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Bewährung III: Richtiger Weg im Widerrufsverfahren?, oder: Verzicht auf die Verurteilenanhörung zulässig?

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Und zum Schluss dann noch der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.06.2023 – 3 Ws 118/23 – zur Frage, wann auf die erforderliche Anhörung des Verurteilten bei beabsichtigtem Bewährungswiderruf verzichtet werden kann.

Die StVK hatte eine Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Dagegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde, die Erfolg hatte-

„…… Das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg, weil die erforderliche mündliche Anhörung des Verurteilten nachzuholen ist.

Nach § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO gibt das Gericht, wenn es über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen eines Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen zu entscheiden hat, dem Verurteilten zuvor Gelegenheit zur mündlichen Anhörung geben. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Verurteilte beachtenswerte Gründe für die Nichterfüllung haben kann, aber nicht in der Lage ist, diese Gründe in einer das Gericht überzeugenden Weise schriftlich darzustellen. Das Gesetz will damit von vornherein der Gefahr begegnen, dass schwerwiegende Widerrufsentscheidungen ohne zureichende Tatsachengrundlage ergehen. Die Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet dem Gericht lediglich die Möglichkeit, von der grundsätzlich zwingend gebotenen mündlichen Anhörung aus schwerwiegenden Gründen abzusehen (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 2011, 220). •

Dieser Verpflichtung zur mündlichen Anhörung ist die Strafvollstreckungskammer hier nicht in der gebotenen Weise nachgekommen.

Der Verurteilte wurde .zunächst mit gerichtlicher Verfügung vom 22.3.2023 zur Anhörung über die „Frage des Bewährungswiderrufs“ auf den 18.4.2023 geladen. Die ihm formlos mitgeteilte Ladung zu diesem Termin erreichte den Verurteilten nicht, vielmehr geriet sie mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“ in postalischen Rücklauf (Bewährungsheft, S. 65). Die Strafvollstreckungskammer erhielt im Nachgang Kenntnis davon, dass der Verurteilte sich nach am 26.3.2023 erfolgter Festnahme in anderer Sache in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim befand. Mit Verfügung vom 17.4.2023 bestimmte das Gericht daher neuen Anhörungstermin „im Rahmen der Videokonferenz“ auf den 21.4.2023. Die Teilnahme an dieser Videokonferenz, von deren geplanter Durchführung der nach wie‘ vor in Haft befindliche Verurteilte nach eigenen Angaben erst am 19.4.2023 erfuhr, verweigerte er nach telefonischer Rücksprache mit seinem Verteidiger.

Diese Weigerung kann nicht als Verzicht des Verurteilten auf das Anhörungsrecht — im Sinne eines besonders schwerwiegenden Grundes für die Nichtdurchführung einer mündlichen Anhörung — gewertet werden, denn ausweislich der Akten war ihm der Gegenstand des auf den 21.4.2023 anberaumten Anhörungstermins nicht mitgeteilt worden; ein Hinweis auf den drohenden, von der Staatsanwaltschaft Mannheim beantragten Bewährungswiderruf unterblieb.

Bei Zweifeln an der uneingeschränkten Ablehnung des Verurteilten, sich einer mündlichen Anhörung zu stellen, muss sich jedoch das mit dem Widerruf befasste Gericht wegen des Ausnahmecharakters des Absehens von der mündlichen Anhörung zunächst in geeigneter Weise die Überzeugung verschaffen, ob der Verurteilte wirklich nicht mündlich angehört werden will (vgl. Senat, Justiz 2002, 135; OLG Düsseldorf, NStZ 1988, 243; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 91). Dies ist hier nicht geschehen. Der Verurteilte versichert in seinem Beschwerdeschreiben vom 3.5.2023 zudem, dass er bei Kenntnis des Anhörungsgrundes den Termin wahrgenommen hätte.

Die angefochtene Entscheidung leidet somit an einem – im Beschwerdeverfahren nicht behebbaren – Verfahrensmangel. Das Unterlassen der mündlichen Anhörung des Verurteilten führt, abweichend von der Regel des § 309 Abs. 2 StPO, zur Aufhebung des Widerrufsbeschlusses und zur Zurückgabe der Sache an das Gericht zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den Widerruf nach mündlicher Anhörung des Verurteilten und Überprüfung der von ihm für den Nichtantritt der stationären Suchtmittelentwöhnungstherapie benannten Gründe (vgl. Senat, a.a.O.).“

Bewährung II: Wer war für den Widerruf zuständig?, oder: Verurteilter war in Strafhaft

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, hat auch mit Bewährung zu tun. Allerdings nicht mit den materiellen Voraussetzungen der Vorschriften, sondern mit dem Verfahren. Es geht um die Frage: Wer ist eigentlich für den Bewährungswiderruf zuständig, wenn der Verurteilte sich in Strafhaft befindet.

Ja, richtig. Da gibt es BGH-Rechtsprechung und auf die verweist das LG Loblenz im LG Koblenz, Beschl. v. 13.04.2023 – 2 Qs 23/23 jug.

Hier nur der Leitsatz zu der Entscheidung:

Mit Beginn der Vollstreckung der Strafhaft geht die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung auf die Strafvollstreckungskammer über. § 462a Abs. 1 S. 1 StPO sieht insoweit vor, dass die Strafvollstreckungskammer für die gemäß den §§ 453, 454, 454a und 462 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig ist, wenn gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Örtlich ist nach dieser Regelung grundsätzlich die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Die sachliche Zuständigkeit beginnt automatisch, eine konkrete Befassung der Strafvollstreckungskammer mit dem Verurteilten ist nicht erforderlich.

Bewährung I: Widerruf von Strafaussetzung zulässig?, oder: Zurückstellung in anderer Sache

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Und ich setze die Berichterstattung fort mit Entscheidungen zur Bewährung und/oder zur Fortdauer der Unterbringung.

Hier kommt zunächst der OLG Braunschweig, Beschl. v. 17.05.2023 – 1 Ws 92/23 -zur Entscheidung über die Widerruf einer Strafaussetzung trotz Zurückstellung der Strafvollstreckung in anderer Sache. Das OLG sagt: Das ist zulässig:

„…… Das Landgericht Göttingen hat die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung zu Recht widerrufen.

Denn der Verurteilte hat im Zeitraum von Februar bis Juni 2021 und damit jeweils innerhalb der Bewährungszeit fünf Straftaten von nicht unerheblichem Gewicht begangen. Dadurch hat er gezeigt, dass er die Erwartung künftiger Straffreiheit, die der Strafaussetzung zugrunde gelegen hatte, nicht erfüllt hat.

Es besteht zudem Anlass zu der Besorgnis, der Verurteilte werde erneut Straftaten begehen und ihm kann auch mit Auflagen oder Weisungen im Sinne des § 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StGB gegenwärtig keine positive Kriminalprognose gestellt werden. Eine solche Reaktion auf das Fehlverhalten eines Verurteilten ist nur dann ausreichend, wenn aufgrund von Tatsachen erwartet werden kann, dass er künftig – ggf. mit Maßnahmen gemäß § 56 f Abs. 2 Satz 1 StGB – keine Straftaten mehr begehen wird. Dazu reicht allerdings der Wille zu straffreier Führung allein nicht aus. Vielmehr müssen Tatsachen dafür sprechen, dass der Verurteilte auch fähig ist, diesen Willen in die Tat umzusetzen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. März 2022, 1 Ws 192/21, juris, Rn. 28; KG Berlin, Beschluss vom 12. Januar 2009, 2 Ws 620/08, juris, Rn. 12). Davon ist nicht auszugehen.

Gegen eine positive Kriminalprognose spricht insbesondere die Vielzahl der Vorstrafen und die fortbestehende, nicht hinreichend aufgearbeitete Drogenabhängigkeit des Verurteilten, der seit 2001 regelmäßig Straftaten begeht. Dass der Beschwerdeführer erneut eine Therapie zur Überwindung seiner Drogensucht begonnen hat, begründet eine gewisse Hoffnung, lässt jedoch die Besorgnis neuer Straftaten nicht entfallen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine positive Kriminalprognose bei einem Suchtmittelabhängigen nur dann gerechtfertigt, wenn eine Therapie nicht nur begonnen wurde, sondern die begründete Aussicht besteht, dass sie erfolgreich zum Abschluss gebracht wird (OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Februar 2014, 1 Ws 31/14, juris, Rn. 10 m.w.N.; ebenso KG Berlin, Beschluss vom 12. Juli 2018, 5 Ws 98-99/18 – 121 AR 122 und 134/18, juris, Rn. 18 ff.; KG Berlin, Beschluss vom 22. Juni 2000, 5 Ws 370/00, juris, Rn. 4). Dafür besteht angesichts der erst am 23. März 2023 angetretenen und damit noch nicht einmal 2 Monate absolvierten Therapie noch kein Anhalt. Das gilt auch deshalb, weil der Beschwerdeführer, wie unter anderem den Feststellungen des Amtsgerichts Göttingen im Urteil vom 29. August 2022 zu entnehmen ist, vor dieser Drogenentwöhnungsbehandlung bereits mehrere Therapien absolvierte, die allesamt keinen nachhaltigen Erfolg hatten. Vor diesem Hintergrund bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, die aktuelle Therapie werde nun einen solchen Erfolg haben.

Die Entscheidung über den Bewährungswiderruf konnte auch nicht zurückgestellt werden, um den weiteren Verlauf der Therapie abzuwarten. Über den Widerruf einer Strafaussetzung gemäß § 56 f StGB ist vielmehr unabhängig von einer bereits begonnenen Entwöhnungsbehandlung zu entscheiden, sobald das Gericht vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen überzeugt ist (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. März 2022, 1 Ws 192/21, juris, Rn. 22; OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2011, Ws 280/11, juris, Rn. 9; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2021, 1 Ws (s) 356/21, juris, Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 18. August 2011, 2 Ws 246 und 247/11, juris, Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 2. Januar 2014, III-2 Ws 720/13, juris, Rn. 15; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2005, 2 Ws 24/05, juris, Rn. 16 ff.). Ein Abwarten, ob in Zukunft durch ein Fortschreiten der Therapie andere Prognoseumstände eintreten könnten, sieht das Gesetz nicht vor (Hanseatisches OLG Hamburg, a.a.O., Leitsatz 2 und Rn. 15; OLG Hamm, a.a.O.).

Weil der weitere Verlauf einer Therapie nicht abgewartet werden darf, besteht nach Auffassung des erkennenden Senats auch keine Möglichkeit, die Entscheidung über den Widerruf aus Anlass des Beginns der Therapie gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Allein die Regelung in § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG rechtfertigt es aus Sicht des Senats nicht, entgegen der dargestellten Gesetzeslage nach einer Gesamtabwägung von einer Entscheidung gemäß § 56 f StGB doch zeitweise abzusehen, um bei Zurückstellungen gemäß § 35 BtMG die zukünftige Entwicklung abzuwarten (Hubrach in Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl, § 56 f Rn. 48; a.A.: OLG Celle, Beschluss vom 14. Februar 2012, 1 Ws 54/12, juris, Rn. 4 ff.; offen gelassen: Hanseatisches Oberlandesgericht, a.a.O., Rn. 21). Wenn die Vollstreckung einer Maßregel gemäß § 64 StGB, sofern noch kein Erfolg der Therapie absehbar ist, ein Zuwarten mit der Entscheidung gemäß § 56 f StGB nicht rechtfertigt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. September 2011, Ws 280/11; OLG Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 12; OLG Köln, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 4), kann bei der Zurückstellung gemäß § 35 BtMG nicht allein deshalb anders entschieden werden, weil diese gemäß § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG – sofern nicht auch die Vollstreckung der anderen Strafen zurückgestellt werden kann (dazu: Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 291) – zu widerrufen ist, die Unterbringung hingegen wegen § 67 Abs. 1 StGB fortgesetzt werden kann. Vielmehr ist die abweichende Bewertung des Gesetzgebers zu akzeptieren und darf nicht auf dem Umweg über eine unterschiedliche Anwendung von § 56 f StGB umgangen werden.

Letztlich kann diese Rechtsfrage aber dahinstehen, weil die nach der Gegenauffassung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Gesamtabwägung im vorliegenden Fall selbst dann keine Zurückstellung der Entscheidung rechtfertigen könnte, wenn eine solche gestattet wäre. Vielmehr ist der Widerruf der Strafaussetzung im Fall des Beschwerdeführers zum Schutz der Allgemeinheit geboten, weil die Therapie erst seit wenigen Wochen erfolgt und ihr erfolgreicher Abschluss mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist.

Dass der Widerruf der Strafaussetzung, soweit es den Strafrest aus dem Urteil des Amtsgerichts Fritzlar vom 3. August 2010 betrifft, nach dem Ende der Bewährungszeit erfolgte, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken und zeigt allenfalls die Notwendigkeit, Entscheidungen gemäß § 56 f StGB nicht zurückzustellen. Insbesondere war der Verurteilte nicht durch Vertrauensschutz davor geschützt, dass die Strafaussetzung zur Bewährung auch nach Ende des Bewährungszeitraums noch widerrufen wird. Denn der Verurteilte wurde, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, ausreichend darauf hingewiesen, dass auch nach Ende der Bewährungszeit noch Bewährungsmaßnahmen in Betracht kommen…..“

Bewährung I: Widerruf bei erneuter Straffälligkeit, oder: Bindung an zeitnahe Prognose des Tatgerichts?

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Heute stelle ich dann drei Entscheidungen vor, die sich zu Bewährungsfragen verhalten.

Ich beginne mit dem VerfG Brandenburg, Beschl. v. 18.11.2022 – 13/22 EA. Folgender Sachverhalt: Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, und zwar soll die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bis zur Entscheidung über der Verfassungsbeschwerde, mit der sie sich gegen den Widerruf der ihr bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung wendet, ausgesetzt werden.

Die mehrfach u. a. wegen Betrugsdelikten vorbestrafte Antragstellerin ist durch Urteil des AG Rathenow vom 25.06.2019 u.a. wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Amtsgericht ordnete zudem ein Berufsverbot an. Der Antragstellerin wurde für die Dauer von drei Jahren verboten, den Beruf der Altenpflegerin oder einen Beruf, der die Alten- oder Seniorenpflege zum Gegenstand hat, auszuüben.

Die Antragstellerin hat dann zum 01.01.2020, etwa zweieinhalb Monate nach Rechtskraft der Anordnung des Berufsverbots durch das AG, eine Beschäftigung als Altenpflegerin aufgenommen. Wegen Verstoßes gegen das Berufsverbot wurde die Antragstellerin durch Urteil des AG Potdsam u einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die dagegen eingelegte Berufung der Antragstellerin änderte das LG Potsdam das Urteil hingehend ab, dass die Vollstreckung der darin verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Das AG Rathenow („Vollstreckungsgericht“) widerrief dann durch Beschluss vom 18.08.2022 die durch Urteil des AG Rathenow vom 25.06.2019 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Dagegen die sofortige Beschwerde begründete die Antragstellerin, die beim LG Potsdam keinen Erfolg hatte. Dagegen dann die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das VerfG hat den Antrag zurückgewiesen:

„2. Eine einstweilige Anordnung kann danach nicht ergehen. Es ist schon jetzt absehbar, dass die Verfassungsbeschwerde unbegründet ist.

Der Beschluss des Landgerichts Potsdam verletzt die Antragstellerin erkennbar nicht in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV.

Die Beschwerdekammer hat bei der Auslegung und Anwendung des § 56f StGB weder den Inhalt und die Tragweite des Freiheitsgrundrechts aus Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV verkannt, noch ist sie objektiv unvertretbar oder willkürlich.

a) Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens verlangen im Strafvollstreckungsverfahren ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung (Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 3/21 -, Rn. 24 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Zudem ist der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe gerichtlicher Entscheidungen Rechnung zu tragen. Eine tragfähig begründete Entscheidung über einen Bewährungswiderruf setzt daher eine auf zureichender Sachaufklärung beruhende, in sich schlüssige und nachvollziehbare Feststellung der Widerrufsvoraussetzungen voraus; die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts genügt insoweit nicht (Beschluss vom 29. September 2021 – VfGBbg 19/21 EA -, Rn. 19, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

b) Gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Die Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts obliegen bei der nach § 56f StGB zu treffenden Entscheidung den Strafgerichten, denen hierbei eine Einschätzungsprärogative zusteht (vgl. Beschlüsse vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 3/21 -, Rn. 24 m. w. N., und vom 17. Dezember 2009 – VfGBbg 51/09 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de). Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erstreckt sich lediglich darauf, ob die gerichtliche Entscheidung objektiv unvertretbar ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LV verbürgten Freiheitsrechts verkennt (Beschluss vom 20. Mai 2021 – VfGBbg 3/21 -, Rn. 24 m. w. N., https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Die rechtskräftige Verurteilung wegen einer neuen Straftat ist ein zur Überzeugungs-bildung des für § 56f StGB zuständigen Gerichts ausreichendes, aber nicht bindendes Indiz für das entsprechende Bewährungsversagen (Groß/Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 40).

Bei neuen Straftaten des Probanden ist die Reaktion anderer Gerichte hierauf, soweit es um Strafaussetzung geht, für das Vollstreckungsgericht nicht präjudiziell. Dieses ist also nicht daran gehindert, die Strafaussetzung zu widerrufen, obwohl das Gericht, das über die neue Straftat zu urteilen hat, von einer unbedingten Freiheitsstrafe abgesehen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 BvR 1269/84, NStZ 1985, 357; Groß/Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 40).

Das Vollstreckungsgericht ist zwar grundsätzlich gehalten, sich bei seiner Prognoseentscheidung der sach- und zeitnäheren Prognose eines Tatgerichts anzuschließen, das über die letzte, während der Bewährungszeit begangene Straftat geurteilt hat (Groß/ Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 30). Durchbrechungen dieses Grundsatzes sind allerdings möglich und jedenfalls nicht von Verfassungs wegen ausgeschlossen (BVerfG, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 BvR 1269/84, NStZ 1985, 357).

Die befassten Vollstreckungsgerichte können auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Urteile und Bewährungshefte auf ausreichender Tatsachenbasis eine eigene Sachentscheidung treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 1092/07 -, Rn. 4, juris). Ein Vollstreckungsgericht kann insbesondere von der Entscheidung eines Tatgerichts dann abweichen, wenn diese Entscheidung selbst an Mängeln leidet, wenn etwa das Tatgericht hinsichtlich seiner Prognose selbst erhebliche Bedenken geäußert, diese aber zurückgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 1092/07 -, Rn. 4, juris) oder wesentliche Gesichtspunkte nicht oder unzureichend bewertet hat, was insbesondere dann der Fall ist, wenn das Gericht sich mit den Vorstrafen und den der älteren Aussetzungsentscheidung zugrundeliegenden Erwägungen nicht auseinandergesetzt hat (vgl. Beschluss vom 25. Mai 2012 – VfGBbg 20/12 -, https://verfassungsgericht.brandenburg.de).

Gleiches gilt auch, wenn das Tatgericht offensichtlich unzutreffende oder nicht nachvollziehbare Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 2 BvR 1092/07 -, Rn. 4, juris; vgl. ThürVerfGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – 52/16 -, Rn. 64, juris; Groß/Kett-Straub, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2020, StGB § 56f Rn. 30). Hat das Gericht mit der Aussetzung zur Bewährung besondere Erwartungen verbunden, die es später als enttäuscht ansieht, ist von Verfassungs wegen nichts dagegen zu erinnern, dass unter den Voraussetzungen des § 56f StGB der Widerruf ausgesprochen wird (BVerfG, Beschluss vom 19. April 1985 – 2 BvR 1269/84, NStZ 1985, 357).

c) Daran gemessen ist die Entscheidung des Landgerichts Potsdam in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Die Beschwerdekammer des Landgerichts Potsdam hat sich im Beschluss vom 23. September 2022 (21 Qs 52/22) die Begründung des Widerrufsbeschlusses durch das Vollstreckungsgericht zu eigen gemacht, indem es auf dessen als zutreffend befundene Gründe Bezug genommen hat. Das Vollstreckungsgericht hat sich erkennbar auf die enttäuschte Erwartung des Amtsgerichts Rathenow gestützt, welche das Amtsgericht im Urteil vom 25. Juni 2019 (2 Ls 490 Js 22005/17 (1/18)) mit der angeordneten Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung verbunden hatte. Das Vollstreckungsgericht hat nachvollziehbar aufgezeigt, dass der amtsgerichtlichen Aussetzungsentscheidung vom 25. Juni 2019 (2 Ls 490 Js 22005/17 (1/18)) ein Gesamtkonzept (Strafzumessung, Berufsverbot, Bewährungskonzept) zugrunde lag, das auf der Beachtung des Berufsverbots durch die Antragstellerin aufbaute. Dass das Vollstreckungsgericht diese Erwartungshaltung als enttäuscht betrachtete, nachdem die Antragstellerin nur wenige Monate nach der Urteilsverkündung gegen das Berufsverbot verstieß, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Seine den Widerruf bestätigende Entscheidung hat das Landgericht zusätzlich zu den Gründen des Vollstreckungsgerichts darauf gestützt, dass die vom Berufungsgericht eingestellten Erwägungen kaum nachvollziehbar seien; sie setzten sich nicht hinlänglich mit dem Rückfall auseinander. Dabei hat die Beschwerdekammer des Landgerichts die für sie ausschlaggebenden Tatsachen angeführt – die Vielzahl an Vorstrafen, das frühere Bewährungsverhalten, die hohe progrediente Rückfallgeschwindigkeit und die berufsbezogene Straftat. Mildere Mittel als der Widerruf seien eingedenk dessen unzulänglich, zumal die Bewährungszeit bereits auf fünf Jahre festgesetzt worden und die Antragstellerin einem Bewährungshelfer unterstellt worden sei, ohne dass diese Mittel sie beeindruckt und von einer neuerlichen berufsbezogenen Straftat abgehalten hätten.

Auch diese nachvollziehbaren zusätzlichen Feststellungen tragen die der Antragstellerin vom Landgericht Potsdam attestierte negative Sozialprognose. Das Landgericht hat auch mildere Mittel in den Blick genommen und im Ergebnis verworfen, indem es festgestellt hat, dass sich die in § 56 Abs. 2 StGB vorgesehene Bewährungshilfe und verlängerte Bewährungszeit bereits als unzulänglich erwiesen hätten. Es ist gemäß dem aufgezeigten Maßstab verfassungsgerichtlich nicht zu beanstanden, dass die mit den Bewährungsurteilen und -unterlagen vertrauten Vollstreckungsgerichte mit einer plausiblen Begründung zu einem vom Tatgericht abweichenden Ergebnis kommen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt darin nicht.“

Vollstreckung I: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Widerruf einer nachträglichen Gesamtstrafe

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In die 49. KW., die „Nikolauswoche“ :-), starte ich dann mit zwei vollstreckunsgrechtlichen Entscheidungen. Muss auch mal sein und ich habe zu der Thematik schon längere Zeit keine Entscheidungen mehr vorgestellt.

Ich beginne hier mit dem OLG Celle, Beschl. v. 26.08.2022 – 2 Ws 181/22 – zum Widerruf einer in einem nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung, wenn die Tatzeit der weiteren Tat lediglich in die Bewährungszeit der zeitlich ersten, in die Gesamtstrafe einbezogenen Verurteilung fällt. Das OLG Celle sagt – jetzt: Das geht. „Jetzt“ deshlab, weil das OLG das früher anders gesehen hat, also seine bisherige Rechtsprechung im OLG Celle, Beschl. v. 24.08.2010 – 2 Ws 285/10 – aufgibt:

„Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht Hannover – Strafvollstreckungskammer – hat zurecht die Aussetzung der Vollstreckung der im Gesamtstrafenbeschluss vom 17.03.2021 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zur Bewährung widerrufen.

1. Denn der Verurteilte ist innerhalb der vom Amtsgericht Delmenhorst festgelegten Bewährungszeit bereits wenige Monate nach seiner Verurteilung erneut mit einschlägigen Delikten straffällig geworden und hat hierdurch gezeigt, dass sich die in ihn gesetzte Erwartung, er werde auch ohne den Vollzug der Freiheitsstrafe künftig keine weiteren Straftaten begehen, nicht erfüllt hat und stattdessen auch in der Zukunft weitere Straftaten von ihm zu befürchten sind.

a) Dem Widerruf steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der neuen Taten der in den Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Delmenhorst einbezogene Strafbefehl des Amtsgerichts Aschaffenburg noch nicht ergangen war.

Bislang ist umstritten, ob der Widerruf einer durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung aufgrund einer weiteren Straftat des Verurteilten allenfalls dann möglich sein könne, wenn diese Tat innerhalb der Bewährungszeit sämtlicher dem Gesamtstrafenbeschluss zugrundeliegender Verurteilungen liegt (so: Senat, 2 Ws 285/10, Beschluss v. 24.08.2010; LG Berlin, 528 Qs 90/13, Beschluss v. 16.09.2013; S/S-Kinzig, StGB, § 56f, Rn 5), oder ob es ausreicht, dass diese Tat innerhalb der Bewährungszeit des als erstes ergangenen einbezogenen Urteils, aber noch vor dem bzw. den nachfolgenden einbezogenen Entscheidungen begangen wurde (so: OLG Hamm, 3 Ws 304/14, Beschluss v. 18.09.2014; OLG Stuttgart, 4 Ws 293/18, Beschluss v. 12.12.2018; OLG Bremen, 1 Ws 111/19, Beschluss v. 17.09.2019).

b) Soweit es der Senat bislang aufgrund dogmatischer Bedenken für erforderlich gehalten hatte, dass eine neue Straftat des Verurteilten nur dann den Widerruf einer durch einen nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss gewährten Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könne, wenn die neue Straftat innerhalb der Bewährungszeit sämtlicher einbezogener Entscheidungen begangen wurde (Senat, 2 Ws 285/10, Beschluss v. 24.08.2010), hält der Senat hieran nicht mehr fest.

Denn die besseren Argumente sprechen dafür, die Widerrufsmöglichkeit auch auf Fallkonstellationen zu erstrecken, in denen die neue Tat nur in die Bewährungszeit der zeitlich ersten einbezogenen Entscheidung fällt (vgl. bzgl. allem folgenden: OLG Hamm, a.a.O., OLG Stuttgart, a.a.O., OLG Bremen a.a.O.).

aa) Bereits der Wortlaut des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB streitet hierfür. Denn als Voraussetzung für den Widerruf wird hier ausdrücklich lediglich auf die Begehung einer weiteren Straftat im Zeitraum zwischen der Strafaussetzung zur Bewährung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung, nicht aber auf die Strafaussetzung in sämtlichen einbezogenen Urteilen Bezug genommen. Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Neufassung des § 56f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB auch eine Fassung in Betracht gezogen worden war, nach der dementgegen nur Straftaten, die in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung „in den einbezogenen Urteilen“ und der Gesamtstrafenentscheidung einen Widerruf ermöglichen sollten (vgl. BT-Drucks. 10/2720, S. 22), zeigt die letztlich geschaffene Regelung, dass der Gesetzgeber sich bewusst unter diesen Alternativen dafür entschieden hat, bereits in der Bewährungszeit einer der einbezogenen Entscheidungen begangene Straftaten für einen Widerruf der Bewährung ausreichen zu lassen (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 58). Im Wortlaut des § 56f Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB kommt daher auch der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck.

bb) Nicht entgegen steht, dass durch § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB auf den Widerrufsgrund des § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB verwiesen wird, wonach eine erneute Straftat nur dann einen Widerruf begründen kann, wenn sie nach der zum Widerrufszeitpunkt maßgeblichen Aussetzungsentscheidung, im Falle einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung also nach dem Gesamtstrafenbeschluss, begangen worden ist. Denn § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB gilt ausweislich § 56f Abs. 1 S. 2 StGB nur entsprechend, ist also nur sinngemäß anzuwenden. Dies lässt durchaus die Auslegung zu, dass es nach der Bildung einer Gesamtstrafe nicht auf den Zeitpunkt der Gesamtstrafenbildung, sondern auf die erstmalige Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung ankommt. Denn bereits von diesem Zeitpunkt an war der Verurteilte gewarnt und musste sich bewusst sein, dass neue Straftaten zu einer Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe führen können. Dass dem Verurteilten trotz dieser Kenntnis bis zu dem Zeitpunkt einer weiteren Verurteilung, aus der später gemeinsam mit der ersten Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet wird, eine Phase der Konsequenzlosigkeit weiterer Straftaten für die ihm gewährte Bewährung eingeräumt werden soll, erscheint als nicht nachvollziehbar. Dies gilt umso mehr, als dem Verurteilten auch die Begehung der zur zweiten, einbezogenen Verurteilung führenden Straftaten bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Verurteilung bekannt war und er deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Aussetzungsentscheidung haben konnte.

Hierfür spricht auch, dass § 57 Abs. 5 StGB für den Fall des Widerrufs der Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung gleicherweise die entsprechende Anwendung des § 56f StGB anordnet, hierbei aber ausdrücklich auch eine zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung begangene weitere Tat für einen Widerruf der Bewährung ausreichen lässt, sofern das aussetzende Gericht von der zwischenzeitlich begangenen Straftat keine Kenntnis hatte. Diese Wertung, dass auch vor der letzten Entscheidung über die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung begangene Straftaten zu einer Abänderung der Bewährungsentscheidung führen können, wenn zum Zeitpunkt dieser Entscheidung der einer Aussetzung entgegenstehende Umstand der Begehung weiterer Straftaten seit der Verurteilung nicht bekannt war, lässt sich auf die durch § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB gleichfalls angeordnete entsprechende Anwendung des § 56f Abs. 1 S. 1 StGB übertragen. Denn auch hier liegt der Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung die Unkenntnis von neuen Straftaten des Verurteilten zugrunde. Auf den Zeitpunkt der Gesamtstrafenbildung ist daher für die Möglichkeit eines Widerrufs aufgrund einer zwischen Verurteilung und Gesamtstrafenbildung begangenen weiteren Straftat nur dann abzustellen, wenn die Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung in Kenntnis der zwischenzeitlich begangenen weiteren Tat erfolgte, das Gericht also bewusst trotz der erneuten Tatbegehung weiterhin eine positive Prognoseentscheidung getroffen hat.

cc) Schließlich spricht für die Auffassung, dass bereits die Begehung einer weiteren Straftat nach der zeitlich ersten einbezogenen Verurteilung für einen Widerruf der später durch eine Gesamtstrafenentscheidung gewährten Strafaussetzung zur Bewährung ausreicht, dass § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB sowohl auf eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Beschluss gemäß § 460 StPO als auch auf eine Gesamtstrafenbildung im Rahmen der Einbeziehung einer vorangegangenen Entscheidung durch ein Urteil gemäß § 55 StGB Anwendung findet (vgl. BT-Drucks. 16/3038, S. 58).

Der Gesetzgeber zeigt durch diese Erstreckung des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB auf die Fälle des § 55 StGB, dass es für den Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe gerade nicht darauf ankommen soll, ob der Verurteilte die in ihn gesetzte Erwartung eines künftig straffreien Lebens in sämtlichen der Gesamtstrafenentscheidung zugrundeliegenden Urteilen enttäuscht hat (so noch: Senat a.a.O.), sondern bereits die Enttäuschung dieser Erwartung in der ersten Verurteilung zu einem Widerruf der in einer später unter Einbeziehung dieser Verurteilung gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erfolgten Aussetzung zur Bewährung führen kann und die von der ersten Verurteilung ausgehende Warnfunktion ausreichen soll.

Denn im Falle der Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB durch ein Urteil ist die zweite Verurteilung mit der Gesamtstrafenentscheidung identisch. Eine weitere Tat zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung, die gemäß § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB einen Widerruf begründen kann, liegt bei einer Gesamtstrafenbildung durch § 55 StGB daher praktisch immer nach der ersten, aber noch vor der zweiten Verurteilung.

Auf Gesamtfreiheitsstrafen, die gemäß § 55 StGB gebildet werden, wäre § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB daher ohne relevanten Anwendungsbereich, wenn zu fordern wäre, dass die weitere Tat nach sämtlichen Verurteilungen, aber noch vor Rechtskraft der Gesamtstrafenentscheidung begangen worden ist. Denkbar wäre eine Anwendung des § 56f Abs. 1 S. 2 Alt. 2 StGB insofern allenfalls noch bei der Begehung einer weiteren Straftat zwischen Verkündung und Rechtskraft der zweiten Verurteilung. Dass der Gesetzgeber aber den Anwendungsbereich derart einschränken wollte, ist nicht anzunehmen.