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OWi II: Einstellung in der HV wegen Verjährung, oder: Auslagenentscheidung mal wieder nicht begründet

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Im zweiten OWi-Posting dann ein Beschluss des AG Augsburg, der zumindest in einem Punkt sehr gut zu dem vorhin vorgestellten BVerfG, Beschl. v. 27.09.2024 – 2 BvR 375/24 – passt dazu: OWi I: Keine Begründung der Auslagenentscheidung, oder: Weiß man es nicht oder man will nicht?).

Gegen den Betroffenen ist ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen worden. Das AG hat das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO. Die Kosten des Verfahrens hat es der Staatskasse auferlegt, es hat aber davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerle-gen.

Zur Einstellung führt das AG im AG Augsburg, Beschl. v. 26.07.2024 – 45 OWi 605 Js 107352/24  – aus:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO.

Die vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit vom 14.10.2023 war bereits bei Eingang der Akten bei Gericht 22.02.2024 verjährt.

Weder die mit Verfügung vom 26.10.2023 angeordnete Anhörung des Betroffenen, noch der Bußgeldbescheid vom 04.12.2023 waren geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.

Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass das Tatgeschehen hinreichend konkretisiert, also einwandfrei klar ist, welcher Lebensvorgang dem Betroffenen vorgehalten wird und dieser von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen Sachverhalten unterscheidbar ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Sowohl in der Anhörung als auch im Bußgeldbescheid ist als Tatort „Gersthofen, A8 West, Ri München, Abschnitt 340″ angegeben. Eine konkretisierende Kilometerangabe oder ein markanter Punkt wie eine Ausfahrt, ein Rastplatz o.Ä., ist nicht genannt.

Auch ergibt sich der markante Punkt nicht aus den Lichtbildern, da dem Betroffenen im Anhörungsbogen und im Bußgeldbescheid nur der vergrößerte Ausschnitt des Fahrerlichtbilds übersandt wird.

Ausweislich der Mitteilung der VPI Augsburg (BI. 58 d.A.) beträgt die Länge des Abschnitts 340 2,5 km.

Vorliegend war mithin die Tat – zumindest hinsichtlich des Begehungsortes- nicht so genau bezeichnet, dass sie sich als unverwechselbar mit anderen denkbaren Taten desselben Täters dar-stellt und ein Bewusstsein des Täters für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann. Gerade Verkehrsverstöße, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde präzise konkretisiert werden (Vgl. BGH, Beschliss vom 08.10.1970- 4 StR 190/70, NJW 1970, 2222).

Der Betroffenen hatte somit keine Möglichkeit festzustellen, an welchem Tatort auf der 2.5 km langen Strecke die ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung begangen worden sein soll.

Weder die Anhörung noch der Bußgeldbescheid sind mangels hinreichender Bestimmtheit geeignet, die Verjährung zu unterbrechen.“

Dem kann man noch folgen, obwohl die Rechtsprechung in ähnlichen Fällen nicht ganz einheitlich ist.

Weiter heißt es dann:

„Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464, 467 Abs. 1 und 3 StPO.

Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls wird daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.“

Und da ist m.E. die Auslagenentscheidung des AG falsch. M.E. hätten auch die notwendigen Ausla-gen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden müssen. Das AG geht offensichtlich von einem Fall des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO aus; eine Vorschrift, die der Entscheidung zugrunde liegt, wird nicht genannt. Insoweit ist zunächst zu beanstanden, dass das AG seine Ermessensentscheidung nicht bzw. nicht ausreichend begründet. Die „Begründung“ des AG erschöpft sich in dem Satz „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Ein-zelfalls wurde daher davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staats-kasse aufzuerlegen.“ Das ist zur Begründung der Ermessensentscheidung aber nicht ausreichend (vgl. zur Begründung zuletzt eben der o.a. BVerfG, Beschl. v. 27.9.2024 – 2 BvR 375/24; siehe auch noch VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.5.2024 – Vf. 22-IV-23, VRR 9/2024, 29; LG Wiesbaden, Beschl. v. 7.6.2024 – 2 Qs 47/24, VRR 9/2024, 32; alle auch hier im Blo vorgestellt). Das AG muss schon im Einzelnen darlegen, warum es vom Regelfall des § 467 Abs. 1 StPO abweicht. Dazu reicht m.E. die „Begründung“ des AG „Unter Würdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalls…“ nicht aus. Das ist keine auf den Einzelfall bezogene Begründung, der entnommen werden könnte, welche Umstände, denn nun dazu geführt haben, dass der Betroffene seine notwendigen Auslagen selbst tragen muss. Es fehlt vor allem auch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der „Fehler“, der zum Verjährungseintritt geführt hat, hier – nach der Rechtsauffassung des AG – eindeutig bei der Verwaltungsbehörde gelegen hat, die weder in der Anhörung noch im Bußgeldbescheid eine ausreichende Tatortangabe mitgeteilt hat. Eine sofortige Beschwerde hätte insoweit also ggf. Erfolg gehabt. Allerdings kann man sich da in Bayern nicht so sicher sein 🙂 .

OWi I: Bußgeldbescheid mit falscher Tatortangabe, oder: Ermittlungsfehler der Polizei ==> Einstellung?

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Heute am „Tag der deutschen Einheit“ gibt es hier OWi-Entscheidungen. Es handelt sich weitgehend um Entscheidungen des KG. Das hatte jetzt mal wieder geliefert. Ich beschränke mich bei den Entscheidungen aber auf die Leitsätze. Grund: Die Entscheidungen sind zum Teil schon etwas älter oder es gibt zu den angesprochenen Fragen nichts Neues.

ich beginne hier mit Entscheidungen zum Bußgeldbescheid und  mit einer Entscheidung zur Verjährung, die in den Kontext passt. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

1. Die falsche Angabe zum Tatort beeinträchtigt weder die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids noch der Verjährungsunterbrechung, wenn der richtige und der falsche Tatort nahe beieinanderliegen und für den Betroffenen der wahre Tatort auch deshalb ohne weiteres erkennbar ist, weil er sogleich nach der Verkehrsordnungswidrigkeit von Polizeibeamten angehalten worden ist und sich ihnen gegenüber zu der Zuwiderhandlung äußern konnte.

2. Die Verfahrensrüge der Verletzung der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 265 StPO bzw. des Art. 103 Abs. 1 GG bedarf der Darlegung, wie sich der Betroffene anders verteidigt hätte, wenn er auf den veränderten Gesichtspunkt (hier: Tatort) förmlich hingewiesen worden wäre. 

1. Geht die behördliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen auf den Fehler eines einzelnen Polizeibeamten zurück (hier: fehlende Notierung eines Hausnummernzusatzes bei den Personalien des Betroffenen), so ist dieser der Verwaltungsbehörde grundsätzlich zuzurechnen (nicht tragend).

2. Fällt dem Polizeibeamten ein lässlicher und bei massenhafter Bearbeitung unausweichlich vorkommender Flüchtigkeitsfehler und nicht eine willkürliche Sachbearbeitung im Sinne einer sog. Scheinmaßnahme zur Last, so besteht kein Anlass, die verjährungsunterbrechende Wirkung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG) zu suspendieren (entgegen OLG Hamm NZV 2005, 491 und OLG Brandenburg NZV 2006, 100).

So und an einem OWi-Tag natürlich <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, in dem die Fragen, zu denen es heute Entscheidungen gibt. Das Buch kann man übrigens zusammen mit Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2023, in einem „Paket“, dem sog. Verkehrsrechtspaket bestellen. Zur Bestellung geht es dann hier. <<Werbemodus aus>>.

OWi III: Verjährungsunterbrechung durch Anhörung?, oder: Anordnung eines Druckauftrags

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Und dann zum Tagesschluss noch der AG Dortmund, Beschl. v. 11.05.2023 – 729 OWi-265 Js 838/23-63/23 – zur Verjährungsunterbrechung (§ 33 OWiG). Der Sachverhalt ergibt sich aus den Beschlussgründen:

„Gegen den Betroffenen ist am 14.03.2023 ein Bußgeldbescheid erlassen worden, gegen den er rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Die weitere Verfolgung der Ordnungswidrigkeit ist ausgeschlossen, weil inzwischen Verjährung eingetreten ist. Die Tat wurde begangen am 10.12.2022. Der Bußgeldbescheid wurde nicht innerhalb der maßgeblichen 3-Monats-Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG, sondern erst am 14.3.2023  erlassen.

Eine zwischenzeitliche Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 OWiG kam lediglich durch Anhörung in Betracht. Hierzu finden sich in einer Datenübersicht Bl. 4 d.A. drei Eintragungen, die einer Anhörung möglicherweise zuzuordnen sein könnten:

  1. 12.2022 Druckauftrag „Anhoer“

19.1.2023 Druckauftrag „AnhFErm“

13.2.2023 Druckauftrag „Anhoer“

Ein Druckauftrag kann insoweit zwar u.U. als maßgebliche Unterbrechungshandlung ausreichen (vgl. OLG Hamm SVR 2005, 438; Krenberger/Krumm, OWiG, § 33 Rn. 25). Für keinen dieser Druckaufträge findet sich aber in der Akte ein Schriftstück oder eine andere Art der Dokumentation, was Gegenstand und Inhalt des jeweiligen Druckauftrags oder wer Adressat des möglicherweise erstellten Schriftstücks war. Nicht einmal ist klar, ob mit „Anhoer“ überhaupt eine Anhörung des Betroffenen im OWi-Verfahren gemeint ist. Da eine Unterbrechungshandlung vor Erlass des Bußgeldbescheides also nicht festgestellt werden konnte, war das Verfahren wegen Verjährung gem. §§ 206a StPO, 46 OWiG einzustellen.   Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 46 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.“

OWi II: Die Zustellung ohne Vollmachtsnachweis, oder: Das reicht auch nach neuem Recht nicht

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Und dann die zweite Entscheidung, und zwar der LG Meiningen, Beschl. v. 23.01.2023 – 6 Qs 240/22. Schon etwas älter, ist aber jetzt erst „rein gekommen“.

Der Beschluss behandelt mal wieder eine Verjährungsfrage, und zwar Zustellung des Bußgeldbescheide an den Verteidiger, der keine Vollmacht vorgelegt hatte. Insofern enthält die Entscheidung nichts Neues, aber: Interessant sind die Ausführungen des LG zur Neufassung des § 51 Abs. 4 OWiG:

„Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage. Die Kammer teilt die Auffassung des Erstgerichts und tritt den Gründen der angefochtenen Entscheidung bei.

Das Amtsgericht pp. hat zutreffend festgestellt, dass der Verfolgung der Tat deren Verjährung entgegensteht, § 31 Abs. 1 S. 1 OWiG.

Die dreimonatige Verjährungsfrist aus § 26 Abs. 3 HS 1 StVG, die am 17.09.2021 zu laufen begonnen hat, wurde nur durch die Anhörung des Betroffenen am 05.10.2021 gern. § 33 Abs. 1 Ziff.1, Abs. 2 OWiG unterbrochen. Mit der Folge, dass nun das Ende der Verjährungsfrist auf den 05.01.2022 fiel.

Eine Unterbrechung durch Zustellung des Bußgeldbescheides fand indes nicht statt. Dieser. wurde durch die Bußgeldbehörde nur an den Verteidiger – nicht aber an den Betroffenen – zugestellt. An den gewählten Verteidiger kann gem: § 51. Abs. 3 S. 1 OWiG nur dann wirksam zugestellt werden, wenn dessen Bevollmächtigung nachgewiesen ist und zwar mindestens durch die Übermittlung einer Kopie der Vollmacht durch den Verteidiger. Die reine Anzeige der Verteidigung mit Schreiben vom 12.10.2022 ist hierfür nicht ausreichend (OLG Saarbrücken Beschl. v. 29.4.2009 – Ss (Z) 205/2009 (37/09), BeckRS 2009, 23759, beck-online).

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ändert auch die Neufassung des § 51 Abs. OWiG nichts an dieser Einschätzung. Der Wahlverteidiger hat seine Bevollmächtigung nachzuweisen, § 53 Abs. 3 S. 1 OWiG. Zur Erleichterung der elektronischen Einreichung der Verteidigervollmacht wird nunmehr auf das Erfordernis des Vorliegens der (Original-)Vollmachtsurkunde bei den Akten verzichtet. Es genügt die elektronische Einreichung einer digitalen Kopie der Vollmachtsurkunde, vgl. § 53 Abs. 3 S. 2 OWiG (vgl. BR-Drs. 57/21, 38, 149, vgl. BeckOK OWiG/A. Bücherl, 36. Ed. 1.10.2022, OWiG § 51 Rn. 62). Spätestens zum Zeitpunkt der Ausführung der Zustellung muss die Bevollmächtigung nachgewiesen sein (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 129); liegt der Nachweis der Bevollmächtigung zu diesem Zeitpunkt nicht vor, so ist die Zustellung an den Verteidiger unwirksam (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1982, 375). Gelangt der Nachweis der Bevollmächtigung später zu den Akten, heilt dies den Mangel nicht (vgl. OLG Stuttgart Justiz 1983, 466; Göhler/Seitz/Bauer Rn. 44a, vgl. BeckOK OWiG/A. Bücherl, 36. Ed. 1.10.2022, OWiG § 51 Rn. 63).

Vorliegend liegen keine Umstände vor, die mit der erforderlichen Sicherheit darauf schließen lassen, dass der Verteidigung zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides zur Entgegennahme von Zustellungen für den Betroffenen ermächtigt war.

Zudem ist dem Amtsgericht beizupflichten, insofern es die Einschlägigkeit des § 26 Abs. 3 Hs. 3 StVG verneint (vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.1999, 4stR 453/99 – NJW 2000, 820 (821)).

Damit war zum Zeitpunkt der nächsten Unterbrechung mit Vorlage der Akten an das Amtsgericht Meiningen am 10.03.2022 bereits Verjährung eingetreten.“

Anmerkung: Soweit es im Beschluss an zwei Stellen „§ 53 OWiG“ heißt, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der auch im Originalbeschluss enthalten ist.

OWi III: Erlass eines zweiten Bußgeldbescheides, oder: Verjährung und Aufenthaltsermittlung

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Und zum Tagesschluss dann noch der AG Landstuhl, Beschl. v. 26.07.2022 – 2 OWi 4211 Js 8465/22, der sich mit Verjährungsfragen befasst.

Gegen den Betroffenen war wegen einer am 03.12.2021 begangenen Ordnungswidrigkeit ein Bußgeldverfahren anhängig. Das AG hat das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, weil Verfolgungsverjährung eingetreten ist. In der Akte haben sich zwei Bußgeldbescheide gegen denselben Betroffenen, die sich auf dieselbe Tat bezogen und die beide auf den 20.01.2022 datiert waren, jedoch teilweise einen unterschiedlichen Inhalt hatten (Anschrift des Betroffenen, Höhe der Auslagen und der Gesamtforderung), befunden.

Das AG hat das Verfahren eingestellt:

„1. Das Verfahren ist gem. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, weil ein unbehebbares Verfahrenshindernis vorliegt. Der Verfolgung der Tat steht die eingetretene Verfolgungsverjährung entgegen.

1.1 Tattag laut Bußgeldbescheid war der 03.12.2021.

Fraglich ist bereits, ob mit der am 18.01.2022 erfolgten Anhörung des Betroffenen überhaupt eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG bewirkt wurde. Denn die Verwaltungsbehörde erließ bereits am 20.01.2022, also zwei Tage nach Versendung der Anhörung an den Betroffenen (und damit deutlich vor Ablauf der diesem gesetzten Stellungnahmefrist von einer Woche), einen Bußgeldbescheid gegen ihn, sodass einiges dafür spricht, dass es sich bei der Anhörung, deren Ergebnis von der Verwaltungsbehörde nicht abgewartet wurde, um eine Scheinmaßnahme handelte, durch die die Verjährung nicht unterbrochen werden konnte (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 33 Rn. 10a m.w.N.).

Die Frage des Vorliegens einer Scheinmaßnahme kann aber im Ergebnis dahinstehen, da ungeachtet dessen in der Folge ohnehin Verjährung eingetreten ist.

1.2 Eine Verjährungsunterbrechung wurde nämlich nicht durch den Erlass oder die Zustellung eines Bußgeldbescheids bewirkt.

In der Akte finden sich zwei Bußgeldbescheide gegen denselben Betroffenen (Bl. 47 f. u. Bl. 69 f. d.A.), die sich auf dieselbe Tat beziehen und die ? was sich dem Gericht bereits im Ansatz nicht erschließt ? beide auf den 20.01.2022 datiert sind, jedoch teilweise einen unterschiedlichen Inhalt haben (Anschrift des Betroffenen, Höhe der Auslagen und der Gesamtforderung).

Mangels Zustellung des ersten Bußgeldbescheids (Bl. 47 f. d.A.) trat indes weder durch dessen Erlass noch durch dessen Zustellung eine Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG ein. Ebenso verlängerte sich die Verfolgungsverjährungsfrist durch den Erlass des Bußgeldbescheids nicht gem. § 26 Abs. 3 S. 1 2. Alt. StVG von drei auf sechs Monate, da die Fristverlängerung erst mit (wirksamer) Zustellung des Bußgeldbescheids eintritt (BGH, NZV 2000, 131 f.; OLG Bamberg, NJW 2006, 1078 (1079); OLG Brandenburg, Beschl. v. 04.12.2008, Az. 2 Ss (OWi) 121 Z/08 ? juris, Rn. 22), was vorliegend jedoch nicht erfolgte.

1.3 Der Verfahrensübersicht (Bl. 9 d.A.) ist zwar zu entnehmen, dass die Verjährung sodann am 02.02.2022 durch eine „vorläufige Verfahrenseinstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 OWiG und Aufenthaltsermittlung oder weitere Aufenthaltsermittlung nach vorläufiger Einstellung (Entscheidung Aufenthaltsermittlung vom 02.02.2022)“ unterbrochen worden sein soll, dies ist jedoch tatsächlich nicht der Fall.

Der Klammerzusatz „Entscheidung Aufenthaltsermittlung vom 02.02.2022“ lässt besorgen, dass die Verwaltungsbehörde rechtsirrig davon ausging, dass bereits in der bloßen Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung eine vorläufige Einstellung des Verfahrens i.S.d. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO mit verjährungsunterbrechender Wirkung zu erblicken sei. Indes kann eine Anordnung der Aufenthaltsermittlung durch die Verwaltungsbehörde nur dann zur Verjährungsunterbrechung führen, wenn sie nach vorläufiger Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen erfolgt. Aus dem Erfordernis, dass die vorläufige Einstellung des Verfahrens der Aufenthaltsermittlung vorangegangen sein muss, also im Zeitpunkt der Anordnung der Aufenthaltsermittlung noch andauern muss, folgt, dass es sich hierbei um eigenständige Entscheidungen handelt; namentlich impliziert die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung nicht auch die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Im Gegenteil verhält es sich sogar so, dass die Voraussetzungen für eine vorläufige Einstellung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO nicht vorliegen, wenn die Behörde davon ausgeht, den Aufenthalt zeitnah ermitteln zu können, da es dann an einer länger andauernden Abwesenheit des Betroffenen fehlt, wie sie § 205 StPO jedoch voraussetzt (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, § 205 Rn. 8; BeckOK-StPO/Ritscher, 43. Edition 2022, § 205 Rn. 4)). Die bloße Veranlassung von Aufenthaltsermittlungen ohne vorangegangene Einstellungsentscheidung reicht jedenfalls zur Verjährungsunterbrechung nicht aus (BayObLG VRS 62, 288; OLG Celle, BeckRS 2015, 17625 (Rn. 10 f.).

1.4 Selbst wenn man davon ausginge, dass in der entsprechenden Eintragung in der Übersicht über den Verfahrenslauf eine Einstellung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO zu erblicken wäre, wogegen allerdings neben dem Wortlaut des Klammerzusatzes auch der Umstand spricht, dass der geäußerte Wille der Unterbrechungshandlung durch die Sachbearbeiterin mit der erforderlichen Gewissheit aus der Akte ersichtlich sein muss (KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 33 Rn. 11), sodass jedenfalls zweifelhaft ist, ob eine Eintragung in der Übersicht über den Verfahrenslauf diese Voraussetzung überhaupt erfüllen kann, wäre gleichwohl zwischenzeitlich Verfolgungsverjährung eingetreten.

Entgegen der Auffassung der Verwaltungsbehörde unterbrachen nämlich weder der Erlass noch die Zustellung des zweiten Bußgeldbescheids (Bl. 69 f.d.A.) die Verjährung, da dieser nichtig ist und somit keine Rechtswirkungen entfalten kann. Grundsätzlich kann, solange ein Bußgeldbescheid existiert, aufgrund des Grundsatzes ne bis in idem wegen derselben Tat kein zweiter Bußgeldbescheid erlassen werden (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, § 65 Rn. 24). Im vorliegenden Fall existierte, in Gestalt des (ersten) Bescheids vom 20.01.2022 (Bl. 47 f. d.A.), bereits ein Bußgeldbescheid in gleicher Sache, sodass die Verwaltungsbehörde am Erlass eines weiteren Bußgeldbescheids wegen derselben Tat gegen denselben Betroffenen gehindert war. Der erste Bußgeldbescheid war insbesondere auch nicht durch die fehlgeschlagene Zustellung unwirksam. Denn ein Bußgeldbescheid erlangt bereits mit seinem Erlass, nicht erst mit seiner Zustellung, Rechtswirksamkeit. Erlassen ist ein Bußgeldbescheid, wenn er vollinhaltlich aktenmäßig zur Kenntnis von Personen außerhalb der Verwaltungsbehörde niedergelegt ist und entweder unterschrieben ist oder aus den Umständen erkennbar ist, dass die in den Akten befindliche Entscheidung auf dem Willen des zuständigen Behördenbediensteten beruht (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, § 65 Rn. 10 f. m.w.N.). Spätestens mit dem (wenn auch erfolglosen) Versuch der Zustellung des Bescheids an den Betroffenen ist der Wille der Sachbearbeiterin, den Bescheid zur Kenntnis von Personen außerhalb der Verwaltungsbehörde zu geben, aktenersichtlich zum Ausdruck gekommen, sodass der Bußgeldbescheid im Rechtssinne erlassen wurde.

Sofern die Behörde, wofür die Angaben in der Verfahrensübersicht sprechen könnten, davon ausgegangen sein sollte, dass es sich bei dem inhaltlich abgeänderten Bußgeldbescheid (Bl. 69 f. d.A.) nicht um einen Neuerlass, sondern lediglich um eine Art Modifizierung, Berichtigung oder Ergänzung des Ursprungsbescheids handelt, würde auch dies nichts am Eintritt der Verfolgungsverjährung ändern. Ein einmal erlassener Bußgeldbescheid kann, auch wenn er dem Betroffenen nicht (wirksam) zugestellt wurde, nachträglich nicht mehr abgeändert werden; Änderungen sind dann nur noch über eine Rücknahme und einen Neuerlass möglich. Hält die Behörde einen früheren Bußgeldbescheid für fehlerhaft oder möchte sie ihn ergänzen, so steht es ihr frei, diesen, so lange das Verfahren noch bei ihr anhängig und der Bußgeldbescheid noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, diesen zurückzunehmen und einen neuen, inhaltlich abweichenden, Bußgeldbescheid zu erlassen (vgl. etwa OLG Stuttgart, VRS 68, 128 ff.; OLG Düsseldorf, NJW 1986, 1505; OLG Köln, NStZ-RR 1998, 375 f.). Hierzu bedarf es jedoch zweier, ggf. auch in einer Urkunde zusammenzufassender, Entscheidungen der Verwaltungsbehörde, nämlich der Rücknahme des früheren Bescheids und des Erlasses eines neuen Bescheids (freilich dann auch nicht unter dem Datum des früheren Bescheids, sondern unter dem Datum des Tages des Neuerlasses). Indes wäre es im vorliegenden Fall auch möglich gewesen, den ursprünglichen Bußgeldbescheid (Bl. 47 f. d.A.) unter der ermittelten Anschrift neu zuzustellen. Dass in dem Bescheid dann eine mit der Zustellanschrift des Betroffenen nicht (vollständig) identische Anschrift enthalten gewesen wäre, wäre unschädlich gewesen, da eine Zuordnung zum Betroffenen anhand der übrigen Angaben im Bescheid (insb. Geburtsdatum und Geburtsort) ohne Weiteres möglich geblieben wäre. Sofern die Behörde allerdings auch die weiteren Zustellkosten dem Betroffenen auferlegen will oder der Auffassung ist, die Identifizierbarkeit des Betroffenen sei aufgrund der fehlerhaften Anschrift nicht mehr gegeben (was vorliegend angesichts eines bloßen Schreibfehlers im Straßennamen jedoch fernliegt), verbleibt nur der Weg über eine Rücknahme des alten Bescheids und einen Neuerlass.

Wird allerdings, wie vorliegend, in derselben Sache ein neuer Bescheid erlassen, ohne dass sich in diesem ein Hinweis auf die Rücknahme des alten Bescheids befindet, ist der neue Bußgeldbescheid wegen Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem nichtig und damit unwirksam (OLG Zweibrücken, NZV 1993, 451 f.). Dies gilt auch dann, wenn die Verwaltungsbehörde rechtsirrig davon ausgeht, keinen neuen Bescheid zu erlassen, sondern lediglich einen alten Bescheid inhaltlich abzuändern. Maßgeblich bleibt, da dies rechtlich nicht möglich ist, nämlich auch in diesem Fall der Bußgeldbescheid in der Form, wie er ursprünglich erlassen wurde. Der zweite Bescheid (Bl. 69 f. d.A.) stellt ein rechtliches nullum dar, das nicht geeignet ist, wie auch immer geartete Rechtswirkungen zu entfalten. Somit waren weder dessen Erlass noch dessen Zustellung dazu geeignet, die verjährungsunterbrechende Wirkung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG herbeizuführen.

1.5 Demnach ist, selbst wenn man von Unterbrechungen am 18.01.2022 (oben 1.1) sowie am 02.02.2022 (oben 1.3) ausginge, spätestens am 02.05.2022 Verfolgungsverjährung eingetreten.“

Und: Das AG ist not amused:

„2. Das Gericht hat die Verwaltungsbehörde bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass der Erlass eines inhaltlich vom Ursprungsbescheid abweichenden neuen Bußgeldbescheids unter dem Datum des Ursprungsbescheids untunlich ist und zu erheblichen rechtlichen Friktionen führen kann, was sich im vorliegenden Verfahren nunmehr bewahrheitet hat.

Das Gericht wird zukünftig Verfahren, in denen sich in der Akte mehrere Bußgeldbescheide unter identischem Datum, jedoch mit unterschiedlichem Inhalt, finden, gem. § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen, sofern die Staatsanwaltschaft zustimmt und nicht ? wie vorliegend ? ohnehin bereits Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Anderenfalls wird das Gericht zu prüfen haben, ob die fehlerhafte Vorgehensweise der Verwaltungsbehörde zur Folge hat, dass eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit nicht geboten und das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen ist.“