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Einziehung III: Vermögensabschöpfung vor 1.7.2021, oder: Altes versus neues Recht

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann noch den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.05.2022 – 1 Ws 122/22. Der behandelt die Problematik: Wie ist das Verhältnis von § 459g Abs. 5 StPO a.F. zum ab 01.07.2021 neuen § 459g Abs. 5 StPO bei Vermögensabschöpfung vor dem 01.07.2021.

Der Verurteilte ist durch Urteil des LG vom 16.06.2021, rechtskräftig seit 26.06.2021, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Zugleich wurde die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 265.300 EUR angeordnet.

Mit Schreiben vom 30.08.2021 beantragte der Verurteilte, dass die weitere Vollstreckung hinsichtlich des die bisherige Sicherung übersteigenden Betrages gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. zu unterbleiben habe, da die Vollstreckung der durch Urteil des LG. angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei und auch gemäß § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO zu unterbleiben habe, da die Vollstreckung unverhältnismäßig wäre, da er suchtkrank sei, das ursprünglich Taterlangte weitgehend an Lieferanten abgeben hätte müssen und für seinen Lebensunterhalt und weitere Drogen ausgegeben habe. Der darüberhinausgehende Rest sei bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt und verwertet worden. Der Verurteilte verfüge über kein weiteres Vermögen mehr, sodass eine Entreicherung vorliege. Die Einziehungsentscheidung sei daher auf die sichergestellten Beträge zu beschränken.

Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag entgegen. Sie hat darauf verwiesen, dass seit dem 01.07.2021 die neue Fassung des § 459g Abs. 5 StPO gelte. Die vormalig erste Alternative „soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist“, sei im § 459g Abs. 5 StPO n.F. nicht mehr enthalten. Mithin könne sich der Antrag nicht mehr darauf stützen, dass der Verurteilte das ursprünglich Taterlangte an Lieferanten habe abgeben müssen oder dieses für seinen Lebensunterhalt oder gar weitere Drogen verbraucht habe und es deshalb nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden sei. Die nach der aktuellen Rechtslage für eine Anordnung nach § 459g Abs. 5 StPO n.F. erforderliche Voraussetzung einer für den Verfolgten unverhältnismäßigen Vollstreckung liege nicht vor. Nach der Inhaftierung sei in Bezug auf das beabsichtigte Studium mit finanziellen Mitteln zu rechnen, die in der Zukunft, ggf. unter Gewährung einer ratenweisen Zahlung, zur Tilgung der Einziehungsforderung führen könnten.

Das LG hat den Antrag des Verurteilten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es entscheidend darauf ankomme, welches Recht für die Beurteilung heranzuziehen sei. Zwar sei das Urteil am 18.06.2021 und damit noch vor der Gesetzesänderung erlassen (und rechtskräftig) geworden, jedoch sei der zugrundeliegende Antrag erst am 30.08.2021 und damit nach Gesetzesänderung gestellt worden. Für die rechtliche Beurteilung habe die Strafvollstreckungskammer auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt, denn zur rechtlichen Beantwortung komme es in der Strafvollstreckung gerade auf den Entscheidungszeitpunkt an. Eine Verletzung des Rückwirkungsverbots habe nicht gesehen werden können. Die Neuregelung des § 495g Abs. 5 StPO lasse keinen Spielraum für die vorgetragenen Argumente mehr zu.

Dagegen das Rechtsmittel, das beim OLG  Erfolg hatte. Das OLG hat angeordnet, dass die weitere Vollstreckung des mit Urteil des LG vom 18.06.2021, rechtskräftig seit 26.06.2021, angeordneten Verfalls von Wertersatz unterbleibt (§§ 459 g Abs. 5 Satz 1 a.F., 462 Abs. 1 Satz 1, 309 Abs. 2 StPO), da gem. § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 StGB § 459g Abs. 5 in der – zur Zeit der Beendigung der Tat – vom 29.12.2020 bis 30.06.2021 geltenden Fassung, als das mildeste Gesetz anzuwenden ist, und danach die Vollstreckung der Einziehungsanordnung zwingend zu unterbleiben hat, wenn – wie vorliegend auf hinreichender Tatsachengrundlage feststeht – der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist.

Wegen der Begründung verweise ich auf den Volltext. Hier der Leitsatz der Entscheidung:

Gemäß § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 StGB ist der mit Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. 2017 I S. 872) mit Wirkung zu, 1. Juli 2017 neu gefasste § 459g Abs. 5 StPO a.F. als gegenüber dem mit Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 (BGBl. 2021 I S. 2099) am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen § 459g Abs. 5 StPO n.F. milderes Gesetz anzuwenden, wenn die rechtswidrige Tat, aus welcher der Täter etwas erlangt hat, vor Inkrafttreten der Neufassung am 1. Juli 2021 beendet wurde.

Und man freut sich dann noch/doch über das „fürsorgliche“ OLG:

„Der Senat weist den Beschwerdeführer fürsorglich darauf hin, dass die Vollstreckung gem. § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO a. F. (die insoweit § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO n.F. entspricht) allerdings wiederaufgenommen werden kann, wenn nachträglich Umstände bekannt werden oder eintreten, die einer Anordnung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO entgegenstehen.“

Neue Vermögensabschöpfung, oder: „überragende Belange des Gemeinwohls“ rechtfertigen Rückwirkung

Und als zweite Entscheidung dann ein weiterer Beschluss des BVerfG, nämlich der BVerfG, Beschl. v. 10.02.2021 – 2 BvL 8/19.

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– Problematik: Ist eine strafrechtliche Vermögensabschöpfung auch bei bereits vor Inkrafttreten des Reformgesetzes zur Vermögesabschöpfung im Jahr 2017 verjährten Erwerbstaten zulässig bzw. mit dem Grundgesetz vereinbar?

Die Frage hatte der BGH mit BGH, Beschl. v. 07.03.2019 – 3 StR 192/18 – dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Dabei geht es insbesondere um die Regelung in § 316h Satz 1 StGB. Danach ist, wenn über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer Tat, die vor dem 1.7.2017 begangen worden ist, nach diesem Zeitpunkt entschieden wird, abweichend von § 2 Abs. 5 StGB die (neuen) Vorschriften der §§ 73 ff. StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (BGBl. I S. 872) anzuwenden.

Das BVerfG hat mit dieser Rückwirkung kein Problem und meint: Ausnahmsweise zulässig.

Das BVerfG hat dazu in seinem Beschluss viel geschrieben. Zu viel, um es hier im Einzelnen zu zitieren. Ich beschränke mich mal auf das, was in der PM des BVerfG zu dem Beschluss steht – Rest bitte im Volltext selbst lesen:

„2. Art. 316h Satz 1 EGStGB ist mit den im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar.

a) Die selbständige Einziehung von Taterträgen aus verjährten Erwerbstaten stellt eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte“ Rückwirkung) dar, soweit das neue Vermögensabschöpfungsrecht auf Sachverhalte anwendbar ist, in denen bei Inkrafttreten des Reformgesetzes bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war. Grundsätzlich ist eine „echte“ Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig. Eine Ausnahme ist anerkanntermaßen aber dann gegeben, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern. In diesen Fällen muss der Vertrauensschutz zurücktreten.

b) Die hier zu beurteilende „echte“ Rückwirkung ist durch solche überragenden Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt.

Der Gesetzgeber verfolgt mit der Anordnung in Art. 316h Satz 1 EGStGB das legitime Ziel, auch für verjährte Taten vermögensordnend zugunsten des Geschädigten einer Straftat einzugreifen und dem Täter den Ertrag seiner Taten – auch im Falle fehlender Strafverfolgung – nicht dauerhaft zu belassen. Dieses Ziel ist überragend wichtig. Durch die Vermögensabschöpfung soll sowohl dem Straftäter als auch der Rechtsgemeinschaft vor Augen geführt werden, dass eine strafrechtswidrige Vermögensmehrung von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird und deshalb keinen Bestand haben kann. Die Entziehung solcher strafrechtswidrig erlangter Werte soll die Gerechtigkeit und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken.

Demgegenüber steht die Vertrauensschutzposition der von der Einziehung von Taterträgen Betroffenen zurück. Die Bewertung eines bestimmten Verhaltens als Straftat ist die schärfste dem Gesetzgeber zur Verfügung stehende Form der Missbilligung menschlichen Verhaltens. Jede Strafnorm enthält somit ein mit staatlicher Autorität versehenes, sozial-ethisches Unwerturteil über die von ihr pönalisierte Handlungsweise. Daraus folgend wird dem Täter auch in vermögensrechtlicher Hinsicht der Schutz der staatlichen Rechtsordnung weitgehend vorenthalten. So ist gemäß § 134 BGB ein gegen ein gesetzliches Verbot verstoßendes Rechtsgeschäft grundsätzlich nichtig und kann über das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) rückabgewickelt werden. § 823 Abs. 2 BGB statuiert zudem bei Verstößen gegen individualschützende Strafgesetze einen umfassenden Schadensersatzanspruch des Geschädigten. Überdies lässt das Zivilrecht einen Eigentumserwerb zumindest im Bereich der Eigentumsdelikte kaum zu, da insbesondere der gutgläubige Erwerb durch Dritte gemäß § 935 BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist. Soweit durch Täuschung oder Drohung auf den Geschädigten eingewirkt wurde, bestehen zudem weitgehende Anfechtungsmöglichkeiten (§ 123 BGB).

Diese grundsätzliche gesetzgeberische Bewertung ändert sich durch den Eintritt der Verfolgungsverjährung hinsichtlich der Straftat nicht. Da der deliktische Erwerbsvorgang durch den Eintritt der Verfolgungsverjährung seitens der staatlich verfassten Gemeinschaft nicht nachträglich gebilligt wird, bleibt auch das auf diese Weise erworbene Vermögen weiterhin mit dem Makel deliktischer Herkunft behaftet. Die fortwährende Bemakelung von Vermögenswerten infolge strafrechtswidrigen Erwerbs stellt eine Ausprägung des allgemeinen Prinzips dar, dass das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte grundsätzlich nicht schutzwürdig ist.

Nicht schutzwürdig ist in derartigen Fällen nicht nur der bereicherte Straftäter selbst, sondern auch der Drittbereicherte, soweit dieser nicht gutgläubig eigene Dispositionen im Vertrauen auf die Beständigkeit seines Vermögenserwerbs getroffen hat. Das Vertrauen von Personen, die deliktisch erlangte Vermögenswerte in kollusivem Zusammenwirken mit dem Straftäter, als dessen Rechtsnachfolger, als von ihm Vertretene oder sonst ohne eigene schutzwürdige Vertrauensbetätigung erworben haben, ist nicht stärker zu schützen als das des Straftäters selbst. § 73b Abs. 1 StGB stellt dabei sicher, dass von der Vermögensabschöpfung keine in diesem Sinne schützenswerten Dritten erfasst werden.“

Einziehung, oder: Wenn die Voraussetzungen vorliegen, muss eingezogen werden

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In der 34. KW., dann zunächst zwei Entscheidungen zur Vermögensabschöpfung. Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 15.05.2018 – 1 StR 651/17, über den ich wegen der  Aussagen des BGH zu § 257 StPO bereits berichtet habe (vgl. Befragung des Angeklagten, oder: Der kluge Verteidiger baut vor und beanstandet…). Hier dann jetzt die Problematik zu den §§ 73 ff. StGB.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges verurteilt. Die Einziehung von Taterträgen oder deren Wertersatz ist durch das LG abgelehnt worden. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die beim BGH Erfolg hatte:

„II. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) rechtsfehlerhaft abgelehnt. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Anordnung der Wertersatzeinziehung selbst in der Höhe des Wertes der festgestellten Beuteschäden (Bargeld) abzusehen, obwohl beide Angeklagten nach den Feststellungen die ursprüngliche Beute in Gestalt von Bargeld und Wertgegenständen i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB durch die Tat erlangt (zu den Voraussetzungen etwa BGH, Urteil vom 29. Juni 2010 – 1 StR 245/09, NStZ 2011, 83, 85 mwN; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 73 Rn. 26 mwN; siehe auch BT-Drucks. 18/9525 S. 62) hatten, findet im einfachen Gesetzesrecht keine Stütze und ist verfassungsrechtlich nicht veranlasst.

1. Liegen die Voraussetzungen der Einziehung von Taterträgen (§ 73 StGB) oder – wie hier – der Einziehung des Wertersatzes von Taterträgen (§ 73c Abs. 1 StGB) vor, hat die Anordnung der entsprechenden Vermögensabschöpfung zu erfolgen (siehe nur Köhler NStZ 2017, 497, 498). Soweit nicht prozessual gemäß § 421 StPO verfahren worden ist, unterbleibt die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder seines Wertersatzes aus materiell-rechtlichen Gründen im Erkenntnisverfahren lediglich dann, wenn der (zivilrechtliche) Anspruch des Geschädigten bis zu dessen Abschluss erloschen ist (§ 73e Abs. 1 StGB) oder in den Fällen eines gutgläubigen Drittbegünstigten (§ 73b StGB) dessen Bereicherung weggefallen ist (§ 73e Abs. 2 StGB; dazu BT-Drucks. 18/9525 S. 69; näher Köhler/Burkhard NStZ 2017, 665, 674). Diese zum Ausschluss der Anordnung der Wertersatzeinziehung führenden Konstellationen sind auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen gerade nicht gegeben.

2. Das Unterbleiben der Anordnung der Wertersatzeinziehung konnte das Landgericht weder auf eine unmittelbare noch eine entsprechende Anwendung von § 459g Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 StPO stützen, ohne dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen der genannten Vorschrift ankommt.

a) § 459g StPO normiert ausschließlich die Vollstreckung von Nebenfolgen und damit gemäß § 459g Abs. 2 StPO auch diejenige der Wertersatzeinziehung. Im Erkenntnisverfahren gilt sie nicht.

b) Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung sind offensichtlich nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat eine bewusste Entscheidung dafür getroffen, abweichend vom früheren Recht, Härten, die im Einzelfall mit der Wertersatzeinziehung verbunden sein können, nicht bereits im Erkenntnisverfahren (§ 73c StGB aF), sondern erst im Rahmen der Vollstreckung zu berücksichtigen (vgl. Köhler NStZ 2017, 497, 500). Damit fehlt es von vornherein an einer planwidrigen Regelungslücke. Sowohl der Wegfall der Bereicherung als auch die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung werden durch § 459g StPO erfasst.

3. Verfassungsrechtlich ist eine Berücksichtigung des Wegfalls der Bereicherung oder einer sonstigen Unverhältnismäßigkeit der Einziehung des Wertes von Taterträgen jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation weder geboten noch in methodisch zulässiger Weise begründbar.

Die Anwendung des seit 1. Juli 2017 geltenden Rechts der Vermögensabschöpfung auf Sachverhalte, bei denen die die Einziehung auslösende Straftat bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung begangen worden ist (Art. 316h Satz 1 EGStGB), steht mit Verfassungsrecht in Einklang.

a) Ein Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG normierte strafrechtliche Rückwirkungsverbot ist damit nicht verbunden (BGH, Beschluss vom 22. März 2018 – 3 StR 577/17). Weder die Einziehung von Taterträgen noch die hier fragliche Wertersatzeinziehung sind Strafen oder weisen strafähnlichen Charakter auf (oben Rn. 40; BT-Drucks. 18/11640 S. 84; zum früheren Recht BVerfG aaO, BVerfGE 110, 1, 14 ff.).

b) Das allgemeine, im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnde Rückwirkungsverbot ist ebenfalls nicht beeinträchtigt, weil kein schutzwürdiges Vertrauen auf strafrechtswidrig geschaffene Vermögenslagen erfassende gesetzliche Regelungen besteht (BT-Drucks. 18/11640 S. 84).

Im Übrigen berücksichtigt das neue Recht bereits auf der Ebene der Anordnungsvoraussetzungen – insoweit teilweise abweichend von der früheren Regelung – Aufwendungen des Tatbeteiligten zu dessen Gunsten bei der Bestimmung der Höhe der abzuschöpfenden Wertersatzeinziehung und zieht den Wegfall der Bereicherung sowie die Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung angeordneter Einziehungen als Gründe dafür heran, dass aufgrund gerichtlicher Entscheidung die Vollstreckung unterbleibt (§ 459g Abs. 5 StPO). …..“

Vermögensabschöpfung neu, oder: Rechtsmittelbeschränkung und Rückwirkung

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, kommt vom OLG Köln. Das OLG Köln, Urt. v. 23.01.2018 – 1 RVs 274/17 – betrifft Fragen, die mit dem seit dem 1.7.2017 neuen Recht der Vermögensabschöpfung (§§ 73 ff. StGB) zu tun haben.

Das AG hat die Angeklagte wegen Betruges in 17 Fällen verurteilt. Dem lagen in allen Fällen Warenangebote auf Internetplattformen zugrunde, zu deren Erfüllung die Angeklagte weder willens noch in der Lage war. Sie erzielte auf diese Weise insgesamt einen gegenleistungsfreien Betrag von 2.485,– EUR wovon sie einen – allerdings von ihr nicht bezifferbaren – Teil bereits zurückgezahlt hatte. Das AG hat in seinem Urteil keine Entscheidung über Anordnung der Einziehung des (Wertes des) Tatertrags getroffen hat. Dagegen richtet sich die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft, die sie auf die Frage der unterbliebenen Einziehungsentscheidung beschränkt hat. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das OLG hat zunächst die Beschränkung der Revision der StA als wirksam angesehen:

„Wirksam ist aber auch die erklärte Beschränkung auf die unterbliebene Einziehungsentscheidung. Für den Verfall gemäß § 73 StGB in der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung war in der Rechtsprechung anerkannt, dass dessen Anordnung und die Verhängung der Strafe grundsätzlich unabhängig voneinander sind und nicht in einer inneren Wechselwirkung stehen. Strafe und Verfallsanordnung können jeweils isoliert mit Rechtsmitteln angefochten werden (BGH NJW 2002, 2257 [2258 f.]; BGH NStZ-RR 2005, 104; Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 73 Rz. 41). Da sich – worauf zurückzukommen sein wird – am fehlenden Strafcharakter der an die Stelle des Verfalls getretenen Einziehung (des Wertes) des Tatertrags gemäß §§ 73, 73c StGB in der aufgrund des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872 ff.) seit dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung nichts geändert hat, ist auch für den neuen Rechtszustand grundsätzlich von einer Trennbarkeit auszugehen (s. insoweit auch BGH NStZ-RR 2017, 342 [343 f.])…..“

Das AG-Urteil leidet zudem an einem „Erörterungsmangel“

„…..Das Tatgericht hat rechtsfehlerhaft von einer Prüfung der Voraussetzungen einer Einziehung des (Wertes des) Tatertrags gemäß §§ 73, 73c StGB n. F. abgesehen.

Durch das bereits genannte Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ist dieses Rechtsinstitut grundlegend umgestaltet worden. Gemäß § 73 Abs. 1 StGB n. F. ordnet das Gericht die Einziehung dessen an, was der Täter aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat. Mit dieser Neuregelung ist namentlich die vorherige Einschränkung in § 73 Abs. 1 S. 2 StGB in Fortfall gekommen, wonach eine Verfallanordnung unterblieb, wenn und soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen war, welcher dem Täter im Erfüllungsfall den Wert des aus der Tat Erlangten entzog (vgl. dazu Trüg NJW 2017, 1913). Die Opferentschädigung ist nunmehr in das Vollstreckungs- oder das Insolvenzverfahren verlagert (Köhler/Burkhard, NStZ 2017, 665 [680]). Gemäß § 73c S. 1 StGB n. F. (entsprechend § 73a StGB S. 1 a. F.) ordnet das Gericht die Einziehung eines dem Wert des Erlangten entsprechenden Geldbetrages an, wenn dessen (physische, vgl. Köhler NStZ 2017, 497 [498 f,]) Einziehung wegen dessen Beschaffenheit oder aus einem anderen Grund nicht möglich ist. Letzteres kommt namentlich im Falle des Verbrauchs des Erlangten in Betracht (zum neuen Recht: Fischer, StGB, 65. Auflage 2018, § 73c Rz. 5; zum alten Recht: Schönke/Schröder-Eser, StGB, 29. Auflage 2014, § 73a Rz. 5).

Hier hat die Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen einen Gesamtschaden von 2.485,– € verursacht; dieser Betrag ist im Grundsatz (vgl. § 73d StGB n. F.) mit dem (Wert des) Erlangten identisch. Ausgehend von dieser Feststellung hätte sich das Tatgericht zu einer Erörterung der Voraussetzungen der §§ 73 ff. StGB n. F. gedrängt sehen müssen. Soweit Rückzahlungen erfolgt sind, wäre hierbei § 73e Abs. 1 StGB n. F. zu beachten gewesen (vgl. dazu Köhler a.a.O. S. 500). Eine Entscheidung über den Verfall nach altem Recht (vgl. § 316h S. 2 EGStGB) ist nicht getroffen.“

Und: Kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot:

§§ 73, 73c StGB n. F. sind auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar, obwohl die Anlasstaten im Zeitraum bis Oktober 2016 begangen worden sind, das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung aber erst mit Wirkung ab dem 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist. Abweichend von der Regelung des § 2 Abs. 5 StGB bestimmt nämlich Art. 316h S. 1 EGStGB, dass in solchen Verfahren, in welchen nach dem 1. Juli 2017 über die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages wegen einer vor dem 1. Juli 2017 begangenen Tat entschieden wird, die durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 bewirkte Neuregelung anzuwenden ist. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, da das Tatgericht am 7. Juli 2017 entschieden hat.“

Mit den letzten Ausführungen schließt sich das OLG der h.M. in der Rechtsprechung an., nämlich u.a. wie das BGH, Urt. v. 05.09.2017 – 1 StR 677/16, OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, anders: LG Kaiserslautern, Beschl. v. 20.09.2017 – 7 KLs 6052 Js 8343/16 (3). Das OLG zitiert ein paar Entscheidungen mehr, u.a. einen „KG, Beschl. v. 01.02.2017 – 161 Ss 146/17“. Den kann ich aber nicht finden. Und es zitiert: „OLG Celle NJW 2017, 3731“. Die gibt es (auch) nicht. Gemeint ist da der vorstehend angeführte „OLG Stuttgart“-Beschluss. Aber sonst ist alles ok. 🙂

Nachtrag: 28.03.2018 – 15.18 Uhr: Die o.a. Unstimmigkeiten hatte ich mit dem 1. Strafsenat des OLG Köln „erörtert“. Und die Anwtort kam fix: Bei dem Beschluss des KG handelt es sich um den „KG, Beschl. v. 01.12.2017 – 161 Ss 148/17„. Kann passieren. Besten Dank nahc Köln für die schnelle Reaktion.

170.000 € in der Kühltruhe „gespart“, oder: Dinglicher Arrest/Vermögensabschöpfung

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Und auch die letzte Entscheidung des heutigen Tages habe ich gestern erst erhalten. Es ist der schon etwas ältere LG Landau, Beschl. v. 11.05.2017 – 3 Qs 28/17 u. 29/17. Ich weise darauf hier besonders hin, weil es um Vermögensabschöpfung nach altem Recht geht. Das voarb und damit nicht irgendein „Schlauberger“ moniert, dass das LG noch von Verfall usw. die Rede ist. Und auch § 111d StPO a.F. gibt es so nicht mehr.

In der Sache geht es um die Anordung und Erweiterung eines dinglichen Arrests. Mit Beschluss des AG vom 17.03.2017 war der dingliche Arrest in das Vermögen der Beschuldigten in Höhe von 100.000 € angeordnet worden. Hintergrund war die Anzeige der Geschädigten pp., dass die Beschuldigte eine Plastikdose mit 100.000,00 € aus der in der Garage befindlichen Gefriertruhe entwendet haben soll. Als Tatzeitraum wurde Sommer 2016 bis 05.03.2017, dem Tag des Auszugs der Beschuldigten aus der im 1. OG des Anwesens der Geschädigten befindlichen Mietwohnung, angenommen. Mit Beschluss vom 22.03.2017 wurde der zu sichernde Betrag auf 170.000 € erhöht, nachdem die Geschädigte telefonisch mitgeteilt hatte, dass sie einen Zettel gefunden habe, auf dem vermerkt sei, dass sie am 01.03.2015 das Geld gezählt habe und es sich um 170.000 € gehandelt habe. Darüber hinaus ergaben die Ermittlungen, dass die Beschuldigte ab Oktober 2016 insgesamt 158.550 € Bargeld auf ihre Konten eingezahlt hatte.

Dagegen die Beschwerde der Beschuldigten, die beim LG Erfolg hat: Das LG sagt: Derzeit liegen die Voraussetzungen für die Anordnung des dinglichen Arrestes gem. § 111d StPO nicht vor.

„Der dingliche Arrest setzt voraus, dass der einfache Verdacht einer Straftat besteht und Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass in dem Urteil der Verfall oder die Einziehung von Wertsachen angeordnet wird. Das Gericht hat dabei eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der es die Belange des Opferschutzes, aber auch die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Verletzten, seine Rechte selbst durchzusetzen, die Schwere des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht der Beschuldigten insbesondere nach Höhe und voraussichtlicher Dauer des Arrests, den konkreten Verdachtsgrad und die Schadenshöhe zu berücksichtigen hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 111d Rn, 4). Der Verdacht einer Straftat darf sich vorliegend im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs durch Beschlagnahme des gesamten Geldvermögens der Beschuldigten nicht allein auf eine bloße Möglichkeit, vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen stützen. Darüber hinaus unterliegt die Anordnung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wobei es einer besonders sorgfältigen Prüfung und Darlegung der maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen bedarf, wenn dadurch nahezu das gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis der Beschuldigten entzogen wird, wie dies vorliegend der Fall ist.

Beim derzeitigen Ermittlungsstand liegen die Voraussetzungen für die Anordnung des dinglichen Arrests nicht vor:

Der Verdacht eines von der Beschuldigten begangenen Diebstahls begründet sich allein darauf, dass die Geschädigte beanzeigt hat, dass die Beschuldigte – ihre ehemalige Mieterin eine Plastikdose mit mindestens 100.000,00 €, wenn nicht sogar 170.000 €, aus ihrem Versteck aus der Gefriertruhe in der Autogarage entwendet haben soll, und dass die Finanzermittlungen ergeben haben, dass die Beschuldigte seit Oktober 2010 insgesamt 158.550,00 € bar auf zwei Konten  eingezahlt hat, wobei 96.000,00 € in 500 €-Scheinen eingezahlt worden sein sollen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich in der Kühltruhe der Geschädigten tatsächlich soviel Bargeld befunden hat und dass es sich bei dem von der Geschädigten eingezahlten Bargeld um genau dieses Geld handelt, bestehen nicht.

Zum einen ist bereits unsicher, wieviel Geld tatsächlich abhanden gekommen sein soll. Ursprünglich gab die Geschädigte an, dass es sich um „etwas mehr als 100.000 €“ gehandelt habe. Später will sie einen Zettel gefunden haben, aus dem hervorgeht, dass sie bei einer Zählung am 1.3.2015 ein Ergebnis von 170.000 € ermittelt haben will, wobei insoweit wiederum nicht ermittelt wurde, ob seit diesem Zeitpunkt Geld entnommen oder hinzugefügt wurde. Des Weiteren muss die Aussage der Geschädigten hinsichtlich dieser Differenz von 70.000 € kritisch hinterfragt werden, da bei dieser Größenordnung ein Irrtum eher fernliegend erscheint. Man mag sich bei diesen Geldbeträgen um einige tausend Euro irren, aber es erscheint lebensfremd, dass man sich über einen Betrag von 70.000,00 € irrt.

Zum anderen ist bisher nicht ansatzweise aufgeklärt worden, wer überhaupt Zugang zu der Gefriertruhe hatte. Bei dem Versteck handelt es sich um kein besonders originelles Versteck. Jede Person, die berechtigt oder unberechtigt Zugriff auf die in der Garage stehende Gefriertruhe hatte, hatte die Möglichkeit – auch zufällig – auf die Plastikdose mit dem Geld zu stoßen und diese an sich zu nehmen, zumal die Geschädigte das Geld im Spätjahr 2016 zuletzt gesehen haben will, sodass sich der Tatzeitraum auf mindestens ein halbes Jahr erstreckt, in dem das Geld verschwunden sein kann. Des Weiteren ist nicht geklärt, in welcher Stückelung sich das Geld in der Dose befunden haben soll, sodass derzeit nicht nachprüfbar ist, ob sich die entsprechende Geldmenge aufgrund ihres Volumens überhaupt in der Dose, deren Größe ebenfalls nicht bekannt ist,  befunden haben kann und ob es sich bei dem von der Beschuldigten eingezahlten Bargeld um  dieses Geld gehandelt haben kann, nachdem die Beschuldigte 96.000 € in 500 €-Scheinen eingezahlt haben soll, was einer Stückzahl von 192 Scheinen entspricht.

Daneben ist zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte durch ihren Verteidiger durchaus plausibel und plastisch vortragen lässt, woher sie selbst soviel Bargeld gehabt haben will, das sie ebenso wie die Geschädigte – nicht auf einem Konto, sondern teils zuhause in einem Koffer, teils ab einem bestimmten Zeitpunkt in einem Bankschließfach, dessen Existenz durch die Finanzermittlungen belegt wird, verwahrt haben will. Bei der Frage, ob die Beschuldigte in der Lage war,  entsprechende Beträge anzusparen, allein auf die aktuelle Rente der Beschuldigten abzustellen, greift zu kurz, da nicht ermittelt wurde, ob die Beschuldigte nicht in ihrer Zeit vor Eintritt in das Rentenalter hätte Rücklagen bilden können. Darüber hinaus bietet die Einlassung der Beschuldigten eine Vielzahl von Ermittlungsansätzen, woher das von der Beschuldigten eingezahlte Bargeld stammen kann, denen nachzugehen sein wird.

Im Hinblick auf die schwachen Verdachtsmomente, die gegen die Beschuldigte sprechen, steht die Anordnung des dinglichen Arrests beim aktuellen Ermittlungsstand jedenfalls außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht der Beschuldigten, die durch die Maßnahme in eine wirtschaftliche Notlage gebracht wurde. „

In der Sache m.E. zutreffend. Und der „Aufbewahrungsort“ „Kühltruhe“. ich habe nicht geglaubt, dass es so etwas gibt….