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Terminsvertreter des Pflichtverteidigers, oder: Welche Gebühren verdient der Terminsvertreter?

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Und dann zum Wochenschluß – vor dem morgigen „Kessel Buntes“ – dann noch Gebührenrecht.

Ich beginne mit dem OLG Jena, Beschl. v. 14.04.2021 – (S) AR 62/20 -, der sich zu einer Pauschgebühr (§ 51 RVG) verhält. In dem Zusammenhang hat das OLG zu der Frage Stellung genommen, welche Gebühren der als Terminsvertreter des Pflichtverteidigers beigeordnete Rechtsanwalt abrechnen kann.

Dem Angeklagten war Rechtsanwalt RA 2 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Außerdem hatte Rechtsanwalt RA 1 beantragt, als (zweiter) Pflichtverteidiger für den damaligen Angeklagten beigeordnet zu werden, was LG und OLG aber abgelehnt hatten. RA 1 war bereits in Vorbereitung der am 02.12.2015 begonnenen Hauptverhandlung für den damaligen Angeklagten – in Absprache mit dem bereits am 19.05.2015 beigeordneten Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt RA 2 – tätig. Im Zeitraum der Hauptverhandlung wurde dann RA 1 an 33 der 45 Hauptverhandlungsterminen  dem Angeklagten jeweils „für den heutigen Termin als Pflichtverteidiger beigeordnet“.

Der Angeklagte ist frei gesprochen worden. Der Rechtsanwalt RA 1 hat beantragt, ihm gemäß § 51 RVG eine Pauschgebühr in Höhe der Höchstgebühr eines Wahlverteidigers zu gewähren. Der Bezirksrevisor hat vorgeschlagen, den Antrag abzulehnen. Der Antragsteller, der nur vertretungsweise für einzelne Hauptverhandlungstermine bestellt worden sei, habe ohnehin nur Anspruch auf die Terminsgebühren; für eine Erhöhung dieser bestehe kein Anlass. Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 13.890,-  EUR bewilligt:

„Entgegen der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 02.02.2021 hat der Antragsteller vorliegend nicht ausschließlich einen Anspruch auf die Terminsgebühren.

Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob der wegen der Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger als Vergütung für seine Tätigkeit als sogenannter „Terminsvertreter“ nur die Terminsgebühren erhält, weil er lediglich als Vertreter des die Verteidigung insgesamt führenden Pflichtverteidigers beigeordnet worden ist, oder ob diesem weiteren Pflichtverteidiger eine (volle) Vergütung nach Abschnitt 1 des Teiles 4 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG zusteht. Dass der auf diese Weise beigeordnete Pflichtverteidiger ausschließlich einen Anspruch auf die Terminsgebühr hat, haben u.a. das Kammergericht (StraFo 2008, 349 und NStZ-RR 2011, 295), das OLG Stuttgart, Beschluss vom 03.02.2011, 4 Ws 195/10, bei juris) und das OLG Celle (Beschluss vom 10.06.2006, 2 Ws 258/06, bei juris) entschieden. Auch Hartmann (Kostengesetze, 49. Auflage, RVG VV 4100, 4101 Rn. 2) spricht sich dafür aus.

Die gegenteilige Auffassung wird u.a. von den Oberlandesgerichten Hamm (AGS 2007, 37), Karlsruhe (NJW 2008, 2935), Düsseldorf (Beschluss vom 29.10.2008, III-1 Ws 318/08, bei juris), München (zuletzt Beschluss vom 27.02.2014, 4c Ws 2/14, bei juris), Köln (Beschluss vom 26.03.2010, 2 Ws 129/10, bei juris) Saarbrücken (a.a.O.), Bamberg (a.a.O.) und Nürnberg (Beschluss vom 13.11.2014, 2 Ws 553/14) vertreten. Der Senat hat sich dieser – inzwischen wohl überwiegenden (so auch OLG Saarbrücken, a.a.O.) – Auffassung, an der er auch weiterhin fest-hält, bereits mit Beschluss vom 08.12.2010 (a.a.O.) ausdrücklich angeschlossen und dabei aus-geführt, dass sich die anwaltliche Vergütung im Einzelfall nach den durch die anwaltliche Tätigkeit konkret verwirklichten Gebührentatbeständen bemisst. In der Kommentarliteratur wird diese Auffassung von Burhoff (Gerold/Schmidt, RVG 24. Auflage, VV 4100, 4101 Rn. 5 und VV 4106, 4107 Rn. 6; siehe Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Auflage, Nr. 4100 VV RVG Rn. 8) vertreten….“

Dazu: Die Entscheidung ist m.E. richtig.

Folgende Anmerkung: Für mich nicht nachvollziehbar ist der Pauschgebührbetrag von 13.890,-  EUR. Das OLG errechnet für die Pauschgebühr einen Gesamtbetrag von 13.888,00 EUR, den rundet es dann auf 13.890,00 EUR, also um 2 EUR (!!), auf. Warum man, wenn man schon aufrundet, nicht auf 14.000 EUR oder zumindest auf 13.900 EUR aufrundet, erschließt sich nicht. Es handelt sich doch um eine Pauschgebühr. 🙂

Rücknahme der Revision der StA, oder: Wie ist das dann mit der Verfahrensgebühr des Verteidigers?

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Die zweite Entscheidung vom vom LG Detmold. Das hat im LG Detmold, Beschl. v. 18.12.2020 – 23 Qs-21 Js 463/18-142/20 – zur Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren und zur Frage der „Erstattungsfähigkeit“ der Gebühren für das Revisionsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Revision vor der Begründung zurücknimmt. Das ist ja eine Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt.

Dazu das LG:

„Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 und 4 RVG zulässig und auch in der Sache begründet. Dem Verteidiger steht für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG sowie die Pauschale für Post und Telekommunikation in Höhe von 609,38 EUR brutto gegen die Staatskasse zu.

1. Rechtsgrundlage für die Vergütung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG die Bestellung durch den Vorsitzenden des Gerichts (§ 141 StPO). Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet gemäß § 143 Abs. 1 StPO grundsätzlich mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens, wirkt also auch im Revisions-verfahren fort. Der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers richtet sich unmittelbar gegen die Staatskasse (OLG Düsseldorf Beschluss vom 10. März 2004 — 111-2 Ws 40/05, 2 Ws 40/05 m.w.N.).

2. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG liegen vor. Die hier zur Beurteilung stehende Tätigkeit des Verteidigers war von seiner Pflichtverteidigerbestellung umfasst. Durch die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren werden alle Tätigkeiten des Verteidigers abgegolten, die nicht durch gesonderte Gebühren – wie z.B. Terminsgebühren für einen Hauptverhandlungstermin – erfasst sind. Dabei entsteht die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Revisions-instanz (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 1 Rn 103; Gerold/Schmidt/Burhoff VV 4130 Rn 4). Dies entspricht dem in der amtlichen Vorbemerkung 4 Abs. 2 festgelegten Willen des Gesetzgebers, dass die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information entstehe.

a) Die vorliegend durch den Verteidiger beschriebenen Tätigkeiten wurden im Rahmen des Revisionsverfahrens erbracht. Denn die Staatsanwaltschaft Detmold hat mit Schriftsatz vom 3. September 2019 (BI. 120 d.A.) Revision gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 29. August 2019 eingelegt.

Das Revisionsverfahren beginnt mit der Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO. Nach dieser Vorschrift muss die Revision binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingereicht werden. Die Revisionseinlegung ist stets vorbehalt- und bedingungslos (Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 341 Rn 4 und 5) und löst Gerichtskosten aus (§ 473 StPO). Die rechtzeitige Einlegung einer statthaften Revision hemmt die Rechtskraft des tatrichterlichen Urteils und bewirkt, dass ein nach Erlass des Urteils eintretendes Prozesshindernis zur Einstellung des Verfahrens führt, auch wenn die Revision nicht oder nicht ordnungsgemäß begründet wird (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 341 Rn 23). Aus alledem folgt, dass mit der Einlegung der Revision der Staatsanwaltschaft die Berufungsinstanz beendet war und das Revisionsverfahren begann.

b) Der Beschwerdeführer hat rechtsanwaltliche Tätigkeiten im Rahmen des Revisions-verfahrens erbracht. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses (BI. 129 d.A.) wurde dem Verteidiger der Revisionsschriftsatz der Staatsanwaltschaft Detmold am 4. Oktober 2019 zugestellt. Damit hat der Verteidiger die Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft entgegengenommen und die erste Tätigkeit im Rahmen des Revisionsverfahrens entfaltet.

Der Beschwerdeführer hat den Verurteilten anlässlich der Revisionseinlegung auch bezogen auf dessen Einzelfall beraten. So hat er ihn nicht nur über die Bedeutung der Revisionseinlegung und den weiteren Verfahrensgang im Allgemeinen, sondern auch konkret über die Folgen der Revision für seine Bewährung aufgeklärt. Dies war für den Verurteilten, dem für seine Bewährung Auflagen und Weisungen aufgegeben worden sind, auch von besonderer Bedeutung. Schließlich hat der Verteidiger auch glaubhaft dargelegt, bereits Vorbereitungen hinsichtlich einer Gegenerklärung zu der zu erwartenden Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft getroffen zu haben.

c) Die dargelegten anwaltlichen Tätigkeiten waren erstattungsfähig. Dabei ist grundsätzlich nicht zu prüfen, inwieweit die gebührenauslösende Tätigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung unbedingt erforderlich war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 55 Rn 53). Etwas anderes gilt nur, wenn eine Prozesshandlung völlig überflüssig oder bedeutungslos war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O.). Im vorliegenden Fall waren die Tätigkeiten des Beschwerdeführers nicht nur nicht „völlig überflüssig oder bedeutungslos“, sondern zur sachgemäßen Verteidigung erforderlich.

Dies gilt zunächst bereits für die Entgegennahme der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft. Denn durch die Revisionseinlegung wurde, wie bereits dargestellt, das Revisionsverfahren in Gang gesetzt und damit der Beratungsbedarf des Verurteilten hinsichtlich der unmittelbaren Folgen der Revisionseinlegung für ihn ausgelöst.

Auch stellt die Revisionseinlegung einen für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgang dar und führt dazu, dass der Verurteilte gemäß § 11 BORA hierüber ohne besondere Aufforderung durch den Verteidiger zu unterrichten ist. Die darauf folgende Beratung hinsichtlich der Wirkung des Revisionsverfahrens auf die Bewährung und die damit verbundenen Weisungen und Auflagen war objektiv notwendig. Für den Verurteilten als juristischem Laien war nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Folgen die Revisionseinlegung für die Bewährung und insbesondere die Bewährungsauflagen haben würde. Da diese Beratung erst durch die Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft erforderlich wurde, war die Tätigkeit des Verteidigers nicht mehr durch die Gebühren des Berufungsverfahrens gedeckt. Denn ohne die Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft wäre die anwaltliche Tätigkeit des Pflichtverteidigers beendet und der Verurteilte hinsichtlich etwaigen Beratungsbedarfs an seinen Bewährungshelfer zu verweisen gewesen.

Schließlich war die Beratung auch unmittelbar nach Zustellung der Revisionseinlegung und nicht erst mit Eingang der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Denn Beratungsgegenstand war insoweit nicht nur die materielle Beurteilung der Erfolgsaussichten der Revision, sondern zumindest auch der Einfluss der Revisionseinlegung auf die dem Verurteilten mit dem Bewährungsbeschluss auferlegten Pflichten.

Zu der Beratung seines Mandanten war der Verteidiger berufsrechtlich vor dem Hintergrund von § 11 Abs. 2 BORA im Übrigen auch verpflichtet. Denn nach dieser Vorschrift sind Anfragen des Mandanten unverzüglich zu beantworten, wovon nur querulatorische oder gänzlich unbedeutende Anfragen ausgenommen sind (Henssler/Prütting BORA § 11 Rn 9). Querulatorisch oder gänzlich unbedeutend war der Beratungsbedarf des Verurteilten vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen indes nicht.

Des Weiteren war auch die durch den Verteidiger behauptete Vorbereitung einer Gegenerklärung zu der erwarteten Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zur sachgemäßen Verteidigung zweckdienlich. Auch ohne Kenntnis der konkreten Angriffsmittel der Staatsanwaltschaft ist es – wie der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt hat – möglich und im Einzelfall auch sinnvoll, erste Vorbereitungen für das weitere Revisionsverfahren zu treffen. Mit der Rücknahme der Revision durch die Staatanwaltschaft oder der Versäumung der Begründungsfrist mit der Folge der Unzulässigkeit der Revision braucht die Verteidigung entgegen der Ausführungen des Amtsgerichts Lemgo, Beschluss vom 9. Oktober 2020, nicht zu rechnen.“

Der Beschluss ist richtig. M.E. hat sich das LG aber zu viel Mühe gemacht. Der Kollege war Pflichtverteidiger. Da kommt es auf die Frage der „Erstattungsfähigkeit“ der Gebühren nicht an. Das LG hat also wahrscheinlich schon mal „geübt“, wenn der Kollege Evers, der mir den Beschluss geschickt hat, für den Mandanten die Wahlanwaltsgebühren geltend macht. Aber: Die Ausführungen des LG haben natürlich auch so eine gewisse Berechtigung, weil sie sich gegen den Einwand: „sinnlose Tätigkeit“ richten.

Im Übrigen: Nicht zu früh freuen. Das LG hat die weitere Beschwerde zugelassen. Das bedeutet, dass demnächst das OLG Hamm entscheiden wird. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass der Bezirksrevisor die Entscheidung ohne weiteren Kampf hinnehmen wird.

Rücknahme des Strafbefehlantrags, oder: Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren ja, aber…..

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Es ist Freitag und damit stehen RVG-Entscheidungen an. Heute stelle ich dann zwei LG-Entscheidungen vor. Beide nicht so schön, leider.

Ich starte mit dem LG Nürnberg, Beschl. v. 13.10.2020 -7 Qs 56/20 -, den mir der Kollege Hölldobler aus Regensburg geschickt hat.

Ein im Grunde ganz einfacher Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft hat am 31.07.2019 den Erlass eines Strafbefehls gegen den Beschuldigten beantragt. Mit Verfügung vom 08.08.2019 sandte der Strafrichter die Akte vom AG an die Staatsanwaltschaft zurück mit dem Hinweis, dass die bisher durchgeführten Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht einer Straftat begründen würden. Am 18.90.2019 ging bei der Staatsanwaltschaft die Vertretungsanzeige des Kollegen mit einem Akteneinsichtsgesuch ein. Auf Hinweis der Staatsanwaltschaft, dass das AG derzeit aktenführend sei, wandte sich der Verteidiger mit Schreiben vom 28.11.2019 an das AG und beantragte Akteneinsicht. Akteneinsicht wurde gewährt. Der Verteidiger nahm sodann Stellung zum Strafbefehlsantrag.

Am 08.01.2020 nahm die Staatsanwaltschaft Nürnberg den Strafbefehlsantrag zurück. Mit Verfügung vom 17.01.2020 wurde das Verfahren nach einem Telefonat zwischen Verteidiger und dem zuständigen Staatsanwalt ohne weitere Ermittlungen gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt..

Der Kollege hat die die notwendigen Auslagen des Angeklagten geltend gemacht, und zwar u.a. auch eine Verfahrensgebühr für das Ermittlungsverfahren Nr. 4104 VV RVG und die Nr. 7002 VV RVG für das Vorverfahren. Beide sind nicht gewährt worden:

„Die Beschwerde hat in der Sache aber keinen Erfolg.

a) Gebühr Nr.4104 VV RVG

Die Gebühr Nr. 4104 VV RVG entsteht für eine Tätigkeit des Verteidigers im vorbereitenden Verfahren bis zum Eingang u.a. des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht (s. Anmerkung zu RVG VV Nr. 4104). Die Gebühr Nr. 4106 VV RVG entsteht mit Beginn des gerichtlichen Verfahrens, u.a. mit dem Eingang des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht. Hierbei hat sich der Gesetzgeber für klare Tatbestandsmerkmale, jeweils bezogen auf den Eingang bei Gericht als entscheidende Trennlinie entschieden. Eine Ausnahmeregelung für den Fall der Rücknahme einer Verfahrenshandlung der Staatsanwaltschaft hat der Gesetzgeber für den Vergütungstatbestand der Nr. 4104 VV RVG sowie Nr. 4106 VV RVG nicht mit aufgenommen. Insofern ist auf die allgemeinen Vorschriften zurückzugreifen.

Infolge der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls wird das Verfahren wieder in das vorbereitende Verfahren (Ermittlungsverfahren) zurückversetzt (Meyer-Goßner StPO, 63. Aufl. § 156 Rn. 2). Dies ändert jedoch nichts daran, dass bereits ein gerichtliches Verfahren begonnen hatte und diesbezüglich der Anfall der Gebühr Nr. 4106 VV RVG bereits verwirklicht wurde, wenn der Verteidiger (erstmals) im gerichtlichen Verfahren tätig geworden ist (vgl. hierzu AG Gießen, Beschluss vom 29.6.2016, 507 Ds 604 Js 35439/13 = BeckRS 2016, 13454). Auch die Kammer ist der Auffassung, dass die Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls gebührenrechtlich keinen Einfluss auf die Eigenschaft eines gerichtlichen Verfahrens hat, zumal Nr. 4106 VV RVG lediglich auf den Eingang des Antrags bei Gericht abstellt und nicht auf den Erlass des Strafbefehls. Sofern hier im weiteren Verfahren ein neuer Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht eingegangen wäre, wäre dies gebührenrechtlich jedenfalls als dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG zu behandeln gewesen.

Übereinstimmende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sei es zudem, dass dem Verteidiger – sofern er nach Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls anschließend im Ermittlungsverfahren tätig war z.B. aufgrund weiterer Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, die zu einem erneuten Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder aber zu einer Einstellung geführt haben – zusätzlich die Gebühr VV 4104 RVG zusteht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4104, Rn. 4; LG Berlin, Beschluss vom 28.12.2016 – 536 Qs 22/16 = BeckRS 2016, 114021; AG Gießen, a.a.O.). Diese Gebühr gilt für die gesamte Tätigkeit des RA im vorbereitenden Verfahren mit Ausnahme der (besonderen) Tätigkeiten, die z.B. durch die Grundgebühr nach W 4100 RVG abgegolten werden. Auf den Umfang der Tätigkeit kommt es für den Anfall der Gebühren nicht an, das ist ein Problem des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4104, Rn. 6). Ein Automatismus beim Anfall der Gebühr, wenn der Verteidiger auch im Ermittlungsverfahren bestellt war, besteht jedoch nach Auffassung der Kammer – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Amtsgericht Nürnberg vom 8.9.2020 nicht.

Der Beschwerdeführer hat das Mandat unstreitig erst erhalten, als bereits der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bei Gericht eingegangen war und somit das gerichtliche Verfahren – unabhängig von der späteren Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls – begonnen hatte (Nr. 4106 VV RVG). Im gerichtlichen Verfahren ist der Verteidiger tätig geworden und hat Akteneinsicht erhalten und eine Stellungnahme abgegeben, weshalb der Anfall der Gebühren Nr. 4100 VV RVG und Nr. 4106 VV RVG nicht zu beanstanden ist.

Infolge der Rücknahme des Antrags auf Erlass eines Strafbefehls am 8.1.2020 ist das Verfahren sodann wieder in das vorbereitende Verfahren (Ermittlungsverfahren) zurückversetzt worden. Jedoch vermag die Kammer aus den Stellungnahmen des Verteidigers – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 3.7.2020 – keine Tätigkeit im Zeitraum 8.1.2020 bis 17.1.2020 erkennen, mit der die Verwirklichung des Tatbestands der Nr. 4104 VV RVG begründet werden könnte. Zwar wurde mit Verfügung vom 17.1.2020 das Verfahren nach einem Telefonat des Verteidigers mit dem zuständigen Staatsanwalt sowie nach einem Gespräch mit seinem Mandanten, die sich beide nur auf eine mögliche Einstellung des Verfahrens beziehen konnten, eingestellt, allerdings ohne dass zuvor noch Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden. Das Telefonat und das Gespräch werden gebührenrechtlich jedoch in Nr. 4141 VV RVG als die dort erforderliche Mitwirkung abgegolten (vgl. BeckOK RVG, v. Seltmann, 49. Edition, Stand 1.9.2020, RVG VV 4141 Rn. 15ff, insbesondere Rn. 17) und können nicht zusätzlich im Rahmen des Tatbestands Nr. 4104 VV RVG berücksichtigt werden (vgl. LG Saarbrücken, Beschluss vom 5.2.2015 – 6 Qs 7/15, Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl., 4106, 4107 VV Rdnr. 8ff). Weitere Tätigkeiten des Verteidigers im Ermittlungsverfahren sind aus der Akte weder ersichtlich noch wurden solche dargelegt.

b) Gebühr Nr. 7002 VV RVG

Pro Angelegenheit entfällt eine Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG.

Für Strafsachen gelten gemäß § 17 Nr. 10 RVG, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren verschiedene Angelegenheiten sind. Sonstige Aussagen trifft das RVG hierzu nicht.

Nachdem dem Beschwerdeführer die Gebühr Nr. 4104 VV RVG für eine vorbereitende Tätigkeit im Ermittlungsverfahren nicht zustand (siehe oben), ist damit die zusätzliche Gebühr Nr. 7002 VV RVG für das vorbereitende Verfahren ebenfalls nicht angefallen.“

Die Entscheidung ist falsch.

Zutreffend ist es zwar, wenn das LG davon ausgeht, dass in diesen Fällen grundsätzlich die Nr. 4104 VV RVG entstehen kann. Falsch sind dann aber die weiteren Ausführungen des LG, das davon ausgeht, dass im Zeitraum 08.01.2020 – Rücknahme des Strafbefehlsantrags – bis 17.1.2020 – Einstellung des Verfahrens – keine Tätigkeiten dargelegt oder ersichtlich seien, mit denen die Verwirklichung des Tatbestands der Nr. 4104 VV RVG begründet werden könnte. Insoweit übersieht das LG schon, dass allein die Entgegennahme der Mitteilung über die Rücknahme des Strafbefehlsantrags die Gebühr Nr. 4104 VV RVG ausgelöst hat. Hinzu kommt das vom LG angeführte Telefonat des Verteidigers mit dem Staatsanwalt und das Gespräch über die Einstellung mit dem Mandanten. Es ist unzutreffend, wenn das LG meint, diese seien durch die Gebühr Nr. 4141 VV RVG abgegolten. Es ist zwar richtig, dass zumindest durch das Telefonat des Verteidigers mit dem Staatsanwalt die Gebühr Nr. 4141 VV RVG entstanden ist, weil es sich insoweit um „Mitwirkung“ i.S. der Nr. 4141 VV RVG handelt. Im Zusammenspiel der Nr. 4104 VV RVG und der Nr. 4141 VV RVG ist jedoch für das Entstehen der der Nr. 4141 VV RVG nicht eine zusätzliche, über den Abgeltungsbereich der Nr. 4104 VV RVG hinausgehende Tätigkeit erforderlich/vorausgesetzt. Vielmehr führt die Tätigkeit, die ggf. zum Anfall der jeweiligen Verfahrensgebühr, hier der Nr. 4104 VV RVG, führt, auch zum Entstehen der Nr. 4141 VV RVG. Die Tätigkeit wird aber nicht – auch – von der Nr. 4141 VV RVG honoriert, sondern von der Verfahrensgebühr, hier der Nr. 4104 VV RVG. Die Nr. 4141 VV RVG honoriert hingegen den Wegfall der dem Verteidiger im Fall einer Hauptverhandlung ggf. zustehenden Terminsgebühr als zusätzliche Verfahrensgebühr (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 3 ff.). Offenbar will man das in bayern jetzt anders sehen.

Terminsvertreter, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr im Adhäsionsverfahren

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Als zweite Entscheidung dann der LG Kiel, Beschl. v. 26.06.2020 – 10 Qs 34/20.

Der Kollege Ebrahim-Nesbat aus Hamburg, der mit den Beschluss geschickt hat, war als Pflichtverteidiger des Angeklagten, dem noch ein weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet war, tätig, allerdings nur für einen Hauptverhandlungstermin vom 27.o6.2018. Der Kollege ist in dem Termin bestellt worden. In dem Hauptverhandlungstermin erfolgte die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages von 3.000 EUR. Der Kollege hat dann neben der Terminsgebühr die Gebühren Nrn. 1000 VV RVG und Nr. 4143 VV RVG geltend gemacht. Die sind nicht festgesetzt worden. Die Beschwerde des hatte teilweise Erfolg. Das LG hat die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG festgesetzt:

„1. Zu widersprechen ist zunächst der vom Amtsgericht Norderstedt in dem angefochtenen Be-schluss vom 4. Mai 2020 vertretenen Auffassung, dass ein Anspruch auf die Verfahrens- und die Einigungsgebühr schon deshalb nicht bestehen könne, weil die Beiordnung des Beschwerdeführers nicht auch zu dem Zweck der Abwehr vermögensrechtlicher Ansprüche der Nebenklägerin erfolgt sei.

a) Zwar wird in der Tat von einer ganzen Reihe von Oberlandesgerichten die Auffassung vertreten, dass die Bestellung zum Pflichtverteidiger nur soweit reiche, wie es nötig sei, sich gegen den staatlichen Strafanspruch zu verteidigen.

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage allerdings bislang offen gelassen (vgl. Beschluss vom 30. März 2001, Az. 3 StR 25/01, Rn. 4+5 (zitiert nach juris)).

Und seitens des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts wird in gefestigter Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die Beiordnung des Pflichtverteidigers ohne Weiteres die Abwehr von im Adhäsionsverfahren gegen den Angeklagten geltend gemachten zivilrechtlichen Ersatzansprüchen (mit-)umfasse (vgl. dazu und zum Folgenden Beschluss vom 30. Juli 1997, Az. 1 Str 114/97, und Beschluss vom 15. April 2013, Az. 1 Ws 143/13 (98/13)). Der Pflichtverteidiger könne daher, auch ohne für das Adhäsionsverfahren zusätzlich beigeordnet worden zu sein, grundsätzlich auch solche Gebühren von der Landeskasse verlangen, die durch seine Tätigkeit im Adhäsionsverfahren entstanden seien.

Die Kammer schließt sich schon aus Gründen der Ressourcenschonung der Auffassung des hiesigen Oberlandesgerichts an. Zwar „passt“ die zitierte Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts insofern nicht auf den vorliegenden Fall, als hier überhaupt kein Adhäsionsverfahren anhängig gemacht worden ist. Wenn es allerdings für das Entstehen eines Gebührenanspruches gegen die Landeskasse im Falle der Anhängigkeit eines Adhäsionsverfahrens keiner zusätzlichen Beiordnung des Pflichtverteidigers auch für selbiges bedarf, muss dasselbe – also Entbehrlichkeit einer zusätzlichen Beiordnung – erst recht gelten, wenn zivilrechtliche Ersatzansprüche ohne anhängig gemachtes Adhäsionsverfahren abgewehrt werden (sollen).

b) Auch dass der Beschwerdeführer nur als sog. Terminsvertreter beigeordnet wurde, steht der Geltendmachung der streitgegenständlichen Verfahrens- und Einigungsgebühren nicht entgegen. Denn der sog. Terminsvertreter darf lediglich solche Gebühren nicht (erneut) abrechnen, welche schon bei dem „eigentlichen“ Pflichtverteidiger entstanden sind. Und dafür, dass die Gebühren nach den Nummern 1000 (in Verbindung mit 1003) und 4143 VV RVG bereits beim „eigentlichen“ Pflichtverteidiger entstanden sind, gibt es keine Hinweise. Insbesondere sind vom „eigentlichen“ Pflichtverteidiger die besagten beiden Gebühren (noch) nicht abgerechnet worden.

c) Schließlich steht der Geltendmachung der Verfahrens- und der Einigungsgebühren auch nicht der Umstand entgegen, dass der Beschwerdeführer erst ganz am Ende der Hauptverhandlung beiordnet wurde. Zwar können Pflichtverteidigergebühren grundsätzlich nur für solche Tätigkeiten verlangt werden, welche nach erfolgter Beiordnung entfaltet wurden. Doch ordnet § 48 Abs. 6 S. 1 RVG an, dass für die Beiordnung in Strafsachen auch Vergütung für Tätigkeiten vor dem Zeitpunkt der Bestellung verlangt werden kann.

Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte. Verfahrensgebühr nach Nummer 4143 VV RVG ist vorliegend auch tatsächlich entstanden. Die Gebühr wird bereits dann ausgelöst, wenn der Rechtsanwalt beauftragt wird, vermögensrechtliche Ansprüche des Geschädigten abzuwehren (vgl. dazu und zum Folgenden LG Braunschweig, Beschluss vom 8. März 2012, Az. 5 Qs 39/12, Rn. 6f. (zitiert nach juris)) und diesbezüglich erstmalig tätig wird, und sei es nur durch die Einholung von Informationen (vgl. dazu und zum Folgenden Burhoff in Gerold/Schmitt, RVG, 24. Auflage, RVG W 4143 Rn. 6). Die Verfahrensgebühr kann daher auch dann anfallen, wenn ein Adhäsionsverfahren – wie hier – niemals förmlich anhängig gemacht wird (vgl. dazu OLG Jena, Beschluss vom 14. September 2009, Az. 1 Ws 343/09; OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2013, Az. 2 Ws 419/13).

Vorliegend ist ausweislich der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 (vgl. dazu HB II, BI. 259 d.A.) in der Hauptverhandlung „längere Zeit über die Einstellungsmodalitäten diskutiert“ und „letztlich Einvernehmen erzielt worden über die zu leistenden Zahlungen“. Da in der Hauptverhandlung eine vorläufige Einstellung gemäß § 153a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 StPO erfolgte, war Gegenstand der Diskussion und des Einvernehmens zumindest auch ein vermögensrechtlicher Anspruch der Nebenklägerin gegen den Angeklagten, zu dessen Abwehr der Beschwerdeführer tätig geworden ist.

Der vom Beschwerdeführer insofern angegebene Gegenstandswert in Höhe von 3.000,- Euro begegnet keinen Bedenken, denn ausweislich der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 „wurde zunächst auch eine Zahlung von 3.000,- Euro an die Nebenklägerin in den Raum gestellt“ (vgl. dazu HB II, BI. 259 d.A.).

3. Tatsächlich nicht entstanden ist vorliegend dagegen die Einigungsgebühr. Zwar ist in der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018 die Rede davon, dass ein „Einvernehmen über die zu leistenden Zahlungen erzielt“ worden sei (vgl. dazu HB II, BI. 259 d.A.).

Doch ist zu beachten, dass der Zahlbetrag, auf welchen sich geeinigt wurde (= 3.000,- Euro), genau dem Betrag entspricht, welcher von der Nebenklägerin gefordert wurde. Damit kommt die erzielte Einigung – trotz des Umstandes, dass die Hälfte des Betrages nicht an die Nebenklägerin zu zahlen war, sondern an eine gemeinnützige Einrichtung – letztlich einem bloßen Anerkenntnis des Angeklagten gleich, was gemäß Nummer 1000 Abs. 1 S. 2, 2. Var. VV RVG der Entstehung der Einigungsgebühr entgegensteht.

Dass dem Angeklagten eine Ratenzahlungsmöglichkeit eingeräumt wurde, rechtfertigt ebenfalls keine Zuerkennung der Einigungsgebühr. Denn gemäß Nummer 1000 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 1. Var. VV RVG entsteht die Einigungsgebühr bei einer Zahlungsvereinbarung nur, wenn seitens des Anspruchsinhabers gleichzeitig vorläufig auf die gerichtliche Geltendmachung verzichtet wird. Ein solcher vorläufiger Klageverzicht ist weder dem Hauptverhandlungsprotokoll noch den Ausführungen des Beschwerdeführers zu entnehmen geschweige denn dem angefochtenen Beschluss vom 4. Mai 2020 oder der richterlichen Stellungnahme vom 28. November 2018.

4. Dem Beschwerdeführer steht damit neben der (unstreitigen) Terminsgebühr in Höhe von 225,- Euro netto nur eine 2,0-Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert in Höhe von 3.000,- Euro zu (= 402,- Euro netto).“ worden (siehe dazu oben II 1 a).“

Weitgehend zutreffend, nur: Die angeführte BGH-Entscheidung betrifft nicht den Pflichtverteidiger. Und: Der Kollege hätte m.E. auch noch Grund- und Verfahrensgebühr abrechnen können.

Nochmals: Verhältnis Verfahrensgebühr/Grundgebühr, oder. Verfahrensgebühr für die Revision

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Zuerst wünsche ich allen Lesern einen schönen 1. Mai, sicherlich ein ungewöhnlicher Maifeiertag. Aber hoffentlich der erste und letzte mit „Kontaktsperre“.

Und da man ja heute richtige Maifahrten eh nicht machen kann, gibt es hier das normale Programm, also gebührenrechtliche Entscheidungen.

Ich starte mit dem LG Amberg, Beschl. v. 21.01.2020 – 11 Qs 55/19, den mir der Kollege Jendricke aus Amberg geschickt hat. Gestritten worden ist um das Entstehen von Verfahrensgebühren Nr. 4106 VV RVG und der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren Nr. 4130, 4131 VV RVG.

Grundlage war folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kollege war Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem beim AG anhängigen Verfahren 8 Ds 102 Ja 6172117. In diesem erhielt er einen Anruf vom zuständigen Richter. Dieser teilte mit, dass unter den Aktenzeichen 8 Ds 102 Ja 5902/17 und 8 Ds 108 Js 8132/17 je eine weitere Anklage gegen den Angeklagten vorliege. Der Anklagevorwurf wurde mitgeteilt. Es wurde die weitere Verfahrensbehandlung dahingehend besprochen, dass der Kollege auch in diesen beiden Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt werde. Hierüber wurde der Mandant informiert. Der Kollege wurde beigeordnet. Er nahm Akteneinsicht und informierte den Angeklagten über den Gegenstand der und die Beweissituation aufgeklärt. Gegen das amtsgerichtliche Urteil hat der Kollege dann Berufung eingelegt. Im Berufungshauptverhandlungstermin erschien der Angeklagte nicht. Die Berufung wurde nach § 329 StPO verworfen. Der Kollege legte innerhalb der Wochenfrist fristwahrend Revision ein. Nach Ablauf der Wochenfrist stellte sich heraus, dass der Mandant in Strafhaft einsaß, und zwar auch bereits zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht. Der Kollege  hat daher den Angeklagten in der Haftanstalt aufgesucht und ihn auf seine Bitte hin beraten, ob die Revision weiter durchgeführt werden soll, oder ob die Revision zurückgenommen wird und stattdessen ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt werden soll. Da ein Wiedereinsetzungsgesuch (§ 329 Abs. 7 StPO) als der erfolgversprechende Weg erschien, hat der Kollege auftragsgemäß die Revision zurückgenommen und ein Wiedereinsetzungsgesuch gestellt, dem stattgegeben worden ist.

Das LG hat für die beiden zusätzlichen Verfahren jeweils eine Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG festgesetzt. Die Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4131 für das Revisionsverfahren ist nicht festgesetzt worden.

Die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts für den Mandanten entsteht in jedem (gerichtlichen) Verfahren eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr und daneben auch eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, die den für die erstmalige Einarbeitung anfallenden zusätzlichen Aufwand honoriert.

2. Das Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG setzt voraus, dass der Verteidiger einen Auftrag für das Revisionsverfahren hat.

Meine Anmerkung dazu:

1. Die Nichtgewährung der Nr. 4130, 4131 VV RVG ist m.E. unzutreffend. Das LG macht mal wieder den bei vergleichbaren Konstellationen häufigen Fehler, dass die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren mit der Frage der Erstattung der Gebühr verwechselt/vermischt wird (vgl. dazu auch eingehend Burhoff RVGreport 2014, 410). Hier ist die Verfahrensgebühr Nr. 4130, 4131 VV RVG nicht nur entstanden, sondern wäre auch – entgegen der Ansicht des LG – zu erstatten/festzusetzen gewesen. Soweit das LG das Entstehen der Gebühr Nr. 4130 VV RVG davon abhängig macht, übersieht es m.E. zunächst § 297 StPO, der dem Verteidiger ein eigenes Recht zur Rechtsmitteleinlegung einräumt. Und dieses Recht musste der Rechtsanwalt hier aus anwaltlicher Vorsorge auch ausüben, da der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht anwesend gewesen und damit völlig offen war, wie mit der Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO umgegangen werden sollte. Dass der Angeklagte sich dann entschieden hat, die eingelegte Revision wieder zurückzunehmen, führt nicht zum Wegfall der durch das Gespräch mit dem Mandanten bereits entstanden Gebühr (vgl. auch LG Osnabrück RVGreport 2019, 339). Aus Vorstehendem folgt zugleich auch, dass die Tätigkeiten des Pflichtverteidigers auch notwendig war und die Gebühr daher hätte festgesetzt werden müssen. Auf den seit dem 13.12.2019 geltenden § 143 Abs. 1 StP= ist zudem hinzuweisen.

2. Die Festsetzung der beiden Verfahrensgebühren Nr. 4106 VV RVG ist hingegen zutreffend. Sie entspricht der h.M. zum Verhältnis von Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und jeweilige Verfahrensgebühr nach den 2013 erfolgten Änderungen durch das 2. KostRMoG. Nach h.M. entstehen die Gebühren immer nebeneinander. A.A. ist – soweit ersichtlich nur noch, nachdem das LG Saarbrücken sich inzwischen auch der h.M. angeschlossen hat, nur noch – ohne nähere Begründung – das OLG Nürnberg (RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118). Von daher wäre es vielleicht angebracht gewesen, das LG hätte die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen und hätte das nicht mit: „Das Verhältnis von Grundgebühr und Verfahrensgebühr ergibt sich ausdrücklich aus dem Gesetz und der Gesetzesbegründung.“ abgelehnt. Das wird man bei den dem LG „übergeordneten“ OLG Nürnberg nicht gern lesen.