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OWi I: Nicht ausreichende Beweiswürdigung, oder: Schlechtes Lichtbild

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Am heutigen Donnerstag dann mal wieder drei Entscheidungen zum Verkehrsrecht.

Ich starte mit dem OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 Ss (OWi) 4/20 – zu der Dauerbrennerthematik: Anforderungen an die Urteilsgründe und Täteridentifizierung.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. In der Beweiswürdigung hat das AG ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft nicht in Abrede gestellt habe und die Feststellungen auf den glaubhaften Bekundugen des Zeugen PHK pp. sowie dem Inhalt der verlesenen Urkunden und der Inaugenscheinnahme der zu den Akten gelangten Lichtbildern beruhen würden. Der Betroffene sei bei Inaugenscheinnahme der in Bezug genommenen Lichtbilder eindeutig als Fahrer zu identifizieren.

Das OLG hat aufgehoben:

„Das Urteil ist —auch eingedenk des Umstandes, dass an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind- bereits deshalb aufzuheben, weil die Beweiswürdigung in Bezug auf die getroffenen Feststellungen lückenhaft ist; diese vermag daher dieselben nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht rechtlich überprüfbaren Weise zu tragen. So müssen die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, sondern neben anderem auch erkennen lassen, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder diese für widerlegt ansieht (vgl. OLG Gelle, Beschluss vom 27. September 2019 -2 Ss Owi 260/19-; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Juli 2009 -3 Ss OWi 290/09- juris). Es bedarf einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe der wesentlichen Grundzüge der Einlassung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Februar 2017 -2 (10) SsBs 740/16-AK 265/16, DAR 2017, 395). Jedenfalls dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der Betroffene in eine bestimmte Richtung verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Erklärung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, stellt diese Säumnis einen sachlich rechtlichen Mangel des Urteils dar (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2016 -1 Ss 55/06- juris).

Vorliegend lässt sich aus dem Urteil nicht entnehmen, ob sich der Betroffene in der Hauptverhandlung überhaupt geäußert oder von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Aus der Beweiswürdigung lässt sich lediglich erkennen, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft nicht in Abrede gestellt hat. Ob der Betroffene, und wenn ja in welcher Weise, sich zum Vorwurf eingelassen hat, bleibt letztlich offen. Folglich verhält sich das Urteil auch nicht dazu, ob der Tatrichter eine etwaige Einlassung, und ggf. in welchem Umfang, für widerlegt angesehen hat.

Das Urteil war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben, §§ 353 Abs. 2 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG und die Sache zur neuen Entscheidung —auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens- an das Amtsgericht zurückzuverweisen, § 79 Abs. 6 OWiG.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach Auffassung des Senats ist das vom Verkehrsverstoß vom 5. Juli 2018 gefertigte Frontfoto nicht uneingeschränkt zur Identifizierung der Betroffenen geeignet. Die Kinnpartie wird durch das Lenkrad verdeckt, die Augenpartie einschließlich der Augenbrauen durch eine große Sonnenbrille. Das linke Ohr ist gar nicht, das rechte aufgrund der Verpixelung nur teilweise indivi¬dualisierbar erkennbar. Der Haaransatz ist durch die aufgeklappte Sonnenblende nur zu erahnen.

Angesichts dessen wird der Tatrichter näher darlegen müssen, warum er, unabhängig von einer Bezugnahme, trotz der eingeschränkten Bildqualität den Betroffenen als Fahrer identifizieren kann (vgl. OLG Hamm NZV 2006, 162). Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale der Betroffenen, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind in einem solchen Fall zu benennen und zu beschreiben (BGH NJW 1996, 142). Dies fehlt im angefochtenen Urteil.“

M.E. vom OLG „großzügig“. Denn: „Nicht in Abrede gestellt“ hätte sicherlich manch anderem OLG „gereicht“.

Beweisantrag II: Wahrunterstellung, oder: So geht man damit um

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Die zweite Entscheidung zu § 244 StPO kommt mit dem BGH, Beschl. v. 04.02.2020 – 3 StR 313/19 – auch vom BGH. Es geht noch einmal um die Wahrunterstellung:

Das LG hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßiger Hehlerei verurteilt. „Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte, ein Apotheker und Großhändler für Arzneiprodukte, von dem Mitangeklagten C. in fünf Fällen größere Mengen an Blutzuckerteststreifen, insgesamt 2.673 Packungen. Für 2.627 Packungen stellte C. dem Angeklagten einen Einzelpreis von 13,85 € netto in Rechnung, für 46 weitere („Reimporte“) einen solchen von 11,85 € netto. „Allen diesen Lieferungen lagen Teststreifen zugrunde“, die C. betrügerisch erlangt hatte. Entweder hatten seine Komplizen in Ausführung eines gemeinsam mit ihm gefassten Tatplans Vertragsärzte durch Vorspiegelung eines nicht vorhandenen medizinischen Bedarfs dazu veranlasst, Rezepte über Blutzuckerteststreifen auszustellen, die sie sodann in Apotheken kostenfrei eingelöst hatten, oder sie hatten dort entsprechende von C. gefälschte Rezepte vorgelegt, oder er hatte die Ware bei einem Unternehmen unter Angabe einer falschen Identität und Vorspiegelung der Zahlungswilligkeit bestellt. Für den Angeklagten war offenkundig, dass sich C. die Teststreifen durch rechtswidrige Taten verschafft haben könnte. „Wegen der erheblichen Gewinnspanne und der zu erwartenden beträchtlichen Erlöse aus dem Weiterverkauf … schob der Angeklagte … diese Bedenken beiseite“ und „fand sich mit ihnen ab“.

Dagegen die Revision des Angeklagten, mit der beanstandet wird, das LG habe im Rahmen der Beweiswürdigung eine gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 7 StPO aF als wahr unterstellte Beweistatsache rechtsfehlerhaft missachtet. Der BGH sagt: Mit Recht:

a) Nach dem Revisionsvorbringen beantragte der Angeklagte in der Hauptverhandlung, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, „dass Blutzuckerteststreifen der (an ihn gelieferten, bestimmt bezeichneten) Marke … über die Internetplattform ebay oder sonstige Auktionsplattformen in Einzelgrößen von je 50 Teststreifen zu einem Preis von unter 14 € je Packung zu erhalten“ seien. Die Strafkammer wies den Antrag gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 7 StPO aF als unbegründet zurück, weil die behauptete Tatsache so behandelt werden könne, als wäre sie wahr. In dem Beschluss machte sie deutlich, sie gehe entsprechend der Antragsbegründung davon aus, dass es sich bei dem alternativen Bezug der Teststreifen über das Internet um einen Erwerb aus legalen Quellen handele.

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt im Fall der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Wahrunterstellung:

Das Tatgericht muss bei der Urteilsfindung die Zusage einlösen, eine bestimmte Behauptung zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln. Die Urteilsgründe dürfen sich mit einer – bis zum Schluss der Hauptverhandlung unwiderrufen gebliebenen – Wahrunterstellung nicht in Widerspruch setzen. Denn der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung einrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Gericht von der Wahrunterstellung abrückt (s. BGH, Urteil vom 6. Juli 1983 – 2 StR 222/83 , BGHSt 32, 44, 46 f. ; Beschlüsse vom 28. August 2002 – 1 StR 277/02 , NStZ 2003, 101; vom 13. Juni 2017 – 3 StR 48/17 , NStZ 2018, 48; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 317 mwN).

Stehen die Urteilsgründe nicht in Widerspruch zu der als wahr unterstellten Tatsache, so müssen sie sich grundsätzlich nicht explizit zu ihr verhalten. Im Einzelfall kann die in der Wahrunterstellung liegende Zusage es allerdings ausnahmsweise weitergehend gebieten, die Tatsache im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich mit zu erwägen. Das ist dann der Fall, wenn sich dies angesichts der im Übrigen gegebenen Beweislage aufdrängt und die Beweiswürdigung sich sonst als lückenhaft erwiese (s. BGH, Urteil vom 21. Februar 1979 – 2 StR 749/78 , BGHSt 28, 310, 311 f. ; Beschlüsse vom 7. November 2000 – 1 StR 303/00 , BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Wahrunterstellung 36 ; vom 16. November 2010 – 4 StR 530/10 , NStZ 2011, 231; vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 , juris Rn. 7; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 317 mwN)c) Gemessen an diesen Maßstäben begegnet es durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht die als wahr unterstellte Tatsache – die legale Bezugsquelle für die bezeichneten Blutzuckerteststreifen zu einem Preis von unter 14 € je Packung – nicht in die Beweiswürdigung einbezogen hat. Vielmehr befassen sich die Urteilsgründe mit dieser Tatsache allein im Rahmen der rechtlichen Würdigung unter dem Gesichtspunkt der vom Tatbestand der Hehlerei vorausgesetzten Bereicherungsabsicht……“

Auch nichts Neues, aber wes wird immer wieder falsch gemacht.

Rechtsmittel III: Urteilgründe in der Berufung, oder. Sind Bezugnahmen erlaubt?

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Und die „Nachmittagsentscheidung“, der KG, Beschl. v. 22.10.2019 – (3) 121 Ss 147/19 (83/19) – befasst sich auch mit einer „Berufungsproblematik“. Die Entscheidung nimmt zu den Anforderungen der Urteilsbegründung des Berufungsurteils Stellung.

Dem KG haben die Urteilsgründe zum Schuldspruch nocht gereicht, zu den Rechtsfolgen hingegen nicht (mehr):

„Insbesondere genügen die Urteilsgründe (noch) den sich aus §§ 267 Abs. 1, 328 Abs. 1 StPO ergebenen materiell-rechtlichen Anforderungen an seine Begründung.

Urteilsgründe müssen klar, eindeutig und aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 304; NStZ-RR 1996, 109). Nur wenn der vom erkennenden Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen erachtete Tathergang und die erhobenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in einer geschlossenen Darstellung geschildert werden, ist dem Revisionsgericht die Überprüfung des angefochtenen Urteils in rechtlicher Hinsicht verlässlich möglich (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 83).

Bezugnahmen auf im gleichen Verfahren ergangene frühere Urteile sind nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die Verständlichkeit der Darstellung und die Geschlossenheit der Urteilsgründe nicht darunter leidet (vgl. OLG Thüringen, Beschluss vom 13. Januar 1998 – 1 Ss 302/97 -, juris). Trifft das Berufungsgericht die gleichen Feststellungen wie das Erstgericht ist zur Vereinfachung der Darstellung grundsätzlich eine Bezugnahme auf das – nicht aufgehobene (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. März 2000 – 2 StR 71/00 – und vom 25. August 1987 – 1 StR 394/87 -, juris; NStZ-RR 2013, 22; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg a.a.O., § 267 Rn. 32 m.w.N.) – Ersturteil hinsichtlich der Feststellungen zur Sache möglich (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Jena NStZ-RR 1998, 119; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 267 Rn. 2a; Quentin in MK-StPO, § 328 Rn. 33). Insbesondere dann, wenn das Berufungsgericht insoweit auf gleicher Beweisgrundlage zu denselben tatsächlichen Feststellungen gelangt wie das Amtsgericht, kann eine Übernahme der insoweit relevanten Textpassagen des Ersturteils in Betracht kommen (vgl. OLG Köln Beschluss vom 28. März 2018 – III-1 RVs 51/18 -, juris). Es muss indessen der konkrete Umfang, in dem das Berufungsgericht die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Amtsgerichts übernimmt, deutlich werden (vgl. BVerfG NJW 2004, 209; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 369; Stuckenberg, a.a.O., Rn. 33 m.w.N.).

Im Umfang der zulässigen Bezugnahme auf das Ersturteil sind auch grundsätzlich Einrückungen im Hinblick auf die Feststellungen zur Sache möglich. Jedoch ist auch insoweit sicherzustellen, dass die Klarheit der Gesamtdarstellung gewährleistet ist. Zu beachten ist darüber hinaus, dass derartige Einfügungen keine widersprüchlichen oder unklaren Feststellungen des Ersturteils erfassen dürfen (OLG Stuttgart, a.a.O.). Ein Darstellungsmangel kann sich überdies daraus ergeben, dass sich die eingefügten Textpassagen nicht widerspruchfrei in den Kontext des Berufungsurteils einfügen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 13. Oktober 1988 – Ss 435/88).

Die Verwerfung einer unbeschränkten Berufung stellt keine Bestätigung des in erster Instanz ergangenen Schuldspruches dar, sondern beruht auf in eigener Verantwortung getroffenen Schuldfeststellungen, die für sich Bestand haben und allein verbindlich sind (vgl. KG NStZ-RR 1998, 11; OLG Stuttgart NJW 1982, 897). Soweit Einrückungen aus dem Ersturteil in das Berufungsurteil vorgenommen werden, muss daher sichergestellt sein, dass die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Berufungskammer über die Tat und deren Rechtsfolgen eine von der Entscheidung erster Instanz unabhängige eigene Entscheidung aufgrund eigener rechtlicher und tatsächlicher Würdigung getroffen hat (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 83). Vor diesem Hintergrund kommen derartige Einrückungen im Rahmen der Beweiswürdigung regelmäßig nicht in Betracht, da es sich bei der Vornahme dieses Bewertungsprozesses um eine ureigene Aufgabe des Tatrichters handelt (vgl. OLG Köln, a.a.O.).

Diese Maßstäbe zugrunde legend, genügen die Urteilsgründe im Hinblick auf den Schuldspruch den Begründungserfordernissen……

Zwar hat die Strafkammer die Feststellungen zur Sache aus dem amtsgerichtlichen Urteil durch Einrückung übernommen, doch lassen die Urteilsgründe den genauen Umfang der Übernahme der amtsgerichtlichen Feststellungen durch wörtliche Zitate erkennen. Ebenso ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass das Berufungsgericht insoweit eigene Feststellungen aufgrund eines eigenständigen Bewertungsprozesses im Hinblick auf die erhobenen Beweise getroffenen hat. Denn die Strafkammer hat ausdrücklich die im Berufungsverfahren erhobenen Beweise gewürdigt und in diesem Zusammenhang – unter Mitteilung des Inhalts der Einlassung – dargestellt, dass sich der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung in gleicher Weise wie in der ersten Instanz eingelassen habe. Ferner hat sich das Landgericht mit den Angaben der Zeugen S-Z, Z und S auseinander gesetzt und in nicht zu beanstandender Weise die Einlassung des Angeklagten vor diesem Hintergrund als widerlegt angesehen. Durch Vernehmung der Sachverständigen Dr. med. M hat die Strafkammer überdies Beweis zu dem Vortrag des Angeklagten erhoben, der Verzehr alkoholhaltiger Pralinen habe zu dem von den Zeugen wahrgenommenen schwankenden Gang sowie der lallenden Sprache geführt. Auch mit den Angaben der Sachverständigen, die vor dem Amtsgericht nicht gehört worden war, setzen sich die Urteilsgründe eingehend auseinander. Angesichts dessen bestehen keine Zweifel, dass das Berufungsgericht aufgrund einer eigenen umfassenden Beweiswürdigung zu den – in Übereinstimmung mit jenen des Amtsgerichts stehenden – Feststellungen gelangt ist.“

Aber:

3. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben, da die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass das Landgericht insoweit eigenständige Erwägungen vorgenommen hat.

a) Die Strafkammer hat hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung die Ausführungen des amtsgerichtlichen Urteils unter Einrückung dieser für zutreffend erklärt und mitgeteilt, dass sich die Kammer diesen Ausführungen „mit der Maßgabe angeschlossen [habe], dass die angeordnete Sperrfrist angesichts der bisherigen Verfahrensdauer auf nun noch 3 (drei) Monate herabzusetzen“ sei. Weitere Darlegungen zur Rechtsfolgenentscheidung enthalten die Urteilsgründe nicht.

 

Eine solche pauschale Bezugnahme auf die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts versetzt das Revisionsgericht nicht in die Lage nachzuprüfen, ob die Strafkammer unter Berücksichtigung aller bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine eigene Beurteilung und Bewertung vorgenommen und auf dieser Grundlage auf die ausgesprochene Strafe erkannt hat.

 

Die Strafzumessung ist ein vom Tatgericht selbstständig, in eigener Verantwortung und auf Grundlage der jeweiligen Hauptverhandlung durchzuführender Bewertungsvorgang, der in seinen Einzelheiten nicht von verschiedenen Gerichten in gleicher Weise vorgenommen werden kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 16. Januar 2006 – 5 St RR 259/05 -, juris; OLG Thüringen, a.a.O.). Eine Bezugnahme auf Strafzumessungserwägungen des erstinstanzlichen Urteils – auch durch Einrücken der entsprechenden Textpassage – wird dieser besonderen Bewertungsaufgabe nicht gerecht und lässt darüber hinaus die Umstände außer Betracht, die sich zwischen der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts und jener des Berufungsgerichts ergeben haben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1988 – 2 StR 166/88 -, juris; Paul in KK-StPO, a.a.O., § 328 Rn. 8).

 

Die pauschale Bezugnahme des Berufungsgerichts auf die Strafzumessung des erstinstanzlichen Urteils vermag daher nicht die Darstellung der bestimmenden Strafzumessungsgründe zu ersetzen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO Bestandteil der Urteilsgründe zu sein hat. Ein solches Vorgehen lässt bereits nicht erkennen, dass sich die Strafkammer des Umstandes bewusst war, dass sie über die Rechtsfolgen in eigener Verantwortung – und nicht im Sinne einer Bestätigung oder Nichtbestätigung der amtsgerichtlichen Entscheidung – zu befinden hatte.“

Geldbuße I: Schwellenwert der Geldbuße bei 250 EUR, oder: Urteilsgründe

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Heute dann ein Tag mit „Geldbußenentscheidungen“ nach dem OWiG. Das ist ja ein Bereich, der häufig ein wenig stiefmütterlich behandelt wird. Im Vordergrund der Verteidiung stehen ja meist die Fragen des Fahrverbots.

Gegenstand des OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.03.2020  – (1B) 53 Ss-OWi 110/20 (70/20) – ist ein Urteil des AG Neuruppin. Das hatte gegen den Betroffenen, „ohne Ankündigung und ohne dass die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben, […..] mit Beschluss vom 2. Dezember 2019, der überdies keine Gründe enthält, den Tatvorwurf der Ordnungswidrigkeit aus dem Bußgeldbescheid offenbar für gegeben erachtet und gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h auf eine Geldbuße von 450,00 erkannt.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Verteidigers, die Erfolg hatte. Dem OLG gefällt der Beschluss des AG nun gar nicht:

„Der angefochtene Beschluss ist auf die erhobene Sachrüge hin – unabhängig davon, dass er auch den nach § 72 Abs. 6 Satz 2 OWiG erforderlichen Hinweis auf den Inhalt des Bußgeldbescheids nicht enthält – schon deshalb aufzuheben, weil er die nach § 72 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht enthält. Danach muss die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG, mit dem eine Geldbuße festgesetzt wird, im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs.1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO an die Begründung eines nicht freisprechenden Urteils gestellt werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15.10.2019 – Ss Bs 59/2019 (62/19 OWi) m.w.N.).

Das Fehlen von Gründen in einem Strafurteil zwingt in der Regel schon zur Urteilsaufhebung auf die Sachrüge hin (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 338 Rn. 52 m. w. N.). Auch ein Bußgeldurteil ist beim unzulässigen Fehlen von Urteilsgründen in der Regel schon auf die zulässig erhobene Sachrüge hin aufzuheben, weil dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Fall eine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler nicht möglich ist (vgl. OLG Saarbrücken aaO. m.w.N.; OLG Celle NZV 2012, 45 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 10.11.2011 – 3 Ss OWi 1444/11) . Ebenso unterliegt ein nach § 72 OWiG ergangener Beschluss beim Fehlen einer Begründung auf eine zulässig erhobene Sachrüge hin der Aufhebung im Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG nicht vorlagen, etwa weil – wie hier – nicht alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben.

c) Für die neue Entscheidung weist der Senat drauf hin, dass – ungeachtet der Tatsache, dass das Absehen von dem indizierten Fahrverbot trotz der Ausführungen im Anwaltsschriftsatz vom 21. August 2018 nicht nachvollziehbar ist – bei einer Geldbuße von mehr als 250,00 € gemäß § 17 Abs. 3 OWiG Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen erforderlich sein dürften.

Auch wenn an die Urteilsgründe in Ordnungswidrigkeitsverfahren keine hohen Anforderungen zu stellen sind, sind Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich (§ 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG). Zu den persönlichen (Unterhaltsverpflichtungen) und wirtschaftlichen Verhältnissen gehören die Umstände, die geeignet sind, die Fähigkeit des Täters zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße aufzubringen. Enthält der Beschluss bei einer nicht nur geringfügigen Ordnungswidrigkeit keine oder nur unzureichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, sind die Zumessungserwägungen materiell-rechtlich unvollständig und können der Aufhebung unterliegen (st. Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2012, 1 Ss (OWi) 71 B/12; Senatsbeschluss vom 30. März 2012, 1 Ss (OWi) 76 B/12; Senatsbeschluss vom 18. April 2012, 1 Ss (OWi) 81 B/12).

Die Wertgrenze einer nicht mehr “geringfügigen Ordnungswidrigkeit“, die die Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfordert, wird durch die überwiegende Mehrheit der Oberlandesgerichte in Anlehnung an die für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde maßgebliche Wertgrenze (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) bei über 250,00 Euro angenommen (vgl. OLG Celle NJW 2008, 3079; OLG Jena VRS 110, 443, 446; OLG Jena VRS 113, 351; OLG Köln ZfSch 2006, 116; OLG Düsseldorf NZV 2000, 426; OLG Düsseldorf NZV 2008, 161; KG VRS 111, 202; OLG Bamberg GewArch 2007, 389, 390; BayObLG DAR 2004, 594; OLG Zweibrücken NZV 1999, 219; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2010, 1 Ss (OWi) 109 B/10; Senatsbeschluss vom 16. März 2012, 1 Ss (OWi) 71 B/12; Senatsbeschluss vom 30. März 2012, 1 Ss (OWi) 76 B/12; Senatsbeschluss vom 18. April 2012, 1 Ss (OWi) 81 B/12, siehe auch Göhler, OWiG, 17. Aufl. § 17 Rn. 24; eine Mindermeinung setzt die Wertgrenze mit Blick auf § 80 Abs. 2 OWiG schon bei 100,00 € an: vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 214; OLG Hamm VRS 92, 40; OLG Hamm SchlHA 2004, 264).

Zu einer Schätzung der Einkommensverhältnisse oder zur Annahme durchschnittlicher Vermögensverhältnisse kann das Tatgericht jedoch dann kommen, wenn der Betroffene Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert oder das Gericht den Angaben dazu keinen Glauben schenken kann. In diesen Fällen dürfte in den Vordergrund rücken, dass den Bußgeldkatalogen durchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse der Betroffenen zu Grunde liegen (vgl. Göhler, aaO., § 17 Rn. 29 m.w.N.).“

Und – ein wenig ungewöhnlich:

„Aufgrund der teils gravierenden Rechtsfehler macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Neuruppin zurückzuverweisen.“

Das ist eher die Ausnahme. Leuchtet mir hier aber nicht ein. Warum gibt das OLG dem Amtsrichter nicht die Möglichkeit zu zeigen, dass er es (nun) kann. 🙂 Der Kollege, der jetzt zuständig ist, wird im Übrigen auch nicht erfreut sein 🙂 .

 

OWi I: Verantwortlichkeit des Betriebsleiters einer Zweigniederlassung, oder: Urteilsgründe

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Heute dann ein OWi-Tag, aber nicht mit straßenverkehrsrechtlichen OWis, sondern mit Verstößen aus anderen Bereichen. Häufig wird ja übersehen, dass Bußgeldverfahren eben nicht nur den Straßenverkehr betreffen.

Und ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 19.02.2020 – 3 Ws (B) 25729 – zur Verantwortlichkeit des Betriebsleiters einer Zweigniederlassung. Gegen den Betroffenen ist von der Verwaltungsbehörde als Geschäftsführer und Betriebsleiter einer GmbH wegen nicht ordnungsgemäßen Betreibens einer Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (Lagerung) gemäß §§ 17 Abs. 1 Nr. 3, 65 Nr. 14 AwSV i.V.m. § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a WHG eine Geldbuße von 1.600 EUR verhängt worden. Das AG hat den Betroffenen dann auch verurteilt, allerdings die Geldbuße auf 1-000 EUR reduziert.

Das KG hat aufgehoben. Ihm haben die Urteilsgründe nicht gefallen:

„Die Überzeugung des Gerichts von der Verantwortlichkeit des Betroffenen und dessen vorsätzlicher Begehung der Ordnungswidrigkeit ergibt sich weder aus der den Vorwurf bestreitenden Einlassung des Betroffenen noch aus den Bekundungen der Zeugen noch aus der Gesamtheit der Urteilsgründe. Der Senat wird nicht in die Lage versetzt, die Wertung des Gerichts nachzuvollziehen.

Den in den Urteilsgründen dargestellten Bekundungen der Zeugen sind die dem Betroffenen zugeschriebenen Handlungen der Mängelbeseitigung und seiner Kenntnis zu den am 15. Januar 2019 festgestellten Mängeln nicht zu entnehmen. Zwar ist es denkbar, dass das Gericht aufgrund der Schilderung der „Vorgeschichte“ durch die Zeugen auch auf diese Feststellungen geschlossen hat, aber aus den weiteren Urteilsdarlegungen erscheint es naheliegender, dass mit der „Vorgeschichte“ lediglich die Angaben der  Zeugen zur Vorkontrolle vor Weihnachten 2018 gemeint war, bei der sie aber nach den Urteilsgründen keinen Verantwortlichen auf dem Gelände angetroffen haben. Die Bekundungen ergeben des Weiteren nicht, ob und in welcher Funktion die Zeugen mit dem Betroffenen in der Zeit zwischen seinem Arbeitsbeginn am 1. Juni 2018 bis zur verfahrensgegenständlichen Kontrolle am 15. Januar 2019 Kontakt hatten, was dem Gericht Rückschlüsse auf seine tatsächliche Leitungsfunktion für die Niederlassung erlaubt hätte. Offensichtlich fußen die gerichtlichen Schlussfolgerungen auf der Beschäftigung des Betroffenen als „Betriebsleiter“. Aber allein die Bezeichnung „Betriebsleiter“ ist nicht entscheidend (vgl. Gürtler in Göhler OWiG, 17. Aufl. § 9 Rn. 19). Auch wenn die Bezeichnung als Indiz gewertet werden kann, bedarf es dennoch ausreichender Feststellungen dazu, ob dem Betroffenen die Leitung und nicht nur die Aufsicht des Betriebes verantwortlich übertragen worden ist und er dementsprechend auch tatsächlich selbstständig anstelle des Betriebsinhabers gehandelt hat (Rogall in KK OWiG, 5. Aufl. § 9 Rn. 84). Diese sind dem Urteil auch nicht unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Urteilsgründe zu entnehmen. Auch wenn es nahe liegt, dass der Betroffene verantwortlich für die verfahrensgegenständliche vorsätzlich begangene Ordnungswidrigkeit ist, besteht derzeit nach den Urteilsgründen nicht mehr als ein erheblicher Verdacht.“