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StPO I: Mitteilungspflicht zur Verständigung erfüllt?, oder: Was muss in der Revision vorgetragen werden?

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Heute dann ein wenig StPO. Und ich eröffne den Tag mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – 2 StR 56/22. Es geht – mal wieder – um die ausreichende Begründung der Verfahrensrüge. Das LG hat die Angeklagte J, um deren Revision es geht, u.a. wegen schweren Bandendiebstahls in 31 Fällen verurteilt. Hiergegen richten sich Revision der Angeklagten, mit der u.a.  das Verfahren beanstandet wird. Mal wieder: Ohne Erfolg:

„Der von der Angeklagten J. erhobenen Verfahrensbeanstandung bleibt der Erfolg ebenso versagt (1.) wie ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur weiteren Begründung dieser Rüge (2.).

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Angeklagte eine Verletzung der Vorschriften zur Verständigung geltend macht, ist unzulässig.

a) Die Revision hat Folgendes vorgetragen:

aa) Am zweiten Tag der Hauptverhandlung wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen den Verfahrensbeteiligten ein Verständigungsgespräch geführt. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung wurde in das Protokoll der Satz aufgenommen, wonach der Vorsitzende den „wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs“ mitgeteilt habe. Eine konkrete Dokumentation dieses wesentlichen Inhalts im Protokoll erfolgte zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht. Am vierten Hauptverhandlungstag ließ sich die Angeklagte sodann geständig ein. Danach – am fünften Hauptverhandlungstag – verlas der Vorsitzende einen umfassenden – und von der Revision nicht beanstandeten – Vermerk zum wesentlichen Inhalt der zuvor geführten Verständigungsgespräche, der als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde.

bb) Die Revision meint, es liege damit ein durchgreifender Verfahrensfehler vor. Im Zeitpunkt, in dem sich die Angeklagte geständig eingelassen habe, habe das Protokoll entgegen den Anforderungen des § 273 Abs. 1a StPO den wesentlichen Inhalt der geführten Gespräche nicht dokumentiert. „Diese Mitteilung kam erst einen Monat später mit einem Wochen nach dem eigentlichen Gespräch gefertigten Vermerk, und zwar nachdem – und das ist entscheidend – sich die Angeklagte umfassend zur Sache geständig eingelassen und damit eine Entscheidung über ihre Verteidigungsposition getroffen hatte.“ Bereits die im Zeitpunkt der Ablegung des Geständnisses unzureichende Protokollierung begründe einen eigenständigen Rechtsfehler. Das Risiko einer informellen Verständigung sei mit Händen zu greifen.

b) Der Revisionsvortrag genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht.

aa) Nach dieser Vorschrift sind die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen so vollständig und verständlich darzulegen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden. Der Revisionsführer muss die vorgebrachten Tatsachen mit Bestimmtheit behaupten, das heißt keinen Zweifel daran lassen, dass sie sich tatsächlich ereignet haben. Für einen erschöpfenden Vortrag ist hierbei nicht nur erforderlich, dass der Beschwerdeführer die ihm nachteiligen Tatsachen nicht übergeht, sondern auch, dass er die Fakten vorträgt, die für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes sprechen können, der seiner Rüge den Boden entzieht (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 22. Juli 2015 – 2 StR 389/13 , juris Rn. 55; Beschluss vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21 , NStZ-RR 2022, 355; BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81 , BGHSt 30, 131, 135 ; Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07 , BGHSt 52, 38, 40 f. ; vgl. auch BVerfG, NJW 2005, 1999, 2001; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 38 ff. mwN).

bb) Einen erschöpfenden und widerspruchsfreien Vortrag zum maßgeblichen Verfahrensgeschehen lässt die Revision vermissen.

(1) Insbesondere ergibt sich aus ihrer Begründung nicht eindeutig, ob der Vorsitzende bereits am zweiten Sitzungstag der Hauptverhandlung – mithin vor Ablegung des Geständnisses durch die Angeklagte – seiner mündlichen Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nachgekommen ist (vgl. zum Zeitpunkt BGH, Beschluss vom 3. August 2022 – 5 StR 62/22 , NStZ 2022, 761).

(a) Hierfür kann zwar der – indes mit Blick auf § 257b StPO nicht gänzlich eindeutige und auch deswegen von der Revision beanstandete – Protokollinhalt angeführt werden, wonach der Vorsitzende den „wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs“ mitgeteilt habe. Auch der Vortrag der Revision, wonach es der Vorsitzende vor Ablegung des Geständnisses durch die Angeklagte versäumt habe, den wesentlichen Inhalt der Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten „zu Protokoll“ mitzuteilen, spricht dafür, dass zwar eine mündliche Mitteilung erfolgt ist, diese jedoch ihrem Inhalt nach nicht protokolliert wurde.

(b) Diese Erwägungen lassen sich aber nicht mit dem weiteren Vortrag der Revision vereinbaren, wonach das Vorliegen einer „informellen Verständigung“ zu besorgen sei. Gleiches gilt für die Ausführungen der Revision, dass „diese Mitteilung“ erst nach Ablegung des Geständnisses durch Verlesung eines Vermerks am fünften Sitzungstag erfolgt sei.

(2) Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Senat in einer früheren Entscheidung das Vorbringen eines Revisionsführers zu § 273 Abs. 1a StPO grundsätzlich bereits dann als den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügend erachtet hat, sofern sich daraus ergibt, dass Verständigungsgespräche außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden und eine (mündliche) Mitteilung des Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt jedenfalls nicht entsprechend § 273 Abs. 1a StPO im Protokoll dokumentiert wurde (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12 , BGHSt 58, 310, 311 f. ).

(a) Indes hat der Gesetzgeber Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht als absolute Revisionsgründe eingestuft (vgl. BVerfGE 133, 168, 223). Die Bandbreite bei Verstößen gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten reicht von geringfügigen Unvollständigkeiten bis hin zu deren völliger Missachtung oder groben Falschdarstellungen (vgl. BVerfG, NStZ 2015, 170, 171 f. [BVerfG 15.01.2015 – 2 BvR 878/14] ). Die Revisionsgerichte sind daher nicht gehindert, aufgrund einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten Gesamtbetrachtung ausnahmsweise zu einer Unbeachtlichkeit des Verstoßes gegen die Vorschriften zur Verständigung zu gelangen (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2461, 2464 [BVerfG 04.02.2020 – 2 BvR 900/19] ; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 – 5 StR 115/20 , NStZ 2020, 751, 752).

Auch der Senat hat in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2013 auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ein Angeklagter „im Einzelfall auch bei fehlerhaftem Hauptverhandlungsprotokoll durch eine ebenso zuverlässige Dokumentation in anderer Weise so unterrichtet wird, dass das Beruhen des Urteils auf dem Protokollierungsfehler ausgeschlossen werden kann“ (Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12 , BGHSt 58, 310, 314 ).

(b) Um dem Senat die Möglichkeit einer entsprechenden Gesamtbetrachtung des gerügten Verstoßes gegen § 273 Abs. 1a StPO zu eröffnen, hätte die Revisionsführerin aber darlegen müssen, ob der Vorsitzende vor Ablegung des Geständnisses den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO entsprechend den wesentlichen Inhalt der geführten Verständigungsgespräche mündlich mitgeteilt hat (vgl. zur Authentizität solcher Mitteilungen BVerfG, NJW 2020, 2461, 2464 [BVerfG 04.02.2020 – 2 BvR 900/19] mwN). Aufschluss hierüber gibt im vorliegenden Fall – anders als im Verfahren 2 StR 195/12 – auch nicht der gänzlich abstrakt gehaltene Protokolleintrag vom zweiten Sitzungstag.

c) Der Senat muss daher nicht entscheiden, ob er – wozu er neigt – eingedenk einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ( Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 2 BvR 1043/15 ; vgl. auch MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 138 ff.) seine bisherige Rechtsprechung zur Revisibilität von Verstößen gegen § 273 Abs. 1a StPO aufgibt (diese bereits ablehnend BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 , NStZ 2023, 306, 307; Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 210/13 , BGHSt 59, 130, 136 ).

2. Der Antrag der Angeklagten J. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung zur Frist zur weiteren Begründung der Verfahrensrüge ist – ungeachtet des Umstandes, dass sie ihn entgegen § 45 Abs. 1 StPO an die Staatsanwaltschaft Köln gerichtet hat – ebenfalls unzulässig.

a) Die Revision der Angeklagten ist nämlich infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden. In solchen Fällen kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur weiteren Begründung der Revision nur bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs eines Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich ist (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – 2 StR 267/20 , NStZ 2021, 753; BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51 , BGHSt 1, 44, 46 , und vom 23. August 2012 – 1 StR 346/12 ; vgl. auch KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 345 Rn. 26 mwN).

b) Eine solche Ausnahmesituation liegt hier nicht vor. Der Antrag ist auf eine Ergänzung der Revisionsbegründung um den vollständigen Inhalt des durch den Vorsitzenden am fünften Sitzungstag verlesenen Vermerks gerichtet. Indes hat die Revision bereits innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgetragen, dass der Inhalt dieses Vermerks nicht zu beanstanden sei und daher von ihr nicht angegriffen werde. Der Anspruch der Angeklagten auf rechtliches Gehör gebietet damit keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.“

StPO II: Unentschuldigtes Ausbleiben in Berufungs-HV, oder: Das 1 x 1 der Revisionsbegründung

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Und dann stelle ich als zweite Entscheidung den BayObLG, Beschl. v. 05.04.2023 – 203 StRR 95/23 – vor. Es geht um die ausreichende Begründung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) in den Fällen der Berufungsverwerfung des Angeklagten (§ 329 Abs. 1 StPO) wegen unentschuldigten Ausbleibens im HV-Termin.

Hier hatte der Angeklagte als Entschuldigungwohl eine Erkrankung geltend gemacht. Aber nicht ausreichend, denn seine Revision hatte keinen Erfolg:

„I. Die Verfahrensrüge der Verletzung von § 329 StPO erweist sich als unzulässig.

1. Die Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO in der Berufungsinstanz setzt voraus, dass das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Angeklagte selbst entschuldigt hat. Es genügt vielmehr, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Angeklagten genügend entschuldigt ist (BGHSt 17, 391 zitiert nach juris Rn. 15; KK-Paul, 9. Aufl., § 329 Rn. 7 ff., 14 m.w.N.). Liegen in der Berufungshauptverhandlung Anhaltspunkte für einen Entschuldigungsgrund vor, hat das Gericht im Freibeweis zu prüfen, ob er zutrifft (BGHSt 17, 391; BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20 –, juris Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2000 – 5 StRR 259/00 –, juris Rn. 9) und das Ergebnis der Abklärung im Urteil darzulegen. Etwa vorgebrachte Entschuldigungsgründe und sonstige als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen müssen in den Urteilsgründen wiedergegeben und gewürdigt werden (OLG Dresden, Beschluss vom 31. Januar 2019 – 2 OLG 22 Ss 699/18 –, juris Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 1999 – 2 Ss 121/99 –, juris Rn. 15 m.w.N.). Das folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht bei der Prüfung der Frage, ob das Berufungsgericht die in § 329 StPO enthaltenen Rechtsbegriffe verkannt hat, an die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Verwerfungsurteil gebunden ist. Es darf sie weder in Frage stellen noch im Freibeweisverfahren ergänzen (BGHSt 28, 384).

Eine Erkrankung entschuldigt das Ausbleiben des Angeklagten bereits dann, wenn ihm nach der Art und den Auswirkungen seiner Krankheit die Fahrt zum Verhandlungsort und die Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht zumutbar sind; des Nachweises einer Verhandlungsunfähigkeit bedarf es nicht (BayObLG, Beschluss vom 31. März 2020 – 202 StRR 29/20 –, juris Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 6. November 2002 – 5 StRR 279/02 –, juris Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17 –, juris Rn. 13 m.w.N.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Januar 2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 586/21 –, juris Rn. 17 m.w.N. zu § 74 Abs. 2 OWiG; KK-Paul a.a.O. Rn. 10 m.w.N.).

Ein ärztliches Attest, das ohne Diagnose lediglich eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt, wäre in der Berufungshauptverhandlung nicht ungeeignet, einen Anhalt für eine Entschuldigung zu erbringen (OLG München, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 5 OLG 15 Ss 173/17 –, juris Rn. 16; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013 – 3 Ss 20/13 –, juris Rn. 10; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 Ss 372/06 –, juris Rn. 12 zu § 74 Abs. 2 OWiG; KK-Paul a.a.O. Rn. 9). Auch könnte bereits die bloße Mitteilung der Erkrankung im Einzelfall die gerichtliche Aufklärungspflicht auslösen (OLG Dresden, Beschluss vom 31. Januar 2019 – 2 OLG 22 Ss 699/18 –, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. März 2013 – 3 Ss 20/13 –, juris Rn. 9).

2. In der Revision hingegen ist die Frage, ob der Angeklagte unentschuldigt im Sinne von § 329 StPO gefehlt hat, so dass das Gericht seine Berufung ohne weiteres verwerfen durfte, also ob der Tatrichter den Begriff der Entschuldigung zutreffend angewandt oder verkannt hat und ob er der Art und den Auswirkungen der Erkrankung weiter nachgehen musste, nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern nur auf eine zulässig erhobene Verfahrensrüge (BayObLG, Urteil vom 25. Oktober 2022 – 206 StRR 286/22 –, juris, Rn. 8 m.w.N.; BGHSt 17, 391 zitiert nach juris Rn. 15; KK-Paul, a.a.O. Rn. 7 ff., 14 m.w.N.). Da dem Revisionsgericht eigene Feststellungen verwehrt sind, ist grundsätzlich erforderlich, alle den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen gemäß § 344 Abs. 2 StPO so vollständig und genau mitzuteilen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr. vgl. Nachweise bei KK-Gericke a.a.O. § 344 Rn. 39; Gössel in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 95; Quentin in MüKoStPO, 1. Aufl. 2016, § 329 Rn. 100 ff.). Danach gilt:

Will die Revision im Falle einer Erkrankung des Angeklagten eine unrichtige Beurteilung der Entschuldigung geltend machen, hat sie den Entschuldigungsgrund der Erkrankung so hinreichend darzulegen, dass dem Revisionsgericht allein aufgrund des Vorbringens die Bewertung einer Krankheit als Entschuldigungsgrund ermöglicht wird. Dazu ist die Art der Erkrankung unter Angabe der Symptomatik in der Rechtfertigungsschrift detailliert darzustellen (BayObLG, Urteil vom 25. Oktober 2022 – 206 StRR 286/22 –, juris Rn. 11; OLG Hamm, Beschluss vom 23. August 2012 – III-3 RBs 170/12 –, juris Rn. 13 zu § 74 Abs. 2 OWiG; im Erg. auch KG Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 – (4) 1 Ss 31/02 (15/02) –, juris Rn. 3). Ein Vortrag zur Erkrankung in einer gesonderten Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags genügt, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, diesen Vorgaben nicht. Der Inhalt der erst nach dem Erlass des landgerichtlichen Verwerfungsurteils im weiteren Verlauf des Verfahrens im Rahmen des Begründungsschriftsatzes zum Wiedereinsetzungsantrag vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 12. Dezember 2022 hat daher in der Revision außer Betracht zu bleiben (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 14. Januar 2009 – 2 Ss OWi 1623/08 –, juris Rn. 17 zur Rechtsbeschwerde).

Will die Revision die Verletzung der Aufklärungspflicht rügen und beanstanden, dass das Berufungsgericht trotz vorliegender Anhaltspunkte für einen bestimmten Entschuldigungssachverhalt diesem nicht in dem gebotenen Maße nachgegangen ist und die Aufklärung das Vorliegen eines genügenden Entschuldigungsgrundes ergeben hätte, ist  darzulegen, welcher konkrete Umstand aufgeklärt werden sollte, welches Beweismittel benutzt werden sollte, warum sich diese Aufklärung aufdrängte und was sie zugunsten des Beschwerdeführers ergeben hätte (Schlothauer/Weider/Wollschläger, Verteidigung im Revisionsverfahren, 3. Aufl. 2018, 3. Rn. 2377; Gössel a.a.O. § 329 Rn. 95).

3. Die Verfahrensrüge, die sich hier darauf beschränkt, das Landgericht hätte die Berufung des Angeklagten trotz seines Ausbleibens im Termin zur Berufungshauptverhandlung nicht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verwerfen dürfen, genügt diesen Anforderungen nicht. Denn der Angeklagte behauptet zwar eine Verhandlungsunfähigkeit, legt zur Begründung seines Rechtsmittels jedoch lediglich eine nachträglich beigebrachte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Diagnose G 43.9 vor. Der Revisionsschrift lässt sich weder das genaue Ausmaß der körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung entnehmen noch behauptet der Beschwerdeführer, dass dem Tatrichter am Tage der Hauptverhandlung eine Anknüpfungstatsache für eine Klärung des Zustands des Angeklagten zur Verfügung gestanden hätte (vgl. KK-Paul a.a.O. Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 20. Februar 2002 – (4) 1 Ss 31/02 (15/02) –, juris). Auf welcher Grundlage der Tatrichter den Begriff der Entschuldigung verkannt haben könnte, erschließt sich aus dem Vortrag daher nicht. Dem Senat ist damit die Prüfung, ob die Fahrt zum Verhandlungsort und die Teilnahme an der Hauptverhandlung nach der Art und den Auswirkungen der Krankheit nicht zumutbar waren, nicht eröffnet.“

Ziemlich viel, was das BayObLG da schreibt. Aber: Es fasst damit noch einmal schon zusammen, auf was es ankommt. Das ist/war allerdings nichts Neues. So dass mich – mal wieder – wundert, dass der Verteidiger diese Vorgaben nicht präsent hatte. Das ist nun wirklich das 1 x 1 bei der Verfahrensrüge.

Revision II: Zum Verstoß gegen Hinweispflicht, oder: Welche Bedeutung hatte die geänderte Tatzeit?

Und als zweite Entscheidung hier der KG, Beschl. v. 05.04.2023 – 4 ORs 17/23 – 161 Ss 30/23 – zu den Anforderungen an eine Verfahrensrüge bei Verstoß gegen Hinweispflicht.

„1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten, das Landgericht habe ihn entgegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO nicht auf die gegenüber der Anklageschrift veränderte Tatzeit hingewiesen, ist unzulässig.

a) Es kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – unzulässig ist, weil nicht ausgeführt worden sei, ob der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage hinreichend unterrichtet wurde und daher ein ausdrücklicher gerichtlicher Hinweis entbehrlich war (vgl. in diesem Sinne der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2019, 239; offengelassen vom 1. Strafsenat in NStZ 2020, 97, 99), oder ob nach der Neufassung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO durch das „Gesetz zur effektiven und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17. August 2017 (BGBl. I Seite 3202) ein solcher Vortrag nicht erforderlich ist, weil stets ein förmlicher Hinweis auf die Änderung der Sachlage erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 4 StR 272/21 – [juris]; NStZ 2019, 236 [3. Strafsenat]).

b) Denn die Verfahrensrüge ist unzulässig, weil der Angeklagte nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt hat, inwieweit die geänderte Tatzeit für sein Verteidigungsverhalten bedeutsam war.

Gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht eine besondere Hinweispflicht auf eine veränderte Sachlage nur, wenn ein Hinweis zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (vgl. BT-Drucks. 18/11277, Seite 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14 – [juris-Rdn. 13]). Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. BGH NStZ 2015, 233, 234; NStZ-RR 1997, 72; Norouzi in MüKo/StPO, § 265 Rdn. 48 ff. mwN) wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen (vgl. BGH NStZ 2020, 97; 2019, 239; Bartel in KK, StPO 9. Auflage, § 265 Rdn. 26). Nach der Gesetzesbegründung lösen „nur solche Veränderungen die Hinweispflicht aus […], die für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam sind“ (BT-Dr. 18/11277, Seite 36). Danach können Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung oder eine Person des Beteiligten bestehen (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 383; NStZ 2019, 239; 2015, 233, 234; BGHSt 56, 121, 123 ff.; 28, 196, 197 f.). Bezugspunkt der Prüfung ist die Frage, ob die Veränderung der Sachlage nach den Umständen des Einzelfalls einen für die Verteidigung wesentlichen Punkt betrifft (vgl. Arnoldi NStZ 2020, 99, 101; Bartel aaO). Ein Hinweis auf eine Veränderung der Tatzeit ist demnach insbesondere erforderlich, wenn der Angeklagte für die angeklagte Zeit ein Alibi vorbringt (vgl. BGH StV 2019, 818; NStZ-RR 2006, 213; NStZ 1994, 502).

Um dem Revisionsgericht die Prüfung eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu ermöglichen, muss der Revisionsführer gemäß § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGH NStZ-RR 2013, 222; NJW 2007, 3010, 3011; 1995, 2047; BGHSt 29, 203; 21, 334, 340). Dazu zählt auch der Vortrag, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung des Angeklagten erforderlich war, wenn sich dies nicht von selbst versteht. Denn nur unter dieser Voraussetzung besteht – wie dargelegt – für das Gericht überhaupt die Rechtspflicht, einen Hinweis zu erteilen (vgl. BGH NStZ 2019, 239 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 5 RVs 4/22 – [juris-Rdn. 10]). Deshalb ist in ausreichender Weise vorzutragen, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können (vgl. BGH aaO; Urteil vom 25. März 1992 – 3 StR 519/91 – [juris Rdn. 15 ff.]).

Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hätte als Revisionskläger vortragen müssen, wie er sich im Verfahren verteidigt hat, insbesondere ob und wie er sich eingelassen hat, und wie sich ein Hinweis auf die geänderte Tatzeit daher auf sein Verteidigungs- und/oder Einlassungsverhalten ausgewirkt hätte. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, für die in der Anklageschrift genannte Tatzeit („gegen 18:15 Uhr“) in der Hauptverhandlung ein Alibi vorgetragen oder etwa dahingehende (Beweis-)Anträge gestellt zu haben. Er hat auch nicht ausgeführt, für die im Urteil festgestellte Tatzeit („gegen 16:45 Uhr“) ein Alibi gehabt zu haben. Bei dieser Sachlage genügt das Revisionsvorbringen, der Angeklagte hätte sich bei Kenntnis der genauen Tatzeit um weitere Entlastungszeugen kümmern können und auf der Plattform „Youtube“ nach entlastenden Videoaufnahmen suchen können, nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Senat kann auf Grundlage der Begründungsschrift nicht beurteilen, ob ein Hinweis auf die geänderte Tatzeit – was sich auch nicht von selbst versteht – für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam war und daher der unterbliebene förmliche Hinweis einen Verfahrensfehler begründet.“

Revision I: Zur Begründung von Verfahrensrügen, oder: Unzulässige Rüge, da nicht alle Unterlagen vorgelegt

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Am „Fast-Wochenende“ heute – morgen am Freitag gibt es dann ja „nur“ noch gebührenrechtliche Entscheidungen – drei Entscheidungen zu Rechtsmitteln bzw. zur Rechtsmittelbegründung, Und das ist „natürlich“ die Revision.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – 5 StR 455/22.

Erhoben worden sind in einem Verfahren, das (wohl) mit einer Verurteilung wegen Vergewaltigung u.a. geendet hat, zwei Verfahrensrügen, die der BGH als nicht ausreichend begründet angesehen hat:

„Die Revision wendet sich mit zwei Verfahrensrügen gegen die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens; geltend gemacht wird jeweils ein Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO.

Beide Rügen erweisen sich bereits als unzulässig, weil das Rügevorbringen auf diverse Aktenbestandteile wie Vernehmungsprotokolle Bezug nimmt, welche die Revision aber entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht vorgelegt hat. Dass entsprechende Unterlagen – ohne dass hierauf im Einzelnen verwiesen worden wäre – in einer Zusammenstellung von Aktenteilen enthalten sind, die einer anderen, mit gesondertem Schriftsatz erhobenen Verfahrensrüge beigefügt ist, entlastet den Revisionsführer nicht (vgl. nur BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 1 StR 75/14). Soweit eine der Rügen zugleich § 244 Abs. 2 StPO als verletzt
ansieht, ist sie aus denselben Gründen nicht zulässig ausgeführt.

Die von einem anderen Verteidiger ebenfalls auf die unterbliebene Einholung eines aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens gestützte, aber eigenständig begründete Aufklärungsrüge erweist sich dagegen als unbegründet: Regelmäßig ist davon auszugehen, dass Berufsrichter – hier zumal die Mitglieder einer Jugendschutzkammer – über die erforderliche Sachkunde bei der Anwendung der maßgeblichen aussagepsychologischen Kriterien verfügen, um auch Aussagen von Zeugen kindlichen oder jugendlichen Alters sachgerecht würdigen zu können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 – 5 StR 12/22). Besonderheiten, welche die eigene Sachkunde des Tatgerichts als nicht ausreichend erscheinen lassen könnten, zeigt die Revision für den vorliegenden Fall nicht auf; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

Nicht zulässig erhoben ist schließlich die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO durch Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines sexualmedizinischen Gutachtens geltend gemacht wird. Denn entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist der mit der Rüge in Bezug genommene ärztliche Befundbericht der gynäkologischen Untersuchung der Nebenklägerin nicht vorgelegt worden.“

Solche Entscheidungen sind nicht „schön“, sie helfen aber, in anderen Fällen die Revison ausreichend zu begründen.

Verfahrensrüge III: Rechtsbeschwerdebegründungen, oder: Abwesenheitsverhandlung, rechtliches Gehör u.a.

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Und im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Verfahrensrüge im Rechtsbeschwerdeverfahren, allerdings jeweils nur die Leitsätze der Entscheidungen, und zwar:

1. Wird der Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und nimmt weder er noch sein Verteidiger an dieser teil, reicht ein Hinweis auf eine abweichend vom Bußgeldbescheid in Betracht kommende Verurteilung wegen Vorsatzes nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht aus.
2. Anders als bei einer allein auf die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gestützten Beanstandung setzt die Zulässigkeit der Rüge einer Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO nicht voraus, dass der Beschwerdeführer auch vorträgt, wie er sich im Falle eines ordnungsgemäß erteilten Hinweises verteidigt hätte, insbesondere was er in diesem Fall konkret geltend gemacht bzw. wie er seine Rechte im Einzelnen wahrgenommen hätte.

1. Wird im Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des von der Erscheinenspflicht in der Hauptverhandlung entbundenen und deshalb nicht erschienenen Betroffenen darauf gestützt, dass das Urteil auf einem in der Terminladung nicht benannten, in der Hauptverhandlung erschienenen und in Abwesenheit des Betroffenen vernommenen Zeuge beruht, muss der Betroffene darlegen, wie er sein Fragerecht ausgeübt und welche Fragen er gestellt hätte.
2. Nimmt der Verteidiger an der Hauptverhandlung teil, bedarf es eines Vortrages dazu, ob er die Rechte des Betroffenen als dessen Vertreter mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht – in Ausübung dieser Vollmacht – wahrgenommen hätte.
3. Stellt der Verteidiger im eigenen Namen Beweisanträge, nimmt er seine Befugnisse als Verteidiger, nicht aber die Rechte des Betroffenen in Ausübung seiner Vertretungsvollmacht wahr. Will der Verteidiger in der Hauptverhandlung (auch) als Vertreter des abwesenden Betroffenen auftreten, muss dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden.