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StPO II: Urteilsformel „Wir machen das jetzt so: Freispruch“

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Köln. Das hat im OLG Köln, Beschl. v. 31.03.2020 -III 1 Rvs 58/20  über einen in meinen Augen „leicht atypischen“ Sachverhalt entschieden, und zwar.

Am 15.01.2020 hat vor dem AG Köln – Schöffengericht – die Hauptverhandlung gegen die drei An­geklagten stattgefunden; verfahrensgegenständlich sind Taten vom 13.10.2018, die die Staatsanwaltschaft gemäß Anklage vom 04.06.2019 als Raub und Freiheitsberaubung angeklagt hat. Das Hauptverhandlungsprotokoll vom 15.01.2020 weist folgenden Eintrag auf:

„Die Schöffen signalisieren nach Blickkontakt mit dem Richter ihre Zustimmung. Der Vorsitzende Richter erklärt sodann: Dann machen wir das so: Freispruch.“

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Ausspruch ein Rechtsmittel eingelegt, das am 16.01.2020 beim AG eingegangen ist. Der Vorsitzende des Schöffengerichts ist ausweislich seines Aktenvermerks vom 03.02.2020 der Ansicht, es sei kein rechtswirksames Urteil ergangen; er beabsichtigt, einen neuen Hauptverhandlungstermin zu bestimmen. Diesen Aktenvermerk hat er der Staatsanwaltschaft „U.m.A. unter Hinweis auf obigen Vermerk zur Kenntnis und ggf. Stellungnahme“ übersandt. Wann die Akte bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist, ist nicht aktenkundig. Mit Verfügung vom 18.02.2020 hat die Staatsanwaltschaft um Absetzung des Urteils gebeten und Ausführungen dazu gemacht, dass nach ihrer Auffassung das Gericht ein (freisprechendes) Urteil verkündet habe. Mit Verfügung vom 05.03.2020 hat der Vorsitzende an seiner Rechtsauffassung festgehalten, bei der Staatsanwaltschaft „angefragt“ ob an dem Rechtsmittel festgehalten wird und um Spezifizierung als Berufung oder Revision gebeten. Ein schriftliches Urteil ist bislang nicht abgesetzt worden. Mit Verfügung vom 10.03.2020 hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel als Revision bezeichnet. Der Vorsitzende des Schöffengerichts hat die Akte im Hinblick darauf (unmittelbar) dem Senat vorgelegt.

Das OLG hat die Akten zurückgegeben und meint:

„Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.

Zwar hat das Amtsgericht in der Hauptverhandlung vom 15. Januar 2020 ein rechtswirksames Urteil verkündet, gegen das die Staatsanwaltschaft fristgerecht „Rechtsmittel“ eingelegt hat. Da das Urteil aber bisher nicht wirksam zugestellt wurde, wurde auch die Revisionsbegründungsfrist, innerhalb derer eine Spezifizierung des Rechtsmittels erfolgen kann, nicht in Gang gesetzt. Die Akte ist daher an das Amtsgericht zurückzugeben, damit die Zustellung bewirkt werden kann.

1. Das freisprechende Erkenntnis des Amtsgerichts vom 15. Januar 2020 stellt ein rechtwirksames Urteil dar, gegen das ein Rechtsmittel statthaft ist.

Wesentlicher Teil der Urteilsverkündung ist die Verlesung der Urteilsformel; fehlt sie, so liegt kein Urteil im Rechtssinne vor (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 268 Rn. 5 m.w.N.). Demnach enthält die Urteilsformel den eigentlichen Urteilsausspruch. § 173 Abs. 1 GVG bezeichnet sie sogar als das „Urteil“. Ist die Formel nicht verkündet, so liegt deshalb kein Urteil im Rechtssinne vor (vgl. BGHSt 8, 41 ff, zitiert nach juris, Rn. 8).

Ausweislich des Sitzungsprotokolls, welchem nach § 274 StPO formelle Beweiskraft zukommt, hat der Vorsitzende des Schöffengerichts in der Hauptverhandlung eine Urteilsformel verkündet. Zwar verstieß die Verfahrensweise des Tatrichters gegen die Verfahrensvorschrift des § 268 Abs. 2 S 1 StPO, weil – wie sich aus dem von ihm selbst niedergelegten Aktenvermerk vom 3. Februar 2020 ergibt – der Tenor nicht zuvor schriftlich niedergelegt und nicht durch Verlesung verkündet wurde.  Eine verkündete Urteilsformel begründet jedoch auch dann ein rechtswirksames und damit rechtsmittelfähiges Urteil, wenn eine Urteilsformel verkündet wird, die zuvor nicht oder nicht vollständig schriftlich niedergelegt wurde (vgl. so wohl in der Tendenz auch Beck-OK-Peglau, § 268 Rn. 4: „fraglich“). Der Sinn und Zweck des Erfordernisses, die Urteilsformel zunächst zu verschriftlichen und sodann zu verlesen, besteht darin, die Übereinstimmung zwischen der verkündeten Urteilsformel und der protokollierten und in das schriftliche Urteil übergehenden Formulierung zu sichern (vgl. RGSt 16, 347, 349). Diese Sicherungs- und Beweiszwecke führen aber nach Auffassung des Senats nicht dazu, dieses in der Prozessordnung vorgesehene Erfordernis als konstitutiv für die Rechtswirksamkeit eines Urteils anzusehen. Denn das Gericht hat, indem es einen Tenor verkündet hat, eine Entscheidung über den Anklagegenstand treffen wollen und tatsächlich getroffen, eine solche Entscheidung ausgesprochen und schließlich protokolliert. Einen Grund, darin gleichwohl ein „Nichts“, mithin eine „nichtige“ richterliche Entscheidung zu sehen, ist nicht erkennbar. Gegen ein konstitutives Erfordernis in diesem Sinne spricht – im Sinne einer Kontrollüberlegung – im Übrigen auch, dass die Strafprozessordung keinerlei Regelungen enthält oder Vorgaben dazu macht, an welcher Stelle eine Verschriftlichung vor Verlesung zu erfolgen hat bzw. dass eine solche etwa zum Gegenstand der Akte gemacht werden müsste.

Auch wenn die von dem Vorsitzenden des Schöffengerichts verkündete Urteilsformel „Wir machen das jetzt so: Freispruch“ einen umgangssprachlichen und von üblichen Tenorformulierungen deutlich abweichenden Wortlaut hat, war für alle Verfahrensbeteiligten – die im Übrigen auch zuvor übereinstimmend „Freispruch“ beantragt hatten – der verkündete Ausspruch in seinem Sinngehalt eindeutig. Die Angeklagten sind damit in erster Instanz rechtswirksam freigesprochen worden.

2. Das hiergegen gerichtete „Rechtsmittel“ der Staatsanwaltschaft ist unter dem 16. Januar 2020 rechtzeitig eingelegt worden. Eine Behandlung als (Sprung)Revision und Entscheidung hierüber durch den Senat als Revisionsgericht kann aber derzeit nicht erfolgen, weil die Frist zur Begründung einer Revision mangels Zustellung des Urteils noch nicht in Gang gesetzt worden ist und damit auch nicht abgelaufen sein kann.

Solange sich der Beschwerdeführer nicht endgültig und verbindlich für die Wahl der Revision entscheidet, ist das von ihm eingelegte Rechtsmittel eine Berufung (BGHSt 33, 183, 189 = NJW 1985, 2960, 2961; SenE v. 15.10.1991 – Ss 481/91 – = NStZ 1992, 204, 205; OLG Köln 3. StrS MDR 1980, 690 = VRS 59, 436). Die endgültige Wahl zwischen Berufung und Revision muss bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO getroffen werden (BGHSt 40, 398; Meyer-Goßner, a.a.O., § 335 Rn. 3). Dies setzt denknotwendig voraus, dass eine Revisionsbegründungsfrist überhaupt in Gang gesetzt wurde.

Die Frist zur Begründung der Revision, die auch maßgeblich ist für die Spezifizierung eines zunächst unbenannt eingelegten Rechtsmittels, ergibt sich aus § 345 Abs. 1 StPO.  Danach beginnt die Monatsfrist regelmäßig mit der Zustellung des schriftlichen Urteils. Nach § 275 Abs. 1 StPO ist das schriftliche Urteil, sofern es nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen ist, unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muss spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen. Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilgründe nicht mehr geändert werden. Dementsprechend genügt für den Fristbeginn die Zustellung der Urteilsformel, wenn Gründe nicht vorhanden sind oder wenn Gründe verloren gegangen sind, die nicht wiederhergestellt werden können (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 345 Rn. 5).

Der – ungewöhnliche und von der Prozessordnung nicht vorgesehene – Fall, dass es keine Urteilsgründe gibt (und nach Ablauf von fünf Wochen nach Verkündung auch nicht mehr geben kann), weil der Vorsitzende rechtsirrig die Auffassung vertritt, er habe gar kein Urteil gesprochen und daher davon absieht, schriftliche Urteilsgründe zur Akte zu bringen, ist nach Auffassung des Senats mit Blick auf den Beginn der Revisionsbegründungsfrist entsprechend zu behandeln, d.h. maßgeblich ist die Zustellung der Urteilsformel. Auch eine solche ist aber bisher nicht erfolgt. Zwar hat der Vorsitzende des Schöffengerichts unter dem 3. Februar 2020 die Übersendung der Hauptakte „zur Kenntnis- und Stellungnahme“ an die Staatsanwaltschaft verfügt, dies jedoch formlos und nicht unter Hinweis auf und nach Maßgabe des insoweit einschlägigen § 41 StPO. Darin vermag der Senat schon deswegen keine förmliche Zustellung zu erkennen, weil  entgegen § 41 Abs. 1 S 2 StPO der „Tag der Vorlegung“ von der Staatsanwaltschaft nicht auf der Urschrift vermerkt wurde, so dass sich der Tag des Fristbeginns auch nicht feststellen lässt.

Ist die Revisionsbegründungfrist nicht in Gang gesetzt, konnte das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft durch die nachfolgende Verfügung vom 10. März 2020 – deren Eingang bei Gericht sich ebenfalls nicht aus der Akte ergibt – auch nicht verbindlich und rechtswirksam zur Revision bestimmt werden. Damit wirkt es sich nicht aus, dass der Senat den Zuschriften der Staatsanwaltschaft bis heute keine zulässige Revisionsbegründung in Gestalt einer zulässig erhobenen Verfahrens- oder Sachrüge entnehmen kann.

3. Der Senat gibt die Sache daher an das Amtsgericht zur Bewirkung einer förmlichen Zustellung der Urteilsformel zurück.

Für die weitere Verfahrensweise regt der Senat an, den Übergang zur Sprungrevision zu überdenken. Würde das Rechtsmittel fristgerecht zur Revision bestimmt und würde die Staatsanwaltschaft – was bisher nicht erfolgt ist – die Revision nach Maßgabe des § 344 Abs. 2 StPO zulässig begründen, würde dies nach den Regelungen des § 349 StPO die Durchführung einer mit erheblichen Kosten verbundenen Revisionshauptverhandlung erforderlich machen, die nach derzeitigem Sachstand ohne Sachprüfung schon deshalb zur Urteilsaufhebung führen könnte, weil das Urteil keine schriftlichen Gründe hat. Auch um weitere zeitliche Verzögerungen zu vermeiden, erscheint es daher sachgerechter, das Rechtsmittel in der Tatsacheninstanz als Berufung durchzuführen.“

Eine unleserliche Paraphe ist keine Unterschrift, oder: Sind die Durchsuchungsbeschlüsse im VW-Skandal ggf. unwirksam?

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Heute dann auch mal in der Woche ein „Kessel Buntes“, allerdings ein Kessel Buntes – anders als am Samstag – gefüllt mit Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Von allem ein Bisschen.

Und da ist dann zunächst der OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.11.2018 – 1 Ss 60/18, den mir der Kollege Hertweck aus Braunsschweig geschickt hat. Als Beschluss keine große Sache, aber: Er zeigt mal wieder, dass der Erfolg einer Revision auf Gründen beruhen kann, die man vielleicht zunächst gar nicht so im Blick hatte. Es geht nämlich mal wieder um die Frage, ob die „Unterschrift“ des Tatrichters unter dem Urteil eine den Anforderungen der StPO genügende „Unterschrift“ ist. Das war hier nicht der Fall, so dass das OLG aufgehoben hat:

„Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, da es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage fehlt.

Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (OLG Köln, Beschl. vom 19. Juli 2011, 1 RVs 166/11, Rn. 4, zitiert nach juris; Gericke in: KK, StPO, 7. Aufl., § 337, Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 337, Rn. 22). Das Fehlen einer individualisierbaren richterlichen Unterschrift ist hierbei – abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Fehlens nur einer richterlichen Unterschrift bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht – dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20. Mai 2016, Ss 28/2016, Rn. 7, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2015, 1 Ss 318/14, Rn. 6, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017, 111-1 RVs 35/17, Rn. 5, zitiert nach juris) und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, wenn nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO die Unterschrift auch nicht mehr nachgeholt werden kann (OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.; Greger in: KK, a.a.O., § 275 Rn. 68; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 275, Rn. 29).

So liegt der Fall hier, da die Unterzeichnung des vorliegend angefochtenen Urteils nicht den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung an eine Unterschrift gestellt werden.

Der erkennende Richter hat das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO), was einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug erfordert, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch Dritte zumindest erschwert (OLG Köln, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; allg. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 129, m.w.N.). Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Die Grenze individueller Charakteristik ist jedenfalls bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahen gerader) Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchst. des Namens, stehen erreicht (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Mai 2003, 1 ObOWi 177/03, Rn. 9, zitiert nach juris; OLG Köln, a.a.O.). Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig nicht auf. Die schriftlichen Urteilsgründe sind lediglich mit einem handschriftlich angebrachten Zeichen versehen, das große Ähnlichkeit mit einem „Mg aufweist. Eine Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder einer Buchstabenfolge aus dem Namen der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts ist nicht erkennbar. Der Mangel der erforderlichen Unterzeichnung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Name und die Dienstbezeichnung der Richterin unter dieses Zeichen gedruckt sind, da dieser Zusatz die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung des Urteils nicht zu ersetzen vermag.“

Man kann m.E. über das Verhalten der Amtsrichterin nur den Kopfschütteln. Hat man denn wirklich nicht so viel Zeit, ein Urteil – immerhin vier Monate Freiheitsstrafe – „vernünftig“ zu unterschreiben? Oder warum schludert man da eine unleserliche Paraphe hin? Man weiß es nicht. Aber eins kann man m.E. aus dem Beschluss des OLG auch noch ablesen: Besonders sorgfältig scheint die Richterin nicht zu arbeiten, denn sonst wäre die „Segelanweisung“ des OLG betreffend den § 47 StGB nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen scheint sie aber alles richtig gemacht zu haben, weil das OLG (in seiner weitreichenden Fürsorge 🙂 ) ausdrücklich darauf hinweist, dass das „das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler erkennen“ lässt.

Der Beschluss des OLG wirft an sich so keine weiteren Fragen auf, in ihm steckt aber vielleicht doch eine gewisse Brisanz. Denn: Der Kollege Hertweck weist mich ausdrücklich darauf hin, dass: „die erkennende Richterin hat gefühlte 50 % der Beschlüsse im Strafverfahren um die VW-Abgasaffäre ebenso „unterschrieben“.“ Na, das könnte doch ggf. dann noch lustig werden, wenn in den VW-Verfahren die Frage der Wirksamkeit der Unterschrift unter die Durchsuchungsbeschlüsse und damit die Frage der Wirksamkeit der Durchsuchungsbeschlüsse eine Rolle spielen wird. Eine weitere Facette in dem VW-Skandal?

Vollständige Übersetzung des Urteils?, oder: Gibt es nicht, sagt der BGH

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Die Arbeitswoche 🙂 eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 22.01.2018 – 4 StR 506/17 – zur Frage der (vollständigen) Übersetzung eines Urteils für den Angeklagten. Der hatte beantragt, ihm das landgerichtliche Urteil zu übersetzen und ihm die Übersetzung zu übermitteln.Der BGH hat abgelehnt:

„Die nach § 187 GVG zu beurteilende Entscheidung, ob eine schriftliche Übersetzung des vollständig abgefassten Urteils anzufertigen und dem Angeklagten zu übermitteln ist, fällt in die Zuständigkeit des mit der Sache befassten Gerichts; als Maßnahme der Verfahrensleitung entscheidet der Vorsitzende (OLG Hamburg, Beschluss vom 6. Dezember 2013 – 2 Ws 253/13, insofern nicht abgedruckt in StV 2014, 534; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl., § 186 GVG Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 187 GVG Rn. 1a; Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl., § 186 Rn. 15 und § 187 Rn. 8).

2. Für die Anordnung einer schriftlichen Übersetzung des Urteils besteht kein Anlass.

a) Ausgehend vom abgestuften System in 187 Abs. 2 GVG (BT-Drucks. 17/12578, S. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 187 GVG Rn. 4) ist eine schriftliche Übersetzung regelmäßig dann nicht notwendig, wenn der Angeklagte verteidigt ist (§ 187 Abs. 2 Satz 5 GVG). In diesem Fall wird die effektive Verteidigung des sprachunkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt und der Angeklagte die Möglichkeit hat, das Urteil mit ihm – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers – zu besprechen (BT-Drucks. 17/12578, S. 12; vgl. BVerfGE 64, 135, 143; OLG Hamm, StV 2014, 534; OLG Stuttgart, StV 2014, 536, 537; OLG Celle, StraFo 2015, 383; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Mai 2016 – 1 Ws 82/16, juris Rn. 11).

b) Das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK ist vorliegend bereits dadurch gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung in der Hauptverhandlung durch einen Dolmetscher übersetzt wurde (vgl. EGMR, ÖJZ 1990, 412 – Kamasinski ./. Österreich; BVerfGE 64, 135, 143; BVerfG, NStZ-RR 2005, 273 [Ls]; OLG Köln, NStZ-RR 2006, 51; OLG Hamm, StV 2014, 534; OLG Stuttgart, StV 2014, 536, 537; OLG Braunschweig, aaO, Rn. 10; LR-StPO/Esser, aaO, Art. 6 EMRK Rn. 849; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 187 GVG Rn. 4).

Gründe, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, ihm den vollständigen Wortlaut der Urteilsurkunde zugänglich zu machen, zeigt der Angeklagte nicht auf; solche sind auch nicht ersichtlich.“

Ist so, wie der der 4. Strafsenat das macht, h.M. in der Rechtsprechung. Mir leuchtet allerdings nie so ganz ein, warum nicht der Angeklagte eine vollständige Übersetzung des Urteils erhält. In meinen Augen ist es etwas anderes, ob ich etwas in meiner Muttersprache selsbt lesen (und verstehen) kann, oder ob es mit vom Verteidiger und/oder Dolmetscher reproduziert wieder gegeben wird.

DNA-Spur im Urteil, oder: Auch „Antanzen“ spricht für Täterschaft

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Aus dem Bereich „fehlerhafte Beweiswürdigung“ stammte das LG Berlin-Urteil, das dann zum BGH, Beschl.  v. 11.07.2017 – 5 StR 172/17 – geführt hat. Der Angeklagte ist u.a. wegen Raubes  verurteilt worden. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung, die u.a. auf die Art der Tatbegehung durch den Angeklagten – sog. Antanzen – und auf eine DNA-Untersuchung gestützt war als fehlerhaft/lückenhaft:

„Der Schuldspruch im Fall II.15 der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, da ihm keine sie tragende rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde liegt.

Das Tatgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Ange-klagten auf eine Gesamtwürdigung der mit seinem tatsächlichen Erscheinungsbild übereinstimmende Täterbeschreibung des Geschädigten, die auch in den übrigen festgestellten Fällen typische Art und Weise der Tatbegehung durch Kontaktaufnahme und unmittelbare körperliche Nähe (sog. Antanzen) sowie „insbesondere“ auf die Übereinstimmung der DNA des Angeklagten mit der auf einem am Tatort sichergestellten, vom Täter zuvor verlorenen Ohrhörer gesi-cherten DNA gestützt. Dabei hat es die Wahrscheinlichkeit nicht angegeben, mit der dem Angeklagten die gesicherte DNA-Spur zugeordnet werden kann. Über deren Qualität wird ebenfalls nichts mitgeteilt. Dies genügt nicht den Anforderungen, die an die Darstellung des Ergebnisses einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung gestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2017 – 5 StR 606/16 mwN).

Ob die Begehungsweise der Taten des Angeklagten und die vom Geschädigten gegebene Täterbeschreibung charakteristisch genug sind, um die Feststellung der Täterschaft des Angeklagten zu tragen, kann dahin stehen. Denn jedenfalls hat das Tatgericht sich maßgeblich auf die Übereinstimmung der DNA gestützt.“

Hinsichtlich der Anforderungen zur DNA-Spur/-Untersuchung im Urteil nichts wesentlich Neues. Zu den Anforderungen hat der BGH in der letzten Zeit immer wieder Stellung genommen, besser: Stellung nehmen müssen. Was der BGH da lesen möchte, sollte sich allmählich herumgesprochen haben.

In dem die molekulatgenetische Reihenuntersuchung betreffenden § 81e StPO hatten wir übrigens gerade durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ v. 17.08.2017 im BGBl. verkündet worden (vgl. hier: BGBl I. S. 3202).  Dazu Näheres in meinem Ebook.

„ein durch Schlaufe verbundener Auf- und Abstrich“ ist keine Unterschrift, oder: (Daher) Aufhebung

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Manchmal liest man zu bestimmten Fragen und Problemen lange keine Entscheidungen. Und dann häufen sich auf einmal Urteile/Beschlüsse zu diesen Fragestellungen. So geht es mir derzeit mit der Frage der ausreichenden Unterschrift. Dazu hat dann – wenn ich es richtig sehe: zuletzt – der BGH im BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – VI ZB 16/16 – Stellung genommen (vgl. dazu Kunstvoll, oder: Halbkreis mit Schnörkeln – ist das (noch) eine Unterschrift?). Da ging es um die Unterzeichnung eines bestimmenden Schriftsatzes im Zivilverfahren durch den Vertreter der Partei. Dem BGH hat der „Halbkreis mit Schnörkeln“ – (noch) gereicht, um ihn als Unterschrift anzusehen. Ich war in dem Zusammenhang gefrgat worden, ob die Gerichte denn auch im Straf-/Bußgeldverfahren mit den richterlichen Unterschriften unter die Urteile ggf. so streng sind. Die Frage hat ja Bedeutung im Hinblick auf die Fertigstellung des Urteils innehalb der Urteilabsetzungsfrist (§ 275 StPO). Denn so lange das Urteil nicht unterschrieben ist, ist es nicht „abgesetzt“ und kommt es dann ggf. zur Aufhebung. Meine Antwort war: Ja.

Und sie wird jetzt bestätigt durch zwei Entscheidungen des OLG Hamm, nämlich den OLG Hamm, Beschl. v. 25.04.2017 – 1 RVs 35/17, den mir der Kollege Tomczak aus Olpe übersandt hat, und den OLG Hamm, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 RVs 94/16, auf den ich auf NRWE gestoßen bin. In beiden Entscheidungen werden die tatrichterlichen Urteile wegen Verstoßes gegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO aufgehoben. In beiden Beschlüssen beanstandet das OLG das Fehlen einer „handschriftlichen Unterzeichnung“.

Leider teilt das OLG im OLG Hamm, Beschl. v. 25.04.2017 – 1 RVs 35/17 – keine Einzelheiten mit: Da heißt es nur, dass „das angefochtene Urteil keinerlei handschriftliche Unterzeichnung mit einem Namenszug aufweist.“ Das könnte dafür sprechen, dass das Urteil nicht nur „schlecht“, sondern überhaupt nicht unterschrieben war.

Konkreter ist das OLG dann im OLG Hamm, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 RVs 94/16 – (gewesen).

„Der erkennende Richter hat das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO), was einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug erfordert, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert (vgl. so und zum Folgenden OLG Köln, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; allg. Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 129, jew. m. w. N.). Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Diese Grenze individueller Charakteristik ist insbesondere bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien eindeutig überschritten, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen.

Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 05.08.2016 nicht auf, welches lediglich mit einem handschriftlich angebrachten Zeichen versehen ist, das keinerlei Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder mit einer Buchstabenfolge aus dem Namen des zuständigen Richters aufweist. Dieses Zeichen besteht vielmehr lediglich aus einem durch eine Schlaufe verbundenen Auf- und Abstrich, der große Ähnlichkeit mit einem „L“ aufweist. Der Mangel der erforderlichen Unterzeichnung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Name des Richters unter dieses Zeichen gedruckt ist, da dieser Zusatz die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung des Urteils nicht zu ersetzen vermag.“

Und für den Revisionsverteidiger: Es genügt die Sachrüge, um solche Fehler geltend zu machen.