landgericht herangezogene Verbot der vernehmungsersetzenden Urkundenverlesung gemäß § 250 Satz 2 StPO mit den in § 251 StPO geregelten Ausnahmen gilt nur für Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten, nicht aber für Aussagen von Mitangeklagten (SK-StPO/Velten 4. Aufl., § 250 Rn. 7 und § 251 Rn. 10) und war daher schon aus diesem Grund nicht einschlägig. Aus § 254 Abs. 1 StPO kann in Bezug auf Angeklagte lediglich ein Verbot der Verlesung polizeilicher Protokolle zum Beweis über deren Inhalt (BGH, Urteil vom 31. Mai 1960 – 5 StR 168/60, BGHSt 14, 310, 312; OLG Köln, Beschluss vom 3. Juni 1982 – 1 Ss 323/82, StV 1983, 97), nicht aber ein Verbot der Verlesung anderweitiger schriftlicher Erklärungen hergeleitet werden, sodass auch insoweit kein Verlesungshindernis bestand.“

Im Ergebnis hat die Abgrenzung der Begriffe bzw. Verlesungsmöglichkeiten dem Angeklagten aber nichts gebracht, das der BGH, ein Beruhen des landgerichtlichen Urteils auf dem Rechtsfehler ausgeschlossen hat.