Archiv für den Monat: April 2010

Lehrbuch vom AG Pirna zum Richtervorbehalt bei der Blutentnahme, zu Gefahr im Verzug und zum Beweisverwertungsverbot

Ich war erstaunt, als ich die mir von einem Kollegen übersandte Entscheidung des AG Pirna vom 15.10.2009 –  212 Cs 152 Js 16477/09 Erw. sah. 30 (!!) Seiten zum Richtervorbehalt, zu Gefahr im Verzug und zum Beweisverwertungsverbot. Und das Ganze so lehrbuchartig aufbereitet, dass sich m.E. das ein oder andere OLG und LG davon eine Scheibe abschneiden könnte. Der Amtsrichter hat sich mit allen Einzelheiten der Problematik auseinandergesetzt und ist dann zu der (richtigen) Entscheidung – Beweisverwertungsverbot – gekommen. Also: Herzlichen Glückwunsch nach Pirna. Und das ist m.E. um so erstaunlicher, wenn man liest, wie die Ermittlungsbehörden in Sachsen mit der Problematik (zu der Zeit [?]) umgegangen sind.

Der Amtsrichter teilt mit:

„Bis zum 26.06.2009 hat es bei dem Amtsgericht Pirna nämlich niemals einen Antrag auf richterliche Anordnung einer Blutentnahme zur Bestimmung des Blutalkoholwertes gegeben„.

Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, dass die grundlegende BVerfG-Entscheidung vom 12.02.2007 (!!) stammt. Sie bleibt also mehr als zwei Jahre unbeachtet. Dazu passt dann auch folgende Passage:

Im Weiteren setzt sich das Schreiben mit der entgegen­stehenden Entscheidung des Thüringer OLG vom 30.07.2008 (gemeint ist der Beschluss vom 25.11.2008, der sich mit einer Revision gegen ein Urteil des AG Sonderhausen vom 30.07.2008 beschäftigte) auseinander und lehnt diese Entscheidung mit verschiedenen Argumenten ab. Mit Schreiben vom 20.04.2009 (3100 E 1/08) übersandte die Staatsanwaltschaft Dresden der Generalstaatsanwalt­schaft Dresden eine Entscheidung des OLG vom 12.03.2009 mit folgendem Begleittext:„In der Anlage übersende ich den Beschluss des OLG Hamm vom 12.03.2009, das wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt ein Beweisverwertungsverbot zugrunde gelegt hat, vorsorglich zur Kenntnisnahme. Der Beschluss gibt bisher keinen Anlass, die hiesige Praxis aufzugeben.

Insbesondere das Letzte ist m.E. unverständlich. Man kann es nur zusammenfassen mit dem Satz: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Anstatt die Polizeibeamten zu rechtmäßigem Verhalten anzuhalten, gibt man grünes Licht für „weiter so wie bisher.“

Der Kampf um die Bedienungsanleitung zum Messgerät im OWi-Verfahren, und täglich grüßt das Murmeltier

Jeder Verteidiger kennt es: Er muss im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren schon um die Bedienungsanleitung zu Messgeräten kämpfen. Die Verwaltungsbehörde will sich häufig nicht freiwillig herausgeben; noch schlimmer/hartnäckiger ist man, wenn es um die sog. Lebensakte geht. Die kennt man nicht, die gibt es nicht.

M.E. falsch, da sowohl Bedienungsanleitung als auch Lebensakte zur Akte gehören bzw. insoweit zumindest ein Akteneinsichtsrecht besteht. Das hat für die Bedienungsanleitung jetzt auch das AG Schwelm ( Beschl. v.  13.04. 2010 – 64 OWi 18/10 [b]) zutreffend bejaht, für die Lebensakte allerdings unter Hinweis auf Göhler verneint. Das überzeugt mich jedoch nicht, denn der Hinweis auf Göhler ist doch kein Argument; Göhler ist doch kein Gesetz, sondern nichts anderes als ein Kommentar. Ich kann nur hoffen, dass die Verteidiger nicht müde werden und in diesen Fragen hart(näckig) bleiben. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Bestechliche Ärzte, oder: Der Arzt als Sachwalter der Krankenkasse

Ärzte sind „Sachwalter“ bzw. „Beauftragte“ von Krankenkassen (?). Davon geht jedenfalls das OLG Braunschweig in seinem Beschluss v. 23.10.2010 – Ws 17/10 aus und bejaht dann die Frage, ob sich Ärzte bei der Verschreibung von Medikamenten und/oder Behandlungen  ggf. nach § 299 StGB strafbar machen, wenn sie sich von ihrer Verschreibungspraxis Vorteile versprechen oder gewähren lassen. Zu dieser Frage – wie gesagt – das OLG Braunschweig, dessen Entscheidung man hier findet, und dazu eine ganz interessante Anmerkung im (neuen) Newsletter des Arbeitskreises Medizin- und Arztstrafrecht der Wistev, den man hier findet und auch bestellen kann. Zu der Problematik s. auch hier im Beck-Blog oder hier.

Ausländische Fahrerlaubnis und Wohnsitz in Deutschland

Immer mal wieder gibt es Entscheidungen zum Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einer ausländischen Fahrerlaubnis. Hier dazu dann auch das OLG Oldenburg im Beschl. v. 06.04.2010 – 1 ss 25/10.

Der Leitsatz:

Ein in Tschechien nach Ablauf der in Deutschland verhängten Sperrfrist ausgestellter EU-Führerschein berechtigt jedenfalls dann nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutsch-land, wenn in dem Führerschein als Wohnsitz ein Ort in Deutschland angegeben ist. Macht der Angeklagte insoweit einen Verbotsirrtum geltend, so muss in den Urteilsgründen neben seinem konkreten Vorbringen hierzu auch mitgeteilt werden, welches Ergebnis eine dem An-geklagten zugemutete Erkundigung bei einer deutschen Führerscheinbehörden gehabt hätte“.

Der Volltext hier.

Welthauptstadt des Fahrrades: Münster votiert knapp gegen Abschleppen

Wer schon mal in Münster war, weiß: Hier herrschen im Straßenverkehr andere Regeln als in anderen Städten. Denn hier beherrscht das Fahrrad den öffentlichen Verkehrsraum. Manchmal hat man den Eindruck, dass es einen § 1 StVO-Ms gibt, in dem es heißt: Der Führer eines Fahrrades hat immer Vorfahrt. Die StVO ist im übrigen für ihn außer Kraft gesetzt. Das gilt nicht nur für den fließenden Verkehr, sondern auch für den ruhenden. Fahrräder werden wild und ohne Rücksicht darauf, ob andere Verkehrsteilnehmer behindert werden, abgestellt.

In der Vergangenheit hat die Stadt Münster, um dem „Chaos“ , insbesondere im Bereich des HBF, Herr zu werden, teilweise die Fahrräder „umgestellt“, damit aber vor dem VG Schiffbruch erlitten. Derzeit wird (wieder) eine neue Abschleppregelung geprüft, wie vor einigen Tagen die WN berichtet haben (vgl. dazu auch hier). Zu den Fragen hat es ein Online-Voting gegeben. Das Ergebnis: Rund 43 % für den Vorschlag, rund 53 % dagegen, der Rest unentschieden (hier nachzulesen). Also weder in die eine noch in die andere Richtung eine klare Linie. Allerdings: Passieren sollte m.E. etwas.