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Obdachlos und drogenabhängig, oder: Keine Erzwingungshaft

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Auch die zweite Entscheidung hat einen – zumindest für mich – nicht alltäglichen Sachverhalt. Es geht im AG Dortmund, Beschl. v. 01.03.2018 –  729 OWi 15/18 [b] – um die Anordnung von Erzwingungshaft (§ 96 OWiG). Das hat das AG in sechs Verfahren abgelehnt:

„Der Antrag auf Anordnung der Erzwingungshaft wird zurückgewiesen, weil die Betroffene feststellbar zahlungsunfähig ist. Hier sind die Verfahren 729 OWi 15-20/18 [b] anhängig, in denen es stets um die Vollstreckung von Bußgeldern wegen Konsums harten Drogen Kokain/Heroin in der Öffentlichkeit geht. Aus den Vorwürfen ergibt sich, dass die Betroffene drogenabhängig ist. Zudem ist sie obdachlos. Schließlich hat – erwartungsgemäß unter diesen Umständen – zuletzt eine durch die Stadt in Auftrag gegebene Taschenpfändung zu dem Ergebnis geführt, dass keine pfändbaren Sachen vorhanden waren. Vor diesem bedauernswerten Hintergrund darf das Gericht davon ausgehen, dass die Betroffene zahlungsunfähig ist. Sämtliche Anträge auf Anordnung von Erzwingungshaft waren damit zurückzuweisen.“

BGH: Vorwurf des Bankrotts gegen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der MobilComAG muss nach Boxenstopp in die 2. Runde

Der BGH meldet in seiner PM 95/2010 zu einem Urteil des 3. Strafsenats vom 29.04.2010 – 3 StR 314/09 – die Aufhebung einer Verurteilung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der MobilCom AG wegen Bankrotts. Das LG Kiel hatte den Angeklagten wegen Bankrotts in drei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und ausgesprochen, dass wegen eines Verstoßes gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung fünf Monate der Strafe als verbüßt gelten. Der 3. Strafsenat des BGH hat dieses Urteil aufgehoben.

Nach den Feststellungen des LG hatte die ehemalige Landesbank Sachsen im Herbst 2002 ein dem Angeklagten gewährtes Darlehen über ca. 100 Mio. EUR gekündigt, weil dieser verlangte weitere Sicherheiten nicht stellte. Über die Rückzahlung eines Teilbetrages von 20 Mio. EUR hatte sie bereits ein – noch nicht rechtskräftiges – erstinstanzliches Urteil erwirkt. In dieser Situation überwies der Angeklagte 500.000 EUR und 240.000 EUR auf ein unter seinem Namen geführtes Konto bei einer Bank in Liechtenstein. Außerdem verkaufte er Geschäftsanteile auf einen Trust, dessen Gesellschafterin seine Ehefrau war, und ließ den Kaufpreis von 500.000 EUR ebenfalls auf das Konto in Liechtenstein transferieren. Von einem Teil des Geldes kaufte der Angeklagte Aktien der MobilCom AG, die er in ein an seine Ehefrau abgetretenes Wertpapierdepot einbuchen ließ. Versuche der Sachsen LB, auf das Konto in Liechtenstein im Wege der Zwangsvollstreckung zuzugreifen, blieben ohne Erfolg. Das LG hat die Auffassung vertreten, durch diese Vorgehensweise habe sich der Angeklagte in drei Fällen des Bankrotts schuldig gemacht. Zwar sei die Darlehenskündigung durch die Landesbank Sachsen unwirksam gewesen, weil ihr Nachsicherungsverlangen überhöht gewesen sei; dennoch habe dem Angeklagten die Zahlungsunfähigkeit gedroht, weil die Landesbank Sachsen die Kündigung jederzeit habe nachholen können und dem Angeklagten die Rückzahlung der gesamten Darlehenssumme nicht möglich gewesen sei. In dieser Lage habe er durch die Vermögenstransfers nach Liechtenstein Bestandteile seines Vermögens beiseite geschafft.

Nach der Entscheidung des BGH hat das LG seine Rechtsansicht nicht rechtsfehlerfrei begründet. Denn es habe bei der Auslegung des Merkmals „Beiseiteschaffen“ im Bankrotttatbestand auf die Erschwernisse für die Landesbank Sachsen bei der Einzelzwangsvollstreckung abgestellt und sich nicht mit der Frage befasst, ob infolge der Überweisungen auf das Konto in Liechtenstein eine wesentliche Erschwernis des Zugriffs durch einen Insolvenzverwalter im Rahmen einer Gesamtvollstreckung (Insolvenz) eingetreten ist. Die Urteilsgründe stellten auch keine ausreichende Grundlage dar, um das Tatbestandsmerkmal des Beiseiteschaffens aus anderen Gründen mit der notwendigen Sicherheit bejahen oder verneinen zu können. Es habe daher weder die Verurteilung aufrechterhalten noch der Angeklagte durch den BGH freigesprochen werden können. Die Sache müsse deshalb von einer anderen Strafkammer des LG Kiel neu verhandelt und entschieden werden.

Urteil des BGH vom 29.04.2010

Az.: 3 StR 314/09