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Haft II: Verhältnismäßigkeit des Sitzungshaftbefehls, oder: Vorführung geht vor Verhaftung

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Im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Verhältnismäßigkeit eines „Sitzungshaftbefehls“, also § 230 Abs. 2 StPO.

Dazu führt das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 13.03.2023 – 7 Qs 17/23 – aus:

„Die zulässige Beschwerde ist begründet, weshalb der Haftbefehl vom 07.03.2023 aufzuheben war.

Zwar liegen die Voraussetzungen des § 230 Abs. 2 StPO insoweit vor, als der Angeklagte zum Termin am 07.03.2023 ordnungsgemäß mit der Belehrung über die Folgen unentschuldigten Fernbleibens geladen wurde und ohne (genügende) Entschuldigung zum Termin nicht erschienen ist.

Allerdings verstößt der Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO im vorliegenden Fall gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln besteht – wie das Amtsgericht auch erkannt hat – ein Stufenverhältnis, d.h. grundsätzlich ist zunächst zwingend das mildere Mittel – nämlich die polizeiliche Vorführung – anzuordnen (OLG Nürnberg. Beschluss vom 10.08.2021 – Ws 734/21). Dieser ist nach dem Willen des Gesetzgebers stets der Vorrang vor dem Haftbefehl zu geben.

Wie das OLG Nürnberg in seinem Beschluss vom 10.08.2021 (Ws 734/21) ausführte, kommt der Erlass eines Haftbefehls in der Regel nur dann in Betracht, wenn der Versuch der Vorführung zum Termin gescheitert ist und/oder mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass die Anwesenheit des Angeklagten durch eine Vorführung sichergestellt werden kann (OLG Nürnberg, Be-schluss vom 10.08.2021 – Ws 734/21). Eine Verhaftung des Angeklagten ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände die Er-wartung gerechtfertigt ist, dass der Angeklagte zu dem (nächsten) Hauptverhandlungstermin erfolgreich vorgeführt werden kann. Ohne eine Vorführung versucht zu haben, ist der Erlass eines Haftbefehls nur in seltenen Ausnahmefällen verhältnismäßig, etwa wenn feststeht, dass der An-geklagte auf keinen Fall erscheinen will oder die Vorführung wahrscheinlich deshalb aussichtslos sein wird, weil der Aufenthaltsort des Angeklagten unbekannt ist oder die begründete Sorge besteht, dass der Angeklagte vor einer Vorführung untertauchen wird (OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.08.2021 – Ws 734/21).

Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor. Der Beschwerdeführer hat einen festen Wohnsitz. Zum Termin am 07.03.2023 war er zwar nicht im Sitzungssaal erschienen, bot jedoch nach telefonischer Rücksprache mit seinem Verteidiger an, sich unverzüglich von Bayreuth aus auf den Weg zum Gericht zu machen. Es ist mithin nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer auf keinen Fall zum Termin erscheinen will oder untertauchen wird, um sich der Verhandlung zu entziehen. Die Gesamtschau ergab damit für die Kammer, dass eine Vorführung durchaus geeignet ist, die Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung zu gewährleisten.

Von einer eigenen Entscheidung über die Vorführung sieht die Kammer angesichts der Verfahrenslage – noch ist kein neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt – ab.“

Haft I: Alkoholisiert in der Hauptverhandlung, oder: Haftbefehl ist das letzte Zwangsmittel

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Ich habe länger keine Haftentscheidungen vorgestellt. Heute ist es dann mal wieder so weit.

Den Opener mache ich mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 09.03.2023 – Ws 207/23 -, den mir der Kollege Jendricke aus Amberg geschickt hat. Das OLG nimmt Stellung zu einem nach § 230 Abs. 2 StPo ergangenen (Sitzungs)Haftbefehl. Ergangen ist der Haftbefehl im Berufungsverfahren. Der Angeklagte war dort in der Berufungshauptverhandlung alkoholisiert erschienen. Das LG erlässt daraufhin Haftbefehl, den das OLG auf die Haftbeschwerde des Kollegen hin aufgehoben hat:

„Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig und hat in der Sache Erfolg, da der Haftbefehl unverhältnismäßig ist.

Dabei kann die Frage einer genügenden Entschuldigung des Beschwerdeführers dahin stehen.

Ein Haftbefehl nach § 230 Abs: 2 StPO mit dem damit verbundenen Eingriff in die persönliche Freiheit darf nur dann ergehen, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters anders nicht gesichert werden kann. Er dient allein der Verfahrenssicherung in Bezug auf die (weitere) Durchführung der Hauptverhandlung und hat nicht etwa den (Selbst-)Zweck, den Ungehorsam des Angeklagten zu sanktionieren.

Zwischen den in § 230 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwangsmitteln besteht ein Stufenverhältnis, d.h. grundsätzlich ist zunächst zwingend das mildere Mittel – nämlich die polizeiliche Vorführung – anzuordnen. Nur-dies wird dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht, dass bei einer den Bürger belastenden Maßnahme Mittel und Zweck im angemessenen Verhältnis zueinander stehen müsssen. Eine Verhaftung des Angeklagten ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn bei verständiger Würdigung aller Umstände die Erwartung ‚gerechtfertigt ist, dass der Angeklagte zu dem (nächsten) Hauptverhandlungstermin erfolgreich vorgeführt werden kann.

Wenn das Gericht demgegenüber sofort zum Mittel des Haftbefehls greift, muss aus seiner Entscheidung deutlich, werden, dass es eine Abwägung zwischen der polizeilichen Vorführung und dem Haftbefehl vorgenommen hat. Die Gründe, warum ausnahmsweise sofort die Verhaftung des Angeklagten angeordnet worden ist, müssen tragfähig sein und in dem Beschluss in einer Weise schlüssig und nachvollziehbar aufgeführt werden, dass sie in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Gericht im Rahmen seiner Eigenkontrolle gewährleisten. Von entsprechenden Darlegungen kann nur abgesehen werden, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht.

Das Landgericht hat die in der Hauptverhandlung vorw15.02.2023 anwesende Sachverständige nicht befragt, ob durch eine frühzeitige Ingewahrsamnahme und Vorführung des Angeklagten zur nächsten Hauptverhandlung – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Facharztes – eine Verhandlungsfähigkeit hergestellt werden könne, zumal der Angeklagte sich bereit gezeigt hatte, zur Verhandlung zu erscheinen und die Sachverständige ausgeführt hat, der Angeklagte sei in Anbetracht seiner Erkrankung bei einem Alkoholgehalt von .einem Promille weniger verhandlungsfähig als bei zwei Promille.

Hinzukommt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Hauptverhandlung in angemessener Frist durchgeführt wird und vorliegend nicht geprüft wurde, ob zeitnah eine Herstellung der Verhandlungsfähigkeit bei zeitnaher Fortsetzung der Hauptverhandlung hergestellt kann. Ein neuer Hauptverhandlungstermin wurde bis jetzt nicht bestimmt, hierzu hätte spätestens zum Zeitpunkt der Abhilfeentscheidung Veranlassung bestanden.

Vor diesem Hintergrund ist der Haftbefehl unverhältnismäßig, er wird daher aufgehoben. Angesichts des Fehlens eines neuen Hauptverhandlungstermins und Feststellungen zur Erfolgsaus-sieht einer Vorführung wird davon abgesehen, schon jetzt über die Vorführung des Angeklagten als milderes Mittel zu entscheiden.

Einziehung III: Die Vollstreckung der Einziehung, oder: „Ich habe nichts mehr aus der Tat.“

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Und als dritte Entscheidung zur Einziehung dann noch der OLG Hamburg, Beschl. v. 05.01.2023 – 5 Ws 52/22 – zur Fragen in Zusammenhang mit der Vollstreckung der Einziehung.

Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:

„Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 32, vom 9.7.2019 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 25 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit dem strafbaren Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen und mit unerlaubtem Betreiben eines Lagers von explosionsgefährlichen Stoffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem wurde gemäß § 73c StGB die Einziehung von Wertersatz in Höhe von € 80.091,69 angeordnet.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der Kammer von Anfang 2015 bis Januar 2019 gemeinsam mit einem Mittäter im Keller des Wohnhauses seiner Mutter Cannabispflanzen zur Produktion von Marihuana anbaute, um sich durch fortgesetzte Betäubungsmittelverkäufe eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Der Betrag der angeordneten Wertersatzeinziehung errechnete sich aus dem Gesamterlös der im Tatzeitraum erwirtschafteten Ernten (€ 170.055,50) abzüglich des Werts der im Zuge der Durchsuchung sichergestellten, noch nicht verkauften Betäubungsmittelmenge (€ 15.409,81) und abzüglich des Wertes der Betäubungsmittelteilmenge, über die der Mittäter des Beschwerdeführers allein verfügt bzw. die dieser allein verkauft hatte (€ 23.769,-). Abgezogen wurde zudem ein aus Betäubungsmittelverkäufen stammender Bargeldbetrag, der bei der Durchsuchung am 18.1.2019 sichergestellt und gesondert eingezogen wurde (€ 50.785,-).

Die gegen den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe wurde zum Teil vollstreckt. Mit Beschluss vom 5.11.2021 setzte die Strafvollstreckungskammer den Rest der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus.

Die Vollstreckung des Einziehungsbetrags blieb im Wesentlichen erfolglos. Nachdem die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24.2.2022 erfolglos zur Zahlung des bis dahin verbliebenen Einziehungsbetrags von € 78.793,29 aufgefordert hatte, beantragte dieser am 27.6.2022, gemäß § 459g Abs. 5 StPO das Unterblieben der Vollstreckung des Einziehungsbetrags anzuordnen. Der Wert des Erlangten befinde sich nicht mehr in seinem Vermögen, da er von dem Gewinn aus den Taten damals seinen Lebensunterhalt bestritten habe. Aktuell lebe er von ALG I in Höhe von € 1.100,- monatlich. Weitere Vermögenswerte seien nicht vorhanden, so dass er entreichert sei. Dies führe nach der aus seiner Sicht anwendbaren, bis zum 30.6.2021 gültigen Gesetzesfassung des § 459g Abs. 5 S. 1 StPO zwingend dazu, dass das Unterbleiben der Vollstreckung anzuordnen sei. Zudem stelle sich die weitere Vollstreckung als unverhältnismäßig dar. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der vom Gericht errechneten Einziehungssumme um den Verkaufswert der Ernte handele und nicht um den Gewinn aus der Tat; Ausgaben z.B. für Strom seien bei der Berechnung nicht berücksichtigt worden. Selbst wenn er aus seinem unpfändbaren Einkommen monatliche Raten in Höhe von z.B. € 150 zahlen würde, wären bis zum Ausgleich der Forderung ca. 534 Raten aufzubringen, so dass er über fast 45 Jahre auf sein unpfändbares Einkommen verwiesen sei. Dies sei erdrosselnd und verletzte ihn in seinem Grundrecht auf Resozialisierung.

Das Landgericht lehnte den Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 5.9.2022 ab. Es könne dahinstehen, welche Gesetzesfassung des § 459g Abs. 5 StPO Anwendung finde. Der Beschwerdeführer habe nämlich schon nicht ausreichend dargelegt, dass der Wert des durch die Tat Erlangten nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden, er also entreichert sei. Auch aus den Feststellungen des erkennenden Gerichts ergebe sich dies nicht. Es seien angesichts des Alters und der beruflichen Perspektiven des Beschwerdeführers auch keine besonderen Umstände erkennbar, die seine Resozialisierungsmöglichkeiten als gefährdet erscheinen ließen.“

Hiergegen richtet sich sofortige Beschwerde der Verurteilen, mit der er geltend macht, das LG habe die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis der „Entreicherung“ überspannt, da diese darauf hinausliefen, dass er ein Haushaltsbuch hätte führen müssen. Von dem Tatertrag hätten ihm im Tatzeitraum rechnerisch ca. EUR 1.670,- monatlich zur Verfügung gestanden. Dies halte sich ohne Weiteres im Rahmen des für den Lebensunterhalt Üblichen.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Bei der Regelung in § 459g Abs. 5 StPO, nach der das Gericht das Unterbleiben der Vollstreckung der Einziehung anzuordnen hat, wenn die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre, handelt es sich nicht um eine materiell-rechtliche, sondern um eine das Verfahren betreffende Vorschrift, so dass die Meistbegünstigungsregel des § 2 Abs. 3, 5 StGB hierauf keine Anwendung findet.

2. Infolgedessen ist die aktuelle Gesetzesfassung des § 459g Abs. 5 StPO, nach der im Falle der Entreicherung des Einziehungsschuldners nicht mehr zwingend das Unterbleiben der Vollstreckung anzuordnen ist, auch auf Altfälle anzuwenden, bei denen der Zeitpunkt Tatbeendigung vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neufassung (1. Juli 2021) liegt.

3. Soweit sich der Einziehungsschuldner zur Begründung der Unverhältnismäßigkeit der weiteren Vollstreckung darauf beruft, dass sich die Taterträge nicht mehr in seinem Vermögen befinden, obliegt ihm hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Beweiserleichterungen oder gar eine Vermutung dafür, dass Taterträge für den Lebensunterhalt verbraucht wurden, besteht auch dann nicht, wenn dem Einziehungsschuldner der Nachweis der Mittelverwendung durch deliktstypische Besonderheiten erschwert ist (hier: Ausgabe von Bareinnahmen aus Betäubungsmittelgeschäften).

Einziehung I: Kinderpornografie auf PC/Smarthone, oder: Einziehung oder nur Löschung der Daten?

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Heute dann drei Entscheidungen zu Einziehungsfragen (§§ 73 ff. StGB).

Ich beginne mit dem OLG Celle, Beschl. v. 18.08.2022 – 3 Ss 18/22. Das AG hatte den Angeklagten u.a. auch wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen und des Besitzes kinderpornographischer Inhalte schuldig gesprochen. Es hatte die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 113,77 EUR sowie eines PC-Towers und zweier Smartphones angeordnet. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Einziehungsentscheidung beschränkten Revision. Die hatte teilweise Erfolg.

„2. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs führt zu einem Teilerfolg der Revision.

a) Die Überprüfung der Anwendung von Jugendstrafrecht und der Festsetzung der verhängten Erziehungsmaßregeln gemäß § 10 JGG (Betreuungsweisung und Teilnahme an Projekt „Strecke machen“) und Zuchtmittel gemäß 13 Abs. 2, 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG (Arbeitsauflage) deckt keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf, so dass die Revision insoweit ebenfalls als unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen war.

b) Bedenken begegnet jedoch Einziehungsentscheidung, soweit sie die Einziehung des PCs und der beiden Smartphones betrifft. Die Nachprüfung der Anordnung der Einziehung des Wertes des durch die Taterlangten (Taten 11 und 12) deckt hingegen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

aa) Keine Bedenken bestehen dahingehend, dass das Amtsgericht bei seiner Einziehungsentscheidung hinsichtlich der Smartphones nicht auf § 74a StGB, Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei anderen, abgestellt hat. Soweit der Angeklagte vorträgt, die Smartphones hätten nicht in seinem (Allein-)eigentum gestanden, sondern diese stünden im Eigentum der Mutter, findet dies keine Stütze in den Feststellungen des Urteils. Ausweislich der Feststellungen handelte es sich bei dem bei der Tat zu Ziffer 1 genutzten Mobiltelefon um „sein“ Mobiltelefon, mithin dem Telefon des Angeklagten. Hinsichtlich der Tat zu Ziffer 2 hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte sich „mit Hilfe seines PC-Towers und Mobiltelefons R. (..)“ aus dem Internet die fraglichen Dateien heruntergeladen hat und auf diesen gespeichert hat. Die Ausführungen im Urteil, dass die Smartphones ihm (den Angeklagten) von seiner Mutter bezahlt worden seien, stehen nicht im Widerspruch zu diesen Feststellungen. Der Einsatz von fremden Geldmitteln steht einem Eigentumserwerb durch den Angeklagten nicht entgegen.

bb) Die auf §§ 184b Abs. 6, 184c Abs. 6 (in der jeweils zur Tatzeit geltenden Fassung), § 74 StGB gestützte Einziehung des PC-Towers und der beiden Smartphones begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken. Gemäß §§ 184b Abs. 6 StGB a.F. bzw. § 184 c Abs. 6 StGB a.F. (entspricht Absatz 7 der aktuellen Fassung) sind Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach – wie vorliegend Taten 1 und 2 – Abs. 3 bezieht, einzuziehen. Dies betrifft mithin nur Beziehungsgegenstände, also nur das Speichermedium auf dem sich die inkriminierten Dateien befinden, z.B. die Festplatte des zum Herunterladen verwendeten Computers (vgl. BeckOK StGB/Ziegler StGB § 184b Rn. 33), nicht jedoch den gesamten Computer nebst Zubehör. Eine solche Einziehung des für den Speichervorgang genutzten Computers bzw. Handys nebst Zubehör kommt vorliegend allenfalls nach § 74 Absatz 1 2. Alt. StGB als Tatmittel in Betracht, welcher ein Ermessen des Tatrichters einräumt und durch §§ 184b Abs. 6 bzw. § 184 c Abs. 6 StGB a.F. ergänzt wird.

Soweit – über die Speichermedien – hinaus die Gegenstände als solche eingezogen worden sind, hat das Tatgericht offenbar verkannt, dass ihm insoweit ein pflichtgemäßes Ermessen zukommt, so dass die Einziehungsentscheidung bereits insoweit keinen Bestand haben kann.

Sowohl für die Einziehung von Beziehungsgegenständen (§§ 184b Abs. 6 bzw. § 184 c Abs. 6 StGB a.F.) als auch hinsichtlich der Tatmittel (§ 74 Abs. 1 Alt. 2 StGB) gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 74f StGB/vormals § 74 b StGB aF) (vgl. Schönke/Schröder/Eser/Schuster StGB § 74f Rn. 1, 2; BGH Beschl. v. 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18, BeckRS 2018, 11919).  Es ist daher zu prüfen, ob von der Möglichkeit des § 74f Abs. 1 S.2 StGB Gebrauch gemacht werden kann, wonach die Einziehungsanordnung vorbehalten bleiben kann, wenn ihr Zweck auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann. In Fällen von Speicherung inkriminierter Bilddateien kann insbesondere deren endgültige Löschung eine solche andere, mildere Maßnahme darstellen (vgl. BGH Beschl. v. 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18, BeckRS 2018, 11919 mwN). Soweit mit der Einziehung auch Strafzwecke verfolgt werden, ist insoweit auch abzuwägen, ob die die mit dem Verlust des Eigentums angestrebte Spezial- bzw. Generalprävention auch mit milderen Mitteln zu erreichen ist (vgl. MK-StGB, 4. Auflage, Joecks/Meißner, § 74 f Rn 12; LK-StGB,13. Aufl., Lohse, § 74f Rn 9).

Die Feststellungen des Urteils lassen befürchten, dass sich das Tatgericht dieser Möglichkeit nicht bewusst gewesen ist, da diese allein den – nicht konkret bezifferten Wert – der eingezogenen Gegenstände sowie die verhängten jugendrichterlichen Maßnahmen bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zugrunde gelegt hat.

Dies vorausgeschickt erweisen sich die Feststellungen des angefochtenen Urteils als lückenhaft. Es fehlt an Feststellungen dazu, ob es – insbesondere hinsichtlich der Smartphones – technisch möglich ist, das genutzte Speichermedium auszubauen, sowie weiter dazu, ob und mit welchem Aufwand die – konkret zu bezeichnenden – Dateien von den jeweils genutzten Speichermedien in einer Weise zu löschen sind, dass diese nicht wiederhergestellt werden können (nicht rekonstruierbare Löschung) oder ggf. allein die Formatierung der gesamten Festplatte bzw. des gesamten Speichers ein geeignetes Mittel darstellen kann, die von dem Datenträger ausgehende Gefahr zu beseitigen.

Da der Senat die fehlenden Feststellungen nicht selbst treffen kann, ist die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das neue Tatgericht wird zugleich die Möglichkeit haben, konkretere Feststellungen zu dem Wert der – dann ggf. – eingezogenen Gegenstände zu treffen.

Für den Fall, dass die nach den Treffen der erforderlichen Feststellungen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass ein milderes Mittel in Betracht kommt, wird das Tatgericht den Vorbehalt der Einziehung unter Anordnung der konkreten Maßnahme zu erklären haben. Werden diese Anweisungen nicht erfüllt, ordnet das Gericht – nach erneuter Prüfung der Verhältnismäßigkeit – nachträglich die Einziehung mittels Beschluss an. Der Senat weist insoweit vorsorglich auf  § 462 Abs. 1S. 2 StPO hin.

Zudem erlaubt sich der Senat folgenden Hinweis: Grundsätzlich legt § 74f StGB dem Einziehungsbetroffenen die Durchführung der Anweisung auf, welchem es überlassen bleibt, ob er die Maßnahme innerhalb der gesetzten Frist selbst durchführt oder auf seine Kosten durchführen lässt (vgl. LK-StGB, aaO, § 74f Rn 11). Die Kostentragungspflicht fällt mithin dem Einziehungsbetroffenen zu. Vorliegend kommt jedoch eine Herausgabe der mit kinder- und jugendpornographischen Dateien inkriminierten Speichermedien offensichtlich nicht in Betracht, so dass – unter Vorbehalt der Einziehung – nur eine Unbrauchbarmachung der Dateien durch staatliche Stellen von Amts wegen in Betracht kommen kann. Es wäre insoweit nicht zu beanstanden, die durch die Vollstreckungsbehörde anzuordnende Löschung von der vorherigen Zahlung der Kosten abhängig zu machen. Für den Fall wird das Tatgericht ebenfalls Feststellungen zu den zu erwartenden Kosten zu treffen haben.“

Fahrtenbuch I: Innerorts 40 Km/h zu schnell gefahren, oder: Das reicht für eine Auflage

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Heute stelle ich dann zwei Entscheidungen zur Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) vor.

Zunächst kommt hier der BayVGH, Beschl. v. 13.10.2022 – 11 CS 22.1897. Nichts Besonderes, sondern nur weitgehend das Übliche in diesen Fällen. Gestritten worden ist um eine Anordnung nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft um 40 km/h.

Der Antrag des Betroffenen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung hatte keinen Erfolg:

„b) Die Fahrtenbuchauflage ist auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Der festgestellte Verkehrsverstoß ist hinreichend gewichtig, um die Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs zu rechtfertigen (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, U.v. 28.5.2015 a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Auch ein erst- oder einmaliger Verkehrsverstoß von erheblichem Gewicht kann unabhängig von der konkreten Gefährlichkeit eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen. Dies kann in der Regel angenommen werden, wenn der Verstoß im Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 4 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG, § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) mit mindestens einem Punkt eingestuft ist (vgl. OVG LSA, B.v. 2.2.2020 a.a.O. Rn. 17; OVG NW, B.v. 21.3.2016 – 8 B 64/16 – juris Rn. 31). Nr. 2.2.3 der Anlage 13 zur § 40 FeV i.V.m. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 zur Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVO) um 31 bis 40 km/h eine Bewertung mit zwei Punkten vor. Somit war hier von einem hinreichend gewichtigen Verkehrsverstoß auszugehen.

bb) Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, dass die Verwaltungsgemeinschaft Oettingen ihn als Fahrzeughalter im Rahmen der Ermittlungen nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Verstoß erstmals angehört und zur Mitteilung des Fahrzeugführers aufgefordert habe.

Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers ist im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Art und Ausmaß der Ermittlungen hängen insbesondere von der Art des jeweiligen Verkehrsverstoßes und der Bereitschaft des Kraftfahrzeughalters zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrers ab (vgl. etwa BVerwG, U.v. 17.12.1982 – 7 C 3.80BayVBl 1983, 310; BayVGH, B.v. 26.3.2015 – 11 CS 15.247 – juris Rn. 12). Zwar gehört zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand grundsätzlich die unverzügliche, d.h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen durchzuführende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung (vgl. BVerwG, U. v. 13.10.1978 – VII C 77.74 – Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 5), da die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrzeughalter die Frage nach dem Fahrzeugführer noch zuverlässig beantworten kann, mit zunehmendem Zeitabstand geringer wird. Diese Frist hat die Verwaltungsgemeinschaft mit ihrer erstmaligen Anhörung vom 5. August 2021 sieben Wochen nach der Tat deutlich überschritten. Allerdings ist die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist unschädlich, wenn sie für die Nichtfeststellung des Fahrzeugführers nicht kausal ist, etwa weil die Ergebnislosigkeit der Ermittlungen nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters beruht (vgl. etwa BayVGH, B. v. 20.7.2016 – 11 CS 16.1187 – juris Rn. 11; OVG Saarl, B.v. 18.7.2016 – 1 B 131/16 – juris Rn. 20 f. m.w.N.). So liegt es hier. Der Antragsteller hat als Reaktion auf die verspätete Anhörung keine Erinnerungslücken geltend gemacht, sondern auf dem von ihm zurückgesandten Anhörungsbogen handschriftlich vermerkt, der oder die Fahrzeugführer/in sei „nicht bekannt“. Gegenüber der von der Verwaltungsgemeinschaft um Amtshilfe gebetenen Polizeiinspektion Dinkelsbühl hat er erklärt, er wolle sich nicht zur Sache äußern. Beides bringt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellt, etwas Anderes zum Ausdruck als fehlendes Erinnerungsvermögen aufgrund der vergangenen Zeit. Erst im Rahmen der vom Landratsamt durchgeführten Anhörung zur Fahrtenbuchauflage gab der Antragsteller am 28. Oktober 2021 an, er könne aufgrund der verstrichenen Zeit keine Angaben darüber machen, wer Fahrer des Fahrzeugs gewesen sei. Auf diese Erklärung kommt es jedoch für die Frage der Kausalität der verspäteten Anhörung zur Person des Fahrers im Rahmen des Bußgeldverfahrens für die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung vor Eintritt der Verfolgungsverjährung drei Monate nach der Tat nicht an. Etwaige Erinnerungslücken nach Einstellung des Bußgeldverfahrens stehen der Fahrtenbuchauflage nicht entgegen.

c) Schließlich bestehen auch keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gegen die Dauer der Verpflichtung zur Führung des Fahrtenbuchs. Maßgeblich hierfür ist vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung. Je schwerer das mit dem Kraftfahrzeug des Halters begangene Verkehrsdelikt wiegt, desto eher ist es gerechtfertigt, dem Fahrzeughalter eine nachhaltige Überwachung der Nutzung seines Fahrzeuges für einen längeren Zeitraum zuzumuten. Denn mit zunehmender Schwere des ungeahndet gebliebenen Delikts wächst das Interesse der Allgemeinheit, der Begehung weiterer Verkehrsverstöße vergleichbarer Schwere entgegenzuwirken. Das Bundesverwaltungsgericht sieht es als naheliegend an, wenn sich die zuständige Behörde für die konkrete Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage am Punktesystem der Anlage 13 zu § 40 FeV ausrichtet (BVerwG, U.v. 28.5.2015 BVerwGE 152, 180 Rn. 20 ff., ebenso BayVGH, B.v. 31.1.2022 – 11 CS 21.3019 – juris Rn. 11).

Gemessen daran erweist sich die Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten hier nicht als unverhältnismäßig. Die Geschwindigkeitsüberschreitung am 17. Juni 2021 innerorts um 40 km/h wiegt durchaus schwer und ist, wie bereits ausgeführt, mit zwei Punkten bewertet. Bereits die erstmalige Begehung eines solchen Verkehrsverstoßes rechtfertigt die Anordnung einer zwölfmonatigen Fahrtenbuchauflage unabhängig davon, ob es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen ist oder nicht.“