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Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Adhäsionsverfahren, oder: Miterledigung von Vermögensangelegenheiten

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 07.03.2022 – 1 Ws 579/21 – zur Abrechnung von Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren. Allerdings wird sich über diesen Beschluss nur der Nebenklägervertreter „gefreut“ haben, der Verteidiger des Angeklagten weniger. Aber die Ausführungen des OLG zur Nr. 4143 VV RVG haben in anderen Fällen auch für Verteidiger positive Auswirkungen-

Folgender Sachverhalt: Gegen den ehemaligen Angeklagten war ein Verfahren wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs anhängig. In dem Verfahren ist die Geschädigte gemäß §§ 395 Abs. 1 Nr. 1, 396 StPO als Nebenklägerin zugelassen und ihr gleichzeitig die für sie bereits im Ermittlungsverfahren tätige Rechtsanwältin als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO bestellt worden war. Im ersten Hauptverhandlungstermin kam es zu einem Rechtsgespräch (§ 257c StPO), in dem die Vorsitzende der Strafkammer die Zahlung einer Schadenskompensation thematisierte. Nachdem der Verteidiger mitgeteilt hatte, er könne sich eine solche in Höhe eines Betrages von ca. 15.000,00 Euro vorstellen, wies die Kammervorsitzende auf die Möglichkeit einer (ratenweisen) Zahlung der Schadenskompensation im Rahmen einer Bewährungsauflage hin. Darauf erklärte die Nebenklagevertreterin u.a., sie müsse insbesondere mit ihrer Mandantin besprechen, ob der Betrag in Höhe von 15.000,00 Euro für diese in Betracht komme.

Der ehemalige Angeklagte ist dann wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach der im Urteil getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung hat der Verurteilte „die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin“, zu tragen. Gemäß Ziffer 4. des von der Strafkammer am selben Tage gefassten und verkündeten Bewährungsbeschlusses wurde dem Verurteilten auferlegt, „zur Schadenswiedergutmachung und Zahlung auf ein der Geschädigten aufgrund der abgeurteilten Tat zustehendes Schmerzensgeld an die Geschädigte einen Betrag von 17.500 Euro zu zahlen“.

In den durch Kostenfestsetzungsbeschluss des LG festgesetzten Kosten, die von dem Verurteilten an die Nebenklägerin zu erstatten waren, war auch eine 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG in Höhe von 1.372,00 EUR enthalten. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, die Gebühr sei entstanden, zumal die nach Ziff. 4 des Bewährungsbeschlusses getroffene Zahlungsauflage einen vermögensrechtlichen Anspruch der Geschädigten betreffe, der im Strafverfahren miterledigt worden sei.

Gegen die Festsetzung der 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Gebühr sei nicht entstanden, wobei er u.a. eine Parallele zu dem Gebührentatbestand nach Nr. 4141 VV RVG zieht, der eine abschließende Aufzählung enthalte. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG vorgelegt. Der Vertreter der Staatskasse beim OLG ist der Ansicht, die 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG sei zwar entstanden, aber nicht erstattungsfähig. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Die durch den angefochtenen Beschluss festgesetzte 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG (i.d. bis zum 29. Dezember 2020 gültigen Fassung, vgl. dazu nachfolgend) ist entstanden.

Dazu hat das Dez. 10 des Oberlandesgerichts Hamm in der Zuschrift vom 04. Januar 2022 u.a. Folgendes ausgeführt:

„Zur Entstehung:

Da die Nebenklägerin ihre Anwältin in 2020 und damit noch vor Inkrafttreten des KostRÄG 2021 beauftragt hat (II/329, 331), ist gemäß § 60 Abs. 1 RVG das RVG in der Fassung bis Ende 2020 anzuwenden.

Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG aF entsteht für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben.

Die Gebühr entsteht für jeden Rechtsanwalt, der mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird, auch für den Nebenklägervertreter, wenn er neben der Vertretung in dem Nebenklageverfahren von dem Verletzten noch mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird. Erforderlich ist immer, dass der Rechtsanwalt ausdrücklich auch für die Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 1 c ff.).

Die Gebühr entsteht aber nicht nur, wenn ein Adhäsionsverfahren im eigentlichen Sinne anhängig ist. Sie entsteht auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden.

Als Verfahrensgebühr verdient der Rechtsanwalt die Gebühr für das „Betreiben des Geschäfts“ [vgl. Teil 4 Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG a.F. – Anm. des Senats]. Abgegolten werden auch die Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren im Hauptverhandlungstermin und zu dessen Vorbereitung erbringt. Es kommt aber nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht tätig wird (Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 6 ff; BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 5); es muss also auch kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt sein (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 5; Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 17).

Die als Verfahrensgebühr ausgestaltete Wertgebühr entsteht für jeden mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen im Strafverfahren beauftragten Rechtsanwalt mit dem Betreiben des Geschäfts. Dies können neben der Beschaffung der Information durch das Gespräch mit dem Mandanten und die Beratung des Mandanten auch Tätigkeiten bei der Frage der Schadenswiedergutmachung als Bewährungsauflage sein (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 3, 4).

Es genügt, wenn der Rechtsanwalt im Vorfeld eines beabsichtigten Adhäsionsantrags Informationen einholt oder wenn er in der Hauptverhandlung einen Vergleich abschließt, auch ohne dass zuvor ein förmlicher Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO gestellt wurde (Riedel/Sußbauer RVG/Kremer, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn. 9). Zu den Tätigkeiten kann die Prüfung der Anspruchshöhe, die Beratung des Mandanten oder auch die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gehören (Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 16).

Die Gebühr verbleibt dem Anwalt auch, wenn das Gericht von einer Entscheidung über den vermögensrechtlichen Anspruch absieht, weil sich der vermögensrechtliche Anspruch für eine Entscheidung im Strafverfahren nicht eignet (Riedel/Sußbauer RVG/Kremer, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn. 10)“.

Diesen vollumfänglich zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Danach ist die verfahrensgegenständliche Gebühr jedenfalls im Rahmen des am 14. Januar 2021 geführten Rechtsgesprächs mit der Aufnahme der Informationen hinsichtlich der Schadenskompensation bzw. des Schmerzensgeldes entstanden, worauf gleichfalls das hiesige Dezernat 10 in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat. Denn die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG a.F. entsteht – wie hier – im Falle der Beauftragung mit der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren bereits mit der ersten (darauf gerichteten) Tätigkeit des Rechtsanwalts (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 14. September 2009 zu 1 Ws 343/09, zitiert nach juris Rn. 18).

Da die Gebühr bereits durch das Betreiben des Geschäfts entsteht, ist die verbindliche Erledigung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, insbesondere durch einen gerichtlichen Vergleich oder einen Vertrag, auch dann, wenn – wie hier ¬kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt wird, nicht erforderlich (a.A. LG Hanau, Beschluss vom 02.September 2014 zu 3 Qs 68/14, BeckRS 2015, 7829 Rn. 20, wonach „ein formloses Thematisieren etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche ohne verbindliche Erledigung selbiger ohne das Vorliegen eines Adhäsionsantrages nicht zum Entstehen der Gebühr führen kann“.)…..“

Der Gegenstandswert beträgt mehr als 3,2 Mio EUR ?, oder: OLG setzt auf rund 160.000 EUR fest

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Und dann vor dem Wochenende noch zwei Gebührenentscheidungen. Beide betreffen die Nr. 4142 VV RVG – fast ist man geneigt zu schreiben: Welche Ziffer aus dem VV sonst? 🙂 In beiden Entscheidungen geht es um die den für die Höhe der Gebühr maßgeblichen Gegenstandswert, also mal nicht um den Anfall der Nr. 4142 VV RVG.

In dem dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.12.2021 – Ws 1149/21 – zugrunde liegenden Verfahren meinte der Bevollmächtigte des Nebenbeteiligten, 3.231.444,00 EUR seinen als Gegenstandswert angemessen, das OLG hat dann aber nur 157.054,60 EUR festgesetzt.

„3. Bei einem Vermögensarrest gemäß §§ 111e, 111f StPO ist maßgebend für die Wertfestsetzung das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung, wobei die konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 RVG). Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt. Nur soweit der zu sichernde Anspruch werthaltig ist und eine Befriedigung des Arrestgläubigers erwarten lässt, ist er im Rahmen der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG der Bemessung des Gegenstandswerts zu Grunde zu legen. Damit geht das für die Wertberechnung gem. § 2 I RVG maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger tätig wird. Dabei können die in Vollziehung des Arrests erfolgten Pfändungen Anhaltspunkte dafür liefern, inwieweit eine durchsetzbare Verfallsanordnung in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 8.11.2018 – III ZR 191/17 m.w.N., Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4142 VV Rn 42).

4. Danach ist der Gegenstandswert auf 157.054,60 € festzusetzen.

a) Auszugehen ist vom Wert der bei der Nebenbeteiligten in Vollziehung des angeordneten Vermögensarrest sichergestellten 471.163,80 EUR. Auch wenn der Senat mit seinem Beschluss vom 31.08.2021 den in Höhe von 3.231.444,00 € angeordneten Vermögensarrest vollständig aufgehoben hat, ist der Wert nur in Höhe des tatsächlich vollzogenen Betrags anzusetzen. Dass weitere Vermögenswerte der Nebenbeteiligten bestanden, auf die zum Vollzug des Vermögensarrests hätte zugegriffen werden können, ist nicht ersichtlich.

b) Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests ist ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.1.2008, 3 Ws 560/07; OLG München, Beschluss vom 16.08.2010, 4 Ws 114/10; BGH a.a.O.; Burhoff a.a.O.; Gerold/Schmidt a.a.O., VV 4142 Rn 20), so dass sich ein Gegenstandswert von 157.054,60 € ergibt.

Und schon wieder zusätzliche Gebühr nach Einziehung, oder: Und schon wieder falsch

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Und dann Gebühren-/Kostenrechtstag.

Zunächste eine Entscheidung zum RVG, und zwar noch einmal zur Nr. 4142 VV RVG, und zwar der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.1.2022 – 12 Qs 1/22.

Gestritten wird in dem Verfahren um die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die StA hat am 9.6.2020 Anklage wegen Steuerhinterziehung und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen den Angeklagten erhoben. Von einer Einziehung hatte sie zuvor gemäß § 421 Abs. 3 StPO abgesehen. Soweit sie darüber hinaus im Ermittlungsverfahren Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 1 StPO ausgeschieden hatte, sah sie auch von einer selbständigen Einziehung gemäß § 435 StPO ab.

Nach Anklagezustellung bestellte das AG den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger, ließ später die Anklage unverändert zu und führte am 28.10.2020 die Hauptverhandlung durch. In der Hauptverhandlung wurde eine Einziehung ausweislich des Protokolls an zwei Stellen thematisiert, zuerst als die Amtsrichterin die Verfügung des Anklageverfassers verlas, in der dieser die Verfahrensbeschränkungen nach § 421 Abs. 3, § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO angeordnet hatte, sodann als der Verteidiger in seinem Plädoyer unter anderem beantragte, gemäß § 421 Abs.1 Nr. 3 StPO von einer Einziehung abzusehen. Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Im Urteil stellte das Amtsgericht – der Anklage weitestgehend folgend – fest, dass der Angeklagte Lohnsteuer i.H.v. 48.399 € sowie Einkommen- und Gewerbesteuer i.H.v. 56.049 € hinterzogen und Beiträge i.H.v. 169.478,36 € vorenthalten hatte. Eine Einziehungsentscheidung traf das Amtsgericht nicht.

Der Rechtsanwalt beantragte die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG i.H.v. 447 € netto. Er habe seinen Mandanten ausführlich über die Möglichkeit einer Einziehung beraten. Das reiche für die Entstehung der Gebühr aus. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Dad dagegen gerichtete Rechtsmittel hatte keinen Erfolg:

„2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht die Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt.

a) Die genannte Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht (Anm. 1 zu Nr. 4142 VV RVG). Ausreichend ist, dass eine Einziehung nach Lage der Dinge in Betracht kommt (OLG Dresden, Beschluss vom 14. Februar 2020 – 1 Ws 40/20, juris Rn. 1; Burhoff, AGS 2021, 396, 397). Erfasst werden von der Gebühr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 – 3 StR 625/17, juris Rn. 4). Insoweit können schon Besprechungen und Beratungen des Mandanten die Gebühr auslösen (KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21, juris Rn. 7; Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4142 VV Rn. 24 m.w.N.).

b) Hieran gemessen war die beantragte Gebühr nicht festzusetzen, weil eine Einziehung als notwendiger Bezugspunkt für die gebührenpflichtige Beratung nach dem Verfahrensablauf nicht in Betracht kam.

Eine Einziehung kommt nicht schon dann in Betracht, wenn sie abstrakt möglich ist (KG, Beschluss vom 8. November 2019 – 1 Ws 53/19, BeckRS 2019, 33300 Rn. 1; ähnlich KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21, juris Rn. 7; a.A. wohl Burhoff, AGS 2021, 396, 397: ausreichend, dass Einziehung sachlich möglich ist). Es muss vielmehr eine hinreichend konkrete Aussicht bestehen, dass hierüber tatsächlich entschieden wird. Diese Einschränkung wird dahin formuliert, dass die Einziehung „ernsthaft“ in Betracht kommt (Kremer in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl., VV 4142 Rn. 6), dass entsprechende Beratung „nach Aktenlage geboten“ ist (OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Dezember 2009 – 1 Ws 643/09, juris Rn. 6), oder dass Fragen der Einziehung „naheliegen“ (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4142 Rn. 12 m.w.N. und weiteren Beispielen).

Daran fehlt es nach Auffassung der Kammer jedenfalls für die gegebene Konstellation. Die Staatsanwaltschaft hatte durch die in ihrer Abschlussverfügung vorgenommenen Beschränkungen (§ 421 Abs. 3, § 435 Abs. 1 Satz 2 StPO) dem Amtsgericht die Frage nach einer Einziehung bewusst nicht unterbreitet. Von dieser Entscheidung ist sie auch später nicht abgerückt. Eine den Angeklagten treffende Befassung mit der Einziehung hätte daher zwingend vorausgesetzt, dass das Gericht zunächst eine Wiedereinbeziehung anordnet und damit den Angeklagten auf diese Rechtsfolge hinweist (§ 421 Abs. 2 Satz 1, 3 mit § 265 StPO, vgl. Putzke/Scheinfeld in MünchKomm-StPO, § 421 Rn. 34; Schmidt in KK-StPO, 8. Aufl., § 421 Rn. 9; im Übrigen vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020, GSSt 1/20, juris Rn. 13 ff.), sodass er – erstmals – Anlass und auch Gelegenheit zur Verteidigung betreffend diesen Punkt hat. Das fand nicht statt, das Amtsgericht machte noch nicht einmal erkennbare Anstalten, die Thematik einer Einziehung proaktiv aufzugreifen, vielmehr hat es sich mit der Verlesung der staatsanwaltlichen Beschränkungsverfügung begnügt. Daher gab es für den Beschwerdeführer objektiv keine Veranlassung, wegen einer nach dem konkreten Verfahrensgang und nach praktischer Erfahrung nicht drohenden Rechtsfolge entsprechende Beratungsleistungen zu erbringen. Allein die abstrakte Möglichkeit – für deren Realisierung keine konkreten Gesichtspunkte sprachen –, dass das Amtsgericht jederzeit die Wiedereinbeziehung hätte anordnen können, reicht entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers für sich betrachtet noch nicht aus. Nichts anderes folgt daraus, dass der Verteidiger in seinem Plädoyer beantragt hatte, die Einziehung nicht anzuordnen. Die Erforderlichkeit dieses Antrags erschließt sich der Kammer nach allem nicht; richtig dürfte jedenfalls sein, dass eine Einziehung nicht schon dann in Betracht kommt, wenn der Verteidiger sie in seinem Antrag ohne Not thematisiert.“

M.E. ist die Entscheidung – natürlich bestand Beratungsbedarf. Und es stellt sich mal wieder die Frage, warum sich die Gerichte eigentlich mit der Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG so schwer tun; man wird müde, immer wieder diese falschen Entscheidungen zu kommentieren. Aber, wenn man die Frage stellt, liegt die Antwort an sich auf der Hand. Es handelt sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine Wertgebühr, die sich nach dem jeweiligen Gegenstandswert bemisst (§§ 13, 49 RVG). Und solche Gebühren werden eben von der Staatskasse ungern gezahlt. Immerhin geht es hier um 447 EUR für – aus Sicht des LG – Nichtstun des Verteidigers.

Aber: Vielleicht richtet es ja das OLG Nürnberg. Das LG hat die weitere Beschwerde zugelassen.

Einziehung I: Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142, oder: Beratung im Ermittlungsverfahren reicht

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Im „RVG-Pool“ schwimmen am heutigen Freitag Entscheidungen zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung.

Zunächst hier der LG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2021 – 16 KLs 206 Js 37825/15 (57/18). Der Kollege Funck hatte die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nach Abschluss des Verfahrens geltend gemacht. Sie war nicht festgesetzt worden. Das LG hat es dann gerichtet:

„2. Sie ist auch begründet und hat in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen des Gebührentatbestandes Nr. 4142 VV RVG liegen vor. Danach entsteht die Gebühr u.a. für eine Tätigkeit des Verteidigers für den Beschuldigten, die sich auf eine Einziehung bezieht. Dabei setzt der Gebührentatbestand nicht zwingend eine gerichtliche Tätigkeit voraus, sondern kann auch im Falle außergerichtlichen Beratung in Ansatz gebracht werden, sofern diese zumindest nach Aktenlage geboten ist (Beschluss, LG Amberg vom 31.05.2019, 11 KLs 106 Js 7350/18, BeckRS 2019, 12982).

Die Beratung hinsichtlich einer möglichen Einziehung war vorliegend nach Aktenlage geboten.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat zwar mit Abschlussverfügung vom 04.10.2018 gemäß § 421 Abs.3 StPO von einer Einziehung abgesehen. Jedoch legitimierte sich der Erinnerungsführer bereits mit Schreiben vom 27.07.2016 für die mittlerweile Verurteilte. Zudem wurde ihm mit Verfügung vom 04.11.2016 Akteneinsicht gewährt. Zu diesem Zeitpunkt, der deutlich vor dem zuvor genannten Zeitpunkt der Abschlussverfügung liegt, war nach Aktenlage eine Einziehung von Vermögenswerten naheliegend.

Aufgrund der Angabe „mögliche Einziehung d. Wertes d. Erlangten, Erörterung mit der Mandantin“ des Erinnerungsführers in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 02.10.2020 zur Begründung der Gebühr und mangels anderslautender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Erinnerungsführer die Verurteilte bereits 2016 erstmals hinsichtlich einer Einziehung von Vermögenswerten beraten hat. Bei einer lebensnahen Betrachtungsweise war dies auch zur gewissenhaften Erfüllung seiner Tätigkeit als Verteidiger erforderlich, da zu diesem Zeitpunkt mit einem entsprechenden Einziehungsantrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung zu rechnen war, da eine Einziehungssumme von ca. 428.000,00 € im Raum stand (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.88.2007, Az. 3 Ws 267/07).

Die Höhe der 1,0-Gebühr Nr.4142 VV RVG ist gemäß §§ 13,49 RVG zu bemessen und bestimmt sich nach dem Gegenstandswert Dabei ist der objektive Wert entscheidend, welcher sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Betroffenen auf die Abwehr der Einziehung bemisst (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG W 4142, Rn 19). Da im Zeitpunkt vor Anklageerhebung von einer Einziehungssumme in Höhe von ca. 428.000,00 € auszugehen war, liegt der Gegenstandswert über 50.000 €, so dass, abweichend von dem Antrag des Erinnerungsführers in Höhe von 467,00 €, die festzusetzende Gebühr 659,00 € nebst 16% Umsatzsteuer beträgt.“

„… Mandant wird auf meinen Rat derzeit schweigen“, oder: Auch das ist Mitwirkung, „liebe“ RSV

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Und dann als zweite Gebührenentscheidung am vorweihnachtlichen Donnerstag das AG Augsburg, Urt. v. 20.12.2021 – 21 C 2535/21. Also recht frisch. Und schön 🙂 . Ein vorweihnachtliches Schmankerl.

Es geht um die Nr. 5115 VV RVG. Die will die beklagte Rechtsschutzversicherung – trotz Deckungszusage – nicht zahlen. Gegen den Kläger war ein Bußgeldbescheid erlassen worden, gegen den die Verteidigerin Einspruch eingelegt hatte, und zwar wie folgt: „…Namens und im Auftrag meines Mandanten lege ich gegen den Bußgeldbescheid vom 16.04.2021 Einspruch ein. Eine Begründung des Rechtsmittels bleibt vorbehalten. Mein Mandant wird sich derzeit auf meinen ausdrücklichen Rat hin nicht zu der Sache äußern. Ich beantrage die Gewährung von Akteneinsicht …“ Mit Schreiben vom 28.04.2021 stellte die Stadt Augsburg als Ordnungsbehörde das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger ein und führte u.a. aus: „„Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin, nach Prüfung ihres Einspruchs zu oben genannten Bußgeldbescheid in Verbindung mit der Herstellerinformation …

Das AG Augsburg hat die zusätzliche Verfahrensgebühr zugesprochen. Das hat es sehr umfangreich, aber auch sehr schön begründet. Wegen des besonderen Tages 🙂 stelle ich nicht die ganze Begründung hier ein. Sie ist aber lesenswert und man kann daraus sicherlich schöne Textbausteine fertigen, nicht nur für die Nr. 5115 VV RVG, sondern auch für die Nr. 4141 VV RVG. Daher ein besonderer Dank an die Kollegin B.Biernacik aus Augsburg für die Übersendung des Beschlusses. So etwas schicken RSV natürlich nicht, die schicken, wenn überhaupt, in der Regel nur für den Verteidiger ungünstige Entscheidungen.

Hier dann also der Leitsatz:

Auch die Mitteilung des Rechtsanwalts, dass sich sein Mandant „derzeit“ auf seinen ausdrücklichen Rat hin nicht zu der Sache äußern wird, genügt als Mitwirkung i.S. der Nr. 5115 VV RVG.

Kleine Anmerkung. M.E. kann man das „Derzeit“ getrost weglassen. Das ändert in der Sache nichts, denn die Mitteilung, dass geschwiegen wird, bedeutet ja nicht, dass das für alle Zukunft gilt. Man muss keinen Vorbehalt machen. Lässt man das „derzeit“ weg, erspart man sich solche Diskussionen 🙂 mit der RSV.