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Akteneinsicht a la AG Aichach; oder: „Schuss nicht gehört?“ bzw. BGH-Richter sollten sich nicht „umfangreiche und tiefgründige Gedanken“ machen

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

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Aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der amtsgerichtlichen Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren hat mir ein Kollege den AG Aichach, Beschl. v. 13.01.2016 – 3 OWi 93/15 – geschickt. Bei dem Frage ich mich allerdings, ob die dort entscheidende Amtsrichterin eigentlich – um es etwas drastischer auszudrücken –  „den Schuss noch gehört hat“, so wie sie den Verteidiger abkanzelt?. Und die „BGH-Richter“ bekommen auch gleich noch einen mit.

Der Antrag auf Einsicht in umfangreiche Messunterlagen wird abgelehnt, und zwar mit folgender Begründung:

„Im Übrigen ist im Hinblick auf die Erörterungen des Verteidigers noch in der gebotenen Kürze Folgendes auszuführen:

–         Auf die Gebrauchsanweisung konnte der Verteidiger mithilfe des ihm mitgeteilten, aber offensichtlich von ihm bislang nicht verfolgten Links bereits seit November 2015 zugreifen.

–         Schulungsnachweise, Angaben zur ordnungsgemäßen Aufstellung des Messgeräts, zur Wartung und Eichung der eingesetzten Gerätschaften können durch Einvernahme des Messbeamten im Rahmen der Hauptverhandlung eingesehen und entsprechende Fragen hierzu zügig geklärt werden. Es handelt sich jeweils um einfache und leicht verständliche Angaben bzw. Unterlagen, die der Zeuge regelmäßig in der Sitzung bei sich hat. Dabei genügen -sofern von Seiten der Verteidigung nicht nachvollziehbare, berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der dem Gericht vorgelegten Kopien vorgetragen werden- regelmäßig einfache Abschriften der entsprechenden Unterlagen. Eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung kann und darf die Akteneinsicht nicht sein.

–         Sofern die Verteidigung meint, schon jetzt Original-Messdaten zu benötigen und sich dabei auf das OLG Naumburg beruft, verkennt sie, dass diese Entscheidung einen Fall betraf, bei dem tatsächlich ein Sachverständigengutachten erholt wurde, In einem solchen Fall sind der Verteidigung selbstverständlich alle Unterlagen zugänglich zu machen, die auch der Sachverständige zur Verfügung hatte. Ein Sachverständiger wurde vom Gericht aber bislang weder beauftragt noch einem solchen Unterlagen zugänglich gemacht.

– Die Verteidigung verkennt im Übrigen den Hintergrund sowie Sinn und Zweck der standardisierten Messverfahren: Bevor Messverfahren zugelassen werden, werden umfangreiche Prüfungen durchgeführt, an deren erfolgreichem Ende die PTB-Zulassung und damit die Standardisierung steht. Deren Zweck ist es gerade, nicht in jedem Fall eine Einzelfallprüfung vornehmen zu müssen, sondern nur dann, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für Messfehler finden. Dabei beruht die Standardisierung auf der umfangreichen PTB-Zulassung.

– Schließlich sind noch folgende Erwägungen zu bedenken: Auch wenn sich BGH-Richter umfangreiche und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren machen, ist der Gesamtkontext dieser Verfahren nicht aus dem Blick zu verlieren: Es handelt sich um Massenverfahren, die lediglich Verwaltungsunrecht zum Gegenstand haben. Sie sind regelmäßig nicht wie umfangreiche Strafverfahren zu führen, wie sich bereits aus den Regelungen zur erleichterten Beweisaufnahme ergibt. Insofern ist auch die Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Blick zu verlieren. Selbst wenn der hiesige Betroffene angesichts seiner massiven Vorahndungen davon ausgehen sollte, dass es bei ihm „ums Ganze“ -um ein Fahrverbot oder gar den Verlust seiner Fahrerlaubnis- geht, bleibt es bei reinem Verwaltungsunrecht.“

Ist m.E. schon ganz schön „frech“, wie da argumentiert wird, und m.E. auch noch falsch. Warum, das ergibt sich aus den „umfangreichen und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren“, die RiBGH Cierniak sich in zfs 2012, 662 gemacht hat. Und wer den „den Hintergrund sowie Sinn und Zweck der standardisierten Messverfahren“ verkennt, liegt m.E. auf der Hand. Die Messung mit einem standardisierten Messverfahren hat doch nicht zur Folge, dass die Rechte des Betroffenen „mit Füßen getreten werden können/dürfen“ Wie bitte schön, soll er denn ein SV-Gutachten zur Messung erstellen lassen und/oder diese überprüfen lassen können, wenn er nicht alle die Messung betreffenden Unterlagen kennt. Und natürlich beruht auf denen auch – zumindest mittelbar – der Vorwurf. Alles in allem eine dieser Entscheidung, bei der man den Eindruck hat, die Amtsrichterin weiß alles, vor allem besser. Und das berechtigt sie dann wohl auch, sich nicht mit abweichender Rechtsprechung auseinander zu setzen. Aber dafür hätte sie sich dann „umfangreiche und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren“ machen müssen.

Ich habe da mal eine Frage: Gehören zu den „Sachakten“ auch die „Beiakten pp.“?

© AllebaziB - Fotolia

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Anfang Oktober 2015 hatte ich über den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.06.2015 – III-3 AR 65/14 berichtet. Das ist die Entscheidung, in der das OLG in Zusammenhang mit der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG neue Grundsätze hinsichtlich der Bewilligung einer Pauschgebühr für den „Verfahrensabschnitt Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG“ aufgestellt hat. Die hat das OLG u.a. in dem Leitsatz formuliert: „Angesichts der Höhe der Grundgebühr kann vom (Pflicht)Verteidiger das Studium einer Akte von in der Regel nicht mehr als 500 Blatt erwartet werden.“

Daran knüpfte sich in der vergangenen Woche die Frage eines Kollegen, und zwar wie folgt:

„….
Ich sitze gerade über einem Pauschantrag bzgl der Grundgebühr für ein Verfahren vor dem AG Düsseldorf. Es begann in 2011. Ein HVT war in 2012. Eine weitere Akteneinsicht in ein beigezogenes Verfahren (das der Haupttat) kam im Juni 2014. Im März 2015 erfolgte dann die endgültige Einstellung nach §153a StPO.

Meinem Mandanten wurde Beihilfe zu einem gewerbsmäßigen Betrug in 4 Fällen vorgeworfen. Es ging am „Anlagebetrügereien“. Er war Telefonverkäufer.

Das gesamte Aktenmaterial beläuft sich auf über 16.500 Seiten. Diese verteilen sich auf Hauptakten, Fallakten, die beigezogene Akte nebst dortigen Sonderheften etc, Beweismittelordner, Finanzermittlungen und sonstige Sonderhefte und wurden mir alle digital zur Verfügung gestellt, lagen also auch dem Gericht vor.

Die bekannte Entscheidung des OLG Düsseldorf – alle 500 Seiten wird der Taxameter eine Nummer weiter gedreht – geht dort bei der Berechnung von den „Sachakten“ aus, ohne diese näher zu bezeichnen.

Dort liegt mein Problem. Ich gehe davon aus, dass Sachten die Akten i.S.d. § 147 I StPO sind, also die dem Gericht vorzulegenden und alle diesem vorliegenden Aktenteile, also auch Sonderhefte etc. Sehen Sie das auch so?
Ich befürchte, dass der natürliche Feind des Verteidigers – Rechtspfleger und Bezirksrevisor – den Begriff der „Sachakte“ kreativ nur auf die Hauptbände einengen will.

Wie sehen Sie das?“

Ich gebe die Frage dann weiter: Wie sehen die Leser das?

Auch wer keine Verständigung will, muss informiert werden

© Brux . Fotolia.com

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Da haben wir mal wieder was zur Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz3 StPO) bei einer Verständigung. Dazu hat es länger nichts gegeben. Jetzt hat sich der BGH aber mal wieder dazu geäußert, und zwar im BGH, Urt. v. 21.07.2015 – 2 StR 75/14. Da ging es um eine „geteilte Verständigung“. Ein Teil der Angeklagten und Verteidiger hat den Verständigungsvorschlag des Gerichts aufgegriffen, ein Angeklagter und sein Verteidiger nicht. Und die sind dann später mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO in die Revision gegangen und hatten Erfolg. Aus dem Urteil dazu – ist ziemlich umfangreich das Urteil, interessant wird es erst ab Seite 13 -:

a) Das Verfahren der Strafkammer war rechtsfehlerhaft.

….. Die Pflicht zur Mitteilung von Erörterungen nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO galt im vorliegenden Fall unbeschadet der Tatsache, dass der Verteidiger des Beschwerdeführers keine Verständigung wünschte. Vielmehr ist der Vorsit-zende gegebenenfalls gehalten, die Verfahrensbeteiligten von sämtlichen, ge-gebenenfalls auch erfolglosen Bemühungen des Gerichts um deren Zustande-kommen in Kenntnis zu setzen. Selbst die sofortige Ablehnung einer Verständi-gung ist daher zur Herstellung umfassender Transparenz mitteilungspflichtig (vgl. SK/Frister, StPO 5. Aufl. 2015 § 243 Rn. 44e; KK/Schneider, StPO 7. Aufl. 2014 § 243 Rn. 37). Das gilt insbesondere, wenn – wie hier – die Schöffen und die Angeklagten an den Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung nicht teilgenommen haben. Das Schutzkonzept der §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO ist gerade dann von erheblicher Bedeutung, wenn die Möglichkeit einer Verständigung von Gericht und Staatsanwaltschaft mit Mitangeklagten gesehen wird, während ein anderer Angeklagter keine Verständigungsbereitschaft zeigt (vgl. KK/Schneider aaO § 243 Rn. 38).“

Verteidigerfehler, oder: Da muss ich mich über die Verwerfung der Revision nicht wundern/ärgern

entnommen wikimedia.org Urheber Harald Bischoff

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Urheber Harald Bischoff

Verteidiger beklagen häufig, dass ihre Revisionen beim BGH oder beim OLG keinen Erfolg haben. Vor allem Verfahrensrügen würden kaum durchdringen. Das ist sicherlich eine berechtigte Klage. Nur: Man muss an der ein oder anderen Stellen aber bitte dann auch mal Ursachenforschung betreiben und sich fragen: Warum haben eigentlich so viele Verfahrensrügen keinen Erfolg?

Da hilft dann m.E. ein Blick in die obergerichtliche Rechtsprechung, insbesondere in die auf der Homepage des BGH veröffentlichten Urteile und Beschlüsse. Da liest/sieht man nämlich in sehr vielen Entscheidungen den Hinweis, des BGH, dass die Verfahrensrüge unzulässig ist, weil sie nicht den (strengen) Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. Das ist m.E. i.d.R. der mehr als deutliche Hinweis auf einen „Verteidigerfehler“, das eben zur Begründung des geltend gemachten Verfahrensverstoßes nicht genügend vorgetragen worden ist. An der Stelle kann man sicherlich weiter darüber lamentieren, dass die Anforderungen an die Begründung der Verfahrensrüge zu hoch sind und die Latte des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO von den Revisionsgerichten zu/so hoch gelegt wird, dass man nicht mehr darüber springen kann und die Latte reißt = die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erfüllt. Das mag richtig sein, wenn es um Besonderes oder neue Hürden geht, die von der Rechtsprechung aufgestellt werden. Nicht aber, wenn es um die Ablehnung ganz einfacher, im Grunde alltäglicher Verfahrensrügen geht.

Und da ist der BGH, Beschl. v. 07.04.2015 – 4 StR 97/15 – ein „schönes“ Beispiel. Gerügt worden ist offenbar die Ablehnung eines Beweisantrages, in dem die schriftliche Erklärung einer M.J. eine Rolle spielte. Wenn man dazu dann aber die Verfahrensrüge begründet, dann muss aber auch bitte alles, was für die Beurteilung der Ablehnung dieses Beweisantrages, also dieses Vorgangs in der Hauptverhandlung, von Bedeutung ist, zur Begründung mit vorgetragen werden. Und dazu gehört dann auch der Inhalt dieser schriftlichen Erklärung, weil sonst das Revisionsgericht nicht beurteilen kann, ob die Ablehnung zu Recht erfolgt ist oder nicht. Trägt man das nicht vor, erhält man einen kurzen, knappen Satz des Revisionsgerichts, hier des BGH, der dann lautet:

„Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 5. März 2015 bemerkt der Senat, dass die Verfahrensrüge bereits unzulässig ist, da die Revision die in ihrem Beweisantrag in Bezug genommene schriftliche Erklärung der M. J. nicht vorgelegt hat (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).“

Das war es dann. Gewogen und zu leicht befunden und man/der Verteidiger ist selbst verantwortlich für den Misserfolg der Verfahrensrüge. Ob sie in der Sache etwas gebracht hätte, ist eine ganz andere/weitere Frage. Jedenfalls hätte man hier zumindest schon mal die erste Hürde überspringen können.

Für die Urteilsgründe gibt es kein Fleisskärtchen

FleisskaertchenMan kennt die Redensart „Wer schreibt, der bleibt“. Wie immer man die auch versteht oder verstehen will, bezogen auf strafverfahrensrechtliche Urteilsgründe gilt die Redensart zumindest hinsichtlich des Umfangs der Gründe nicht. Denn der BGH moniert immer wieder, dass in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung zu viel Unnützes geschrieben wird. So jetzt auch noch einmal im BGH, Beschl. v. 25.02.2015 – 4 StR 39/15:

„Dabei dienen die schriftlichen Urteilsgründe nicht der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Gangs der Hauptverhandlung. Die Annahme, es sei notwendig, das Revisionsgericht im Detail dar-über zu unterrichten, welche Ergebnisse die im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen erbracht haben, ist verfehlt (BGH aaO). Auch muss der Tatrichter nicht für alle Feststellungen einen Beleg erbringen (BGH, Urteil vom 17. April 2014 – 3 StR 27/14, NStZ-RR 2014, 279 f. mwN). Er ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich aber verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01). Insofern beurteilt sich die Erörterungsbedürftigkeit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme; (nur) mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muss sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174 f.; Urteil vom 24. Januar 2006 – 5 StR 410/05). Es ist deshalb regelmäßig überflüssig, nach den tatsächlichen Feststellungen sämtliche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismittel, auf denen das Urteil beruhen soll, aufzuzählen; dies kann die Würdigung der Beweise nicht ersetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1996 – 1 StR 614/96) und stellt lediglich eine vermeidbare Fehler-quelle dar, da sie Anlass zu Rügen nach § 261 StPO geben kann (BGH, Beschluss vom 17. November 1999 – 3 StR 385/99, NStZ 2000, 211).

Daran gemessen ist verfehlt, dass das Landgericht im Anschluss an die Feststellungen mitteilt, dass diese unter anderem auf den Angaben von 17, teils sogar mit ihren Geburtsnamen bezeichneten Zeugen, auf im Einzelnen aufgeführten, in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden und in Augenschein genommenen Lichtbildern beruhen, es indes auf die Lichtbilder weder  gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verweist, noch die Inhalte der Urkunden näher mitteilt und von den 17 vernommenen Zeugen im Folgenden lediglich fünf Aussagen dargestellt und erörtert werden.“

Also: Die Urteilsgründe sind kein Tätigkeitsnachweise und Fleißkärtchen gibt es auch nicht. Schön(er) wäre es, wenn Beweise dann auch wirklich „gewürdigt“ würden.