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Eine unleserliche Paraphe ist keine Unterschrift, oder: Sind die Durchsuchungsbeschlüsse im VW-Skandal ggf. unwirksam?

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Heute dann auch mal in der Woche ein „Kessel Buntes“, allerdings ein Kessel Buntes – anders als am Samstag – gefüllt mit Strafrecht und Strafverfahrensrecht. Von allem ein Bisschen.

Und da ist dann zunächst der OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.11.2018 – 1 Ss 60/18, den mir der Kollege Hertweck aus Braunsschweig geschickt hat. Als Beschluss keine große Sache, aber: Er zeigt mal wieder, dass der Erfolg einer Revision auf Gründen beruhen kann, die man vielleicht zunächst gar nicht so im Blick hatte. Es geht nämlich mal wieder um die Frage, ob die „Unterschrift“ des Tatrichters unter dem Urteil eine den Anforderungen der StPO genügende „Unterschrift“ ist. Das war hier nicht der Fall, so dass das OLG aufgehoben hat:

„Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, da es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage fehlt.

Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (OLG Köln, Beschl. vom 19. Juli 2011, 1 RVs 166/11, Rn. 4, zitiert nach juris; Gericke in: KK, StPO, 7. Aufl., § 337, Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 337, Rn. 22). Das Fehlen einer individualisierbaren richterlichen Unterschrift ist hierbei – abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Fehlens nur einer richterlichen Unterschrift bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht – dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20. Mai 2016, Ss 28/2016, Rn. 7, zitiert nach juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2015, 1 Ss 318/14, Rn. 6, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017, 111-1 RVs 35/17, Rn. 5, zitiert nach juris) und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, wenn nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO die Unterschrift auch nicht mehr nachgeholt werden kann (OLG Köln, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.; Greger in: KK, a.a.O., § 275 Rn. 68; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 275, Rn. 29).

So liegt der Fall hier, da die Unterzeichnung des vorliegend angefochtenen Urteils nicht den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung an eine Unterschrift gestellt werden.

Der erkennende Richter hat das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO), was einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug erfordert, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch Dritte zumindest erschwert (OLG Köln, a.a.O.; OLG Saarbrücken, a.a.O.; allg. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einl. Rn. 129, m.w.N.). Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Die Grenze individueller Charakteristik ist jedenfalls bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahen gerader) Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchst. des Namens, stehen erreicht (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Mai 2003, 1 ObOWi 177/03, Rn. 9, zitiert nach juris; OLG Köln, a.a.O.). Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig nicht auf. Die schriftlichen Urteilsgründe sind lediglich mit einem handschriftlich angebrachten Zeichen versehen, das große Ähnlichkeit mit einem „Mg aufweist. Eine Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben oder einer Buchstabenfolge aus dem Namen der Abteilungsrichterin des Amtsgerichts ist nicht erkennbar. Der Mangel der erforderlichen Unterzeichnung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass der Name und die Dienstbezeichnung der Richterin unter dieses Zeichen gedruckt sind, da dieser Zusatz die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung des Urteils nicht zu ersetzen vermag.“

Man kann m.E. über das Verhalten der Amtsrichterin nur den Kopfschütteln. Hat man denn wirklich nicht so viel Zeit, ein Urteil – immerhin vier Monate Freiheitsstrafe – „vernünftig“ zu unterschreiben? Oder warum schludert man da eine unleserliche Paraphe hin? Man weiß es nicht. Aber eins kann man m.E. aus dem Beschluss des OLG auch noch ablesen: Besonders sorgfältig scheint die Richterin nicht zu arbeiten, denn sonst wäre die „Segelanweisung“ des OLG betreffend den § 47 StGB nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen scheint sie aber alles richtig gemacht zu haben, weil das OLG (in seiner weitreichenden Fürsorge 🙂 ) ausdrücklich darauf hinweist, dass das „das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler erkennen“ lässt.

Der Beschluss des OLG wirft an sich so keine weiteren Fragen auf, in ihm steckt aber vielleicht doch eine gewisse Brisanz. Denn: Der Kollege Hertweck weist mich ausdrücklich darauf hin, dass: „die erkennende Richterin hat gefühlte 50 % der Beschlüsse im Strafverfahren um die VW-Abgasaffäre ebenso „unterschrieben“.“ Na, das könnte doch ggf. dann noch lustig werden, wenn in den VW-Verfahren die Frage der Wirksamkeit der Unterschrift unter die Durchsuchungsbeschlüsse und damit die Frage der Wirksamkeit der Durchsuchungsbeschlüsse eine Rolle spielen wird. Eine weitere Facette in dem VW-Skandal?

„ein geschwungenes W“ reicht nicht, oder: Die mangelhafte Unterschrift „zwingt“ zur Urteilsaufhebung

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Nach den drei (Akten)Einsichtentscheidungen vom Aschermittwoch bringe ich dann heute drei weitere OWi-Entscheidungen, die schon etwas länger in meinem Blogordner hängen. Ich weise zunächst hin auf den OLG Frankfurt, Beschl. v.  03.01.2018 – 2 Ss-OWi 133/17, den mir der Kollege Sokolowski zur Verfügung gestellt hat. Ich räume, er hat eine allgemeine Problematik zum Inhalt, ist aber im Bußgeldverfahren ergangen, passt daher also in die heutige Reihe.

Es geht um die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichung eines Urteils. Die Frage spielt in der Praxis ja immer wieder eine Rolle. denn nur, wenn das Urteil ordnungsgemäß unterzeichnet ist – also vom Richter „unterschrieben“ ist – liegt eine Grundlage für das Rechtsmittelverfahren vor. Ist das nicht der Fall, wird das „Urteil“ auf die Sachrüge hin aufgehoben. So war es hier beim OLG Frankfurt:

„Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden. Sie hat auch in der Sache — zumindest vorläufig — Erfolg.

Die Sachrüge greift durch und zwingt zur Aufhebung des Urteils, weil es an einer notwendigen Prüfungsgrundlage fehlt Denn Gegenstand der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht sind allein die Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 275 Rdn. 22).

Vorliegend genügt die Unterzeichnung des Urteils nicht den Anforderungen, die an eine ordnungsgemäße Unterschrift zu stellen sind.

Eine wirksame Unterzeichnung setzt voraus, dass die Identität des Unterschreibenden durch einen individuellem Schriftzug gekennzeichnet ist, so dass nicht lediglich ein Namenskürzel, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen vorliegen müssen, die eine Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschweren (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2011, 348 f). Dazu bedarf es zwar nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes, erforderlich ist aber, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann (vgl. OLG Köln a.a.O. m. w. N.).

Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Zeichnung der Richterin besteht lediglich in einem größen geschwungenen „W “ . Einzelne Buchstaben aus dem Namen der Richterin, die „XXX“ heißt, können der Zeichnung nicht entnommen werden. Somit fehlt es an irgendeiner Ähnlichkeit mit einem einzigen Buchstaben aus dem Namen der Richterin.“

Irgendwie merkt man dem Beschluss an, dass das OLG lieber anders entschieden hätte. Da ist die – in meinen Augen – nicht nur überflüssige, sondern auch falsche Formulierung „zumindest vorläufig“, denn die Rechtsbeschwerde hat ja nicht vorläufig Erfolg, sondern diese Rechtsbeschwerde hat endgültig Erfolg. Und da ist dann auch die Formulierung „zwingt“, die die OLG immer gerne dann benutzen, wenn Sie doch lieber anders entschiedn hätten. Aber bei dem fest gestellten Rechtsfehler hilft nun mal keine Trickserei über die Beruhensprüfung usw. Auch nicht beim OLG Frankfurt.