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StGB III: Herunterrechnen der Opferzahlen des Holocaust, oder: Verharmlosen/Volksverhetzung

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Die dritte Entscheidung, die ich vorstelle, das OLG Celle, Urt. v. 16.08.2019 – 2 Ss 55/19, befasst sich u.a. mit dem Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB), und zwar:

Das AG hatte wegen Volksverhetzung in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die Berufung des Angeklagten hin hat die Berufungskammer das Urteil des AG aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Zum Sachverhalt hat die Berufungskammer im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

„1.) Am 08. August 2017 verlinkte der Angeklagte auf seiner öffentlich zugänglichen Facebook–Seite den Beitrag des Anbieters R. T. „International R. C. Report confirms the Holocaust of six Million Jew is a Hoax“, der oberhalb dieser Überschrift ein augenscheinlich manipuliertes Foto eines Eingangstores zu einem Konzentrationslager zeigte, bei dem der tatsächlich vorhandene Schriftzug im Torbogen durch die Worte „Muh Holocaust“ ersetzt war und kommentierte diesen Link mit „Ach Was“ sowie sechs Smiley-Symbolen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte hierdurch die unwahre Behauptung zu eigen, das Internationale R.K. habe ausweislich eines Berichts über seine Tätigkeit während des zweiten Weltkrieges im Jahr 1948 festgestellt, in den unter nationalsozialistischer Herrschaft betriebenen Konzentrationslagern seien ca. 271.000 Personen, davon etwa die Hälfte Juden, gestorben. Zugleich habe sich der Angeklagte der in dem verlinkten Beitrag vertretenen Auffassung angeschlossen, die genannten Zahlen entsprächen der geschichtlichen Wahrheit und seien daher geeignet, das historisch nachgewiesene Ausmaß des Völkermordes an der jüdischen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu widerlegen. Schließlich habe sich der Angeklagte auch die in dem verlinkten Beitrag enthaltene Verhöhnung der Opfer jenes Völkermordes zu eigen gemacht. Wegen der weiteren Einzelheiten hat das Landgericht gem. 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die bei den Akten befindlichen Screenshots (Bl. 12, 16 Band II d. A.) Bezug genommen.

2.) Am 31. August 2017 verlinkte der Angeklagte auf seiner Facebook-Seite den Beitrag des Anbieters „m.w.“ „Vor und nach dem Holocaust“: jüdische Bevölkerungszahlen in 1933 und 1948“ und kommentierte diesen mit dem Wort „Zahlenspiele“ und einem dahinter gesetzten Symbol, das einen grübelnden Smiley zeigt. Der Artikel nimmt Bezug auf im Jüdischen Weltalmanach von 1933 und 1948 publizierte Weltbevölkerungszahlen der Juden, die ein Anwachsen der jüdischen Weltbevölkerung um 438.000 Menschen auszuweisen scheinen sowie auf den bereits unter Ziffer 1.) dargestellten Bericht des Internationalen R. K. von 1948, in dem angeblich festgestellt wird, in den unter nationalsozialistischer Herrschaft betriebenen Konzentrationslagern seien ca. 271.000 Personen, davon etwa die Hälfte Juden, gestorben, und behauptet, diese Quellen seien geeignet, den allgemein anerkannten historischen Nachweis des millionenfachen Völkermordes an der jüdischen Bevölkerung unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft zu widerlegen. Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte die in dem Artikel dargestellte Auffassung zu eigen. Wegen der weiteren Einzelheiten hat das Landgericht gem. 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die bei den Akten befindlichen Screenshots (Bl. 123 Band II, 14f Band II d. A.) Bezug genommen.

3.) Am 07.12.2017 gegen 13:19 Uhr meldete sich der Angeklagte in einer auf der öffentlichen Facebook-Seite der H. Zeitung geführten Diskussion zum Thema Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu Wort, indem er auf einen vorausgegangenen Diskussionsbeitrag eines anderen Diskussionsteilnehmers, in dem dieser den historisch erwiesenen Völkermord an ca. 6 Millionen Juden unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft erwähnt hatte, postete: „Seltsam, wo Hitler doch für die Aussiedlung von Juden nach Palästina sorgte, Stichwort Haavara Abkommen. Die Zahl ist längst widerlegt. Es sollen insgesamt im 2. WK ca. 180.000 Juden umgekommen sein…..“ Den Beitrag versah der Angeklagte mit Symbolen eines grübelnden und eines lachenden Smileys. Nach den Feststellungen des Landgerichts trat der Angeklagte mit dieser Äußerung der zitierten Meinungsäußerung nicht konkret genannter dritter Personen ausdrücklich bei.“

Dagegen die Revision der (General)Staatsanwaltschaft. Die macht mit der Sachrüge „geltend, das Landgericht habe bei seiner Wertung, die durch den Angeklagten getätigten Äußerungen seien nicht geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden, nicht hinreichend in den Blick genommen, dass der Angeklagte die von ihm verbreiteten Artikel mit Bildmaterial, Textzusätzen und sog. „Emojiis“ angereichert und hierdurch eine Emotionalisierung der angesprochenen Betrachter mit dem Ziel zumindest der Herabsetzung von Hemmschwellen im Hinblick auf eigene zustimmende Kommentare oder ähnliche Posts beabsichtigt habe. Im Übrigen handele es sich bei den von den Angeklagten festgestellten Äußerungen um Tatsachenbehauptungen, die nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Selbst wenn diese indes als Meinungsäußerungen zu verstehen sein sollten, sei nicht nur eine Verharmlosung des Völkermordes gegeben; vielmehr habe der Angeklagte den Holocaust in Abrede genommen und damit i.S.v. § 130 Abs. 3 StGB geleugnet, so dass die tatbestandsmäßige Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens indiziert sei.

Die Revsion hatte beim OLG hinsichtlich des ergangenen Freispruchs bzgl. der Tat 1 Erfolg; im Übrigen war sie unbegründet.

Dazu hier nur die amtlichen Leitsätze zu dem recht umfangreich begründeten OLG-Urteil:

1. Fälle des umfassenden Herunterrechnens der Opferzahlen des Holocausts unterfallen allein der Tatbestandsvariante des „Verharmlosen“ i.S.v. § 130 Abs. 3 StGB.

2. Die mit einer eigenen Bewertung versehene und jedermann im Internet zugängliche Verlinkung eines Beitrages, der ein augenscheinlich manipuliertes Foto eines Eingangstores zu einem Konzentrationslager zeigt, bei dem der tatsächlich vorhandene Schriftzug im Torbogen durch die Worte „Muh Holocaust“ ersetzt ist, und in dem dargelegt wird, in Bezug genommene Quellen seien geeignet, das historisch nachgewiesene Ausmaß des Völkermordes an der jüdischen Bevölkerung während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu widerlegen, ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.