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Selbstleseverfahren, oder: Wie geht man damit um – zwei Anfänger?

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 Ss 174/17. Der ist in doppelter Hinsicht von Interesse, ich stelle heute zunächst mal die verfahrensrechtliche Problematik vor, und zwar geht es um die Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen die Vorschriften über das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) geltend gemacht wird.

Insoweit hatte die Sprungrevision keinen Erfolg:

„1. Soweit eine Verletzung von § 249 Abs. 2 StPO gerügt wird, ist dies unzulässig, da keine vorherige Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erfolgte.

Für eine Beanstandung der Anordnung des Selbstleseverfahrens ist ein vorheriger Widerspruch nach § 249 Abs. 2 S. 2 StPO erforderlich. Soweit die Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens betroffen ist, hat grundsätzlich eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO zu erfolgen (BGH NStZ 2011, 300 f.; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 249 Rn. 32). Zur Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens gehört auch die faktische Nichtdurchführung des Verfahrens nach vorheriger Anordnung. Das Gericht muss den Prozessbeteiligten Gelegenheit zur Selbstlesung geben (Meyer Goßner/Schmitt aaO., § 249 Rn. 23). Damit wird diese Gelegenheit Teil des durchzuführenden Verfahrens. Wird eine solche Gelegenheit nicht gewährt, so ist die Art der Durchführung des Verfahrens betroffen.

Zwar wurde vorliegend keine Gelegenheit zur Selbstlesung gewährt, aber dies wurde auch nicht nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet, weshalb die Revision nicht hierauf gestützt werden kann.“

Auch das ist m.E. ein Punkt, den man als Verteidiger „auf dem Schirm haben sollte“. Oder besser: „….. haben muss“. Allerdings: Als Gericht sollte man wissen, dass Gelegenheit zum Selbstlesen gewährt werden muss……

Versäumte Verfahrensrügen, oder: Keine Wiedereinsetzung, auch nicht bei zwei Verteidigern

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Und zum Tagesschluss dann nochmal eine Entscheidung zur Wiedereinsetzung. Es geht im BGH, Beschl. v. 28.11.2017 – 3 StR 339/17 – um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung von Verfahrensrügen.  Ist immer nicht so gnaz einfach. Und auch hier hat der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg.

„Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung von Verfahrensrügen ist unzulässig. Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist nicht versäumt, da das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13, juris Rn. 4 mwN). Dass der Angeklagte durch zwei Rechtsanwälte verteidigt wird, von denen einer die Sachrüge fristgerecht erhoben, der andere aber die Frist zur Geltendmachung von Verfahrensbeschwerden versäumt hat, ändert hieran nichts. Denn es handelt sich bei der Revision des Angeklagten unabhängig von der Zahl seiner Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 239/08, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 14). Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise – insbesondere wegen eines Verschuldens der beteiligten Gerichte oder Behörden – zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 3 StR 173/08, NStZ-RR 2008, 282, 283; vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705, 706; vom 27. Februar 2014 – 1 StR 367/13, StraFo 2014, 333), liegt nicht vor.“

Anfängerfehler des Verteidigers bei der Revision, oder: Immer Verfahrensrüge und Sachrüge

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Die zweite Entscheidung kommt auch vom BGH. Jetzt ist es aber nicht ein Anfängerfehler des Gerichts, sondern des Verteidigers, der – mit Verlaub – vom Revisionsrecht m.E. nicht viel Ahnung zu haben scheint. Denn der BGH hat im BGH, Beschl. v. 10.01.2018 – 4 StR 586/17 – die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen:

„Die vom Angeklagten eingelegte Revision ist gemäß § 349 Abs. 1 StPO unzulässig, da die einzig erhobene Aufklärungsrüge aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 21. November 2017 den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt.“

Er – der BGH –  verkneift sich dann den Hinweis, dass Sachrüge nicht erhoben ist.

M.E. ein Anfängerfehler des Verteidigers bzw. ein Fehler, der wenig Kenntnisse des Verteidigers im Revisionsrecht beweist. Ich behaupte: Kein erfahrener Revisionsanwalt wird nur die Verfahrensrüge erheben und nicht auch die Sachrüge. Denn ist die Verfahrensrüge unzulässig, ist die Revision insgesamt unzulässig und wird – siehe oben – ohne großen Aufwand verworfen.

Dolmetscher, oder: Wie gehe ich mit schlechten Übersetzungsleistungen um?

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Und als dritte „Verfahrensentscheidung“ des BGH dann noch den BGH, Beschl. v. 08.08.2017 – 1 StR 671/16 -, der zur Veröffentlichung in BGHSt besteimmt ist. Es geht um „Schlechtleistung“ des Dolmetschers und wie man damitin der Verfahrensrüge umgeht: Die Leitsätze des BGH

  1. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers in gerichtlichen Verhandlungen bei Beteiligung der deutschen Sprache nicht mächtiger Angeklagter regelt aus-schließlich § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG, nicht § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG.
  2. Werden unzureichende Übersetzungsleistungen des in der gerichtlichen Verhandlung hinzugezogenen Dolmetschers beanstandet, bedarf es dazu Vortrag zu den konkreten Mängeln der Übersetzung und deren Auswirkungen auf die Möglichkeiten des Angeklagten, dem Gang des Verfahrens zu folgen und die wesentlichen Verfahrensvorgänge zu erfassen.

Also: Vortragen muss man.

 

Bitte nicht „ausweislich des Protokolls“, denn das kann für die Verfahrensrüge tödlich sein.

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Urheber Harald Bischoff

So und zum Abschluss des heutigen Tages dann noch einen OLG Hamm-Beschluss, über den ich neulich schon mal in einem anderen Zusammenhang berichtet habe (vgl. Ablehnung wegen Befangenheit; oder: Schnell muss es gehen, auch wenn der Schöffe quatscht). Es ist der OLG Hamm, Beschl. v. 08.06.2017 – 4 RVs 64/17 – den ich jetzt noch einmal wegen der Ausführungen des OLG im Rahmen der Verfahrensrüge vorstelle.

Es ist u.a. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt worden. Die Rüge ist/war nach Auffassung des OLG unzulässig:

„b) Soweit mit Schriftsatz vom 18.04.2017 eine Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird, entspricht diese Rüge nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen Verfahrensrügen in bestimmter Form erhoben und durch Angabe der den vorgeblichen Mangel enthaltenden Tatsachen begründet werden. Zwar kann eine Formulierung wie beispielsweise „ausweislich des Protokolls“ im Revisionsvorbringen auch nur als ein Hinweis auf das geeignete Beweismittel zu verstehen sein, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptung selbst in Frage gestellt wird (vgl. nur: BGH, Beschl. v. 13.07. 2011 – 4 StR 181/11 – juris). So verhält es sich hier aber gerade nicht. Während der Verfahrensablauf in der Rügebegründung bis zur Verlesung der Stellungnahme des abgelehnten Schöffen ohne Zusätze geschildert und damit zweifelsohne bestimmt behauptet wird, wird das Folgegeschehen, nämlich dass lediglich die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hätten, der Angeklagte hingegen nicht, mehrfach mit dem Zusatz „ausweislich des Sitzungsprotokolls“ versehen. Diese Differenzierung in der Formulierung lässt durchgreifende Zweifel aufkommen, dass das letztgenannte Geschehen bestimmt behauptet werden soll. Hinzu kommt, dass – was für eine Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erforderlich wäre – die Revision nicht mitteilt, was der Angeklagte selbst im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgebracht hätte (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.12.2016 – 4 RBs 291/15 – juris m.w.N.).“

Also: Bitte nicht „ausweislich des Protokolls“. Das kann für die Verfahrensrüge tödlich sein.