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Was kommt denn nun ggf. neu in StPO, StGB und RVG?, oder: Wahrscheinlich viel Lärm um nichts?

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Ich hatte ja gestern darüber berichtet, dass die FDP noch drei Gesetzesentwürfe zu Änderungen im StGB, in der StPO und im RVG auf den Weg – sprich im Bundestag eingebracht hat (vgl. hier: News: Was kommt morgen noch in den Bundestag???, oder: StGB- und StPO-Modernisierung, aber auch RVG.

Nun gestern standen die zu diesen Vorhaben gehörenden BT-Drucksachen noch nicht auf der Homepage des Bundestages. Heute sind sie dort eingestellt und es soll am Nachmittag um 14.20 Uhr „beraten“ werden, d.h., dass man die Anträge ohne Aussprache in den Rechtsausschuss überweist. Der darf es dann richten, oder auch nicht.

Ich stelle hier mal die drei BT-Drucksachen ein, und zwar:

und

und

Was ist geplant bzw. was soll geändert werden.

Nun, zu den Änderungen des StGB verweise ich auf meinen Beitrag: Was kommt in 2024 „vielleicht“ an neuen Gesetzen, oder: Eckpunkte StGB, RVG-Erhöhung und digitale HV (?).  Da sind/waren die wesentlichen Änderungen aufgelistet. Die FDP-Fraktion hat das übernommen.

Für die Änderungen im Verfahrensrecht – StPO und JGG – ist Folgendes vorgesehen:

  • In den Fällen der notwendigen Verteidigung sollen alle Beschuldigten unabhängig von einem eigenen Antrag spätestens mit Beginn der ersten Vernehmung über einen Verteidiger verfügen.
  • Auch die Anwesenheitsrechte der Verteidigung im Ermittlungsverfahren werden gestärkt und die Kommunikation zwischen dem oder der Beschuldigten und der Verteidigung wird schon bei der Anbahnung eines Mandatsverhältnisses geschützt.
  • Die Nutzung der Videotechnologie bei der Vernehmung von Zeugen soll ausgeweitet und
    optimiert werden, wobei insbesondere auch die Belange von minderjährigen Zeugen in den Blick genommen werden sollen.
  • Urteile sollen künftig auf digitale Dateien verweisen können.
  • Englischsprachige Urkunden sollen in Zukunft nicht mehr in jedem Fall zeitaufwändig übersetzt werden müssen, sondern eine Zulassung im Original soll möglich werden.
  • Ein allgemeines Beweisverwertungsverbotes in Fällen, in denen Personen dazu verpflichtet sind, den Behörden Auskünfte zu erteilen, die möglicherweise sie selbst oder ihre Angehörigen belasten, soll eingeführt werden.
  • Die Zeugnisverweigerungsrechte für Angehörige in der StPO und in der Zivilprozessordnung (ZPO) sollen grundlegend umgestaltet werden. Es sollen neue
    Zeugnisverweigerungsrechte für Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft
    in einem gemeinsamen Haushalt oder Partner, deren Eheschließungstermin amt-
    lich festgesetzt wurde, geschaffen werden. Des Weiteren soll ein Zeugnisverwei-
    gerungsrecht für Personen, die durch eine soziale Eltern-Kind-Beziehung oder so-
    ziale Geschwisterbeziehung verbunden sind, eingeführt werden.
  • Im JGG soll es durch die Aufnahme einer jugendstrafrechtlichen Sonderregelung u.a. ermöglicht werden, zur Vermeidung einer Entwicklungsgefährdung des betroffenen Jugendlichen von einer Anordnung der Einziehung des Wertersatzes ganz oder teilweise abzusehen.

Und dann noch das RVG. Da hat man eine Anpassung der gesetzlichen Rechtsanwaltsvergütung im Auge. Dabei sollen die Betragsrahmen- sowie die Festgebühren um 9 % und die Wertgebühren um 6 % steigen.

Was wird nun daraus? Ich denke, wenn ich die Beiträge bei LTO und die dort zitierten BT-Abgeordneten richtig verstehe – zum StGB und zur StPO hier: StGB- und StPO-Moder­ni­sie­rung kommen noch in den Bun­destag und zum RVG hier: Ampel­par­teien wollen höhere Anwalts­ver­gü­tung durch­boxen – nicht viel. Und das ist m.E. für die Änderungen in StGB und StPO auch gut, denn die gehen m.E. so weit, dass man sie nicht mal eben so im Vorbeigehen beschließen sollte. Etwas anderes ist es beim RVG. Da habe ich noch ein wenig Hoffnung, aber da kommt es auf den politischen Willen an, vor allem darauf, ob SPD und Grüne, der FDP – gerade der 🙂 – den Erfolg gönnen. Also wahrscheinlich: Viel Lärm um nichts.

News: Was kommt morgen noch in den Bundestag???, oder: StGB- und StPO-Modernisierung, aber auch RVG

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LTO meldet gerade: StGB- und StPO-Modernisierung kommen noch in den Bundestag.
Dabei geht es um „Reformen von Strafrecht und Strafprozessrecht“, die uns schon mal beschäftigt haben (vgl. hier Was kommt in 2024 „vielleicht“ an neuen Gesetzen, oder: Eckpunkte StGB, RVG-Erhöhung und digitale HV (?) und hier), die die gescheiterte Ampel aber nicht durch die Ressortabstimmung bekommen hatte. Nun will/hat die FDP, wahrscheinlich mit dem gescheiterten Bundesjustizminister a.D. Marco Buschmann an der Spitze, das Projekt aber noch in den Bundestag bringen/gebracht und dort sollen die Anträge ohne Aussprache am Donnerstag, also am 19.12.2024, direkt in den Rechtsausschuss überwiesen werden (so steht es zumindest auf der Tagesordnung der morgigen Bundestagssitzung).

Dort sollen sie dann offenbar hoppla hopp noch mal eben beraten und dann offenbar auch noch im Bundestag zur Abstimmung gestellt und beschlossen werden. Wenn man das liest, fasst man sich an den Kopf und fragt sich, ob die bei der FDP, insbesondere wahrscheinlich Marco Buschmann, noch richtig ticken. Das Ganze war ja schon im Koalitionsvertrag vorgesehen, aber man/er hat es drei Jahre nicht auf die Reihe bekommen. Jetzt will man aber einen Schnelldurchgang machen. Ohne Länderbeteiligung (?), ohne Expertenanhörung (wahrscheinlich meint die FDP, Marco Buschmann sei Experte genug, ist er aber nicht).

Leute, lasst es gut sein. Ihr bzw. euer Minister habt/hat es in drei Jahren Ampel nicht geschafft. Da muss man jetzt nicht noch mal eben in einem Parforce-Ritt solche Änderungen noch voran treiben. Auch in der Gesetzgebung gilt m.E. der Satz: Sine ira et studio. Oder braucht ihr Wahlkampfmunition? Dafür sollten Euch das StGB und die StPO zu schade sein.

Auf der morgigen Tagesordnung steht dann aber auch unter ZP 9 l die Änderung des RVG. Also das dann auch. Nun, da ist es etwas anders. Da hatte man ja zumindest schon mal einen Referentenentwurf, und die Änderungen waren dann ja auch schon mit den Ländern abgestimmt. Zudem geht es da nicht mehr um wirkliche „Änderungen“, sondern nur noch um Anpassungen der Gebührensätze. Auch da aber über das Prozedere Kopfschütteln (vgl. dazu hier). Aber das für alle Parteien.

Und Edit am 19.12.2024:

Weitere Infos dann unter: Was kommt denn nun ggf. neu in StPO, StGB und RVG?, oder: Wahrscheinlich viel Lärm um nichts?

Verkehrsrecht II: Nochmals Fahrverbot nach § 44 StGB, oder: Nebenstrafe als „gerechter Schuldausgleich“

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Als zweite Entscheidung des Tages stelle ich den OLG Dresden, Beschl. v. 07.07. 2022 – 2 OLG 22 Ss 299/22 – zum Fahrverbot nach § 44 StGB vor, und zwar eine Fortführung vom OLG Dresden, Beschl. v. 16.04.2021 – 2 OLG 22 Ss 195/21.

Das OLG nimmt noch einmal zum Sinn und Zweck des Fahrverbotes nach § 44 StGB Stellung:

„Der Revisionsführer beanstandet zu Unrecht, dass sich das Tatgericht mit den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht auseinandergesetzt habe. Die Revision unterliegt diesbezüglich einem Missverständnis dieser Vorschrift, die keinen Zeitfaktor enthält und nunmehr auch Nicht-Verkehrsstraftaten erfasst.

Wie der Senat bereits ausgeführt hat (Beschluss vom 16. April 2021 – 2 OLG 22 Ss 195/21 – juris), wurde der Anwendungsbereich des Fahrverbots nach § 44 StGB mit der Gesetzesnovellierung 2017 wesentlich erweitert (BT-Drs 18/11272, Seite 14 ff.). Seine bis dahin allgemein anerkannte, auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Fahrverbot nach § 25 StVG zurückgehende Bedeutung als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme für Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1969 – 2 BvL 11/69 –, juris Rdnr. 15) hat an Gewicht verloren. Statt dessen wurde den Tatgerichten mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs ein „zielgenaueres“ (vgl. BT-Drs a.a.O., Seite 17) Mittel bereitgestellt, welches einerseits auch außerhalb von Verkehrsdelikten Anwendung finden kann und andererseits eine besser dosierte Gesamtsanktion aus Kombination und in Wechselwirkung mit der Hauptstrafe ermöglicht (BT-Drs a.a.O.).

Im Lichte des Zwecks dieser Novellierung ist die Gesetzesformulierung „zur Einwirkung auf den Täter erforderlich“ (§ 44 Abs. 1 Satz 2 StGB) daher nicht im Sinne der Denkzettelfunktion auszulegen (“noch“ erforderlich), sondern – korrespondierend mit der gesetzgeberischen Betonung der Pönalisierungsfunktion – als eine auf die Angemessenheit des Gesamtübels bezogenen Strafzumessungsrichtlinie. Die Rechtsfolge, bestehend aus Haupt- und/oder Nebenstrafe, soll im Verhältnis zum begangenen Unrecht gerechter Schuldausgleich sein. Die Nebenstrafe ist deshalb – losgelöst von einem präventiven Aspekt – „zur Einwirkung auf den Täter erforderlich“, wenn die Hauptstrafe allein nicht als gerechter Schuldausgleich ausreicht.

Der Senat vermag aus den genannten Gründen auch nicht den Überlegungen von Staudinger (jurisPR-StrafR 14/2021 Anm. 5 zum Senatsbeschluss vom 16. April 2021 (a.a.O.) zu folgen, der mit Blick auf die sich zum Fahrverbot nach § 25 StVG verhaltende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) das Fahrverbot nicht als Kriminalstrafe verstanden wissen will. Seine Bezugnahme auf diese zum Ordnungswidrigkeitenrecht ergangene Rechtsprechung erscheint angesichts der amtlichen Begründung zur Gesetzesnovellierung 2017 (BT-Drs 18/11272, Seite 14 ff.) für eine Qualifizierung der hiervon zu unterscheidenden Kriminalsanktion nach StGB nicht überzeugend. Vielmehr wurde gerade die Pönalisierungsfunktion (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 03. Juni 2004 – Az.: 2 Ss 112/04 –, [juris Rdnr. 14] mit Verweis auf BT-Drs IV/651, Seite 12) dieser „echten“ (Neben-)Strafe stärker betont (BT-Drs  a.a.O. Seite 17).

Gemessen hieran werden die Urteilsgründe den an sie zu stellenden Anforderungen gerecht. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache allein des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Sie lässt vorliegend noch hinreichend erkennen, dass sich die Kammer der untrennbaren Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe bewusst war, zumal sie „mit Blick auf die Höhe“ (UA S. 5) der wegen § 331 StPO begrenzten Geldstrafe (UA a.a.O.) ein zusätzliches Fahrverbot – ebenso wie bereits die Vorinstanzen – für erforderlich erachtet hat.“

BtM III: Beweiswürdigung beim Handeltreiben, oder: Sachverständigengutachten und Entlastendes

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Und die dritte und letzte Entscheidung kommt dann vom OLG Koblenz. das hat im OLG Koblenz, Beschl. v. 11.11.2021 – 2 OLG 32 Ss 184/21 – zur Beweiswürdigung in einem landgerichtlichen Urteil, das den Angeklagten wegen Handeltreibens in zwei Fällen verurteilt hat, Stellung genommen. Das OLG beanstandet die Beweiswürdigung und hat das LG-Urteil aufgehoben:

„Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht seine Annahme begründet, der Angeklagte habe in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben, ist in beiden Fällen fehlerhaft, so dass das Urteil insgesamt der Aufhebung unterliegt.

Zwar ist die Beweiswürdigung allein Sache des Tatrichters, so dass die revisionsgerichtliche Prüfung sich auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt (§ 337 StPO). Ein sachlich-rechtlicher Fehler kann indes dann vorliegen, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., BGH 2 StR 278/14 v. 18.02.2015, NStZ 2015, 419; 2 StR 552/19 v. 27.05.2020, BeckRS 2020, 23344 Rn. 13; 2 StR 466/18 v. 16.10.2019, BeckRS 2019, 30970 Rn. 6).

Die Beweiswürdigung der Kammer ist lücken- und damit rechtsfehlerhaft.

Die Kammer stützt die Annahme des Handeltreibens im ersten Fall maßgeblich auf die Menge der in Fall 1 bestellten und der zuvor in engem zeitlichem Zusammenhang bestellten und dem Angeklagten auch gelieferten Betäubungsmittel. Zwar lässt sich dem Urteil in seiner Gesamtschau noch der Zeitpunkt der Bestellungen (7. Juli bis 22. August 2017, Seite 5 des Urteils unten) und die Menge (5-mal 25 mg, insgesamt also 125 mg) entnehmen sowie die Konsumeinheit für Butyrfentanyl (0,5 mg, Seite 6 des Urteils oben) und möglicherweise aus dem Gesamtzusammenhang sogar, dass es zu den Auslieferungen in den fünf eingestellten Fällen gekommen ist.

Es wird aber nicht ausreichend dargelegt, wie die Kammer zu der Feststellung gelangt, dass eine Konsumeinheit lediglich 0,5 mg betrage. In den Urteilsgründen findet sich dazu unter IV. 2. b. aa. am Ende des ersten Absatzes lediglich die Bemerkung „Die diesbezüglichen Feststellungen ergeben sich insbesondere aus dem Behördengutachten des Bundeskriminalamtes und den Angaben des Zeugen pp.“.

Nach ständiger obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Tatrichter, der ein Gutachten verwertet, dem er – wie hier – Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich den gutachterlichen Ausführungen anschließt, diese in der Regel in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Hamm, 4 RBs 216/17 v. 22.06.2017, juris m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angegriffene Urteil nicht gerecht, so dass sich die Beweiswürdigung als lückenhaft erweist. Die bloße Angabe, dass die Feststellungen sich „insbesondere“ aus dem Behördengutachten und den Angaben des Zeugen pp. ergeben ist unzureichend. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, wie der Gutachter des Bundeskriminalamtes zu der Annahme einer Konsumeinheit Butyrfentanyl von 0,5 mg gekommen ist und was der Zeuge pp. zu der Frage der Konsumeinheit, auf die es hier ganz maßgeblich ankommt, beigetragen haben kann. Auch wird nicht erkennbar, warum die Kammer dem Behördengutachten und den Bekundungen des Zeugen folgt.

Auch hinsichtlich des zweiten Falles ist die Beweiswürdigung lückenhaft.

Die Beweise sind erschöpfend zu würdigen (BGH, 4 StR 441/78 v. 07.07.1979, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss insbesondere erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, 4 StR 420/14 v. 12.2.2015, NStZ-RR 2015, 148; 2 StR 78/16 v. 01.02.2017, BeckRS 2017, 107749, Rn. 20; 4 StR 587/17 v. 30.01.2018, NStZ-RR 2018, 120; 1 StR 305/17 v. 11.10.2017, BeckRS 2017, 136085 Rn. 4). Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (BGH, 2 StR 110/17 v. 05.07.2017, juris Rn. 6 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (BGH a.a.O., m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Die Strafkammer sieht als wesentliches Indiz für die Annahme eines unerlaubten Handeltreibens des Angeklagten die Diversität der beim Angeklagten sichergestellten Betäubungsmittel, die für einen Konsumenten gänzlich ungewöhnlich sein soll und das Auffinden „diverser Utensilien“ und von Verpackungsmaterial (diverse Griptütchen mit Betäubungsmittelanhaftungen, diverse leere Glasfläschchen und diverse Handelsutensilien). Auf welcher Grundlage die Kammer zu der Erkenntnis gelangt, dass die Diversität der Stoffe für einen Konsumenten gänzlich ungewöhnlich sein soll, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Vor allem aber hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten lediglich die Indizien in ihre Erwägungen eingestellt, die ihrer Auffassung nach für ein Handeltreiben sprechen.

Die gegen ein Handeltreiben sprechenden Umstände hat die Kammer gänzlich außer Betracht gelassen. So setzt sie sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass lediglich Kleinstmengen der verschiedenen Betäubungsmittel aufgefunden wurden. Es wurde bei keinem der diversen Betäubungsmittel eine größere Menge sichergestellt. Auch bleibt unberücksichtigt, dass die Griptütchen nach den Feststellungen Betäubungsmittelanhaftungen aufgewiesen haben, was dafür sprechend könnte, dass sie gebraucht waren, was wiederum für Konsum und gegen ein Handeltreiben sprechend könnte. Diese Gesichtspunkte, die gegen ein Handeltreiben sprechen, hätten im Rahmen der Beweiswürdigung erörtert und in eine vorzunehmende Gesamtabwägung eingestellt werden müssen…“

StGB I: Erlass von Auflagen wegen Personalmangel, oder: Rechtsbeugung?

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Heute dann mal ein wenig materielles Recht, und zwar: Außegewöhnliche Entscheidungen – zumindest vom Sachverhalt her.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BGH, Urt. v. 21.01.2021 – 4 StR 83/20. Eine der doch recht seltenen „Rechtsbeugungsentscheidungen“ des BGH. Hier war es Der angeklagt ein Richter am Amtsgericht Kaiserslautern, der dort seit 1993 als Strafrichter und Vorsitzender des Schöffengerichts eingesetzt war. Der hat im Januar 2016 in vier Bewährungssachen den Verurteilten die noch nicht erfüllten Bewährungsauflagen erlassen und das in den jeweiligen Beschlüssen mit einem angeblichen Personalmangel des Gerichts begründet. Auf die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat das Beschwerdegericht die angefochtenen Beschlüsse u. a. mit der Begründung auf, die Entscheidungen des Angeklagten seien ermessensfehlerhaft und von sach- bzw. verfahrensfremden Erwägungen getragen. Die entsprechenden Ausführungen haben dazu geführt, der Richter dann  in allen von ihm zu bearbeitenden Verfahren die Bewährungsaufsicht fortgesetzt hat.

Das LG hatte den Richter vom Vorwurf der Rechtsbeugung frei gesprochen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom GBA nicht vertreten worden ist. Der BGH hat die Revision verworfen.

Der BGH meint: Zwar traf der Angeklagte rechtswidrige Entscheidungen, jedoch erweisen sich diese nicht als elementare Rechtsverstöße i.S. von § 339 StGB. Er führt u.a. aus:

„bb) Zwar waren die vom Angeklagten erlassenen Aufhebungs- und Nichtabhilfebeschlüsse nicht mit einer vertretbaren Begründung versehen, weil der Angeklagte sachfremde und damit unzulässige Ermessenserwägungen in seine Entscheidungen einstellte. Die Entscheidungen erweisen sich aber dennoch unter Beachtung der dargelegten Grundsätze aufgrund einer Gesamtbewertung nicht als elementare Rechtsbrüche im Sinne des § 339 StGB.

(1) Eröffnet eine Rechtsnorm – wie hier § 56e StGB – Ermessen, begründet das Willkürverbot eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung. Das zur Entscheidung berufene Rechtspflegeorgan darf seine Entscheidung daher nicht nach freiem Belieben treffen, sondern muss das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausüben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 388/13; Beschluss vom 15. Februar 2010 – 1 BvR 285/10; Beschluss vom 23. Mai 2006 – 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1).

Die Ausübung des Ermessens hat sich daher ausschließlich an dem Zweck zu orientieren, zu dem es eingeräumt ist. Nachträgliche Entscheidungen über Bewährungsauflagen dürfen sich deshalb nur auf solche Gesichtspunkte stützen, die sich auf den Zweck und die rechtlichen Grenzen dieses Rechtsinstituts beziehen. Insoweit bestimmt § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB, dass Bewährungsauflagen der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Sie stellen damit eine strafähnliche Sanktion dar (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2014 – 4 StR 254/13, BGHSt 59, 172; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 56b Rn. 2 mwN). Einschränkend regelt § 56b Abs. 1 Satz 2 StGB, dass an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Allein solche neuen oder neu hervorgetretenen Tatsachen, die eine geänderte Bewertung des Genugtuungsbedürfnisses oder der Zumutbarkeit der Auflage für den Verurteilten rechtfertigen, dürfen in eine Abwägung nach § 56e StGB eingestellt werden (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 2. November 2010 – 2 Ws 704/10; OLG Brandenburg, Beschluss vom 4. August 2008 – 1 Ws 135/08; OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. September 2004 – 1 Ws 248/04; LG Zweibrücken, Beschluss vom 6. Mai 2010 – Qs 27/10; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 56e Rn. 8; Hubrach in LK-StGB, 12. Aufl., § 56e Rn. 5; Groß/Kett-Straub in MK-StGB, 4. Aufl., § 56e Rn. 12).

Keine zulässigen Ermessenserwägungen sind demgegenüber der vom Angeklagten in den Gründen der Aufhebungs- und Nichtabhilfebeschlüsse angeführte personelle Engpass des Gerichts bzw. die Überlastung des zur Entscheidung berufenen Richters, denn diese Umstände stehen weder mit der Bewertung des Genugtuungsbedürfnisses noch mit der Zumutbarkeit der Auflage für den Verurteilten in einem sachlichen Zusammenhang. Dem Strafrecht ist es grundsätzlich fremd, den Inhalt von Ermessensentscheidungen an der Arbeitsbelastung des Richters zu orientieren (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 StR 201/09, Rn. 6 f.; Urteil vom 3. Dezember 1998 – 1 StR 240/98, BGHSt 44, 258). Soweit der Angeklagte insbesondere in den Gründen der Nichtabhilfebeschlüsse seinen Unmut über die Personalpolitik der Justizverwaltung aufscheinen ließ, fehlt es ebenfalls offensichtlich am sachlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand der Entscheidung. Der Angeklagte durfte das gerichtliche Verfahren nicht zweckentfremden, um persönliche justizpolitische Überzeugungen zu transportieren (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – RiZ (R) 4/20). Die Beschlussbegründungen erweisen sich nach alledem als sachwidrig.

(2) Dem Angeklagten ist jedoch bei wertender Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände kein elementarer Rechtsverstoß zur Last zu legen.

(a) Zwar stellen sich die Aufhebungs- und Nichtabhilfebeschlüsse des Angeklagten für sich betrachtet wegen der dort niedergelegten unvertretbaren Ermessenserwägungen als rechtswidrig dar. Der Senat verkennt auch nicht, dass der Angeklagte mit seinen Entscheidungen nachträglich in das aus Schuld- und Strafausspruch sowie Bewährungsauflage bestehende Gefüge der ursprünglichen Sanktion mit rechtswidrigen Erwägungen eingegriffen hat. Indes ist die Aufhebung von Auflagen im Rahmen der Bewährungsaufsicht nach § 56e StGB grundsätzlich statthaft und fiel gemäß §§ 453b, 453 StPO i.V.m. § 462a Abs. 2 und Abs. 1 StPO in die Zuständigkeit des Angeklagten. Dass sich Entscheidungen im Rahmen grundsätzlich eingeräumter Entscheidungsmöglichkeiten und prozessualer Zuständigkeiten halten, schließt für sich genommen eine Rechtsbeugung nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2017 – 5 StR 328/15), kann aber . wie hier . im Zusammentreffen mit weiteren Umständen den Rechtsverstoß als weniger gravierend erscheinen lassen.

(b) Maßgeblich gegen das Vorliegen eines elementaren Rechtsverstoßes sprechen hier die vom Landgericht letztlich rechtsfehlerfrei festgestellten weiteren sachbezogenen Überlegungen, die der Angeklagte bei Erlass der jeweiligen Entscheidungen anstellte.

Hieraus ergibt sich, dass der Angeklagte seine Entscheidungen nicht ausschließlich an sachfremden Kriterien ausrichtete. Vielmehr legte er ihnen weitere Ermessenserwägungen zugrunde, wenngleich er diese – mit Ausnahme des Falls des Verurteilten Wo. , wo sie mit dem Hinweis auf die fehlende Reaktion des Auflagenempfängers auf gerichtliche Anfragen zumindest angedeutet wurden – freilich nicht in die Beschlussgründe aufnahm. Diese Erwägungen waren jedenfalls nicht sachfremd, sondern ließen sich auf den Zweck und die rechtlichen Grenzen der Erteilung von Bewährungsauflagen, wie sie sich aus § 56b Abs. 1 StGB ergeben, zurückführen. In den Fällen der Verurteilten M. , Me. und Wo. standen die vom Angeklagten berücksichtigten Umstände – Erbringen des weit überwiegenden Teils der Arbeitsauflage, erstmaliger Freiheitsentzug bzw. anscheinend fehlendes Interesse des Geschädigten an der Schadenswiedergutmachung – im Zusammenhang mit einer Neubewertung des Genugtuungsbedürfnisses des § 56b Abs. 1 Satz 1 StGB. Im Fall des Verurteilten W. berührten dessen berufliche Pläne die Zumutbarkeit der Arbeitsauflage gemäß § 56b Abs. 1 Satz 2 StGB und legten zumindest eine Überprüfung nahe.

(c) Darüber hinaus handelte der Angeklagte nicht in der Absicht, eine ermessensfehlerfreie Anwendung des Rechts generell zu verweigern (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 5 StR 92/01, BGHSt 47, 105 [zu mutwilligem Ermessensmissbrauch]). Vielmehr war es in den einzelnen Fällen sein Ziel, ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und damit eine Entscheidung des Beschwerdegerichts herbeizuführen, um eine Stellungnahme zu seiner Rechtsauffassung zu erhalten. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts wollte er akzeptieren und akzeptierte sie tatsächlich, was sich darin zeigte, dass er die Bewährungsaufsicht ohne weitere Unregelmäßigkeiten fortführte. Diese innere Haltung des Angeklagten ist auch dadurch belegt, dass er für seine Zwecke gezielt vier Verfahren auswählte.

(d) Die Fehler in der Anwendung des materiellen Strafrechts erlangen auch nicht dadurch das Gewicht eines elementaren Rechtsverstoßes, dass ihnen ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht vorausging.

Der Senat entnimmt dem Zusammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte es jeweils entgegen § 453 Abs. 1 Satz 2 StPO unterließ, vor Erlass der Aufhebungsentscheidungen die Staatsanwaltschaft zu seinem beabsichtigten Vorgehen anzuhören. Dieser Verfahrensfehler, der für sich genommen nicht das Gewicht einer Rechtsbeugung erreicht, erhöht in den konkreten Fällen auch den Schweregrad des materiellen Rechtsverstoßes nicht. Soweit in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass eine heimliche Vorgehensweise ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen einer Gesamtbetrachtung einen Rechtsverstoß als Rechtsbeugung kennzeichnet (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 – 4 StR 274/16 [Scheinverfügungen eines Staatsanwalts, um Verfahren der Dienstaufsicht zu entziehen]; Urteil vom 18. Juli 2013 – 4 StR 84/13), sind die betreffenden Konstellationen mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Denn mit dem Unterlassen der Anhörungen bezweckte der Angeklagte kein heimliches Vorgehen, da es ihm gerade darauf ankam, dass das Beschwerdegericht im Instanzenzug seine „Rechtsauffassung“ überprüfte, was aber eine vorherige Kenntnisnahme der Staatsanwaltschaft spätestens nach Erlass der Beschlüsse voraussetzte. Die Sachwidrigkeit der Entscheidungen lag damit – dem Plan des Angeklagten entsprechend – offen zutage. Objektiv verschlechterte sich die Prozesslage für die Staatsanwaltschaft nicht wesentlich, da ihr rechtliches Gehör im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden konnte.

(e) Nicht als bewusster Rechtsverstoß anzusehen ist es, dass der Angeklagte nicht alle Erwägungen in die Beschlussgründe aufgenommen hat; insoweit ist den rein formellen Anforderungen des § 34 StPO durch die vom Angeklagten gegebene – wenn auch sachwidrige und inhaltlich nicht erschöpfende – Begründung genügt.

(3) Insgesamt rechtfertigt das Zusammentreffen der genannten objektiven und subjektiven Faktoren die Bewertung, dass sich der Angeklagte jedenfalls nicht im Sinne des § 339 StGB in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt hat.“