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Rückforderung eines Vorschusses auf die PV, oder: Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung schafft einen „Vertrauenstatbestand“

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Am Dienstag erhielt ich den Anruf der Kollegin von Dreden aus Bonn. Doe sprach mich auf ein Telefonat an, dass wir vor einiger Zeit geführt hatten. Thema: Rückforderung eines Vorschusses auf eine Pauschvergütung nach § 51 RVG. Ich erinnerte mich dann und erinnerte mich dann auch an den Sachverhalt: Die Kollegin war in einem umfangreichen Verfahren Pflichtverteidigerin gewesen und hatte dann am Ende des Verfaherns noch einen „Vorschuss“ auf eine Pauschvergütung beantragt (§ 51 Abs. 1 Satz 5 RVG). Der war auch vom OLG Düsseldorf gewährt worden – entsprechend der Stellungnahme auch der Staatskase. Dann hatte die Kollegin den Vorschuss „abgerechnet“; das Verfahren lassen wir mal außen vor. Und siehe da: Die Pauschvergütung fiel nun nach Auffassung der Staatskasse und auch des OLG erheblich niedriger aus. Grund: Das OLG Düsseldorf hatte nach einem Vorsitzendenwechsel beim 3. Strafsenat getreu dem Spruch: Neue Besen kehren gut, seine Rechtsprechung zuungunsten der Pflichtverteidiger geändert, was das OLG damals leider häufiger getan hat. Ich erinnere nur an die Aufgabe der Rechtsprechung zu „500-Blatt-Formel“. Diese Änderung führte zu einer Rückforderung der Staatskasse im fünfstelligen Bereich.

Ich hatte der Kollegin in unserem damaligen Telefonat auf der Grundlage der bisherigen/damaligen Rechtsprechung nur wenig Hoffnung gemacht, der Rückforderung zu entgehen. So war es dann auch, das OLG hat auf der Grundlage seiner neuen Rechtsprechung eine erheblich niedrigere Pauschgebühr gewährt. Die Kollegin war dagegen sogar beim BVerfG in Karlsruhe, das die Sache aber mal wieder nicht zur Entscheidung angenommen hat.

Gestritten worden ist dann noch im Festsetzungsverfahren um die Höhe der Rückforderung der Staatskasse. Und da konnte die Kollegin nun hoch erfreut den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.06.2020 – 1 Ws 289/19 – präsentieren. Der hat ihr in ihrem Recht gegeben. Der 1. Strafsenat hat die Rückforderung aus Gründen der Billigkeit versagt oder: Der Vorschuss war kein Vorschuss 🙂 :

„Das als einfache, lediglich fristgebundene Beschwerde nach § 56 Abs. 2 RVG iVm § 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG zulässige Rechtsmittel, über das der Senat nach § 33 Abs. 8 RVG in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hat, führt auch in der Sache zum Erfolg. Der Staatskasse steht gegen die Beschwerdeführerin kein Anspruch auf Rückerstattung überzahlten Pflichtverteidigervorschusses zu.

1. Das Landgericht geht zwar im Grundsatz zutreffend davon aus, dass ein dem Rechtsanwalt gewährter Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ganz oder teilweise zurückgefordert werden kann, wenn später eine Pauschgebühr nicht oder — wie hier — nicht in dem Vorschuss entsprechender Höhe bewilligt wird. Auch teilt der Senat die dieser Rechtsauffassung zugrunde liegende Bewertung, dass mit der Vorschussgewährung schon wegen ihres vorläufigen Charakters — jedenfalls in der Regel – keine rechtlich geschützte Erwartung auf die spätere Bewilligung einer Pauschgebühr geschaffen wird (vgl. OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, Beschluss III-3 AR 214/15; KG Beschluss 1 Ws 38/11 vom 8. Juni 2011; Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. 2017, § 51 Rn. 105). Im hier zur Rede stehenden Einzelfall liegen jedoch besondere Umstände vor, die ausnahmsweise Anlass zu einer abweichenden Bewertung geben.

a) Zu bedenken ist insoweit, dass der 3. Strafsenat über den Vorschussantrag der Beschwerdeführerin nicht etwa in einem frühen Verfahrensstadium entschieden hat, in dem die Höhe der insgesamt zu erwartenden Pauschgebühr noch nicht sicher zu prognostizieren gewesen wäre. Vielmehr war im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung das erstinstanzliche Verfahren bereits abgeschlossen. Der gesamte Umfang der von der Pflichtverteidigerin bis dahin erbrachten Tätigkeiten war dem Senat also schon bekannt und bildete eine tragfähige Grundlage für die Schätzung der Höhe einer später endgültig festzusetzenden Pauschgebühr sowie zugleich für die Berechnung des hierauf nach § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG zu gewährenden „angemessenen“ Vorschusses. Angesichts dieses Umstandes sowie mit Blick darauf, dass die Vorschussbewilligung nach einhelliger Ansicht nicht etwa nur die vage Möglichkeit, sondern die sichere Eiwartung der späteren Festsetzung einer Pauschgebühr voraus-setzt (vgl. etwa OLG Frankfurt am Main, Beschluss 2 ARs 45/09 vom 7. Juli 2009 mwN <juris>; Burhoff aa0, § 51 Rn. 96 mwN) durfte die Beschwerdeführerin davon ausgehen, dass einem nach Urteilsrechtskraft zu stellenden Antrag auf endgültige Bewilligung einer Pauschgebühr ohne Hinzutreten neuer Umstände jedenfalls annähernd in der Höhe des gewährten Vorschusses entsprochen werde.

b) Tatsächlich hat sich in der Zeit zwischen der Vorschussbewilligung und der Entscheidung des 3. Strafsenats über die endgültige Festsetzung der Pauschgebühr weder hinsichtlich der für die Bewilligungsentscheidung maßgeblichen Tatsachen noch hinsichtlich der Gesetzeslage irgendeine Veränderung ergeben. Die Diskrepanz zwischen der Höhe des gewährten Vorschusses und der später tatsächlich bewilligten Pauschgebühr beruht vielmehr ausschließlich darauf, dass der 3. Strafsenat seine noch während der Geltung der BRAGO entwickelte und nach Inkrafttreten des RVG im Jahre 2004 langjährig beibehaltene Rechtsprechung zur – großzügigen – Bewilligung von Pauschgebühren mit Beschluss vom 23. Juni 2015 (III-3 AR 65/14) aufgegeben hatte und unter Anschluss an die spätestens seit 2007 bekannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420; BVerfG, Nichtannahmebeschluss 2 BvR 51/07 vom 20. März 2007 <juris> jeweils mwN) zum Merkmal der „Unzumutbarkeit“ im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG zu einer sehr viel restriktiveren Handhabung gelangt war. Mit der Änderung seiner zuvor vertretenen Gesetzesauslegung hat der 3. Strafsenat zwar nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen. Höchstrichterliche Rechtsprechung schafft kein Gesetzesrecht und erzeugt damit keine vergleichbare Rechtsbindung. Die über den Einzelfall hinausgehende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf deswegen nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Verfassungsrecht von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann (vgl. etwa BVerfGE 84, 212, 227f). Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss 1 BvR 1667/15 vom 05. November 2015 mwN; ebenso OLG Düsseldorf, 3. Strafsenat, Beschluss 3 AR 214/15 vom 17. Dezember 2015). Soweit jedoch durch eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ist diesem durch Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG aaO). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Nachdem der 3. Strafsenat seine bisherige Handhabung bei der Bewilligung von Pauschgebühren nach Einführung des § 51 Abs. 1 RVG über einen Zeitraum von 11 Jahren — ungeachtet der langjährig bekannten restriktiven Auslegung des Merkmals der Unzumutbarkeit durch das Bundesverfassungsgericht — weiter beibehalten und der Beschwerdeführerin bereits einen Vorschuss in der bisherigen Rechtsanwendung entsprechender Höhe gewährt hatte, hat er in ihrer Person ein geschütztes Vertrauen darauf begründet, dass er später auf ihren noch zu stellenden Antrag hin auch eine entsprechende Pauschgebühr bewilligen werde. Dass der Senat in der Zwischenzeit (in neuer personeller Besetzung) zu einer gänzlich anderen Auslegung der unverändert fortgeltenden Vorschrift gelangen würde, konnte und musste die Beschwerdeführerin nicht vorhersehen. Diesem bei Bewilligung der Pauschgebühr unberücksichtigt geblieben Umstand ist nunmehr dadurch Rechnung zu tragen, dass der Staatskasse eine Rückforderung des über-zahlten Vorschusses aus Gründen der Billigkeit zu versagen ist.“

Ich habe mich also in dem Telefonat dammals geirrt. Aber: Ein schöner Irrtum. Denn mit der Entscheidung hätte ich nicht gerechnet. Es handelt sich zwar um einen Sonderfall, aber er geht in die richtige Richtung. Ich habe die Rechtsprechung der OLG, die ihre Rechtsprechung einfach mal so ändern, was dann zu Rückforderungen zwar auch damals nicht für richtig gehalten. Aber: Es war nun mal so, gerade auch beim OLG Düsseldorf (vgl. Beschl. v. 17.12.2015 – III 3 AR 214/15). Dass Gegenwind aus dem eigenen Haus kommen würde, hätte ich nicht erwartet.

Was lernt man daraus:

  1. Auch Kommentatoren können irren.
  2. Nie aufgeben 🙂 .
  3. Aber auch: Entsprechende Anträge ggf. früh stellen bzw. abrechnen, dann kann eine Situation wie hier gar nicht erst entstehen.

Und: Gratulation an die Kollegin. Es handelt sich zwar um einen Sonderfall, aber trotzdem 🙂 .

Pflichti III: Anklage beim unzuständigen Gericht, oder: Auf dessen Zusagen darf man nicht vertrauen

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Und zum Schluss dann als dritte Pflichtverteidigungsentscheidung dann der LG Freiburg, Beschl. v. 28.08.2017 – 2 Qs 15/17 – mit folgender Konstellation: Die Sache war zunächst beim AG Freibrug angeklagt, das die Bestellung eines Pflichtverteidiger signalisiert. Die StA merkt dann, dass sie Anklage beim unzuständigen gericht erhoben hat und nimmt die Anklage zurück. Es wird dann neu angeklagt beim AG Waldkrich, das eine Pflichtverteidigerbestellung ablehnt.Die Beschwerde hat dann beim LG Freiburg keinen Erfolg:

„Die Voraussetzung einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 StPO liegen nicht vor.

Insbesondere erscheint eine notwendige Verteidigung auch nicht wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder der Schwere der Tat geboten (§ 140 Abs. 2 StPO). Die Anklagevorwürfe, sind sie deliktstypisch auch mehrere an der Zahl, sind einfach gelagert. Die Beweislage erscheint nach Aktenlage nicht schwierig. Es ist auch ansonsten nicht ersichtlich und vorgetragen, dass sich der Angeschuldigte etwa wegen Einschränkungen der Schuldfähigkeit o.ä. – nicht selbst verteidigen könnte. Bei vorläufiger Würdigung nach Aktenlage droht auch keine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr; weist das Bundeszentralregister auch viele Eintragungen vornehmlich wegen Verfehlungen als Jugendlicher und Heranwachsender auf.

Eine Verteidigung ist auch nicht aufgrund zwingender Vertrauensschutzgesichtspunkte oder Grundsätze des fairen Verfahrens notwendig. Die Staatsanwaltschaft hat im Falle mehrerer örtlich zuständiger Gerichte grundsätzlich ein Wahlrecht, bei welchem Gericht sie Anklage erhebt. Vor Eröffnung kann sie die Anklage jederzeit zurücknehmen. Schützenswerte Vertrauensgesichtspunkte des Angeklagten sind insoweit grundsätzlich nicht berührt. Der Gewährung rechtlichen Gehörs bedurfte es insofern nicht. Allein die Absichtserklärung des Amtsgerichts Freiburg, einen Pflichtverteidiger bestellen zu wollen, kann auch noch kein berechtigtes Vertrauen begründen, dass ein solcher tatsächlich bestellt wird, zumal sämtlichen Verfahrensbeteiligten – insbesondere auch der Staatsanwaltschaft – insofern zuvor noch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss und vorliegend wurde. Die Staatsanwaltschaft ist der Bestellung eines Pflichtverteidigers entsprechend auch entgegen getreten. Und schließlich ist auch nicht erkennbar, dass Anklagerücknahme und Neuanklage bei einem anderen Gericht willkürlich zum Zwecke der Umgehung der vom Amtsgericht Freiburg zunächst beabsichtigten Pflichtverteidigerbestellung erfolgten. Der Schwerpunkt der Anklagevorwürfe liegt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Waldkirch. Vor diesem Hintergrund erfolgten laut Aktenvermerk auch die Zurücknahme der Anklage beim Amtsgericht Freiburg und die Neuanklage beim Amtsgericht Waldkirch zeitlich noch vor dem Antrag des Verteidigers auf seine Bestellung als Pflichtverteidiger.“

Dürfte so wohl zutreffend sein.

Nochmals: Auch Auslandstaten führen zum Bewährungswiderruf…..

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Und zum Abschluss des Tages dann noch mal einen OLG-Beschluss zur Frage, ob eine Auslandstat Grundlage für einen Bewährungswiderruf sein kann. Das OLG Hamm sagt im OLG Hamm, Beschl. v. 10.05.2016 – 3 Ws 157/16: Ja (so auch schon der OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.02.2016 – 1 Ws 5/16 und dazu Aufgepasst: Auch Auslandstaten führen zum Bewährungswiderruf..).

Und weil es so eindeutig ist dann hier nur die Leitsätze der Entscheidung des OLG Hamm, das auch zur Frage des Vertrauensschutzes Stellung nimmt:

  1. Die Verurteilung durch ein österreichisches Gericht aufgrund von in Österreich begangener Straftaten kann den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung im Inland rechtfertigen.
  2. Die Herausbildung des Vertrauens, der Widerruf einer Strafaussetzung werde unterbleiben, ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten in der Justiz berücksichigen muss.
  3. Ein Zeitablauf von nur sechs Monaten zwischen dem Ablauf der Bewährungszeit und der Entscheidung über den Widerruf kann einen Vertrauenstatbestand noch nicht begründen.

Pflichti II: Wegfall der „Waffengleichheit“, oder: Vorgeschobene Entpflichtungsgründe?

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Nach dem in meinen Augen nicht so schönen LG Stendal, Beschl. v. 26.11.2015 – 501 AR 9/15 (vgl. dazu Pflichti I: Rückwirkende Beiordnung, oder „Hase und Igel“) einen Beschluss, der beim AG einen ebenfalls nicht so ganz schönen Anfang genommen hat. Das LG Hamburg hat es dann aber im LG Hamburg, Beschl. v. 04.11.2015 – 628 Qs 34/15 – „gerichtet“. Es handelt sich um ein Verfahren beim AG wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Dem ursprünglichen Mitangeklagten des Angeklagten, dem bei einer Verurteilung ein Bewährungswiderruf in einer anderen Strafsache gedroht hätte, hatte das AG einen Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies ist dann auch beim Angeklagten am ersten Hauptverhandlungstag geschehen. Am vierten Hauptverhandlungstag stellt das AG dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Mitangeklagten gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Dann setzt es die Hauptverhandlung mit der Vernehmung eines Zeugen fort. Nach dieser Vernehmung stellte Herr Pflichtverteidiger des verbliebenen Angeklagten drei Beweisanträge. Abschließend beraumte das AG einen weiteren Verhandlungstermin an, zu dem es sowohl den Angeklagten als auch seinen Pflichtverteidiger lud. Am nächsten Tag teilt das AG dann zum ersten Mal mit, es erwäge, die Beiordnung die Beiordnung des Pflichtverteidigers aufzuheben. Aufgrund der Einstellung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten sei der Grund der Beiordnung entfallen. Einige Tage später wird dann tatsächlich aufgehoben.

Das LG Hamburg ist „not amused“. Wenn man den Beschluss so liest, hat man den Eindruck, dass es dem AG die Beschlussbegründung – weitere Beiordnung nicht mehr erforderlich, da Gründe für die Waffengleichtheit weggefallen sind – nicht glaubt., sondern (auch) den Eindruck hat, dass es sich um vorgeschobene Gründe handelt, die vorgebracht wurden, um einen missliebigen, weil unbequemen Verteidiger – Stichwort: drei Beweisanträge –  aus dem Verfahren zu „schießen“:

„2. Ferner ist für die Kammer nicht feststellbar, dass die Aufhebung der Beiordnung tatsächlich allein durch das Ausscheiden des Mitangeklagten motiviert war.

Immerhin hat das Amtsgericht die Einstellung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten am 27.10.2015 nicht etwa zum Anlass genommen, sogleich eine Entpflichtung von Herrn Rechtsanwalt Dr. T. zu erwägen. Vielmehr hat es die Hauptverhandlung mit einer Zeugenvernehmung fortgesetzt, sodann einen weiteren Termin anberaumt und Herrn Dr. T. – der zuvor noch drei Beweisanträge gestellt hatte – zu diesem Termin geladen. Erst am Folgetag hat das Amtsgericht dann mitgeteilt, die Aufhebung der Beiordnung zu erwägen, und Gelegenheit zur eiligen Stellungnahme gegeben.“

Im Übrigen Bestätigung der „Vertrauensschutzrechtsprechung“ der Obergerichte, die sich in dem Leitsatz zusammenfassen lässt:

„Die Beiordnung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO gilt grundsätzlich für das gesamte Strafverfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss. Eine Aufhebung der Beiordnung ist daher nur zulässig, wenn das Vertrauen des Angeklagten auf die Beiordnungsentscheidung ausnahmsweise nicht schutzwürdig ist, weil sich die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben oder das Gericht von objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen ist.“

Der Kollege, der den Beschluss erstritten hat, wird sich nicht nur über die Entscheidung freuen, sondern sicherlich mit dem Mandanten auch die Frage der Befangenheit des Amtsrichters erörtern (§ 24 StPO). Mal sehen, ob wir von der Sache noch hören.

„Pflichti 3“: Vertrauensschutz? Ja, aber es muss auch etwas da sein zum Vertrauen

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Der KG, Beschl. v. 10.09.2013 – 4 Ws 116/13 –, den ich als dritten meiner Pflichtverteidigungsreihe vorstellen möchte (vgl. auch Klein aber fein, AG Backnang zum “Pflichti” bei Unfähigkeit der Selbstverteidigung) und “Pflichti 2?: Aussage-gegen-Ausage, dann Pflichtverteidiger, befasst sich mit der Frage des Vertrauensschutz im Recht der Pflichtverteidigung. Im entschiedenen Fall hatte das AG dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger bestellt, der Vorsitzende der Berufungskammer die Bestellung dann aber wieder aufgehoben. Dazu das KG:

„Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO gilt zwar grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es – abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 S. 1, 143 StPO – insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert (vgl. BGHSt 7, 69, 71; OLG Düsseldorf NStZ 2011, 653). Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es grundsätzlich unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. und StV 1995, 117, 118). Dies gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ 2011, a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 21. Oktober 1983 – 1 Ws 734/83, 1 Ws 842/83, 1 Ws 735/83, 1 Ws 736/83 – [juris]).

Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts ist jedoch dann nicht schutzwürdig, wenn sich die für die Anordnung der Pflichtverteidigung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben oder das Gericht von objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 2011 und StV 1995, jeweils a.a.O.). Dem steht es gleich, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat. Denn auch in diesem Fall kann sich ein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Entscheidung nicht bilden. Die Bestellung des Pflichtverteidigers erweist sich vorliegend als eine derart fehlerhafte Entscheidung….“

Also: Vertrauensschutz, ja aber es muss auch etwas da sein zum Vertrauen …..