Archiv für den Monat: April 2012

Erst verjähren lassen und dann dem Betroffenen die Kosten auferlegt – so läuft es nicht –

Kurz vor Beginn der Osterfreizeit mal was Positives bzw. ein positives Osterei für den Verteidiger:

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Beim Regierungspräsidium Kassel war ein Ordnungswidrigkeitenverfahren anhängig, in dem Verjährung eingetreten ist, weil das Regierungspräsidium es versäumt hat, das Verfahren rechtzei­tig vor Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 OWiG über die Staatsanwaltschaft an das Gericht zu übersenden (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG). Daher wird das Verfahren eingestellt.

So weit, so gut: Wer nun aber gedacht hatte, das auch die Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden, hat sich geirrt. Das Regierungspräsidum hat nämlich unter Verweis auf § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 467a Abs. 1 S. 2, 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO mit der Begründung zurück, das Verfahren sei eingestellt wor­den, da nach dem Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten sei, jedoch habe aufgrund der Beweismittel festgestanden, dass der Betroffene die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe.

Das AG Dillenburg, Beschl. v. 22.03.2012 – 3 OWi 25/12 sieht das nun gänzlich anders:

„...Notwendig ist jedoch das Fortbestehen eines erheblichen Tatverdachts, solange klargestellt ist, dass die Auslagenentscheidung nicht auf einer Schuldfeststellung beruht, sondern nur auf der Beschreibung und Bewertung der Verdachtslage (BGH NJW 2000, 1427; OLG Frankfurt NStZ- RR 2002, 246).

Ein derartiger erheblicher Tatverdacht, der es rechtfertigen würde, dem Betroffenen die Erstattung seiner notwendigen Auslagen zu versagen, kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Der Betroffene hat sich im Bußgeldverfahren nicht zur Sache eingelassen. Um die Begehung der Ordnungswidrigkeit durch den Betroffenen fest­stellen zu können, hätte dieser daher zunächst als Fahrer identifiziert werden müssen. Hierzu hätte das Gericht in einer Hauptverhandlung Feststellungen durch einen Ab- gleich zwischen dem Beweisfoto und der Person des Betroffenen treffen müssen. Al­lein der Umstand, dass es sich bei dem Betroffenen um den Halter des Fahrzeugs handelt, dessen Geschwindigkeit gemessen wurde, begründet einen erheblichen, eine Verurteilung wahrscheinlich machenden Tatverdacht noch nicht.

Hinzu kommt, dass das Regierungspräsidium in seinem Kostenbescheid gerade keine Verdachtslage beschrieben und bewertet, sondern in unzulässiger Weise eine Schuldfeststellung vorgenommen hat, indem das Absehen von der Auslagenerstattung mit der Überlegung begründet wurde, aufgrund der Beweismittel habe festgestanden, dass der Betroffene die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe. Hierin liegt eine unzulässige, die Unschuldsvermutung verletzende Schuldzuschreibung. Schließlich wäre es auch deswegen unbillig, die notwendigen Auslagen des Betroffe­nen nicht der Staatskasse aufzuerlegen, weil die Verfolgungsverjährung dadurch ein­getreten ist, dass es das Regierungspräsidium versäumt hat, das Verfahren rechtzei­tig vor Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 OWiG über die Staatsanwaltschaft an das Gericht zu übersenden (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG). ...“

Recht hat das AG.

Flammender Appell – warum so viel Aufhebens im OWi-Verfahren um die Messungen – ein Tatrichter sagt, warum

Ich hatte gestern zu der Frage: „Geschwindigkeitsmessung – mündliche Zulassung eines Messgerätes – geht das?“ gebloggt. Das hatte einen Kommentar gebracht, in dem der Kommentator – wie er selbst einräumt ein wenig polemisch – fragte, warum eigentlich bei VerkehrsOWis

solch ein Aufhebens um Betriebsanleitungen, Schulungsnachweise, Eichscheine, Betriebszulassungen, Vollmachtsspielereien o.ä. gemacht. Wenn ein Bausachverständiger in einem Zivilprozess mit einem Ultraschallgerät Putz- oder Wanddicken misst, käme kaum jemand auf die Idee, Eichscheine, Schulungsnachweise und Betriebsanleitungen zu verlangen.

Das hat gerade einen Kommentar der Kollegin vom AG Meißen – G. Kutscher – gebracht, den ich als flammenden Appell einer Tatrichterin für das „Aufhebens“ hier dann gern als eigenen Beitrag bringe. Die Kollegin schreibt ihrem Vorkommentar als Antwort:

….weil massenhaft gemessen wird, oft und gern an Stellen, bei denen die Beschränkungen schlicht nicht nachvollziehbar und manchmal auch noch schwer erkennbar aufgestellt sind.
….weil in unserer heutigen Zeit Mobilität lebensnotwendig ist, an der Fahrerlaubnis der Job, die Familie hängt
…..weil es so verdammt viele fehlerhafte Messungen gibt
…..weil mir bis heute nur 1 (in Worten: ein) einziger Polizist den Visiertest bei der LTi 20.20 richtig beschreiben und durchführen (!) konnte, so dass ich mit offenen Mund und großen Augen ihm staunend und ergriffen zusah und -hörte
….weil mir Messbeamte bei der LTi-Messung erzählt haben, ein Einzelfahrzeug sei es, wenn keins “na so etwa” (und er zeigte mit den Händen einen halben Meter, ernsthaft!) dahinter fährt
…..weil ich mir x-mal anhören musste, dass man Überholer dann misst, wenn sie wieder eingeschert sind
….weil immer und immer wieder die Radargeräte nicht fahrbahnparallel aufgestellt werden
…..weil es immer wieder zu fehlerhaften Messwertzuordnungen kommt
…..weil vom Autofahrer stets und immer normgerechtes Verhalten verlangt wird (und man schon ein “Überidealfahrer” sein muss, um nie was falsch zu machen) und es dann nur recht und billig ist, wenn sich dann bitteschön auch der Staat an seine eigenen Regeln hält.“

Kein weiterer Kommentar…

Fahrtenbuch: Beweis des Zugangs des Anhörungsbogens durch die Behörde gelungen?

Ein wenig Luft bei der Anordnung eines Fahrtenbuches verschafft der VG Potsdam, Beschl . v. 9 03.2012, VG 10 L 52/12 -, in dem es um die Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht des Fahrzeughalters als Voraussetzung für die Anordnung eines Fahrtenbuches (§ 31a StVZO) ging. Erforderlich ist für die Anordnung, dass die Feststellungen des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung nicht möglich ist, obwohl die  Behörde nach den Umständen des Einzelfal­les alle bei vernünftiger Betrachtung angemessenen und zumutbaren Nachforschun­gen ergriffen hat. In dem Zusammenhang spielt die Mitwirkungspflicht des Fahrzeugshalters eine Rolle. An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeug­führer zu bezeichnen, fehlt es nach der Rechtsprechung regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter einen Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet oder weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht.

Das VG sagt nun: Sendet der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Verwaltungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zurück, kann darin im Rahmen der Anordnung eines Fahrtenbuches aber nur dann eine unterbliebene Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers gesehen werden, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen nachweislich erhalten hat. Diesen Beweis konnte hier die Behörde nicht führen:

Allein die Obersendung eines Datensatzauszuges der Behörde reicht hierfür nicht aus, da die Vorschrift des § 41 Abs. 2 VwVfG, wonach ein schriftlicher Verwaltungs­akt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt, gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Bbg VwVfG nicht im Ord­nungswidrigkeitenverfahren Anwendung findet und das OWG keine vergleichbaren speziellen Vorschriften beinhaltet. Vielmehr gilt insoweit die allgemeine Vorschrift des § 130 BGB für den Zugang von Willenserklärungen, deren allgemeine Beweislast hier die Behörde trägt. Den notwendigen Beweis des Zuganges konnte die Behörde hier jedoch nicht führen.

Die vom OVG Lüneburg (B. v. 6. April 2010 – 12 ME 47/10 -) genannten Indizien sind offenkundig nicht geeignet, geeignet, den individuellen Nachweis für einen entsprechenden Zugang hier bei der Antragstellerin zu führen.

Muss der Strafrichter Sozialrecht können?

Die Frage: „Muss der Strafrichter Sozialrecht können?“ muss man. m.E. mit „Ja“ beantworten, wenn man OLG Hamm, Beschl. v. 16.02.2012 – III-5 RVs 113/11 in der Praxis umsetzt. Denn der  5. Strafsenat des OLG Hamm verlangt, wenn einem Angeklagten vorgeworfen wird, staatliche Sozialleistungen betrügerisch erlangt zu haben, dass die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvoll­ziehbarer Weise zu erkennen geben müssen, dass und inwieweit auf die angeblich zu Unrecht bezogenen Beträge nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsäch­lich kein Anspruch bestand.

Im Rahmen der getroffenen Feststellungen darf sich das erkennende Gericht dabei auch nicht mit dem Hinweis begnügen, dass die Rückzahlungspflicht des Angeklagten bestandskräftig festgestellt sei. Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setze regel­mäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand.

Wer ma so einen Bescheid über öffentliche Leistungen gesehen hat, kann den Tatrichtern da nur viel Spaß wünschen. Und: Für die Revision schlummern da natürlich eine ganze Reihe von Angriffspunkten.

„Fernwirkung“ einer „informellen Absprache“?

Inzwischen vergeht kaum eine Woche, in der auf der Homepage des BGH nicht eine Entscheidung veröffentlicht wird, die sich mit der Verständigung/Absprache befasst. Das zeigt, welche praktische Bedeutung die (Neu)Regelung hat. Zu diesem Kreis gehört auch der BGH, Beschl. v. 22.02.2012 – 1 StR 349/11, der die Auswirkungen einer sog. „informellen Absprache“ mit einem Belastungszeugen behandelt. Das LG hatte den Angeklagten als Mitglied einer Bande wegen Diebstahls verurteilt und die Verurteilung auch auf Aussagen von Bandenmitglieder gestützt, die in einem anderen Verfahren bereits rechtskräftig verurteilt worden waren. Dort war es zu informellen Absprachen gekommen. Der Angeklagte hatte geltend gemacht, dass die Aussagen aus dem anderen Verfahren nicht verwertbar waren und das Urteil aus dem anderen Verfahren nicht hätte verlesen werden dürfen. Der BGH hat beides als zulässig angesehen.