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Was ist eine zeitweise rechtswidrige Fesselung „wert“?

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Vielleicht erinnert sich der ein oder andere Leser noch an das das LG Marburg, Urt. v. 22.09.2015 – 7 O 112/11. In ihm ging es um die Höhe der Entschädigung für einen Strafgefangenen u.a. wegen der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts infolge Fesselung und Beobachtung bei der Darmentleerung (vgl. Fesselung bei der Darmentleerung, oder: Habt Ihr sie denn noch alle,…..?). Mit einer ähnlichen Frage hatte jetzt auch das OLG Karlsruhe zu tun. Es ging um die Höhe des Gegenstandswertes in einer Strafvollzugssache (die werden nach Teil 3 VV RVG abgerechnet). Hintergrund des Verfahrens war die von der JVA angeordnete zeitweise Fesselung eines Gefangenen während dessen stationären Aufenthalts im Klinikum der Universität Freiburg vom 21.7.2015 bis 27.07.2015. Nachdem der Gefangene am 27.7.2015 entlassen worden war, stellte er mit Schriftsatz vom 27.10.2015 Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung. Die StVK des LG hat dann festgestellt, dass die zeitweise Fesselung des Gefangenen anlässlich einer Ausführung rechtswidrig war. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Gefangenen wurden der Staatskasse auferlegt. Der Gegenstandwert wurde auf 500 € festgesetzt. Der Rechtsanwalt des Gefangenen hat Beschwerde eingelegt, mit der er die Festsetzung eines Streitwertes nach § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000 € erstrebt hate. Das Rechtsmittel hatte – nur – einen Teilerfolg, das OLG hat ihn im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.03.2016 – 2 Ws 67/16 – auf 1.000 € festgesetzt:

„3. Bei der nach § 52 i.V.m. § 60 GKG vorzunehmenden Bemessung des Streitwertes ist die sich nach dem Antrag des Gefangenen für ihn ergebende Bedeutung der Sache nach Ermessen heranzuziehen. Dabei sind die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen eines Erfolgs des Antrags zu berücksichtigen. Es besteht Einigkeit, dass der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Betrag von 5.000,- EUR in der Regel außer Betracht zu bleiben hat, da es sich nur um einen subsidiären Ausnahmewert handelt (Senat, a.a.O.; KG Berlin, a.a.O.; Bachmann in LNNV, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl. 2015 Abschn. P Rn. 141; AK-Kamann/Spaniol, a.a.O., Rn. 9; Arloth, a.a.O., Rn. 1; BeckOK/Euler, a.a.O.). Angesichts der geringen Leistungsfähigkeit vieler Gefangener ist der Streitwert prinzipiell eher niedrig anzusetzen, da seine Bemessung aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen darf, dass die Anrufung des Gerichts für den Betroffenen mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden ist; andererseits darf er nicht so niedrig sein, dass die anwaltliche Tätigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht völlig unmöglich wird (KG Berlin, a.a.O.; AK-Kamann/Spaniol, a.a.O., Rn. 10; BeckOK/Euler, a.a.O., Rn. 8). Gänzlich außer Betracht zu bleiben hat demgegenüber der Ausgang des Verfahrens, d. h. der Streitwert darf bei einer Zurückweisung eines Antrags nicht niedriger als bei einer stattgebenden Entscheidung festgesetzt werden.

Hiervon ausgehend war zu berücksichtigen, dass die für den Krankenhausaufenthalt angeordnete Fesselung zwar einen erheblicheren Eingriff darstellte, der jedoch dadurch relativiert wurde, dass sie nur für die Zeit vorübergehender Abwesenheit der Vollzugsbeamten (z. B. Toilettengang) angeordnet worden war. Andererseits wurde die Anordnung über immerhin sieben Tage hinweg vollstreckt (21.07. bis 27.07.2015), nachdem der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bereits am 23.07.2015 eingegangen, jedoch kein Antrag auf Aussetzung der Maßnahme (§ 114 Abs. 2 und 3 StVollzG) gestellt worden war. Ferner ist in die Bemessung einzustellen, dass die Entscheidung letztlich nicht mehr in der Hauptsache erging, sondern lediglich die Rechtswidrigkeit der zeitweisen Fesselung festgestellt wurde. Vorliegend kommt als Besonderheit, die sich erhöhend auf die Streitwertbemessung auswirkt, hinzu, dass kurze Zeit zuvor in einem früheren Verfahren wegen eines ganz ähnlichen Sachverhalts durch Beschluss des Landgerichts Freiburg – Strafvollstreckungskammer – vom 03.03.2015 – 13 StVK 53/15 – eine Fesselungsanordnung aufgehoben worden war und die Antragsgegnerin jene Vorgaben der Strafvollstreckungskammer betreffend der Anordnung einer Fesselung während eines stationären Krankenhausaufenthalts bei der erneuten Anordnung ersichtlich nicht beachtet hat. Vor diesem Hintergrund lag für den Antragsteller eine besondere – zusätzliche – Bedeutung der Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung vor.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände erachtet der Senat einen Streitwert in Höhe von 1.000,- EUR als angemessen. Dies lässt sich in Übereinstimmung damit bringen, dass für eine Woche Arrest ein Streitwert von 500,- EUR als angemessen erachtet wird (AK-Kamann/Spaniol, a.a.O., Rn. 11) und das vorherige Verfahren sich erhöhend auswirkt.“

Sicherlich nicht „weltbewegend“, aber besser als die 500 € der StVK……

Kann man als Rechtsanwalt mit Strafvollzugssachen „reich werden“?

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Interessante gebührenrechtliche Frage, die ich da stelle, nicht wahr? Auf sie bin ich bei der Aufbereitung des KG, Beschl. v. 25.08.2014 – 2 Ws 296/14 Vollz – für den RVGreport gekommen (ja, ich bin im (Arbeits)Urlaub, ja, ich arbeite trotzdem, zumindest dann wenn das Wetter nicht gut ist).

In der Sache ging es um die Vertretung eines Gefangenen durch einen Rechtsanwalt in einer Strafvollzugssache. Der Gefangene beschwerte sich gegen seine plötzliche Verlegung in eine andere JVA und hat erreicht, dass die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme festgestellt worden ist. Kosten Landeskasse: Streitwert: 800 €. Gegen die Festsetzung beschwert sich der Rechtsanwalts und darüber entscheidet dann das KG.

Ohne Erfolg, denn das KG hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, wonach der Streitwert gem. § 52 Abs. 1 i.V.m. § 60 GKG nach der sich aus dem Antrag des Gefangenen für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen sei. Dabei seien die Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen eines Erfolges des Antrags für den Gefangenen zu berücksichtigen. Der in § 52 Abs. 2 GKG genannte Betrag von 5.000,00 € habe hier außer Betracht zu bleiben; denn er sei kein Ausgangswert, an den sich die Festsetzung nach Abs. 1 anzulehnen hätte, sondern als subsidiärer Ausnahmewert nur dann ein­schlägig, wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte biete, um den Streitwert nach der Grundregel des § 52 Abs. 1 GKG zu bestimmen. Und dann:

„…Angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit der meisten Gefangenen ist der Streitwert in Strafvollzugssachen eher niedrig festzusetzen, da die Bemessung des Streitwerts aus rechtsstaatlichen Gründen nicht dazu führen darf, dass die Anrufung des Gerichts für den Betroffenen mit einem unzumutbar hohen Kostenrisiko verbunden ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Mai 2004 – 1 Vollz (Ws) 75/04 – [juris Rdn. 4]; Senat NStZ-RR 2002, 62; Beschlüsse vom 30. März 2007 – 2 Ws 151/07 Vollz – [juris Rdn. 14] und vom 14. Februar 2014 – 2 Ws 27/14 Vollz – [juris Rdn. 9]; Kamann/Spaniol in AK-StVollzG 6. Aufl., § 121 Rdn. 9 f.; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., § 121 Rdn. 1). Andererseits ist darauf zu achten, dass die gesetzlichen Gebühren hoch genug sein müssen, um die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheinen zu lassen und dem Gefangenen so die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistandes zu ermöglichen (vgl. Kamann/Spaniol a.a.O. Rdn. 10).“

Für den Verteidiger ist diese Rechtsprechung m.E. gebührenrechtlich fatal. Wie fatal, rechnet das KG in seinem Beschluss in Zusammenhang mit der Frage, ob der Beschwerdewert erreicht ist, selbst vor. Bei einem Streitwert von 4.001,00 €, eine Festsetzung in der Höhe hatte der Verteidiger beantragt, wäre eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG in Höhe von 393,90 € und eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20 € zuzüglich 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG, also insgesamt 492,54 €, angefallen. Auf der Grundlage des festgesetzten Streitwertes von 800,00 € ergibt sich hingegen nur ein Betrag von 147,56 € (Verfahrensgebühr in Höhe von 104,00 € und Post- und Telekommunikationspauschale von 20 € zuzüglich 19% Umsatzsteuer).

Die Differenz beträgt 344,98 €. Angesichts des Betrages von 147,56 € muss man m.E. schon die Frage stellen, ob diese gesetzlichen Gebühren hoch genug sind, „um die Tätigkeit des Verteidigers wirtschaftlich vertretbar erscheinen zu lassen und dem Gefangenen so die Inanspruchnahme anwaltlichen Beistandes zu ermöglichen“. Letzteres sicherlich, ersteres wird man verneinen müssen. „Wirtschaftlich vertretbar“ sind Strafvollzugssachen für den Verteidiger nicht. Oder: „Reich werden“ kann er damit nicht.