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OWi I: Neueres zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Gesamte Messserie?, Datenschutz, Rechtsbeschwerde

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Heute dann ein Tag mit OWi-Entscheidungen. Da hat sich in der letzten Zeit einiges angesammelt. Allen Kollegen, die mir Entscheidungen geschickt haben, an dieser Stelle (noch einmal) ein herzliches Dankeschön.

Dieses erste Posting enthält verschiedene Entscheidungen zur (Akten)Einsicht bzw. besser: Zur Einsicht in Messunterlagen. Dazu stelle ich folgende Entscheidungen – hier nur mit dem Leitsatz – vor:

  • KG, Beschl. v. 20.04.2021 – 3 Ws (B) 84/21 – in dem das KG zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, mit der geltend gemacht wird, die Hauptverhandlung hätte wegen bislang nicht gewährter Einsicht in Rohmessdaten ausgesetzt werden müssen, Stellung genommen hat, und zwar:
    1. Das Recht des Betroffenen auf Einsicht in nicht bei den Akten befindliche Messunterlagen hat seinen Ursprung im Recht auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK.
    2. Die zulässige Verfahrensrüge erfordert insbesondere die Darlegung, dass der Betroffene den Zugang zu nicht zur Akte genommenen Unterlagen schon rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt und im Verfahren nach § 62 OWiG weiterverfolgt hat.
    1. Die geltend gemachte Verweigerung des Zugangs zu dem Gericht nicht vorliegenden (Mess-)Unterlagen stellt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.
    2. Eine ausdehnende Auslegung oder analoge Anwendung der Regelung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG auf Fälle von Verstößen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens kommt nicht in Betracht.
    3. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung eines Beweisantrages kann im Zulassungsverfahren nur dann vorliegen, wenn die Ablehnung willkürlich ist.
    4. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nicht allein deshalb, weil das amtsgerichtliche Urteil nicht mit Entscheidungsgründen versehen ist.

Aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren ergibt sich daher, dass auch ein privater Gutachter Einsicht in die gesamte Messreihe bekommen muss.

Für die Überprüfung einer Geschwindigkeitsmessung benötigt der Betroffene den Zugang zu den Messunterlagen, insbesondere zu den Rohmessdaten in Form des vollständigen Messfilms. Diese sind herauszugeben. Datenschutzrechtliche Belange stehen nicht entgegen.

Die Einschätzung, ob bestimmte Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein können, obliegt in erster Linie der Verteidigung. Ungeachtet der Bedenken, die hinsichtlich der Relevanz der gesamten Messreihe im Hinblick auf die konkrete Messung des Betroffenen bestehen, kann die Möglichkeit aus der gesamten Messreihe potentielle Entlastungsmomente abzuleiten nicht von vorneherein und pauschal verneint werden. Die Daten sind herauszugeben. Datenschutzrechtliche Belange stehen nicht entgegen.

JGG II: Wenn der JGH-Bericht nicht im Urteil auftaucht, oder: Sachrüge oder Verfahrensrüge?

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Beschl. v. 28.05.2021 – 2 Ss 38/21 – zur Frage Stellung genommen, ob es einen sachlich-rechtlichen Mangel des Urteils darstellt, wenn in den Urteilsgründen die  Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe nicht mitgeteilt wird. Falls ja, müsste das ggf. auf die Sachrüge hin beachtet werden, falls nicht, müsste ggf. eine Verfahrensrüge erhoben werden. Das OLG hat die Frage verneint:

„Der Erörterung bedarf insoweit lediglich folgendes: Ob bei der Verurteilung eines Heranwach-senden Jugendrecht anzuwenden ist, weil er – wie im vorliegenden Fall vom Landgericht angenommen – zum Tatzeitpunkt noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage. Dem Jugendgericht steht bei der Beurteilung der Reife des Heranwachsenden grundsätzlich ein erheblicher Ermessensspielraum zu (BGH, Urt. v. 09.08.2001 – 1 StR 211/11 – juris; OLG Celle, Beschl. v. 26.06.2012 – 32 Ss 78/12 – juris). Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der getroffenen Entscheidung zu ermöglichen, müssen die für die Entwicklung des Heranwach-senden maßgeblichen tatsächlichen Umstände und die hieraus gezogenen rechtlichen Schluss-folgerungen dargelegt und in einer Gesamtschau gewürdigt werden (Senat, Beschluss vom 20. September 2019, Az.: 2 Ss 112/19). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil ge-recht, wenngleich es an der Mitteilung des Inhalts der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in der Berufungsverhandlung fehlt. Letzterer Umstand und seine rechtlichen Folgen werden von der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. Teilweise wird die fehlende Mitteilung bereits auf die allgemeine Sachrüge hin berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 5 StR 35/11 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. August 2012 – (4) 121 Ss 170/12 (202/12) -, juris). Allerdings handelte es sich in den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen um mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Sachverhalte: Bei der angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs war in den Gründen des angefochtenen Urteils lediglich ausgeführt worden, dass die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung zur Frage etwaiger Reifeverzögerungen des Angeklagten eine von der Beurteilung des Tatgerichts abweichende Einschätzung abgegeben hatte, ohne dass den Urteilsgründen die von ihr vorgetragenen Argumente und eine Auseinandersetzung mit diesen zu entnehmen war. In der zitierten Entscheidung des Kammergerichts waren in dem zugrundeliegenden Urteil keine ausreichenden Feststellungen zur Entwicklung des Angeklagten getroffen worden, was als sachlich-rechtlicher Mangel gewertet wurde. Für die Annahme solcher Mängel der vorgenannten Art ist vorliegend indes angesichts der umfassenden Darlegung und sorgfältigen Würdigung der von der Jugendkammer zur Begründung der Anwendung von Jugendrecht auf den Angeklagten angeführten Gesichtspunkte sowie mangels Anhaltspunkten für gegenteilige Erkenntnisse oder Ausführungen der Jugendgerichtshilfe kein Raum gegeben.

In Fällen der vorliegenden Art, in denen in den Gründen des angefochtenen Urteils die für die Beurteilung des Vorliegens von Reifeverzögerungen maßgeblichen tatsächlichen Umstände der Entwicklung des Angeklagten sowie die hieran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen des Tatgerichts dargelegt worden sind und es lediglich an der Mitteilung der Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe fehlt, ist die unterbliebene Mitteilung nicht als sachlich-rechtlicher Mangel an-gesehen worden (vgl. BGH, NStZ-RR 1999, 26; OLG Hamm, Beschl. v. 25.11.2004 – 2 Ss 413/04 –, juris). Es handele sich vielmehr um einen Verfahrensmangel, der nur mit einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge der Verletzung der gerichtlichen Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend gemacht werden könne (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 01. Juli 1998 – 1 StR 182/98, NStZ-RR 1999, 26; OLG Hamm, Be-schluss vom 25. November 2004 – 2 Ss 413/04 -, juris). Dies wird mit dem allgemein geltenden Grundsatz begründet, dass allein die fehlende Erwähnung eines erhobenen Beweises nicht belege, dass das Ergebnis dieser Beweiserhebung nicht in die Überzeugungsbildung eingeflossen sei, was für die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe in der Hauptverhandlung entsprechend gelte (vgl. BGH aaO). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Eine entsprechende Verfahrensrüge ist im vorliegenden Fall durch den Angeklagten nicht erhoben worden.“

Verfahrensrüge III: Ausreichende Begründung?, oder: U.a. Beweisantrag, Abwesenheit, Sachverständiger

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Und die dritte Entscheidung zum Rügevortrag kommt dann vom 4. Strafsenat des BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 01.12.2020 – 4 StR 519/19 – zu mehreren Verfahrensrüge des Angeklagten und des Nebenklägers Stellung genommen. Die richteten sich gegen eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung. Die Rüge hatten alle keinen Erfolg:

„3. Im Übrigen bemerkt der Senat ergänzend zu den Antragsschriften des Generalbundesanwalts:

a) Die Revision des Angeklagten dringt – von der Schuldspruchänderung abgesehen – mit der Sachrüge und den Verfahrensrügen nicht durch. Einzugehen ist nur auf Folgendes:

aa) Die Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe zeitweise in Abwesenheit des Verteidigers stattgefunden, da dieser am zweiten Hauptverhandlungstag während der Vernehmung eines Zeugen einen akuten Schwächeanfall erlitten und deshalb an seinem Platz eine „Notfallmahlzeit“ habe zubereiten und einnehmen müssen, ist bereits nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. September 2018 – 4 StR 135/18; vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, Rn. 8; vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; vgl. auch LR-StPO/Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 372; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 224).

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts musste der Beschwerdeführer zwar nicht den Inhalt zweier Vermerke über den Vorfall vortragen, die der Vorsitzende bzw. eine beisitzende Richterin der Strafkammer verfasst hatten. Denn diese Vermerke hatte der Vorsitzende erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist zu den Akten genommen, so dass der Beschwerdeführer sie nicht rechtzeitig zur Kenntnis hatte nehmen können. Dem Rügevortrag lässt sich jedoch nicht zweifelsfrei entnehmen, ob der körperliche oder geistige Zustand des Verteidigers infolge des behaupteten Schwächeanfalls den Grad der Verhandlungsunfähigkeit erreichte. Nur in diesem Fall wäre der Verteidiger als abwesend anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1999 – 3 StR 390/99; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 83; Knauer/Kudlich in MK-StPO, 1. Aufl., § 338 Rn. 107).

Jedenfalls wäre die Rüge unbegründet, da sich aus den richterlichen Vermerken im Einzelnen ergibt, dass der Verteidiger tatsächlich nicht verhandlungsunfähig war.

bb) Die Rüge, die Verteidigung sei dadurch unzulässig beschränkt worden, dass das Landgericht ein Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen Prof. S. rechtsfehlerhaft zurückgewiesen habe, ist ebenfalls bereits unzulässig, da sie den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt.

Die Revision teilt das Ablehnungsgesuch zwar wörtlich mit, doch leitet das Gesuch die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen maßgeblich aus dessen vorbereitendem schriftlichen Gutachten ab und nimmt darauf inhaltlich Bezug. In einem solchen Fall dürfen die betreffenden Stellen des schriftlichen Gutachtens nicht nur summarisch und ohne den zugehörigen Kontext mitgeteilt werden (BGH, Urteil vom 14. Januar 1987 – 3 StR 546/86, BGHR StPO § 74 Abs. 1 Satz 1 Befangenheit 1). Entgegen diesen Anforderungen enthält das Ablehnungsgesuch jedoch nur kurze, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und knappe Zusammenfassungen des schriftlichen Gutachtens.

cc) Weiter ist auch die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO zur „Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung“ unzulässig. Der Sache nach handelt es sich um sechs getrennt zu beurteilende Aufklärungsrügen, die sämtlich den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügen. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt neben der Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, die Angabe eines bestimmten zu erwartenden Beweisergebnisses sowie der Umstände voraus, aufgrund derer sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1998 – 4 StR 618/97 mwN). Dem entspricht die Revisionsbegründung nicht.

b) Die Revision der Nebenklage dringt ebenfalls nicht durch. Einzugehen ist auf Folgendes:

aa) Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Beweisantrag auf Vernehmung der Polizeibeamtin O. als Zeugin abgelehnt, ist bereits unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da die Revision den polizeilichen Vermerk, auf den der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts und die Revisionsbegründung Bezug nehmen, nicht vollständig mitteilt.

bb) Die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht einen Beweisantrag auf Einnahme des richterlichen Augenscheins abgelehnt, ist zulässig erhoben, aber unbegründet.

Der Antrag des Beschwerdeführers war darauf gerichtet, zum Beweis der akustischen Wahrnehmbarkeit der herannahenden Motorräder durch den Angeklagten die Unfallstelle (erneut) zu besichtigen und dabei das Vorbeifahren von zwei einander folgenden Motorrädern am Gespann nachzustellen. An einem früheren Hauptverhandlungstag hatte das Landgericht bereits die Unfallstelle in Augenschein genommen und das Tatgeschehen mit dem Vorbeifahren des Motorrads nur des Nebenklägers nachgestellt. Den Antrag hat das Landgericht nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 StPO aF abgelehnt und hilfsweise darauf verwiesen, die Aufklärungspflicht gebiete „einen weiteren Ortstermin“ nicht.

Es kann offenbleiben, ob sich das Landgericht zu Recht auf die von ihm genannten Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO aF gestützt hat oder ob der Antrag schon deshalb nur im Rahmen der Aufklärungspflicht zu behandeln und abzulehnen war, weil es sich um einen Antrag auf wiederholte Beweiserhebung handelte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020 – 4 StR 533/19; BGH, Beschluss vom 18. Juli 2001 – 3 StR 211/01; BGH, Urteil vom 7. August 1990 – 1 StR 263/90, BGHR § 244 Abs. 6 Beweisantrag 16; BGH, Urteil vom 21. Juni 1995 – 2 StR 67/95, BGHR § 244 Abs. 6 Beweisantrag 32). Auf einem etwaigen Rechtsfehler würde das Urteil jedenfalls nicht beruhen. Denn dass die Vorbeifahrt zweier Motorräder einen erhöhten, für den Angeklagten wahrnehmbaren Lärmpegel erzeugt hätte, hat das Landgericht in seiner Beweiswürdigung ausdrücklich erwogen, jedoch hat es mit rechtsfehlerfreier Begründung die Schlussfolgerung verneint, aus der Wahrnehmbarkeit der Motorräder sei abzuleiten, der Angeklagte habe sie tatsächlich wahrgenommen.“

Verfahrensrüge I: Ausreichende Begründung?, oder: Sämtliche Schriftstücke beigefügt?

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Heute dann mal wieder ein StPO-Tag, und zwar mit dem Thema „Verfahrensrüge“. Immer wieder beliebt und immer wieder fehlerhaft 🙂 .

Ich starte dann mit dem BGH, Beschl. v. 13.01.2021 – 1 StR 120/20. Er behandelt ein Dauerbrennerproblem, nämlich die Frage, nämlich die Frage des ausreichenden Vortrags für die Prüfung der Begründetheit der Verfahrensrüge. Die Rüge hatte keinen Erfolg:

„3. Die Revision der Angeklagten K. bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

a) Die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, weil sie nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Weise begründet ist.

Der Revisionsbegründung sind nicht sämtliche Schriftstücke, die für eine Beurteilung der Begründetheit der Rüge erforderlich sind, beigefügt; diese sind auch nicht ihrem Inhalt nach vollständig mitgeteilt. So werden neben weiteren auch bereits vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift genannten Dokumenten beispielsweise auch die in den Durchsuchungsbeschlüssen vom 1. und 2. Juli 2019 in Bezug genommenen Schreiben und E-Mails der Angeklagten K. weder vorgelegt noch zumindest inhaltlich wiedergegeben. Gleiches gilt für die im Beschluss vom 2. Juli 2019 über die Entpflichtung von Rechtsanwalt D. als Pflichtverteidiger in Bezug genommenen Schreiben des Angeklagten H. , in denen sich „Ausführungen zu dem Briefverkehr über ‚Rechtsanwältin K. ‚“ befinden sollen (RB S. 25), sowie für die Schriftstücke aus den Strafvollstreckungsakten des S. (Beiheft), die nach den Durchsuchungsbeschlüssen vom 1. und 2. Juli 2019 Anlass für die Durchsuchungsmaßnahmen waren und die ebenfalls nur auszugsweise in der Revisionsbegründung wiedergegeben wurden. Soweit mitgeteilt wird, dass sich aus dem „gesamten Beiheft“ keine weiteren Bezüge zur Angeklagten K. ergäben (RB S. 21), ist dies für den Senat anhand der Revisionsbegründung und der mit ihr vorgelegten Unterlagen nicht überprüfbar.“

Sollte man als Verteidiger wissen, dass zur Begründung einer Verfahrensrüge – welche hier erhoben ist, bleibt offen – sämtliche „Schriftstücke, die für eine Beurteilung der Begründetheit der Rüge erforderlich sind, beigefügt“ werden müssen.

Dazu passt dann auch der BGH, Beschl. v. 11.05.2021 – 5 StR 110/21. Da ist die Ablehnung eines  Beweisantrages als fehlerhaft gerügt worden. Die vorgelegten Unterlagen reichten dem BGh ebenfalls nicht.

 

StPO I: Sitzordnung in der Hauptverhandlung, oder: Anforderungen an die Verfahrensrüge

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Und zum Wochenausklang – ja, denn morgen kommen ja „nur“ noch RVG-Entscheidungen – dann noch ein wenig StPO.

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 16.02.2021 – 4 StR 517/20. Thematik: Sitzordnung in der Hauptverhandlung und Verfahrensrüge. Das LG hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Dagegen die – erfolglose – Revision des Angeklagten. Mit einer der erhobenen Verfahrensrügen hatte der Angeklagte die Sitzordnung in der Hauptverhandlung beanstandet. Ohne Erfolg:

„1. Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Soweit der Angeklagte beanstandet, die Strafkammer habe gegen Verfahrensrecht verstoßen, weil sie angeordnet habe, dass er für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerinnen in den Zuschauerraum zu verbringen sei, zeigt er keinen Rechtsverstoß zu seinem Nachteil auf.

aa) Eine Verletzung von § 247 Satz 1 i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO liegt nicht vor, weil der Angeklagte nicht aus dem Sitzungszimmer entfernt wurde und an seiner Sitzposition auch weiterhin in Sicht- und Hörweite des Verfahrensgeschehens und damit nicht abwesend im Sinne von § 338 Nr. 5 StPO war (vgl. Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 338 Rn. 83 mwN). Die Unterbrechung des ständigen Kontaktes zu seinem Verteidiger ändert daran nichts.

bb) Eine durch diese Maßnahme bewirkte unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO ist bereits nicht hinreichend dargetan (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Zwar kann auch eine – wie hier – im Beschlusswege angeordnete Umgestaltung der Sitzordnung gemäß § 176 GVG zu einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung in einem für das Urteil wesentlichen Punkt führen. Dies setzt aber voraus, dass bei dieser nur auf grobe Ermessensfehler hin überprüfbaren Anordnung die Rechtsposition des Angeklagten oder seines Verteidigers grundlegend verkannt und ihre Mitwirkungsmöglichkeiten tatsächlich entscheidungserheblich eingeschränkt wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 – 5 StR 228/18, NStZ 2019, 297 Rn. 4 mwN; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 338 Rn. 59). Für die Vortragspflicht des Revisionsführers bedeutet dies, dass er auch die Tatsachen vorzubringen hat, aus denen sich ein konkreter Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung bedeutsamen Punkt ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, NJW 2005, 300, 303; Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135 f. mwN; siehe auch Beschluss vom 11. Februar 2014 – 1 StR 355/13, NStZ 2014, 347 Rn. 18). Diesen Erfordernissen wird das Revisionsvorbringen nicht gerecht. Zwar wird geltend gemacht, dass es dem intellektuell eingeschränkten Angeklagten von der ihm zugewiesenen Sitzposition im Zuhörerraum aus nicht möglich gewesen sei, direkt mit seinem Verteidiger Kontakt aufzunehmen und Nachfragen vorzubringen. Auch habe er dieses Defizit aufgrund seiner mangelnden Erinnerungsfähigkeit nicht nach seiner Rückkehr auf die Anklagebank ausgleichen können. Aus diesem Vorbringen – seine Richtigkeit unterstellt – ergibt sich aber nur, dass die durch die Änderung der Sitzordnung bewirkte Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten generell geeignet war, seine Verteidigung zu beeinträchtigen. Dass tatsächlich bestimmte und möglicherweise entscheidungserhebliche Umstände infolge der von der Strafkammer bestimmten Sitzordnung nicht zur Sprache gekommen sind, zeigt die Revision nicht auf (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135 [zur selektiven Beiziehung von Spurenakten]). Dies wäre aber erforderlich gewesen, um wenigstens die Möglichkeit eines konkretkausalen Zusammenhangs zwischen den durch die Sitzordnung bewirkten Beschränkungen der Verteidigung und einem bedeutsamen Punkt im Urteil gemäß § 338 Nr. 8 StPO darzutun.“