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Strafzumessung II: Zulässiges Verteidigungsverhalten, oder: Strafschärfung erst bei Grenzüberschreitung

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Die zweite Strafzumessungsentscheidung kommt vom KG. Das äußert sich im KG, Beschl. v. 27.01.2020 – (2) 161 Ss 202/19 (47/19) zum Verteidigungsverhalten als  Strafschärfungsgrund.

Das AG hatte festgestellt, „dass der Angeklagte am 29. März 2019 um 22:36 Uhr in Berlin von seinem Mobiltelefon der Zeugin B. per Whats-App die Nachricht „Hole mir jeden Euro von dir persönlich zurück! Du asoziales Stück Scheiße“ übersandte. Die Nachricht war allerdings – wie die Zeugin B. sofort erkannte – vom Angeklagten für die Zeugin A. bestimmt, weshalb die Zeugin B. dieser die Nachricht weiterleitete und die Zeugin A. die Nachricht zur Kenntnis nahm.“

Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung verurteilt. Dagegen die Revision. Das KG hebt den Rechtsfolgenausspruch auf:

„2. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs erweist sich das angefochtene Urteil indes als fehlerhaft, weshalb es insoweit keinen Bestand haben kann.

a) Im Rahmen der Strafzumessung ist es ureigene Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Für die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessung bedeutet dies, dass im Hinblick auf den Spielraum des Tatrichters bei der Strafzumessung eine exakte Richtigkeitskontrolle zwar nicht möglich ist, Strafzumessungserwägungen die Revision jedoch dann auslösen können, wenn sie rechtsfehlerhaft sind. Das ist dann der Fall, wenn das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafrahmenwahl 1), der dem Urteil zugrunde gelegte Strafrahmen nicht nachvollziehbar ist oder wenn die für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgeblichen Leitgesichtspunkte (46 StGB) nicht richtig gesehen oder nicht zugrunde gelegt worden sind (vgl. BGHSt 15, 372, 375; BGHSt 27, 2, 3; BGHSt 29, 319, 320).

b) Der Rechtsfolgenausspruch erweist sich danach als rechtsfehlerhaft, da das Amtsgericht ein zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu seinem Nachteil berücksichtigt hat.

Ein zulässiges Verteidigungsverhalten darf dem Angeklagten nicht angelastet werden (vgl. Fischer, StGB 67. Aufl., § 46 Rn. 53 mwN). Das Amtsgericht hat jedoch zur Strafzumessung an hervorgehobener Stelle zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass dieser sich dahingehend verteidigt habe, die Nachricht sei nicht für die Geschädigte A., sondern „nur“ für die Zeugin B. bestimmt gewesen. Dies zeige, dass der Angeklagte keine sonderliche Unrechtseinsicht aufweise (vgl. UA S. 9). Sein Verteidigungsverhalten wird jedoch ausgehöhlt, wenn der Angeklagte befürchten muss, das Bestreiten der ihm konkret zur Last gelegten Tat – hier des Umstandes, dass Adressatin der Whats-App-Nachricht die Zeugin A. war – werde sich in einem eventuellen Strafprozess negativ auswirken (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30. Juli 2013 – III-5 RVs 59/13 – juris; Dahs, Die Revision im Strafprozess, 8. Aufl. Rn. 480 mwN).

Das Verteidigungsverhalten des Angeklagten hat vorliegend die Grenze zur Unzulässigkeit auch nicht überschritten. Ein solches Prozessverhalten straferhöhend heranzuziehen, wäre nur dann zulässig, wenn es Ausdruck von Rechtsfeindlichkeit wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2019 – 3 StR 231/19 – juris; Urteil vom 20. März 2013 – 5 StR 344/12 – juris; Beschluss vom 14. November 1995 – 4 StR 639/95 – juris; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 20; BGHR StGB 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 12). Gibt ein Angeklagter – wie im vorliegenden Fall – den äußeren Tathergang im Wesentlichen zu, beruft er sich aber auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 – 3 StR 219/10 – juris; Urteil vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82 – juris), darf dies nicht strafverschärfend berücksichtigt werden, weil er dadurch seine Verteidigungsposition gefährden müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 4 StR 320/18 – juris mwN). Ebenso wie der Angeklagte befugt ist, seine Taten zu leugnen, ist er befugt, seine Taten abzuschwächen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 8. Juli 2019 – [1] 53 Ss 22/19 [33/19] – juris). Die Grenze zulässigen Verteidigungsverhaltens wird erst dann überschritten, wenn sich hieraus eine Rechtsfeindschaft ableiten ließe. Dies ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund stellt sich der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts als fehlerhaft dar.“

Kleiner Anfängerfehler Strafzumessung: Bewertung des Verteidigungsverhaltens

Ich hatte ja bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Strafzumessung häufig (Anfänger-)Fehler gemacht werden. Um einen solchen handelt es sich jetzt auch, auf den der BGH in seinem Beschl .v. 06.07.2010 – 3 StR 219/10 hingewiesen hat. Dort heißt es kurz und trocken:

„Das Landgericht hat bei der Ablehnung eines minderschweren Falles und bei der konkreten Strafzumessung strafschärfend gewertet, der Angeklagte habe durch die wahrheitswidrige Behauptung, er sei vom Geschädigten grundlos mit einem Messer angegriffen worden und dessen Verletzungen seien bei seinen Abwehrbemühungen entstanden, diesen in unzulässiger Weise in Misskredit gebracht und damit die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens überschritten. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil unter den gegebenen Umständen in einem solchen Verteidigungsverhalten weder eine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende Ehrverletzung des Tatopfers noch eine rechtsfeindliche Gesinnung gesehen werden kann (BGH StV 1999, 536 f.).“

Diese „Argumentation“ ist für die Tatgerichte immer gefährlich.