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Verteidigerfehler, oder: Da muss ich mich über die Verwerfung der Revision nicht wundern/ärgern

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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Verteidiger beklagen häufig, dass ihre Revisionen beim BGH oder beim OLG keinen Erfolg haben. Vor allem Verfahrensrügen würden kaum durchdringen. Das ist sicherlich eine berechtigte Klage. Nur: Man muss an der ein oder anderen Stellen aber bitte dann auch mal Ursachenforschung betreiben und sich fragen: Warum haben eigentlich so viele Verfahrensrügen keinen Erfolg?

Da hilft dann m.E. ein Blick in die obergerichtliche Rechtsprechung, insbesondere in die auf der Homepage des BGH veröffentlichten Urteile und Beschlüsse. Da liest/sieht man nämlich in sehr vielen Entscheidungen den Hinweis, des BGH, dass die Verfahrensrüge unzulässig ist, weil sie nicht den (strengen) Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Das ist m.E. i.d.R. der mehr als deutliche Hinweis auf einen „Verteidigerfehler“, das eben zur Begründung des geltend gemachten Verfahrensverstoßes nicht genügend vorgetragen worden ist. An der Stelle kann man sicherlich weiter darüber lamentieren, dass die Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu hoch sind und die Latte des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO von den Revisionsgerichten zu/so hoch gelegt wird, dass man nicht mehr darüber springen kann und die Latte reißt = die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erfüllt. Das mag richtig sein, wenn es um Besonderes oder neue Hürden geht, die von der Rechtsprechung aufgestellt werden. Nicht aber, wenn es um die Ablehnung ganz einfacher, im Grunde alltäglicher Verfahrensrügen geht.

Und da ist der BGH, Beschl. v. 07.04.2015 – 4 StR 97/15 – ein „schönes“ Beispiel. Gerügt worden ist offenbar die Ablehnung eines Beweisantrages, in dem die schriftliche Erklärung einer M.J. eine Rolle spielte. Wenn man dazu dann aber die Verfahrensrüge begründet, dann muss aber auch bitte alles, was für die Beurteilung der Ablehnung dieses Beweisantrages, also dieses Vorgangs in der Hauptverhandlung, von Bedeutung ist, zur Begründung mit vorgetragen werden. Und dazu gehört dann auch der Inhalt dieser schriftlichen Erklärung, weil sonst das Revisionsgericht nicht beurteilen kann, ob die Ablehnung zu Recht erfolgt ist oder nicht. Trägt man das nicht vor, erhält man einen kurzen, knappen Satz des Revisionsgerichts, hier des BGH, der dann lautet:

„Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 5. März 2015 bemerkt der Senat, dass die Verfahrensrüge bereits unzulässig ist, da die Revision die in ihrem Beweisantrag in Bezug genommene schriftliche Erklärung der M. J. nicht vorgelegt hat (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).“

Das war es dann. Gewogen und zu leicht befunden und man/der Verteidiger ist selbst verantwortlich für den Misserfolg der Verfahrensrüge. Ob sie in der Sache etwas gebracht hätte, ist eine ganz andere/weitere Frage. Jedenfalls hätte man hier zumindest schon mal die erste Hürde überspringen können.

Für die Urteilsgründe gibt es kein Fleisskärtchen

FleisskaertchenMan kennt die Redensart „Wer schreibt, der bleibt“. Wie immer man die auch versteht oder verstehen will, bezogen auf strafverfahrensrechtliche Urteilsgründe gilt die Redensart zumindest hinsichtlich des Umfangs der Gründe nicht. Denn der BGH moniert immer wieder, dass in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung zu viel Unnützes geschrieben wird. So jetzt auch noch einmal im BGH, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 StR 39/15:

„Dabei dienen die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Gangs der Hauptverhandlung. Die Annahme, es sei notwendig, das Revisionsgericht im Detail dar-über zu unterrichten, welche Ergebnisse die im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen erbracht haben, ist verfehlt (BGH aaO). Auch muss der Tatrichter nicht für alle Feststellungen einen Beleg erbringen (BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279 f. mwN). Er ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich aber verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01). Insofern beurteilt sich die Erörterungsbedürftigkeit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme; (nur) mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muss sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174 f.; Urteil vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05). Es ist deshalb regelmäßig überflüssig, nach den tatsächlichen Feststellungen sämtliche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismittel, auf denen das Urteil beruhen soll, aufzuzählen; dies kann die Würdigung der Beweise nicht ersetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1996 – 1 StR 614/96) und stellt lediglich eine vermeidbare Fehler-quelle dar, da sie Anlass zu Rügen nach § 261 StPO geben kann (BGH, Beschluss vom 17. November 1999 – 3 StR 385/99, NStZ 2000, 211).

Daran gemessen ist verfehlt, dass das Landgericht im Anschluss an die Feststellungen mitteilt, dass diese unter anderem auf den Angaben von 17, teils sogar mit ihren Geburtsnamen bezeichneten Zeugen, auf im Einzelnen aufgeführten, in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden und in Augenschein genommenen Lichtbildern beruhen, es indes auf die Lichtbilder weder  gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweist, noch die Inhalte der Urkunden näher mitteilt und von den 17 vernommenen Zeugen im Folgenden lediglich fünf Aussagen dargestellt und erörtert werden.“

Also: Die Urteilsgründe sind kein Tätigkeitsnachweise und Fleißkärtchen gibt es auch nicht. Schön(er) wäre es, wenn Beweise dann auch wirklich „gewürdigt“ würden.

„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ – gilt nicht

© Andrey Burmakin - Fotolia.com

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Schon etwas länger hängt in meinem Blogordner der BGH, Beschl. v. 29.07.2014 – 4 StR 126/14, der – mal wieder – die Fragen der Mitteilungspflicht nach „Verständigungsgesprächen“ (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) zum Gegenstand hatte. Das ist ja eine Thematik in der „Verständigungsrechtsprechung“ des BGH einen besonderern Stellenplatz einnimmt. In dem Verfahren war es so, dass, nachdem die  Anklage beim LG eingegangen war, ein Gespräch zwischen dem zuständigen Staatsanwalt, den Verteidigern des Angeklagten und der Strafkammer in der damaligen Besetzung stattgefunden hatte.  Aufgrund von Neubesetzungen, die vor dem Eröffnungsbeschluss erfolgten, gehörte keiner der an diesem Gespräch beteiligten Richter der später zur Entscheidung berufenen Strafkammer an. In dem Gespräch wurde u.a. die Möglichkeit einer Bewährungsstrafe für den Fall erörtert, dass sich der Angeklagte in einzelnen, in dem Gespräch näher bezeichneten Fällen der Anklageschrift geständig zeigt. Zu einer Einigung kam es zu diesem Zeitpunkt nicht. In der späteren Hauptverhandlung sind dann weitere „Verständigungsgespräche“ geführt worden. Die führten zunächst nicht zu einem Ergebnis. Der Vorsitzende hat den wesentlichen Inhalt des Gesprächs zwischen den Verfahrensbeteiligten wie folgt bekannt gegeben: „Die Kammer hat in der Sitzungspause mit den Verteidigern des Angeklagten und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft ein Gespräch über eine mögliche Verständigung gem. § 257c StPO geführt. Ein Ergebnis konnte bislang nicht erzielt werden.“ Nach erneuten Erörterungen wurde dann  am zweiten Hauptverhandlungstag eine Verständigung gemäß § 257c StPO erzielt. Die Revision des Angeklagten hat dann einen Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO gerügt und u.a. geltend gemacht, der Vorsitzende habe im Rahmen seiner Mitteilungen nicht über sämtliche vor der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräche berichtet. Und? Sie hatte Erfolg: “

„Nach diesen Grundsätzen unterlag das von der Strafkammer, wenn-gleich in anderer Besetzung, mit den Verfahrensbeteiligten im Zwischenverfahren geführte Gespräch der Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, da die Strafkammer mit den Verfahrensbeteiligten erörtert hat, dass eine Bewährungsstrafe dann möglich sei, wenn sich der Angeklagte zu bestimmten Anklagevorwürfen geständig zeige. Insbesondere handelte es sich bei dem Gespräch, das in Anwesenheit der gesamten Strafkammer stattgefunden hat, nicht etwa lediglich um „sondierende Äußerungen“ nur eines Mitglieds des Spruchkörpers (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 – 1 StR 400/10, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Hinweis 1).

An der Mitteilungspflicht ändert sich auch durch die zwischen dem Vorgespräch und der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgte vollständige Neubesetzung der Strafkammer nichts. Schon aus dem Wortlaut des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergeben sich keine Hinweise darauf, dass Verständigungsgespräche, die mit dem Gericht in anderer Besetzung geführt worden sind, nicht von der Mitteilungspflicht erfasst wären. Ein Wechsel der Gerichtsbesetzung im Zeitraum zwischen Eingang der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens ist gesetzlich zulässig und insbesondere bei länger andauernden Zwischenverfahren keine Seltenheit. Schon im Hinblick auf die Regelung des § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG (reduzierte Besetzung der Strafkammern) und im Hinblick auf die fehlende Beteiligung der Schöffen bei Vorgängen außerhalb der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 1 Satz 2 GVG) besteht zwischen der Besetzung der Kammer im Zwischenverfahren einerseits und im Hauptverfahren andererseits regelmäßig keine Identität.

Gleichwohl hat der Gesetzgeber darin keinen Anlass gesehen, die Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO einzuschränken. Gegen eine solche Ausnahme spricht insbesondere der Sinn und Zweck des Gesetzes. Die Pflicht zur Mitteilung sämtlicher auf eine Verständigung abzielenden Vorgespräche dient neben der notwendigen Information der Öffentlichkeit vor allem der des Angeklagten, der bei derartigen Gesprächen – ebenso wie die Schöffen – in der Regel nicht anwesend ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, NStZ 2014, 217, 218). Nach dem gesetzlichen Regelungskonzept soll durch umfassende Transparenz- und Dokumentationspflichten eine wirksame Kontrolle von Verständigungen sichergestellt werden (BVerfG, NStZ 2013, 295, 297 f.). Zudem ist es für die Willensbildung des Angeklagten von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten Verständigungsgespräche informiert wird (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – 1 StR 423/13, aaO). Mit diesem Schutzzweck wäre es nicht vereinbar, in dem Umstand, dass die Besetzung der Strafkammer zwischen dem Gespräch und der Hauptverhandlung hinsichtlich eines oder auch sämtlicher Richter gewechselt hat, einen Grund für den Ausschluss der Mitteilungspflicht zu sehen.“

Tja, die Argumentation des BGH ist nachvollziehbar. Aber die Mitteilungspflicht geht dann schon sehr weit, wenn die Kammer über einen Vorgang informieren muss, an dem ggf. keines ihrer derzeitigen Mitglieder beteiligt war. Aber andererseits: Wenn alles richtig gelaufen ist, muss der Inhalt der ersten Erörterung ja aktenkundig gemacht worden sein (§§ 212, 202a Satz 2 StPO). Es gilt also nicht der Satz: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Verteidiger (mit)abgehört – gelöscht werden muss dann alles – „versteht sich von selbst“

1896_telephoneIch habe das Gefühl, dass die Verfahren in denen die Kommunikation des Beschuldigten mit (s)einem Verteidiger überwacht wird bzw. worden ist, zunehmen. Jedenfalls nehmen m.E. die Entscheidungen zu, in denen die mit einer Überwachung zusammenhängenden Folgefragen eine Rolle spielen, wobei die nach der Verwertung der gewonnenen „Erkenntnisse“ im Vordergund stehen (vgl. dazu hier schon Für die Praxis wichtig II: Was der Rechtsanwalt erfährt, darf nicht abgehört/verwendet werden… oder Der Telefonkontakt zum Verteidiger – verwertbar oder nicht?). In diese Reihe reiht sich nun ein Beschluss des LG Dresden ein, den mir der Kollege, der ihn erstritten hat, hat zukommen lassen.

Der Sachverhalt – im Grunde ganz einfach: Gegen den Beschuldigten ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des (besonders) schweren Raubes u. a. anhängig. Im Rahmen der gegen den Beschuldigten erfolgten TÜ-Maßnahmen wurde auch ein zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger geführtes Telefonat vom 25. 3. 2014 sowie eine an diesem Tag vom Beschuldigten an den Verteidiger versandte SMS aufgezeichnet. Über deren Inhalt wurde ein Vermerk gefertigt, der sich ebenfalls in den Akten befindet. Der Verteidiger beantragte neben der Feststellung, dass die entsprechenden TKÜ-Maßnahmen rechtswidrig seien, die Löschung der entsprechenden Aufzeichnungen sowie des hierzu gefertigten Vermerks. Diesen Anträgen kam der Ermittlungsrichter des AG im Wesentlichen nach, lehnte aber den Antrag auf Löschung des Vermerks und dessen Entfernung aus der Ermittlungsakte ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Verteidigers hatte beim LG Dresden Erfolg. Dieses führt im LG Dresden, Beschl. v. . 05.06.2014 – 14 Qs 56/14 – aus:

1. Die Löschung von Aufzeichnungen nach § 160 a Abs. 1 Satz 3 StPO hat sich nicht lediglich auf die Speicherung der Daten, die unmittelbar durch die TKÜ-Maßnahmen erlangt wurden, zu erstrecken, sondern auch auf entsprechende Niederschriften (siehe etwa Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 101, Rn. 28). Mithin ist sämtliches insoweit angefallenes Material, insbesondere auch ein über den Inhalt des Telefonats bzw. der Kurznachricht gefertigter Vermerk, vollständig zu löschen.

Dies versteht sich von selbst, da andernfalls der besondere Schutz, den die entsprechende grundrechtssichernde Verfahrensregelung nach § 101 Abs. 8 StPO sowie der hier einschlägigen – noch weitergehenden – Vorschrift des § 160 a Abs. 1 StPO bieten soll, nicht effektiv gewährleistet werden könnte.

Den vom Amtsgericht geäußerten Bedenken ist daher nur insoweit Rechnung zu tragen, als die entsprechenden Aktenbestandteile, wie bereits die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers ausgeführt hat, nicht kommentarlos entfernt werden dürfen, sondern durch Fehlblätter mit einem entsprechenden Vermerk – etwa unter Hinweis auf den die Entfernung anordnenden Beschluss – zu ersetzen sind. Schon um die spätere Nachvollziehbarkeit im Rahmen von Rechtsschutzbegehren Betroffener zu sichern, müssen die Tatsache der Erlangung unverwendbarer Erkenntnisse („aber natürlich nicht diese selbst“ – Meyer-Goßner a.a.O., § 160a Rn. 6) ohnehin nach § 160 a Abs. 1 S. 4 StPO dokumentiert werden.“

M.E. ist dem nichts hinzu zu fügen. „Versteht sich [wirklich] von selbst“, dass alles gelöscht werden muss. Denn würde man nicht alles, also z.B. auch über die Überwachungsmaßnahme gefertigte Vermerke mit inhaltlichen Angaben zu den (ab)gehörten Gesprächen, löschen, dann könnte man die Aufzeichnung des Gesprächs/der SMS u.a. auch gleich in den Akten lassen. Der Schutz, den die §§ 101 Abs. 8, 160 Abs. 1 Satz 3 StPO gewähren soll, ginge ins Leere.

Akteneinsicht a la AG Bamberg: Kein Wissenvorsprung der Verwaltungsbehörde

© Avanti/Ralf Poller

Aus der Zusammenstellung zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren betreffend Bedienungsanleitung und sonstige Unterlagen heute dann ein Hinweis auf den AG Bamberg, Beschl. v. 23.08.2013 – 2 OWi 2311 Js 9875/13 – mit dem Leitsatz.

„Soweit der Verteidiger im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren die Vorlage konkreter Beweismittel, wie z.B. der Eichscheine,: Bedienungsanleitung des Messgeräts, Lebensakte mit Reparaturnachweisen, Ausbildungs-/Schulungsnachweise des Messbeamten oder die Mitteilung der Länge des Video- Verbindungskabels- beantragt, sind, diese Unterlagen der Verteidigerin zugänglich zu machen bzw. entsprechende Informationen zu erteilen. Dies gilt auch, wenn die Gegenstände noch nicht Teil der Gerichtsakte sind,- sondern sich in behördlicher Hand befinden. Die Verteidigerin darf nicht darauf verwiesen werden, die Bedienungs- bzw. Gebrauchsanleitung der technischen Messgeräte nach vorheriger Terminabsprache auf einer Polizeidienststelle einzusehen bzw. diese gegen Bezahlung beim Hersteller dieser Geräte anzufordern.“

Zur Begründung verweist das AG u.a darauf:

„Um die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid zu überprüfen, ist es notwendig, dass die Verteidigung die Bedienung und Aufstellung es Messgerätes nachvollziehen und überprüfen kann. Die Verteidigung hat im Rahmen eines Bußgeldverfahrens das Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Dies folgt schon aus dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit. Nur wenn dem Verteidiger alle Unterlagen zur Verfügung stehen, die auch dem Sachverständigen zugänglich sind, ist es ihm möglich, das bzw. ein mögliches Sachverständigengutachten auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Darüber hinaus wäre ohne Akteneinsicht im geschilderten Umfang zwischen Betroffenem und der Ermittlungsbehörde keine Waffengleichheit gegeben, wenn die Ermittlungsbehörde einen Wissensvorsprung dadurch erlangt, dass sie maßgebliche Unterlagen zurückhält. So ist es auch nicht ausreichend, die Verteidigung auf allgemein zugängliche Sekundärliteratur zu verweisen, in der die Funktions- und Bedienweise von Geschwindigkeitsmessgeräten erklärt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2012 Ss (Bz) 100/12, BeckRS 2013, 61694).“

Den OLG Naumburg, Beschl. v. o5.11.2012 Ss (Bz) 100/12 hatten wir hier auch, und zwar hier: Danke OLG Naumburg – erste OLG-Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – Teil 2.