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Die zu früh gelöschte Frist – das könnte ins Auge gehen

Im Strafverfahren haben Fristversäumnisse der Rechtsanwalts/Verteidigers ja nicht die fatalen Folgen, die sie in anderen Verfahren haben, da dem Angeklagten/Beschuldigten in der Regel Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Aber dennoch sollte man doch gelegentlich auch mal auf die Fragen ein wenig Aufmerksamkeit richten, da es ja schon auch Bereiche gibt, in denen dem Mandanten das Verschulden seines Rechtsanwalts zugerechnet wird. Von daherr ist der in einem Zivilverfahren ergangene Beschluss des OLG Bremen v. 31.08.2010 – 3 U 41/10 – ganz interessant. Da heißt es:

„Zur Organisationspflicht gehört es auch, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben. Zu der hiernach geforderten Endkontrolle gehört die Anweisung, Fristen erst dann zu löschen, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich gefertigt und abgesandt ist oder zumindest „postfertig“ vorliegt (Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl., 2009, § 233 RN 24 m.w.N.). Soll der fristwahrende Schriftsatz per Telefax übermittelt werden, so erfordert eine wirksame Endkontrolle fristwahrender Maßnahmen, dass die jeweilige Frist erst gelöscht wird, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl., 2009, § 233 Rn 49; BGH, NJW 2007, 2778 m.w.N). Dies gilt auch dann, wenn -wie im Streitfall- eine konkrete Einzelanweisung an das Büropersonal zur rechtzeitigen Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax an das Gericht erteilt worden ist (BGH, a.a.O).“

Also: Aufgepasst und die Frist nicht zu früh gelöscht. Das könnte sonst ins Auge gehen.

Der Einzelanwalt und die Sicherstellung der Vertretung

Für jeden Rechtsanwalt der Alptraum: Er wird krank und es sind unerledigte Fristen auf dem Schreibtisch. Noch schlimmer, wenn es sich um einen Einzelanwalt handelt. Schnell stellt sich dann, wenn eine Frist versäumt wird, die Frage: Hätte der Rechtsanwalt Vorkehrungen treffen und ggf. sogar müssen, dass das nicht hätte passieren können. Das OLG Naumburg hat diese Frage in seinem Urt. v. 17.06.2010 – 2 U 19/10 – bejaht. Danach muss der Einzelanwalt Vorkehrungen in der Kanzlei für Fall seiner plötzlichen Verhinderung treffen, um Wahrnehmung wichtiger Termine zu gewährleisten (§§ 85, 345 ZPO). Die Entscheidung ist zwar im Zivilrecht ergangen; sie kann aber auch Auswirkungen auf das Strafverfahren haben. Zwar wird da i.d.R. dem Beschuldigten/Betroffenen ein Verteidigerverschulden nicht zugerechnet, aber eben nur „i.d.R.“. Zur Zurechnung kann es z.B. im Klageerzwingungsverfahren kommen.

Also auch das aufgepasst; denn das OLG Naumburg geht recht weit. Im Urteil heißt es:

„a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, hat insbesondere ein Einzelanwalt die ihm zumutbaren Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass in einem Notfall unaufschiebbare Prozesshandlungen vorgenommen werden können (vgl. BGH, Beschluss v. 6. März 1990, VI ZB 4/90VersR 1990, 1026; Beschluss v. 2. Februar 1994, XII ZB 175/93VersR 1994, 1207; Bechluss v. 17. März 2005, IX ZB 74/04 – zitiert nach juris, m.w.N.). Dies umfasst auch die Vorsorge für den Fall, dass der Anwalt selbst bei Vorliegen des Notfalls keine Einzelanweisungen mehr geben kann. Mit anderen Worten: Das Büropersonal muss allgemein angewiesen sein, sich um eine Übernahme unaufschiebbarer Termine durch einen vertretungsbereiten Rechtsanwalt zu bemühen. Die Vorsorgepflicht unterscheidet sich von der gesetzlichen Verpflichtung zur Bestellung eines offiziellen ständigen Vertreters (§ 53 Abs. 1 BRAO), die erst bei voraussichtlich längeren Verhinderungszeiträumen begründet ist.

b) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers war, wie er im Termin der mündlichen Verhandlung des Senats im Rahmen der Erörterung dieser Frage bekräftigt hat, Einzelanwalt. Im Januar 2010 existierte nach seinen eigenen Angaben keinerlei allgemeine Anweisung für die Büromitarbeiter über Verhaltensmaßregeln bei seiner plötzlichen, unerwarteten Verhinderung und auch keine allgemeine Vertretungsabrede mit einer Kollegin bzw. einem Kollegen. Die konkreten Anweisungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers am Terminstag beschränkten sich darauf, dem Gericht und eventuell auch der Prozessbevollmächtigten der Beklagten Nachricht von seiner Verhinderung zu geben. Sie umfassten jedoch keine Maßnahmen zur Sicherstellung der Vertretung des Klägers in diesem Termin. Die getroffenen Anordnungen waren nicht ausreichend. Unter diesen Umständen war nicht gewährleistet, dass prozessual zulässige und für den Kläger im Ergebnis nachteilige Verfahrenshandlungen der Beklagten und des Gerichts unterblieben.“

Ich bin dann mal weg, oder: Einfach Tür zu, Bude zu und auf Wehrübung gehen, ist gefährlich

Der Beschuldigte war auf einer mehrwöchigen Wehrübung. In der Zeit waren Zustellungen in einem vom Beschuldigten selbst initiierten Rechtsmittelverfahren zu erwarten. Die haben den Beschuldigten nicht bzw. verspätet erreicht.

Zum Wiedereinsetzungsantrag sagt das OLG Hamm: Nein, bekommst Du nicht. Denn: Ein Beschuldigter muss alle zumutbaren Anstrengun­gen unter­nehmen, dass er von einer zu erwartenden Zustellung Kenntnis erlangt, wenn er dazu Anlass hat und dazu in der Lage ist. Und das hast Du nicht getan. Einfach Tür zu, Bude zu ist gefährlich.

OLG Hamm, Beschl. v. 11.05.2010 – 2 RVs 29/2010

Doppeltes Anwaltsverschulden – Wiedereinsetzung ist zu gewähren

Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wird von den Verfassungsgerichten hoch gehalten, vor allem dann, wenn es um den sog. ersten Zugang zum Gericht geht.

So vor kurzen der BayerischeVerfGH in seinem Beschl. v. 12.05.2010 – Vf. 117-VI-09, der im Grunde eine doppelte Wiedereinsetzung betraf. Der VerfGH sieht es – zutreffend – als eine unzulässige Verkürzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör an, wenn strafgerichtliche Beschlüsse, wie hier eine Wiedereinsetzung nach versäumtem Einspruch im Strafbefehlsverfahren, einem anwaltlich vertretenen Angeschuldigten den Zugang zum Gericht derart verwehren, dass seine eigenen Anträge sowie die Anträge seines Verteidigers als wegen Verfristung unzulässig angesehen werden, obwohl sich der Verteidiger für die ursprüngliche Verfristung im Wege einer anwaltlichen Versicherung verantwortlich gezeichnet hat. Wird der Wiedereinsetzungsantrag des Verteidigers als unzureichend gewertet, kann dies dem selbst ebenfalls Wiedereinsetzung begehrenden Angeschuldigten ebenso wenig zugerechnet werden wie die anwaltliche Fristversäumnis selbst.

Im Beschluss heißt es:

„Nach § 44 Satz 1 StPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Bei der Prüfung, ob den Beschuldigten ein Verschulden an der Fristversäumung trifft, ist es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, ihm Versäumnisse seines Verteidigers zuzurechnen (vgl. BVerfG vom 13.4.1994 = NJW 1994, 1856). Dies umfasst nicht nur die eigentliche Versäumung der Frist, sondern auch durch den Verteidiger verursachte Mängel des Wiedereinsetzungsantrags (vgl. OLG Hamm vom 28.12.2002 = VRS 104, 361). Abzustellen ist vielmehr auf Versäumnisse des Betroffenen selbst (vgl. Maul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, RdNrn. 30 f. zu § 44; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, RdNrn. 11, 18 zu § 44). Gegen diese Grundsätze, die der Sicherung des (erstmaligen) Zugangs zu den Strafgerichten dienen, ist hier verstoßen worden. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die aus verfassungsrechtlicher Sicht ausnahmsweise eine Abweichung rechtfertigen könnten.“

Das Gericht ist nicht gehalten, einer offensichtlich unglaubhaften anwaltlichen Versicherung Glauben zu schenken…

…formuliert das KG in seinem Beschl. v. 14.07.2010 – (4) 1 Ss 150/10 (141/10) – 4 Ws 77 – 78/10, in dem es u.a. auch um einen Wiedereinsetzungsantrag ging. Der Angeklagte/Verteidiger wollte eine ursprünglich beschränkte Revision nachträglich erweitern und hatte dazu in etwa vorgetragen, dass er den Urteilstenor der Berufungskammer falsch verstanden habe. Das hatte der Verteidiger anwaltlich versichert. Das KG führt dazu aus:

„Allerdings hält der Senat die Darstellung des Verteidigers, der zudem Fachanwalt für Strafrecht ist, er habe den Tenor des angefochtenen Urteils bei dessen Verkündung am 14. Dezember 2009 falsch verstanden, trotz dessen anwaltlicher Versicherung nicht für glaubhaft. Es ist bereits angesichts der Formulierung des Urteilstenors, der auf Verwerfung der Berufung (mit der Maßgabe geringerer Bestrafung) lautet, nicht nachvollziehbar, dass der Verteidiger diesen dahingehend missverstanden hat, es sei lediglich eine Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung erfolgt. Denn mit dem allein vom Angeklagten angefochtenen amtsgerichtlichen Urteil war dieser des Landfriedensbruchs in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen worden. Hinzu kommt, dass der Verteidiger ausweislich des Protokolls der Berufungshauptverhandlung vom 14. Dezember 2009 in seinem Schlussvortrag selbst beantragt hat, den Angeklagten „wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Geldstrafe von nicht mehr als 90 Tagessätzen zu verurteilen.“

Das KG ist aber dennoch von einem Anwaltsverschulden ausgegangen und hat Wiedereinsetzung gewährt. Interessant ist der Beschluss im Übrigen auch noch wegen der Pflichtverteidigungsfragen betreffend die Revision.