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Welche Tätigkeiten führen zur Verfahrensgebühr? oder: Keine „nach außen erkennbare Tätigkeit“ erforderlich

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Am RVG-Freitag komme ich dann zunächst noch einmal auf einen Beschluss des OLG Braunschweig zurück, den ich bereits vor einigen Tagen vorgestellt habe. In dem Posting ging es um Nebenklage III: Anfechtung der Kostenentscheidung, oder: Statthaftigkeit und/oder Beschwer.

Heute dann also der OLG Braunschweig, Beschl. v. 19.01.2023 – 1 Ws 309/22 – noch einmal. Dieses mal aber wegen der anderen vom OLG angesprochen Gebührenfrage, nämlich zum Entstehen der Verfahrensgebühr. Dazu das OLG:

„Diese Gebühr ist auch schon entstanden. Zwar entsteht die Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 4 Abs. 2 der Anlage 1 zum RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, woraus teilweise gefolgert wird, dass die Gebühr zumindest dann noch nicht entsteht, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor deren Begründung zurücknimmt. Diese Ansicht beruht aber auf der Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 156 Abs. 1 RiStBV jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel begründen muss, weshalb ein Verteidiger grundsätzlich davon ausgehen kann, dass eine Berufung der Staatsanwaltschaft innerhalb der Frist des § 317 StPO begründet wird und eine sinnvolle Verteidigung erst möglich ist, wenn die Berufungsbegründung den Umfang und die Zielsetzung des Rechtsmittels aufzeigt (OLG Köln, Beschluss vom 3. Juli 2015, 2 Ws 400/15, Rn. 19, BeckRS 2015, 12573; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 4124 Rn. 3, zit. nach beck-online). Diese Annahme ist auf den Beratungsbedarf eines Nebenklägers bei einer, nicht begründungspflichtigen, Berufung des Angeklagten nicht übertragbar.

2. Die sofortige Beschwerde des Nebenklägers ist auch begründet.

Gemäß § 473 Abs. 1 S. 2 StPO haben die Angeklagten, die ein Rechtsmittel erfolglos eingelegt haben, auch die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen. Im hier vorliegenden Fall führt dieser Grundsatz dazu, dass in der Kostenentscheidung vom 19. Oktober 2022 die notwendigen Auslagen des Nebenklägers für die Berufungsinstanz den Angeklagten aufzuerlegen sind. Soweit teilweise unter Rückgriff auf die Regelung in § 472 Abs. 1 S. 3 StPO hiervon eine Ausnahme gemacht wird, wenn der Angeklagte durch sein Verhalten keinen vernünftigen Grund für den Anschluss als Nebenkläger gegeben hat oder den Verletzten ein Mitverschulden trifft (OLG Hamm, Beschluss vom 4. März 2003, 1 Ws 63/03, Rn. 8, zit. nach juris), liegt eine solche Fallgestaltung hier nicht vor.

Soweit mit dem Verteidigerschriftsatz für den Angeklagten pp. vorgetragen wird, der Nebenklägervertreter habe keinerlei Tätigkeiten im Berufungsverfahren ausgeübt, wird verkannt, dass die Gebühr nach VV 4124 der Anlage 1 zum RVG schon bei der erstmaligen Tätigkeit im Berufungsverfahren entsteht, wofür keine nach außen erkennbare Tätigkeit erforderlich ist, sondern auch eine (interne) Beratung des Mandanten über den Gang des Verfahrens ausreichen kann (Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage 2021, VV 4124 Rn. 5, zit. nach beck-online). Ob eine solche Tätigkeit tatsächlich stattgefunden hat, welchen Umfang sie hatte und ggf. in welcher Höhe die Verfahrensgebühr festzusetzen ist, ist ggf. im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären und nicht im Rahmen der Kostengrundentscheidung.“

Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV im Adhäsionsverfahren, oder: Nicht, wenn es das Verfahren gar nicht gibt?

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Und dann heuteder erste Freitag im neuen Jahr und damit der erste „Money-Day“. Und da komme ich heute zunächst auf eine Entscheidung zurück, die ich am letzten RVG-Tag 2022 vorgestellt habe, nämlich den OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 Ws 22/22 (S) (vgl. hier: Terminsgebühr nach zu später Absage des Termins, oder: Rechtsanwalt muss nicht im Saal “erscheinen”). Ich hatte ja schon angekündigt, dass ich die Entscheidung hier noch einmal vorstellen werde. Und das tue ich heute wegen der zweiten Frage, die das OLG – leider falsch – entschieden hat.

Insoweit ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: In dem Verfahren hatte mit Schriftsatz vom 30.4.2021 der Nebenklägervertreter einen Adhäsionsantrag bei Gericht eingereicht. Mit Verfügung vom 03.05.2021 erteilte die Vorsitzende dem Nebenklägervertreter den rechtlichen Hinweis, dass eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) im Verfahren gegen Jugendliche gemäß § 81 JGG nicht in Betracht komme. Mit gleicher Verfügung ordnete die Vorsitzende die (einfache) Übersendung der Antragsschrift und einer Abschrift des an den Nebenklägervertreter gerichteten rechtlichen Hinweises u.a. an die Pflichtverteidigerin zur Kenntnisnahme an. Mit Schriftsatz vom 03.05.2021 beantragte diese, den Adhäsionsantrag zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 17.06.2021 hat die Strafkammer sämtliche Anträge der Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter Hinweis auf § 81 JGG abgelehnt.

Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat die Pflichtverteidigerin u.a. die Festsetzung einer Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG) für das Adhäsionsverfahren beantragt. Diese Gebühr ist nicht festgesetzt worden. Dazu das OLG:

„2. Erfolglos bleibt die Beschwerde hinsichtlich der geltend gemachten Gebühren für das Adhäsionsverfahren.

Zwar hat der Bundesgerichtshof für den Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) entschieden, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4).

Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung klargestellt hat, kann indes nur dann angenommen werden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht, was vorliegend nicht der Fall war. Dass der Bundesgerichtshof auch eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf ein unstatthaftes Verfahren im Blick hatte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen und ist auch nicht zu unterstellen.

Zudem hat das erkennende Gericht den Adhäsionsantrag dem Angeklagten nicht zugestellt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 2 StR 390/14 –) und bereits bei der einfachen Übersendung der Antragsschrift mitgeteilt, dass das Adhäsionsverfahren gegen einen Jugendlichen nicht stattfinde.

Da ein Adhäsionsantrag, der außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wird, gemäß § 404 Abs. 1 S. 3 StPO erst mit Zustellung wirksam wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 37/04 –), bedurfte es insofern auch keiner Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten. Es erscheint auch nicht unbillig, die Gebühr zu versagen, da eine Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten nicht erforderlich war.“

Wie gesagt: M.E. falsch. Denn auf die richtige gesehene Frage der Erstreckung kam es hier m.E. gar nicht an. Denn dabie geht es um die Frage der Festsetzung/Erstattung der  Nr. 4143 VV RVG als gesetzliche gebühr für die Pflichtverteidigerin. Die Frage ist aber strikt zu treffen, von der Frage, ob diese Gebühr für die Pflichtverteidigerin durch den vom OLG dargestellten Verfahrensablauf entstanden ist. Und das ist m.E. – anders als das OLG es offenbar meint – der Fall. Denn das Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO und/oder einem förmlichen Adhäsionsverfahren ab, vielmehr entsteht entsprechend der Vorbem. 4 VV RVG die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden, wobei es unerheblich ist, ob es um die Durchsetzung oder die Abwehr eines Anspruchs geht (dazu OLG Jena AGS 2009, 587 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; OLG Nürnberg AGS 2021, 8 = RVGreport 2014, 72 = StraFo 2014, 37 = NStZ-RR 2014, 64; LG Braunschweig, Beschl. v. 8.3.2012 – 5 Qs 39/12, RVGreport 2012, 299; LG Kiel, Beschl. v. 26.6.2020 – 10 Qs 34/20, RVGreport 2020, 428). Dabei kommt es m.E. auch nicht darauf an, ob die Verfahrensart – hier das JGG-Verfahren – ein Adhäsionsverfahren überhaupt vorsieht. Denn der Angeklagte wird mit diesem Verfahren überzogen – auch, wenn das Gericht die Unzulässigkeit erkennt – und hat damit Beratungsbedarf, so dass nach den allgemeinen Regeln zur Verfahrensgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG diese mit einer Beratung, auch über die Unzulässigkeit des Adhäsionsverfahrens, entstanden ist. Und bitte: Nicht wieder wie beim vor Begründung zurückgenommen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft die Diskussion die Diskussion, dass diese Beratung „nutzlos“ sei. Das ist sie nicht und das entscheidet im Übrigen auch nicht die Staatskasse. Von daher: Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen.

Welche Gebühren bei der selbständigen Einziehung?, oder: Ggf. alles noch einmal…..

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Heute ist der letzte Arbeitstag vor Weihnachten und ich stelle hier – es ist Freitag – noch einmal Gebührenentscheidungen vor.

Ich hatte im vergangenen Jahr über den AG Bremen, Beschl. v. 04.03.2021 – 87 Ds 310 Js 53638/14 (29/18) – berichtet. Der hat zu den Gebühren im selbständigen Einziehungsverfahren (§§ 421 ff. StPO) Stellung genommen. Nun bin ich durch Zufall auf die dazu ergangenene Rechtsmittelentscheidung gestoßen, deren Volltext ich mir dann über das LG Bremen besorgt habe. Den LG Bremen, Beschl. v. 17.02.2022 – 5 Qs 321/21 u. 5 Qs 488/21 will ich dann heute als erste Entscheidung vorstellen.

Nochmals kurz der Sachverhalt: Der Rechtsanwalt war für die Betroffene sowohl im Strafverfahren als auch in einem sich anschließenden selbstständigen Einziehungsverfahren tätig. Er hat für dieses nach dessen Einstellung gegenüber der Staatskasse, der die Kosten des Verfahrens auferlegt worden waren, neben der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG u.a. auch die allgemeinen Verfahrensgebühren und eine Terminsgebühr geltend gemacht. Diese sind vom AG Bremen im Beschl. v. 04.03.2022 festgesetzt worden. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Staatskasse hatte keinen Erfolg:

„Die zulässigen sofortigen Beschwerden mit einem Beschwerdewert von 268,94 Euro (5 Qs 321/21) und 686,15 Euro (5 Qs 488/21) sind aus den bereits in den Kostenfestsetzungsbeschlüssen des Amtsgerichts Bremen genannten Gründen als unbegründet zurückzuweisen.

Die erkennende Kammer teilt vollumfänglich die Auffassung, dass es sich bei dem eingestellten Ermittlungsverfahren und dem selbstständigen Einziehungsverfahren nicht um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG handelt. Gebührenrechtlich hat eine eigenständige Abgeltung zu erfolgen bei der – neben der zusätzlichen Verfahrensgebühr für Einziehungen nach Nr. 4142 VV RVG – auch Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühren für den Einziehungsbeteiligten entstehen können (vgl. auch Burhoff, AGS 2021, 400-401).

Aus Sicht der Kammer kann die zur gleichgelagerten Problematik in Bußgeldsachen (Nr. 5116 VV RVG) ergangenen Rechtsprechung auf den Bereich der Strafsachen übertragen werden (vgl. zu Nr. 5116 VV RVG: LG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 07. Dezember 2012 – 5 Qs 384/12 –, juris; LG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Februar 2013 – 3 Qs 6/13 Ko –, juris; LG Trier, Beschluss vom 08. August 2016 – 1 Qs 32/16 –, juris; LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 29. Oktober 2019 – 16 Qs 30/19 –, juris, LG Stuttgart, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 20 Qs 15/19 –, juris und LG Hamburg, Beschluss vom 18. Oktober 2021 – 612 Qs 100/20 OWi –, juris; a.A. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 2012 – 1 AR 70/11 –, juris und LG Kassel, Beschluss vom 15. Mai 2019 – 8 Qs 4/19 –, juris).

Wie die §§ 421 ff. StPO und insbesondere § 427 StPO deutlich machen, geht das Gesetzgeber davon aus, dass ein Einziehungsbeteiligter zur Wahrung seiner Rechte nicht nur vollumfänglich am Verfahren zu beteiligen ist, sondern ihm grundsätzlich auch die gleichen Befugnisse einzuräumen sind, die einem Angeklagten zustehen. Gerade die ggf. unterschiedliche Interessenlage zwischen Beschuldigten und Einziehungsbeteiligten kann es im Einzelfall erforderlich machen, dass der Einziehungsbeteiligte sich intensiv(er) und umfangreich(er) – z.B. über Beweisanträge – am Verfahren beteiligen muss. Eine Vergütung lediglich anhand der als Wertgebühr ausgestalteten Einziehungsgebühr würde der gesetzlichen Stellung und Interessenlage der Einziehungsbeteiligten demnach nicht gerecht werden und führt in aller Konsequenz in eine Situation, in der Verteidiger von Einziehungsbeteiligten nur dann mit einer angemessenen Vergütung rechnen können, wenn der Wert des Einziehungsgegenstandes ausreichend hoch ist, um ggf. auch umfangreiche und schwierige anwaltliche Tätigkeiten abzudecken.“

Ist zutreffend. Und an diejenigen, die Ausführungen zur Grundgebühr vermissen. Dazu hatte das AG bereits Stellung genommen. Die Frage hat im Rechtsmittelverfahren keine Rolle mehr gespielt.

Vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung, oder: Geschäftsgebühr oder Verfahrensgebühr?

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Im Kessel Buntes heute dann der das BGH, Urt. v. 24.02.2022 – VII ZR 320/21 – das sich noch einmal mit der Frage befasst, wann eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVG angesehen werden muss. Nach Auffassung des BGH ist diese Frage nach der Art und dem Umfang des im Einzelfall erteilten Auftrags zu entscheiden.

Hier der Leitsatz zu der Entscheidung, mit der der BGh frühere Rechtsprechung fortführt:

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats (im Anschluss an BGH, Urteil vom 15. August 2019 III ZR 205/17, WM 2019,
1833).

Nr. 4142 VV RVG II: Beratung des Mandanten reicht, oder: LG Coburg macht es richtig

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Und die zweite Entscheidung zur Nr. 4142 VV RVG ist dann hier der sehr schöne LG Coburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 3 Qs 10/21. Der Kollege Estel, der mir den Beschluss geschickt hat, warlt war (Pflicht)Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in einem Verfahren wegen eines Diebstahlsvorwurf – Diebstahl eines Bargeldbetrages von 120.000 EUR. Nachdem die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hatte, hat sie diese nach einem richterlichen Hinweis zurückgenommen und das Verfahren mit Verfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Der Kollege hat hat im Rahmen der Kostenfestsetzung u.a. die Festsetzung einer Gebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 120.000,00 EUR beantragt. Die Rechtspflegerin hat die Gebühr nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung des Kollegen hat das AG die Gebühr festgesetzt. Gegen diese Festsetzung hat der Vertreter der Staatskasse Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG keinen Erfolg. Das LG sieht den Ansatz der Nr. 4142 VV RVG als zutreffend an:

„Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Zu den erstattenden Gebühren gehört auch grundsätzlich die Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht.

Die Gebühr fällt bereits dann für die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes an, wenn eine Einziehung in Betracht kommt (BeckOK RVG, 50. Edition, Stand: 01.12.2020, W 4142 Rn. 9 -10). Die VV 4142 RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus. Die Einziehung muss auch nicht im Verfahren beantragt worden sein. Es ist bereits ausreichend, wenn eine Einziehung in Betracht kommt oder nach Aktenlage geboten ist (OLG Dresden – Strafsenat, Beschluss vom 14.02.2020 — 1 Ws 40/20). Dies ist vorliegend der Fall. Aus dem Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Coburg vom13.09.2019 (BI. 161 d.A.) ergibt sich, dass die ersten Ermittlungen für eine Vermögensabschöpfung aufgenommen wurden. Der Angeschuldigte bzw. der Verteidiger, welcher am 25.10.2019 Akteneinsicht hatte, konnte folglich mit einer vermögensabschöpfenden Maßnahme rechnen, sodass eine Beratung diesbezüglich sachgerecht war. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeschuldigte aufgrund des Testamentes seines, nach der Entnahme des Geldes zwischen dem 20.03.2019 und 21.04.2019 verstorbenen Vaters, Erbe geworden ist. Das Testament wurde durch die Polizei sichergestellt. Dennoch hat die Polizei trotz Kenntnis des Testaments Finanzermittlungen im Hinblick auf eine eventuelle Vermögensabschöpfung vorgenommen, sodass eine Beratung diesbezüglich durch den Verteidiger nicht völlig fernliegend war. Zwar vermerkte die Staatsanwaltschaft am 06.06.2019 in der Akte, dass vorerst keine weiteren Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung veranlasst sind. Jedoch wurde erst mit Anklageerhebung vom 09.12.2019 endgültig von Vermögensabschöpfung abgesehen. Bis zur Erhebung der Anklage waren weitere vermögensabschöpfende Maßnahmen nicht ausgeschlossen bzw. zumindest jedoch nicht derart fernliegend, dass eine anwaltliche Beratung hierzu nicht sachgerecht gewesen wäre. Zumal auch eine Beratung zu den bereits vorgenommenen Maßnahmen sowie zu den etwaigen Auswirkungen des Todes des Vaters und des Testamentes auf die weiteren Ermittlungen und vermögensabschöpfenden Maßnahmen bereits eine Beratung, die sich auf eine mögliche Einziehung bezieht, darstellt.

Vor der am 01.07.2017 in Kraft getretenen Neuregelung der Vermögensabschöpfung wurde die Ansicht vertreten, dass es sich bei Nr. 4142 VV RVG um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenem den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen musste. Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe waren daher nach herrschender Meinung nicht erfasst.

Das am 01.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung grundlegend neu geregelt. Das Rechtsinstitut des Verfalls wurde abgeschafft und durch das Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt. Ebenso wurden die Regelungen zur Rückgewinnungshilfe abgeschafft. Nach den Neuregelungen werden alle Anordnungen nach § 73ff. StGB als Einziehung bezeichnet. Nach dem Wortlaut der Nr. 4142 W RVG fällt die Gebühr u.a. für alle Tätigkeiten an, die sich auf die Einziehung beziehen. Durch die neuen Vorschriften zur Vermögensabschöpfung kann der Verletzte mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung nunmehr die Rückübertragung und Herausgabe der eingezogenen Gegenstände bzw. seine Befriedigung aus dem eingezogenen Wertersatz verlangen. Die Einziehungsentscheidung wird daher nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Angeschuldigten getroffen. Damit stellt die Einziehung stets eine auf den endgültigen Verlust des Gegenstandes oder des Vermögens gerichtete Maßnahme dar (LG Cottbus, Beschluss vom 22.01.2018 – 22 Wi Qs 16/17).

Bei der Gebühr Nr. 4142 VV RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr unabhängig vom Umfang der Tätigkeit zusteht. Damit genügt es, wenn der Verteidiger beratend im Zusammenhang mit der möglichen Einziehung tätig wird. (LG Chemnitz, 4. große Strafkammer, Beschluss vom 09.01.2020 – 4KLs 310 Js 40553/18; OLG Dresden (Strafsenat), Beschluss vom 14.02.2020 — 1 Ws 40/20). Dem Pflichtverteidiger war daher eine 1,0 Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 4142 zu erstatten.

Auch der Verfahrenswert wurde vom Amtsgericht Coburg ordnungsgemäß festgesetzt.

Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des Gegenstandes. Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe richtet sich nach den zum Zeitpunkt der Beratung erkennbaren Anhaltspunkten. Ob sich später Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben, ist insoweit unerheblich (OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. 7. 2011 – 1 Ws 351/11). Für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist somit nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe eine Einziehung im Urteil letztlich angeordnet worden ist, sondern vielmehr darauf, in welcher Höhe dem Angeschuldigten eine Einziehung drohte (LG Berlin, Beschluss vom 13.04.2018 – 511 KLs 255 Js 739/14 -11/17; LG Essen – XXIV. große Strafkammer – Jugendkammer, Beschluss vom 04.12.2018 – 64 Qs-68 Js 11.80/16-23/18). Hier wurde dem Angeschuldigten ein Diebstahl von Bargeld in Höhe 120.000,00 Euro vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung drohte dem Angeschuldigten eine Einziehung in dieser Höhe. Dieser Wert war somit maßgeblich für die Festsetzung des Verfahrenswertes.“

Wie gesagt: Eine sehr schöne Entscheidung. Hoffentlich bleibt es dabei. Denn das LG hat gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 RVG die weitere Beschwerde zum OLG zugelassen. Und das ist Bamberg. Das weiß man nie…..