Archiv für den Monat: November 2010

Ein oder zwei Taten – das ist beim Fahren ohne Fahrerlaubnis häufig die Frage

Nicht selten stellt sich in der Praxis beim Fahren ohne Fahrerlaubnis die Frage: Eine oder zwei Taten, und zwar dann, wenn der Angeklagte eine Fahrt ohne Fahrerlaubnis unterbrochen hat.

Und zu der Problematik ist die Entscheidung des BGH v. 30.09.2010 – 3 StR 294/10 ganz interessant. Mal keine Unterbrechung der Fahrt, um Zigaretten zu holen oder einen Brief einzuwerfen, sondern auszugehen war von folgenden Feststellungen:

„Nach den Feststellungen griff der Angeklagte den Zeugen S. in dessen Wohnung mit einem Besenstiel an, um bei ihm vermutete 500 € Bargeld zu erlangen. Er versetzte ihm mit dem Gegenstand zunächst Schläge gegen den Kopf und in den Nacken, wodurch der Zeuge eine Prellung und eine Platzwunde erlitt, und drückte sodann einen abgebrochenen Teil des Stiels mit beiden Händen gegen die Kehle des Zeugen. Während des Würgens entnahm die Angeklagte Z. auf Aufforderung des Angeklagten D. das in der Hosentasche befindliche Portemonnaie des Zeugen. Dieses enthielt zwar kein Bargeld, aber zwei Bankkarten. Durch weiteres Würgen wurde der Zeuge gezwungen, die zu den Bankkarten gehörenden PIN zu nennen, die die Angeklagte Z. notierte. Die Konten, für die die Karten ausgestellt waren, wiesen jedoch kein Guthaben auf, so dass Bargeldabhebungen nicht möglich waren.“

Das LG war von zwei Fahrten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausgegangen, nämlich Hin- und Rückfahrt: Dazu der BGH:

„Die Wertung der Strafkammer, die Rückfahrt des Angeklagten mit dem fahrerlaubnispflichtigen Motorroller von der Bank in A. zur Wohnung des Zeugen S. stelle neben der Fahrt zur Bank eine selbständige Tat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis da, geht fehl. Die Dauerstraftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis endet regelmäßig erst mit Abschluss einer von vorneherein für eine längere Wegstrecke geplanten Fahrt und wird nicht durch kurze Unterbrechungen in selbständige Taten aufgespalten (BGH, Beschluss vom 7. November 2003 – 4 StR 438/03, VRS 106, 214). So verhält es sich hier. Der Angeklagte hatte nach den Urteilsgründen von vorneherein vor, die Fahrt nur für wenige Minuten zu unterbrechen, um an einem Geldautomaten Abhebungen vorzunehmen und sie sodann – wie geschehen – fortzusetzen, um wieder zur Wohnung des Zeugen zurückzukehren.“

Augenscheinseinnahme geht nicht ohne der Angeklagten

In Zusammenhang mit der Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung nach § 247 StPO werden in der Praxis häufig Fehler gemacht. Das merkt man deutlich daran, dass Aufhebungen von landgerichtlichen Entscheidungen durch den BGH häufig auf gerade diesen Fehlern beruhen. Ein Klassiker ist die Entfernung des Angeklagten und die dann in seiner Abwesenheit durchgeführte Vernehmung des Zeugen, bei dem diesen dann ein Lichtbild gezeigt wird, das in Augenschein genommen wird.

Zu der Problematik hat jetzt vor kurzem noch einmal der BGH in seinem Beschl. v. 05.10.2010 – 1 StR 264/10 Stellung genommen. Danach gilt: Wird in einem Strafverfahren der Angeklagte vor Vernehmung eines Zeugen aus dem Sitzungszimmer entfernt und dann dem Zeugen ein Lichtbild zur Augenscheinseinnahme vorgelegt, zu dem dieser Aussagen macht, so ist dieses Lichtbild dem Angeklagten innerhalb der Verhandlung ebenfalls vorzulegen. Die Nichtvorlage des Lichtbildes begründet einen absoluten Revisionsgrund. Denn die Augenscheinseinnahme ist vom restriktiv auszulegenden Begriff der Vernehmung nicht umfasst, so dass bei Nichtvorlage des Bildes ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt wurde.

Muss man als Verteidiger drauf achten und dann ggf. die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO erheben.

Wochenspiegel für die 47. KW, oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand..

Wir berichten:

  1. Mal wieder der beschuhte Fuß als gefährliches Werkzeug, vgl. hier.
  2. Der Kampf um die Mittelgebühr bei der RSV, vgl. hier.
  3. Und dann natürlich der „Lauschangriff“ 🙂 bei Kachelmann, hier, hier, hier und hier.
  4. zur gesetzlichen Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit, hier.
  5. Zum Erinnerungsvermögen von Polizeibeamten vgl. hier.
  6. Der Kfz-Schein im Auto, vgl. hier.
  7. Zum Ermittlungsansatz IP-Adresse, vgl. hier.
  8. Zur Halterauskunft online, hier.
  9. Zum Rücktritt von der versuchten räuberischen Erpressung, vgl. hier.
  10. Ist Reizgas ein gefährliches Werkzeug fragt man sich hier?

Was schert mich mein Geschwätz von gestern?, oder: Beim LG Leipzig geht es durcheinander

Wenn man die Entscheidung des LG Leipzig vom 28.10.2010 – 5 Qs 164/10 liest, ist man schon erstaunt, irritiert, vielleicht auch verärgert. Denn sie ist m.E. ein „schönes“ Beispiel, wie es nicht  gehen dürfte/sollte.

Das bezieht sich nicht nur auf die Auffassung des LG zur Bemessung der Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren, die das LG mit i.d.R. 40 (!!) unter der Mittelgebühr als angemessen (!) bemessen ansieht, was dann zu einer Grundgebühr von 34 € führt. Dazu erspare ich mich jeden Kommentar, schon um mir hier Kommentare zu ersparen, die das als angemessen ansehen.

Nein, die Irritationen beziehen sich auf die beiden anderen Punkte in der Entscheidung.

Das LG bzw. deren 5. große Strafkammer geht davon aus, dass es sich bei der Befriedungsgebühr Nr. 5115 VV RVG um eine Festgebühr handelt, die immer nach der Mittelgebühr anzusetzen sei. Dabei übersieht es aber, dass gerade die 1. große Strafkammer des LG Leipzig (vgl. AGS 2010, 19) anderer Auffassung gewesen ist. Mit deren Auffassung setzt sich die hier entscheidende 5. große Strafkammer nicht auseinander. Eine für die Verteidiger im Zuständigkeitsbereich des LG Leipzig mehr als unerfreuliche Situation. Denn: Was gilt nun? Worauf muss/kann/soll er sich einstellen?

Das gilt dann auch für den 2. Punkt. Da sagt die Kammer kurz und trocken: Die Aktenversendungspauschale der Nr. 9003 KV GKG kann neben der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG geltend gemacht werden. So weit, so gut und auch richtig. Nur: Die Auffassung ist nicht so „einhellig“, wie es das LG behauptet. Denn es ist gerade das LG Leipzig, das neben dem LG Zweibrücken (vgl. Beschl. v. 23. 0. 09, Qs 12/09) bislang die Auffassung vertreten hat, dass die Nr. 9003 KV GKG und die Nr. 7002 VV RVG nicht nebeneinander geltend gemacht werden können (vgl. LG Leipzig RVGprofessionell 2009, 33 und LG Leipzig RVGreport 2010, 182). Neben der 6. großen Strafkammer war es gerade die auch hier entscheidende 5. große Strafkammer, die diese falsche Auffassung vertreten hat. Der Schwenk (?) in der Rechtsprechung wird nicht begründet, so dass offen bleibt, ob es sich wirklich um eine Rechtsprechungsänderung handelt oder ob die Kammer nur ihre eigene entgegenstehende Rechtsprechung übersehen hat. Alles in allem: Auch dies mehr als unerfreulich.

Insgesamt: M.E. dürfte man von einem Strafkammer erwarten, dass sie sich mit entgegenstehender Rechtsprechung aus dem eigenen Haus auseinandersetzt und nicht nur danach verfährt: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Darauf haben nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Verteidiger und auch die bei den nachgeordneten Amtsgerichten tätigen Amtsrichter und Rechtspfleger einen Anspruch.

Zwang, Spraydose in die Vagina einzuführen, keine besonders schwere Vergewaltigung

Der BGH hatte in seinem Beschl. v. 17.08.2010 – 3 StR 265/10 folgenden Sachverhalt zu beurteilen:

Danach zwang der Angeklagte die Nebenklägerin – nachdem er diese geschlagen, beleidigt und vom Bett heruntergeschleudert hatte – unter Vorhalt eines abgebrochenen, scharfkantigen Sektglasstieles vor ihr Gesicht dazu, sich eine Spraydose vaginal selbst einzuführen. Als die Geschädigte diesen Gegenstand wieder aus ihrem Körper entfernt hatte, warf der Angeklagte sie erneut auf das Bett und riss ihr den String-Tanga vom Körper. Er setzte sich auf die Geschädigte und führte diesmal eigenhändig die Spraydose für wenige Sekunden gewaltsam in deren Vagina ein.“

Das LG hatte wegen besonders schwerer Vergewaltigung nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB – gefährliches Werkzeug – verurteilt. Der BGH sagt: Reicht nicht; dazu führt er aus:

Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung nicht. Durch die Nötigung der Nebenklägerin, sich die Spraydose selbst einzuführen, hat der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht verwirklicht; denn taugliche Nötigungserfolge des § 177 StGB sind allein sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an dem Opfer sowie sexuelle Handlungen des Opfers am Täter oder einer dritten Person. Sexuelle Handlungen vor dem Täter (oder einem Ditten) sind hingegen von diesem Tatbestand nicht erfasst (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 177 Rn. 48). In solchen Fällen kommt (lediglich) die Begehung einer Nötigung im besonders schweren Fall gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB in Betracht. Soweit der Angeklagte im weiteren Fortgang die Dose selbst gewaltsam eingeführt und damit eine Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) begangen hat, fehlt es an der Feststellung, dass er bei der Tat – also bei dieser Vergewaltigung – als Nötigungsmittel ein gefährliches Werkzeug verwendet hat. Es lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte, als er die Geschädigte zwang, sich den Gegenstand selbst einzuführen, bereits den Vorsatz zu der nachfolgenden Handlung hatte und deshalb mit der Drohung mit dem abgebrochenen Sektglasstiel bereits zur Begehung der sich anschließenden Vergewaltigung ansetzte; ebenso wenig ist zu erkennen, dass der Angeklagte bei diesem zweiten Übergriff zumindest konkludent erneut mit dem Einsatz des gefährlichen Werkzeugs drohte. Letztlich bleibt auch offen, ob die Geschädigte das Einführen der Dose durch den Angeklagten aufgrund der ursprünglichen oder einer erneuter Drohung mit dem Glasstiel duldete. Dies versteht sich angesichts der zahlreichen Nötigungshandlungen des Angeklagten und der nach der ersten Handlung veränderten Begleitumstände auch nicht von selbst.“

Ergebnis: Aufgehoben und zurückverwiesen, da weitere Feststellungen dem BGH möglich erscheinen.