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Inbegriffsrüge, oder: Was das KG alles „ernsthaft in Erwägung zieht“

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Und als zweite Entscheidung dann noch einen Beschluss des KG, und zwar der KG, Beschl. v. 15.08.2017 – 3 Ws (B) 182/17 – 122 Ss 81/17. Der hängt schon etwas länger in meinem Blogordner. Daher dann heute endlich.

Es geht um die ausreichende Begründung der Inbegriffsrüge (§ 261 StPO). Der Betroffene hat gegenüber seiner Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geltend gemacht, das AG habe im Urteil den Inhalt des in die Hauptverhandlung nicht eingeführten Auszugs aus dem Fahreignungsregister verwertet. das KG sagt: Rüge unzulässig, denn:

Wird beanstandet, das Tatgericht habe den Inhalt in der Hauptverhandlung nicht verlesener Urkunden verwertet, so gehört zur ordnungsgemäßen Begründung der Verfahrensrüge nicht nur die Behauptung, dass die Urkunde nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass der Inhalt der Urkunde nicht in sonst zulässiger Weise eingeführt worden sei (vgl. BGH StraFo 2016, 347; NStZ 2014, 604; NJW 2001 , 2558; OLG Düsseldorf StV 1995, 120; KG StV 2013, 433; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 261 Rn. 185, zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit: vgl. BVerfG NJW 2005, 1999). Die Verfahrensrüge ist nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn der Beschwerdeführer die den Mangel enthaltenden Tatsachen angibt. Diese Angaben haben objektiv richtig (vgl. BGH StraFo 2011 , 318), mit Bestimmtheit und so genau und vollständig (ohne Bezugnahmen und Verweisungen) zu erfolgen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrifi — ohne Rückgriff auf die Akte und auf das Hauptverhandlungsprotokoll— erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen, ihre Erweisbarkeit vorausgesetzt, zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 — 2 StR 34/13 juris; Saarländisches OLG Verkehrsrecht aktuell 2016, 103; Gertckein KK, StPO 7. Aufl.,  § 344 Rn. 38-39 m.w.N.; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 79 Rn. 27d). Wenn dem geltend gemachten prozessualen Fehler entgegenstehende Tatsachen nach der konkreten Fallgestaltung ernsthaft im Raum stehen, so ist für einen erschöpfenden Vortrag auch die Darstellung gegenläufiger, rügevernichtender Umstände erforderlich (vgl. BGH bei Sander, NStZ-RR 2007, 97 m.w.N.; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 28. Januar 2009 — 1 Ss 96/08 — , juris; Senat VRS 130, 251).

Diesen Anforderungen genügt das Rügevorbringen nicht. Aus den Urteilsgründen, auf die der Senat wegen der Sachrüge zurückgreifen konnte, ist ersichtlich, dass sich der Betroffene, der zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen war, zur Sache über seinen Verteidiger geäußert hat. Er habe gewusst, dass an der betreffenden Stelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h begrenzt gewesen sei, weil er dort etwa ein Jahr zuvor bereits einmal „geblitzt“ worden sei (UA S. 2). Aus den Gründen des Urteils ergeben sich daher ernsthaft in Erwägung zu ziehende Anhaltspunkte, dass der Verteidiger in der Hauptverhandlung den Inhalt der maßgeblichen Eintragung im Fahreignungsregister im Rahmen der abgegebenen Einlassung zumindest im Wesentlichen mitgeteilt und das Tatgericht seine Überzeugung von der bußgeldrechtlichen Vorbelastung des Betroffenen auf die vom Verteidiger in der Hauptverhandlung abgegebene Einlassung gestützt hat. Hierfür spricht auch der Inhalt der Beschwerdebegründung, in der auf einen Schriftsatz des Verteidigers vom 9. Februar 2017 hingewiesen und der nur auszugsweise wieder gegeben wird. Um den formellen Anforderungen der Verfahrensrüge zu genügen, wäre es erforderlich gewesen, den Inhalt der vom Verteidiger in der Hauptverhandlung abgegebenen Einlassung erschöpfend wiederzugeben, auch auf die Gefahr hin, dass dadurch dem Rügevorbringen der Boden entzogen wird. Soweit der Verteidiger in der Stellungnahme auf die Antragsschrift der Generalsstaatsanwaltschaft ausgeführt hat, die Einlassung des Betroffenen in der Hauptverhandlung habe allein beinhaltet, dass der Betroffene an der gleichen Stelle fast exakt ein Jahr vorher bereits „geblitzt“ worden sei, so genügt dieser kurze Hinweis weder dem Vollständigkeitsgebot noch ist er innerhalb der Begründungsfrist gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG erfolgt.“

Na. „ernsthaft in Erwägung zu ziehende Anhaltspunkte„? Wieso denn das? Nur weil der Verteidiger ausführt, dass der Betroffene „er dort etwa ein Jahr zuvor bereits einmal „geblitzt“ worden sei“? In meinen Augen ganz schön mutig…..

Urteilsabsetzungsfrist, oder: Bestimmt behaupten, nur zweifeln reicht nicht.

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Und als zweite Entscheidung heute dann noch einmal der BGH, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 StR 464/17, über den ich ja schon in der vergangenen Woche berichtet hatte (vgl. hier: Tatbegriff im Steuerstrafverfahren, oder: Kein Strafklageverbrauch). 

Der BGH hat in der Entscheidung auch – kurz – zu einer mit der Verfahrensrüge erhobenen Beanstandung Stellung genommen. Gerügt war nämlich wohl eine Verletzung des § 338 Nr. 7 – also Nichteinhaltung der Urteilsabsetzungsfrist. Gerügt war aber nicht ordnungsgemäß:

„2. Die von der Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 1 StPO ist nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt. Entgegen den gesetzlichen Anforderungen wird die Nichteinhaltung der Urteilsabsetzungsfrist nicht mit Bestimmtheit behauptet (zu diesem Erfordernis etwa BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 1 StR 75/14 Rn. 65, StraFo 2015, 70, 72 mwN), sondern die Rechtzeitigkeit lediglich bezweifelt. Zudem teilt die Revision trotz ihr möglichen Zugriffs auf diese Information nicht mit, dass auf Blatt 1 der Niederschrift der Sitzung vom 8. März 2017 ein Vermerk der Geschäftsstelle über den Eingang des Urteils dort (§ 275 Abs. 1 Satz 5 StPO) am 23. Mai 2017 und damit am letzten Tag der Urteilsabsetzungsfrist angebracht ist.“

Daraus zwei Lehren:

1. Bestimmt behaupten = klare Worte sind erforderlich. Nur zweifeln reicht nicht.

2. Und: Zu dem Umstand, dass es einen zeitlich passendenRechtszeitigkeitsvermerk gibt, muss man schon etwas schreiben.

Selbstleseverfahren, oder: Wie geht man damit um – zwei Anfänger?

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 Ss 174/17. Der ist in doppelter Hinsicht von Interesse, ich stelle heute zunächst mal die verfahrensrechtliche Problematik vor, und zwar geht es um die Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen die Vorschriften über das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) geltend gemacht wird.

Insoweit hatte die Sprungrevision keinen Erfolg:

„1. Soweit eine Verletzung von § 249 Abs. 2 StPO gerügt wird, ist dies unzulässig, da keine vorherige Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erfolgte.

Für eine Beanstandung der Anordnung des Selbstleseverfahrens ist ein vorheriger Widerspruch nach § 249 Abs. 2 S. 2 StPO erforderlich. Soweit die Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens betroffen ist, hat grundsätzlich eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO zu erfolgen (BGH NStZ 2011, 300 f.; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 249 Rn. 32). Zur Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens gehört auch die faktische Nichtdurchführung des Verfahrens nach vorheriger Anordnung. Das Gericht muss den Prozessbeteiligten Gelegenheit zur Selbstlesung geben (Meyer Goßner/Schmitt aaO., § 249 Rn. 23). Damit wird diese Gelegenheit Teil des durchzuführenden Verfahrens. Wird eine solche Gelegenheit nicht gewährt, so ist die Art der Durchführung des Verfahrens betroffen.

Zwar wurde vorliegend keine Gelegenheit zur Selbstlesung gewährt, aber dies wurde auch nicht nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet, weshalb die Revision nicht hierauf gestützt werden kann.“

Auch das ist m.E. ein Punkt, den man als Verteidiger „auf dem Schirm haben sollte“. Oder besser: „….. haben muss“. Allerdings: Als Gericht sollte man wissen, dass Gelegenheit zum Selbstlesen gewährt werden muss……

Versäumte Verfahrensrügen, oder: Keine Wiedereinsetzung, auch nicht bei zwei Verteidigern

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Und zum Tagesschluss dann nochmal eine Entscheidung zur Wiedereinsetzung. Es geht im BGH, Beschl. v. 28.11.2017 – 3 StR 339/17 – um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung von Verfahrensrügen.  Ist immer nicht so gnaz einfach. Und auch hier hat der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg.

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung von Verfahrensrügen ist unzulässig. Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist nicht versäumt, da das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13, juris Rn. 4 mwN). Dass der Angeklagte durch zwei Rechtsanwälte verteidigt wird, von denen einer die Sachrüge fristgerecht erhoben, der andere aber die Frist zur Geltendmachung von Verfahrensbeschwerden versäumt hat, ändert hieran nichts. Denn es handelt sich bei der Revision des Angeklagten unabhängig von der Zahl seiner Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 239/08, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 14). Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise – insbesondere wegen eines Verschuldens der beteiligten Gerichte oder Behörden – zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 3 StR 173/08, NStZ-RR 2008, 282, 283; vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705, 706; vom 27. Februar 2014 – 1 StR 367/13, StraFo 2014, 333), liegt nicht vor.“

Anfängerfehler des Verteidigers bei der Revision, oder: Immer Verfahrensrüge und Sachrüge

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Die zweite Entscheidung kommt auch vom BGH. Jetzt ist es aber nicht ein Anfängerfehler des Gerichts, sondern des Verteidigers, der – mit Verlaub – vom Revisionsrecht m.E. nicht viel Ahnung zu haben scheint. Denn der BGH hat im BGH, Beschl. v. 10.01.2018 – 4 StR 586/17 – die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen:

„Die vom Angeklagten eingelegte Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO unzulässig, da die einzig erhobene Aufklärungsrüge aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 21. November 2017 den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt.“

Er – der BGH –  verkneift sich dann den Hinweis, dass Sachrüge nicht erhoben ist.

M.E. ein Anfängerfehler des Verteidigers bzw. ein Fehler, der wenig Kenntnisse des Verteidigers im Revisionsrecht beweist. Ich behaupte: Kein erfahrener Revisionsanwalt wird nur die Verfahrensrüge erheben und nicht auch die Sachrüge. Denn ist die Verfahrensrüge unzulässig, ist die Revision insgesamt unzulässig und wird – siehe oben – ohne großen Aufwand verworfen.