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OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung mit Motorrad, oder: Vorsatz, Lichtbild, Geldbuße, Fahrverbot

Und heute dann ein wenig OWi – die „Entscheidungslage“ ist in dem Bereich derzeit sehr mau.

Ich habe dann hier aber noch den auch schon etwas älteren BayObLG, Beschl. v. 10.07.2023 – 201 ObOWi 621/23.

Der Betroffene ist am 05.01.2023 – wegen einer am 25.7.2021 begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung –  Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 99 km/h – zu einer Geldbuße in Höhe von 1.200 EUR verurteilt worden; außerdem hat das AG ein Fahrverbot von zwei Monaten festgesetzt. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg, die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hatte hingegen Erfolg.

Das BayObLG hat u.a. die Fahrverbotsdauer angehoben. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier stelle ich nur die Leitsätze des BayObLG ein. Die lauten:

1. Bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 40 % kann in der Regel von vorsätzlicher Tatbegehung des Betroffenen ausgegangen werden, wenn dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit kannte.
2. Erst ab einem Zeitraum von zwei Jahren zwischen der Tat und der letzten tatrichterlichen Verhandlung ist allein wegen der Verfahrensdauer die Herabsetzung eines mehrmonatigen Regelfahrverbots in Betracht zu ziehen, wenn sich der Betroffene in der Zwischenzeit verkehrsordnungsgemäß verhalten hat.
3. Solange die im Bußgeldkatalog vorgesehene, nicht mehr geringfügige Regelgeldbuße verhängt wird, sind Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht zwingend geboten, solange sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese außergewöhnlich schlecht sind.
4. Zu den Urteilsanforderungen bei Identifizierung des Fahrers anhand eines von dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes.

 

OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB, oder: Beweiswürdigung beim Vorsatz

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Und dann heute ein wenig OWi, ein paar Entscheidungen habe ich vorliegen, die ich vorstellen kann.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 06.09.2023 – 202 ObOWi 910/23 – zur „richtigen“ Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Dazu führt das BayObLG aus:

„Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der seine Fahrereigenschaft einräumende, Richtigkeit und Verwertbarkeit der (standardisierten) Messung nicht anzweifelnde Betroffene am 24.11.2022 um 17.01 Uhr als Führer eines Personenkraftwagens die BAB A8 in Richtung München, wobei er in Höhe der Messstelle die zuvor jeweils durch beidseitig insgesamt dreimal aufgestellte Schilderpaare auf 130 km begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit mit gemessenen (mindestens) 181 km/h um 51 km/h überschritt. Der Betroffene handelte hierbei nach Ansicht der Amtsgerichts vorsätzlich, da er „entweder […] die zulässige Höchstgeschwindigkeit erkannt“ hatte, „indem er mindestens eines der sechs aufgestellten Schilder gesehen […] und diese bewusst ignoriert, oder […] die Beschilderung von Anfang an völlig ignoriert und außer Betracht gelassen und gleichzeitig die ihm bekannte Geschwindigkeitsbegrenzung völlig verdrängt“ hat, „so dass er zumindest billigend in Kauf genommen hat, die Geschwindigkeitsbegrenzung massiv zu überschreiten“.

Zum Tatvorwurf ließ sich der Betroffene im Wesentlichen dahin ein, dass er sich auf dem Weg von seinem Wohnort zu einem Termin in München befunden habe und die Strecke regelmäßig befahre. Bis zu dem Termin um 19.30 Uhr habe er reichlich Zeit gehabt, weshalb er nicht sofort auf die Autobahn aufgefahren, sondern zunächst noch weiter Landstraße bis Leipheim gefahren sei. Noch vor der Geschwindigkeitsmessung habe er sich an der dortigen Tank- und Rastanlage etwas zum Trinken gekauft, ehe er erst an der dortigen Anschlussstelle in Fahrtrichtung München auf die Autobahn aufgefahren sei. Die Strecke zum Flughafen München kenne er gut, da er geschäftlich häufig über den besagten Flughafen reise. „Am Tattag sei er wohl unachtsam gewesen und habe deshalb das 130er-Schild nicht gesehen. Es sei ein Versehen gewesen, dass er so schnell gefahren sei“. Das Amtsgericht hat diese Einlassung des Betroffenen dahin gewürdigt, dass selbst dann, wenn man zu seinen Gunsten hinsichtlich der behaupteten Fahrtstrecke aufgrund des vorangegangenen Halts an der Tank- und Rastanlage nicht von einer Schutzbehauptung ausgehe und der Betroffene deshalb nur ein die Geschwindigkeit auf 130 km/h begrenzendes Schilderpaar vor der Messstelle passiert haben sollte, von Tatvorsatz auszugehen sei. Denn insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Betroffene „beim Verlassen der Tank- und Rastanlage […] genau auf ein Verkehrszeichen mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit 130 km/h zugefahren“ sei, welches „prominent am Ende des Beschleunigungsstreifens“ stehe, weshalb man „auf das rechte der beiden Verkehrszeichen […] quasi direkt“ zufahre. Im Übrigen habe der Betroffene nicht geltend gemacht, dass dieses Schild durch Schwerlastverkehr verdeckt gewesen sei, obwohl er sich an diverse andere Details zum Tattag noch genau erinnern könne. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die vorhandene Begrenzung seit Jahren unverändert bestehe und der Betroffene selbst angebe, die Strecke regelmäßig zu befahren, weshalb er die massive Geschwindigkeitsüberschreitung „in jedem Fall zumindest billigend in Kauf genommen“ habe.“

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hat. Das BayObLG moniert die Beweiswürdigung. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte im Selbstleseverfahren:

    1. Die Möglichkeit, die eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Autobahn anordnenden Verkehrszeichens übersehen zu haben, ist stets dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder im Verfahren von dem Betroffenen eingewandt wird, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben. Ist ein solcher Fall gegeben, müssen die tatrichterlichen Feststellungen deshalb selbst bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung eindeutig ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder aber den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
    2. Die der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn (bedingt) vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde liegende Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie auf einer vom Tatgericht angenommenen Tatsachenalternativität beruht, deren Grundlagen durch die Beweisaufnahme nicht durch Tatsachen belegt sind, die erkennen lassen, dass die gezogenen Schlussfolgerungen mehr als nur eine Vermutung rechtfertigen.

Einzelrichter.

StGB II: Unberechtigter Empfang von Sozialleistung, oder: Betrug durch Unterlassen.

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Und als zweite Entscheidung dann hier etwas vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 04.05.2023 – 3 ORs 20/23zum Zeitpunkt des Vorsatzes bei Unterlassungsdelikten betreffend die  Änderungsmitteilung bei Bezug von Sozialleistungen.

Das LG hatte den Angeklagten wegen betruges verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte:

1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges. Die Auffassung des Verteidigers, der Eintritt eines Schadens sei dann zu verneinen, wenn der Täter von Anfang an von einer „Kompensation seiner Unterlassung“ ausgeht und von vornherein bereit ist, den Erfolg zu beseitigen, und dass ein solcher Täter mangels „Beendigungsvorsatzes“ ohne Bereicherungsabsicht handele, vermag nicht zu überzeugen.

Soweit der Verteidiger die Auffassung vertritt, es sei kein Schaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB eingetreten, verkennt er, dass dieser bereits mit der täuschungsbedingt erfolgten ersten unberechtigten Überweisung der Sozialleistung eingetreten und die Tat dadurch vollendet worden ist. Dass der Angeklagte – wie von ihm behauptet – darauf vertraut hat, die Behörde werde ihn im Anschluss daran zur Rückzahlung auffordern, und er den überzahlten Betrag nach deren Aufforderung zurückgezahlt hat, ist folglich für den Schadenseintritt und den darauf bezogenen Vorsatz ohne Bedeutung. Bezeichnenderweise spricht der Verteidiger in diesem Zusammenhang von einer Bereitschaft des Täters, den Erfolg zu beseitigen.

Wie sich aus § 16 Abs. 1 StGB ergibt, muss der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Als maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei (allein) auf die Vornahme der tatbestandlichen Handlung abzustellen (vgl. BGHSt 63, 88 m.w.N.; NStZ 2018, 27; NJW 2015, 3178; Vogel in StGB Leipziger Kommentar 12. Aufl.; § 15 Rdn. 53 m.w.N.; Fischer, StGB 70. Aufl., § 16 Rdn. 2). In Fällen des Betruges durch Unterlassen ist daher maßgebend, wann der Täter verpflichtet gewesen wäre, die rechtlich gebotene Handlung vorzunehmen. Da ein Leistungsberechtigter nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet ist, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, ist darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt es für ihn ohne schuldhaftes Zögern möglich ist, die erforderlichen Angaben zur Änderung seiner (Arbeits-) Verhältnisse zu machen, und sind darauf bezogene Feststellungen durch das Tatgericht zu treffen. Das Erfordernis eines auf die Tatbeendigung gerichteten und bis dahin andauernden Vorsatzes kennt das Gesetz demgegenüber nicht; Feststellungen dazu sind entbehrlich.

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, indem mitgeteilt wird, dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt eigenständig die Veränderung seiner Verhältnisse mitgeteilt hat und in Kenntnis seiner Mitteilungspflicht dazu auch nicht gewillt war, sondern den überzahlten Betrag erst nach entsprechender Aufforderung der Behörde zurückgezahlt hat….“

StGB III: Passloser Aufenthalt in der Bundesrepublik, oder: Vorsatz, da echtes Unterlassungsdelikt

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Und dann zum Tagesschluss noch das – schon etwas ältere – AG Stralsund, Urt. v. 30.08.2021 – 342 Cs 32/19. Ich habe es aber auch erst vor kurzem übersandt bekommen. Es geht um einen Verstoß gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthaltsG, also passloser Aufenthalt eines Ausländers in der Bundesrepublik. Das AG hat den Angeklagten von diesem Vorwurf – aus tatsächlichen Gründen – frei gesprochen.

„Der Angeklagte bestreitet durch seinen mit Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger die Tatbegehung und lässt sich dahingehend ein, dass ihm weder die Abschiebungsandrohung noch der Bescheid des Landkreises Vorpommern-Rügen vom 11.07.2016 und die Erinnerung der Aufforderung zur Passbeschaffung vom 08.08.2018 zugegangen sei.

Demgemäß ergibt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme folgender Sachverhalt:

Der Angeklagte ist ghanaischer Staatsangehöriger und hielt sich seit dem 13.10.2014 in Deutschland auf. Der Verteidiger hat dies für den Betroffenen so eingeräumt.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Angeklagten mit ausweislich des im Hauptverhandlungstermin verlesenen Bescheides vom 24.02.2016 ab und bestimmte, dass der Angeklagte innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung das Bundesgebiet zu verlassen habe, andernfalls werde er ausgewiesen.

Ein Hinweis auf die Strafbarkeit passlosen Aufenthalts im Bundesgebiet findet sich in dem Bescheid nicht.

Darüber hinaus hat das Gericht durch Verlesung des Bescheides zur Passbeschaffung vom 11.07.2016 und die Erinnerung der Passbeschaffung vom 08.08.2018 festgestellt, dass der Be-schuldigte aufgefordert wurde, bis zum 15.08.2016 einen gültigen Pass/Passersatz auszuhändigen und zu diesem Zwecke bis spätestens dem 15.08.2016 bei der Botschaft Ghanas vorzu-sprechen. Eine Ersatzvornahme wurde angedroht. Der Bescheid enthält am Ende einen Hinweis auf die Strafbarkeit passlosen Aufenthalts im Bundesgebiet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war indes nicht feststellbar, dass dem Angeklagten Bescheid und Erinnerung zugegangen sind.

So hat der Zeuge und Sachbearbeiter der Ausländerbehörde pp, ausgesagt, dass die Schreiben jeweils formlos an den Angeklagten versendet wurden. Beide Postsendungen gingen an die Adressen in Marlow bzw. in Barth. Dies sind jeweils Asylbewerberunterkünfte in denen sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Übersendung aufgehalten hat.

Der Zugang bleibt daher nicht aufklärbar.

Selbst wenn dem Angeklagten die Schriftstücke zugegangen wären, so bleibt zweifelhaft, ob er diese hätte zur Kenntnis nehmen können. Der Angeklagte ist ghanaischer Staatsangehöriger. Hinweise darauf, dass er der deutschen Sprache mächtig ist, finden sich nach Aktenlage nicht.

Der Zeuge pp. hat ausgesagt, Bescheide und Erinnerungen werden an die Asylbewerber stets in deutscher Sprache(!) versendet. Man gehe davon aus, dass der Asylbewerber, wenn er Post erhalte, sich diese durch Sozialarbeiter, Wachleute oder sprachkundige Freunde und Be-kannte übersetzen lasse.

Da dieses Prozedere durchaus auch in der Ausländerbehörde als mangelhaft erkannt wurde, werden zwar auch heute entsprechende Bescheide nach wie vor in deutscher Sprache an die der deutschen Sprache nicht mächtigen Verfahrensbeteiligten versandt. Allerdings seien zwischenzeitlich Merkblätter gefertigt worden, die den deutschsprachigen Bescheiden beigefügt wer-den und in denen kurz erklärt werde, welchen Inhalt und welche Rechtsfolgen die für die Asylbewerber unverständlichen Bescheide enthalten.

Ungeachtet der Kuriosität dieser Verwaltungspraxis bleibt nach der Aussage des Zeugen pp. für das vorliegende Verfahren jedoch festgestellt, dass entsprechende Belehrungen an den Angeklagten nicht versandt wurden.

Ob und inwieweit der Angeklagte von der Verpflichtung zur Passersatzbeschaffung Kenntnis nahm, bleibt daher unaufklärbar.

Der Zeuge pp. hat zudem ausgesagt, dass sich in der Ausländerakte des Angeklagten, die er im Hauptverhandlungstermin mit sich führte und in welche er Einsicht nahm, keinerlei Hinweise darauf finden, dass beispielsweise durch die vormalige Sachbearbeiterin der Inhalt von Bescheid und Erinnerung zur Passersatzbeschaffung anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Angeklagten im Ausländeramt übersetzt wurden.

§ 95 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz ist als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet. Der Ange-klagte muss daher um normgerechtes Verhalten wissen und zur Tatbestandserfüllung das norm-gerechte Verhalten vorsätzlich unterlassen. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit sieht § 95 Aufenthaltsgesetz nicht vor.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bleibt unbekannt, ob der ausreisepflichtige Angeklagte um das Erfordernis der Passbeschaffung wusste und gegen diese Verpflichtung verstieß, um seine Abschiebung zu erschweren.

Nach Aussage des Zeugen pp. ist der Angeklagte nach wie vor nicht ausgereist.

Nach Aussage des Zeugen pp. wurden nach der Erinnerung zur Passersatzbeschaffung auch keinerlei Maßnahmen der Verwaltungsbehörde mehr getroffen, insbesondere wurde keine Ersatzvornahme versucht.

Nach den vorliegenden Feststellungen finden sich nicht einmal Hinweise auf einen fahrlässigen passlosen Aufenthalt, so dass auch die Ahndung als Ordnungswidrigkeit nach § 98 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz nicht in Betracht kommt.

Der Angeklagte war daher mangels Verschuldensnachweises aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.“

OWi II: Vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung?, oder: War das Streckenverbot entfallen?

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Bei der zweiten OWi-Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Brandenburg, Beschl v. 17.11.2022 – 2 OLG 53 Ss-OWi 388/22. 

Er behandelt bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung die Frage des Vorsatzes in Zusammenhang mit einem sog. Zusatzschild. Alles Weitere ergibt sich aus dem Beschluss, und zwar:

„Das Amtsgericht Cottbus verhängte gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 35 km/h eine Geldbuße von 240 EUR.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 17. Juli 2021 mit einem Pkw außerorts die Bundesautobahn 15 in Fahrtrichtung Osten/Grenze und überschritt in Höhe Kilometer 40,2 die zuvor in Trichterform und durch beidseitige Beschilderung mit Zusatzzeichen 112 („unebene Fahrbahn“) angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 35 km/h. Er beschleunigte vor der Messstelle bewusst von 100 km/h auf 135 km/h, weil er keine Fahrbahnschäden mehr feststellen konnte, auch andere Verkehrsteilnehmer wieder beschleunigten und er davon ausging, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht mehr galt. Tatsächlich bestand die Gefahr von Fahrbahnaufwölbungen noch fort. Das Amtsgericht hat das Verhalten des Betroffenen als vorsätzlich gewertet. „Seine völlig eigenmächtige Auslegung“ könne „nicht als Irrtum zu seinen Gunsten gewertet werden.“

Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger zur Fortbildung des Rechts die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil beantragt, die Verletzung materiellen Rechts gerügt und beanstandet, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft eine vorsätzliche Tatbegehung zu Grunde gelegt habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die entscheidungserhebliche Frage, inwieweit eine Fehlvorstellung über das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung eine vorsätzliche Tatbegehung begründet, hat grundsätzliche Bedeutung, weil in gleich gelagerten Fällen mit vergleichbaren Entscheidungen des Amtsgerichts zu rechnen ist (vgl. hierzu Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 80 Rn. 4, 5). Die Sache wird insoweit dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG)

2. Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als eine Überprüfung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der subjektiven Tatseite einer Nachprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht standhält.

Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft von einem vorsätzlichen Verhalten des Betroffenen ausgegangen. Der Betroffene hat nach den getroffenen Feststellungen die Beschilderung zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h zwar wahrgenommen und sich sodann auch bewusst — in der irrigen Annahme, diese gelte nicht fort — zur Beschleunigung auf 135 km/h entschlossen. Er hat sich insoweit jedoch nicht über die geltende Geschwindigkeitsregelung an sich geirrt, was einen — vermeidbaren — Verbotsirrtum zur Folge hätte (§ 11 Abs. 2 OWiG) und der Annahme von Vorsatz nicht entgegenstünde. Sein Irrtum betraf vielmehr äußere Umstände, die zum Tatbestand gehören und die er falsch beurteilt hat, so dass ein Vorsatz entfällt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG).

Ein Streckenverbot, das wie hier zusammen mit einem Gefahrenzeichen angeordnet ist, entfällt auch ohne Aufhebungszeichen (Zeichen 282) dann, wenn sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht (Erläuterung Nr. 55 Satz 2 der Anlage 2 zu § 41 StVO; vgl. OLG Celle, Beschl. v. 8. November 2018 — 3 Ss [OWi] 190/18, zit. nach Juris). Über diesen Regelungsgehalt der geltenden Norm und deren rechtliche Bedeutung hat der Betroffene sich nach den Urteilsgründen nicht geirrt. Sein Irrtum bezieht sich vielmehr auf den äußeren, die Örtlichkeit betreffenden Umstand, dass die Gefahrenstelle hier entgegen seiner Annahme nicht zweifelsfrei geendet hatte, sondern die Gefahr weiterhin bestand und die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung deshalb noch fort galt. Dem liegt eine fahrlässige Fehleinschätzung der Örtlichkeit und damit eines Umstandes zugrunde, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens kein Raum (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Der Betroffene handelte vielmehr fahrlässig (§ 11 Abs. 1 Satz 2 OWiG).

Die aufgrund der Sachrüge veranlasste Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hat ansonsten materiell-rechtliche Fehler zum Nachteil der Betroffenen nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat selbst abschließend entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG) und den Schuldspruch ändern sowie den Rechtsfolgenausspruch entsprechend dem hier geltenden Regelsatz für fahrlässiges Verhalten festsetzen (Anhang Nr. 11.3.6 BKatV a.F.).“