Schlagwort-Archive: Steuerhinterziehung

Pflichti I: 6 x Beiordnungsgründe, oder: u.a. AufentG, Waffengleichheit, Steuerhinterziehung, BVV, KiPo

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Heute dann mal wieder ein Pflichtverteidigungstag. Die Flut von Entscheidungen, die mir  Kollegen schicken, reißt nicht ab.

Ich starte mit Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

1. Verändert ein Zeuge im Verlaufe des Verfahrens seine Aussage und ist damit zu rechnen, dass Vorhalte notwendig werden, die Kenntnis vom Akteninhalt erfordern, ist die Mitwirkung eines Verteidigers geboten.

2. Die Mitwirkung eines Verteidigers kann über den Wortlaut des § 140 Abs 2 StPO hinaus unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens geboten sein, wenn der Nebenkläger anwaltlich beraten ist.

Wird der Beschuldigte wegen Steuerhinterziehung beim Kindergeldbezug verfolgt und kommt es für den Kindergeldanspruch wegen des grenzüberschreitenden Sachverhalts auf eine Koordinierung der Ansprüche nach Art. 68 Verordnung (EG) 883/2004 an, liegt regelmäßig ein Fall notwendiger Verteidigung vor.

Zur verneinten Annahme der Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers, obwohl nur Polizeizeugen zur Verfügung stehen, die zur Last gelegte Tat unter BtM-Einfluss begangen wurde und ein Beweisverwertungsverbot zu erörtern ist.

Die Entscheidung ist m.E. falsch. In Osnabrück hat man offenbar noch nie etwas von einem „Beiordnungsgründebündel“ gehört.

Wenn die öffentlich-rechtliche Pflicht der Angeklagten zum Erscheinen vor Gericht mit der durch Ausweisung und Abschiebung begründeten — strafbewehrten — Pflicht, sich von dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten, kollidiert und die Angeklagte für die Teilnahme an der Hauptverhandlung eine besondere Betretenserlaubnis durch die Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 8 AufenthG und zudem die Verteidigungsmöglichkeiten wegen fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache, aber auch wegen der nicht vorhandenen Kenntnis des deutschen Ausländerrechts eingeschränkt sind, ist die Sach – und Rechtslage schwierig i.S. des § 140 Abs. 2 StPO.

Die Frage, ob ein Verteidiger beizuordnen ist, kann auch in einem Gesamtstrafenfall nicht losgelöst von allen in Betracht zu ziehenden Umständen des Einzelfalls entschieden werden.

In einem Verfahren wegen Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften ist die Sach- und Rechtslage schwierig im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO, da neben der Problematik der Inaugenscheinnahme der pornografischen Bilder ggf. ein Großteil der Beweismittel lediglich in englischer Sprache abgefasst vorliegen.

StGB III: Tatobjekt bei der Geldwäsche n.F., oder: Durch Steuerhinterziehung ersparte Aufwendungen?

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Und als letzte Entscheidung der OLG Saarbrücken, Beschl. v. 26.05.2021 – 4 Ws 53/21 – zur Steuerhinterziehung und oder Geldwäsche. Das Fazit der Entscheidung: Durch Steuerhinterziehung ersparte Aufwendungen sind kein taugliches Tatobjekt im Sinne des § 261 Abs. 1 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 09.03.2021.

Auszugehen war von folgendem Sachverhalt:

„In dem gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der Geldwäsche geführten Ermittlungsverfahren hat das Amtsgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21. Dezember 2020 gemäß §§ 111e Abs. 1, 111j Abs. 1 StPO zur Sicherung der Vollstreckung des staatlichen Anspruchs auf Einziehung des Wertes von Taterträgen einen Vermögensarrest in Höhe von 485.000 € in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschuldigten und der D. Immobilien GmbH, S., als Gesamtschuldner angeordnet. Zur Begründung des Verdachts der Geldwäsche ist in dem Beschluss ausgeführt, dass der Beschuldigte verdächtig sei, im Zeitraum von 2012 bis 2020 Geldbeträge aus Steuerhinterziehungen über sein Firmenkonsortium mit Firmen in der Schweiz in andere, bereits gelöschte Unternehmen verschoben zu haben, um diese Geldbeträge scheinbar zu legalisieren und die inkriminierten Vermögenswerte vor den Behörden zu verbergen, indem er Gewinne seines Unternehmens „J. Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG“ dadurch reduzierte, dass er Aufwendungen in Bezug auf Verbindlichkeiten zu seinem Unternehmen „T. AG“ in der Schweiz zum Schein generierte und damit seine Steuerpflicht verkürzte, sodann Geldbeträge aus der Steuerhinterziehung auf Konten der T. AG und der ebenfalls von ihm beherrschten „S. AG“ ? bei beiden Gesellschaften soll es sich um sogen. Domizilgesellschaften handeln ? transferierte und am 16.06.2020 einen Betrag von 485.000 € von der zu diesem Zeitpunkt bereits liquidierten S. AG an die ebenfalls bereits liquidierte D. Immobilien GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Liquidator er war, überwies.“

Das LG hat die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Beschuldigten verworfen. Er hatte beim OLG aber Erfolg:

„Der gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen weiteren Beschwerde kann der Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie des Beschlusses des Amtsgerichts Saarbrücken vom 21. Dezember 2020, da die Voraussetzungen für die Anordnung eines Vermögensarrestes gemäß § 111e Abs. 1 StPO nicht (mehr) vorliegen.

Nach § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO kann zur Sicherung der Vollstreckung der Vermögensarrest in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Betroffenen angeordnet werden, wenn die Annahme begründet ist, dass die Voraussetzungen der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Die Anordnung des Vermögensarrestes setzt danach – neben einem erforderlichen Sicherungsbedürfnis (vgl. Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 111e Rn. 5) – voraus, dass bestimmte Tatsachen die Annahme (im Sinne einer gewissen Wahrscheinlichkeit) begründen, dass die Voraussetzungen für eine spätere gerichtliche Anordnung der Wertersatzeinziehung vorliegen (vgl. Köhler, a.a.O., § 111e Rn. 4), mithin, dass ein einfacher Tatverdacht der Begehung einer Straftat besteht und Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Einziehung von Wertersatz in dem Urteil wegen der Tat oder im selbständigen Einziehungsverfahren (§ 76a StGB, §§ 435, 436 StPO) angeordnet werden wird (Köhler, a.a.O., § 111e Rn. 4; Hanseat. OLG Hamburg, Beschl. v. 26.10.2018 – 2 Ws 183/18, juris; KG Berlin, Beschl. v. 02.06.2020 – 4 Ws 21/20 -, juris).

Vorliegend besteht – anders als zum Zeitpunkt der Anordnung des Vermögensarrestes durch das Amtsgericht – der Verdacht eines Vergehens der Geldwäsche gemäß § 261 StGB nicht mehr. Das dem Beschuldigten in dem Vermögensarrest vorgeworfene Verhalten rechtfertigt nach der Neufassung des § 261 StGB durch das am 18.03.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche vom 9. März 2021 (BGBl. 2021 Teil 1, S. 327 ff.) nicht mehr die Annahme, dass sich der Beschuldigte wegen Geldwäsche strafbar gemacht habe. Denn nach § 261 Abs. 1 StGB in der seit dem 18.03.2021 geltenden Fassung handelt es sich bei dem Betrag von 485.000 € nicht (mehr) um einen Gegenstand, der aus einer rechtswidrigen Vortat herrührt. Macht der Vortäter – wie es hier dem Beschuldigten vorgeworfen wird – gegenüber der Finanzbehörde falsche Angaben und erreicht hierdurch, dass gegen ihn ein zu niedriger Steuerbetrag festgesetzt wird, handelt es sich bei den insoweit ersparten Aufwendungen in Höhe des Verkürzungsbetrags nicht um „illegal erworbene“ Vermögenswerte, sondern lediglich um einen rechnerischen Vorteil im Gesamtvermögen, der zwar konkret bezifferbar ist, sich aber nicht in einem bestimmten, von diesem abtrennbaren Vermögensbestandteil niederschlägt (amtl. Begründung BT-Drs. 19/24180, S. 17 und 14/7471, S. 9; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 261 Rn. 11 m.w.N.). Um solche Vermögenswerte im Rahmen des Geldwäschetatbestands zu erfassen, sah § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB in der bis zum 17.03.2021 gültigen Fassung für bestimmte Delikte eine Erweiterung des Kreises der Tatobjekte gegenüber § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB vor und erstreckte ihn bei gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Steuerhinterziehung nach § 370 AO auch auf die durch die Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen. Diese Regelung ist in der seit dem 18.03.2021 gültigen Neufassung des § 261 StGB weggefallen. In der Gesetzesbegründung ist insoweit ausgeführt, dass wegen der mit dem Wegfall eines selektiven Vortatenkatalogs verbundenen erheblichen Ausweitung der Geldwäschestrafbarkeit an den bisher in § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB für bestimmte Steuerdelikte vorgesehenen Erweiterungen des Tatobjektsbegriffs nicht festgehalten werden soll (BT-Drs. 19/24180, S. 17). Der Wegfall des bisherigen § 261 Abs. 1 Satz 3 StGB widerspreche auch nicht Art. 2 Nr. 1 Buchstabe q der Richtlinie (EU) 2018/1673 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2018 über die strafrechtliche Bekämpfung der Geldwäsche (ABl. L 284 vom 12.11.2018), wonach Steuerstraftaten im Zusammenhang mit direkten und indirekten Steuern Vortat der Geldwäsche sein sollen, da es sich bei den durch die Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen gerade nicht um Fälle von Geldwäsche nach den Vorgaben der Richtlinie oder der Financial Action Task Force (FATF) handele. Als geldwäscherelevant würden sowohl nach der Richtlinie als auch nach der Empfehlung 3 der FATF Vermögensgegenstände bezeichnet, die aus einer kriminellen Tätigkeit stammen bzw. Erträge aus Straftaten sind. Ersparten Aufwendungen fehlte aber genau dieser kriminelle Ursprung, denn es handele sich regelmäßig um legal erworbenes Vermögen, das wegen der Tat nur weiterhin in der Vermögensgesamtheit des Täters als rechnerischer Vorteil verbleibe. Damit werde er aber nicht zu einem tauglichen Geldwäscheobjekt (BT-Drs. 19/24180, S. 18).

Werden danach durch eine Steuerhinterziehung ersparte Aufwendungen durch § 261 StGB in der seit dem 18.03.2021 gültigen Fassung nicht mehr erfasst, führt dies vorliegend dazu, dass der Beschuldigte sich nach diesem Gesetz, das vorliegend gemäß § 2 Abs. 3 StGB als das mildeste Gesetz – hierunter ist auch ein Gesetz zu verstehen, nach dem die Tat straflos ist (vgl. BGHSt 20, 119; Fischer, a.a.O., § 2 Rn. 10) – anwendbar ist, nicht wegen Geldwäsche strafbar gemacht hat.

Da der Senat im vorliegenden Beschwerdeverfahren auch nicht berufen ist, dem angeordneten Vermögensarrest eine andere, in einem weiteren Strafverfahren verfolgte Tat, namentlich die im Verfahren 5 Js 16/20 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken verfolgten – bei Anordnung des Vermögensarrestes als Vortaten der Geldwäsche gewerteten – Taten der Steuerhinterziehung zugrunde zu legen, waren der angefochtene Beschluss und der – den Vermögensarrest anordnende – Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 21. Dezember 2020 aufzuheben.“

 

Kindergeldbezug für in der Türkei lebende Kinder, oder: Steuerhinterziehung?

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Die Woche eröffne ich mit zwei Entscheidungen, die quasi „Migrationshintergrund“ haben, nämlich Bezug zur Türkei 🙂 . Bei beiden Entscheidungen handelt es sich um KG-Beschlüsse. In dem ersten vorgestellen Beschluss, dem KG, Beschl. v. 14.12.2016 – (4) 121 Ss 175/16 (205/16) – geht es u.a. um die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung bei Bezug von Kindergeld für in der Türkei lebende Kinder.

Dazu hatte das LG festgestellt:

„(…) Die Angeklagte ist verheiratet und hat zwei Söhne, O G, geboren am 1. Februar 1997 in B., und C G, geboren am 6. Juni 1998 in K.. (…).

Die Angeklagte beantragte am 18. Februar 1997 Kindergeld für ihren Sohn O G. Auf der Rückseite des Antrages befanden sich ‚Hinweise‘, wonach Kindergeld nur für Kinder gezahlt werde, ‚die zum Haushalt des Antragstellers gehören‘. Im Dezember 1998 übersandte die Angeklagte der Familienkasse eine Haushaltsbescheinigung vom 25. November 1998, in der sie angab, dass ihre Kinder O und C zu ihrem Haushalt gehören. Am 5. Oktober 1998 beantragte sie Kindergeld für ihre beiden Söhne. Am 6. Juni 2000 füllte die Angeklagte einen Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld aus, in dem die Fragen sowohl in deutscher als auch in türkischer Sprache gestellt wurden. Vor der Unterschriftszeile findet sich der Hinweis, dass alle Änderungen, die für den Anspruch auf Kindergeld Bedeutung haben, unverzüglich der Familienkasse mitzuteilen sind.

Die Familienkasse zahlte seit der Antragstellung, d.h. von 1997 bzw. 1998, für beide Kinder der Angeklagten Kindergeld, und zwar bis Oktober 2013. Zwischenzeitliche Überprüfungen der Anspruchsberechtigung der Angeklagten nahm die Familienkasse nicht vor. Im Februar 2013 erhielt die Familienkasse einen Ermittlungsbericht der R. GmbH, wonach die Angeklagte im Meldebestand nicht ermittelt werden konnte. Daraufhin stellte die Familienkasse die Kindergeldleistungen an die Angeklagte im Oktober 2013 ein.

Die Kinder der Angeklagten lebten seit der Geburt zunächst im Haushalt der Angeklagten in B.. Seit spätestens August 2003 hielten sie sich bei ihrem Vater in der Türkei auf, der von der Angeklagten getrennt lebte. Mit einer ‚Veränderungsmitteilung‘ vom 21. Januar 2014 teilte die Angeklagte der Familienkasse mit, dass ihre Kinder in der Türkei die Schule seit der ersten Klasse besuchen und dort bei dem Kindesvater leben. Am 6. März 2014 reichte sie bei der Familienkasse einen Fragebogen zur Prüfung des Anspruchs auf Kindergeld ein, in dem sie angab, dass sich ihre Kinder in der Türkei aufhalten. Mit Schreiben vom 20. März 2014 hörte die Familienkasse die Angeklagte zur beabsichtigten Rückforderung des Kindergeldes für den Zeitraum von April 2007 bis Oktober 2013 in Höhe von 27.532,00 € an. Daraufhin bestätigte die Angeklagte in einer E-Mail vom 3. April 2014, dass ihre beiden Söhne seit Anfang ihrer schulischen Bildung in der Türkei bei ihrem Vater leben. Da sie und ihre beiden Söhne die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, sei sie von der Rechtmäßigkeit des Kindergeldbezuges ausgegangen.

Mit Bescheid vom 9. Mai 2014 verlangte die Familienkasse von der Angeklagten die Erstattung des Kindergeldes für den Zeitraum von April 2007 bis Oktober 2013 in Höhe von 27.532,00 €.Der Bescheid ist mittlerweile rechtskräftig. Am 3. September 2014 erließ die Familienkasse einen weiteren Bescheid über einen Rückforderungsbetrag in Höhe von 12.012,00 € für den Zeitraum von Januar 2004 bis einschließlich März 2007. Dagegen legte die Angeklagte Einspruch ein. Gegen die Einspruchsentscheidung erhob sie Klage vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg, das ihre Klage mit Urteil vom 20. Januar 2016 abgewiesen hat. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Angeklagte musste damit rechnen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des Kindergeldes durch den Wegzug ihrer Kinder in die Türkei nachträglich weggefallen sind.“

Auf der Basis ist eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 68 EStG erfolgt. Das passt nicht, sagt das KG und führt u.a. aus:

2. a) Bereits die Feststellungen zum objektiven Tatbestand erweisen sich als unvollständig und teilweise widersprüchlich.

aa) Das Landgericht hat zwar zutreffend ausgeführt, dass die Familienkassen nach § 6 Abs. 2 Nr. 6 AO Finanzbehörden im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sind. Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass Kindergeld nach § 31 Satz 3 EStG eine Steuervergütung ist (vgl. Ransiek in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rdn. 437; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht 8. Aufl., § 370 AO Rdn. 142), als solche einen Steuervorteil darstellt und daher ? soweit es zu Unrecht gewährt oder belassen wird ? Gegenstand einer Steuerhinterziehung sein kann (§ 370 Abs. 4 Satz 2 AO). Zutreffend ist auch die Auffassung des Landgerichts, dass die Angeklagte als Antragstellerin und Bezieherin von Kindergeld nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet war, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen. Ebenso hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass der Verstoß gegen die Verpflichtung zur Mitteilung steuerlich erheblicher Tatsachen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbewehrt ist, sofern der Verpflichtete dadurch für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Alle zitierten Vorschriften galten unverändert in dem in Betracht kommenden Tatzeitraum zwischen August 2003 und Januar 2004.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sind indes nicht vollständig belegt. Die getroffenen Feststellungen weisen zwar aus, dass die Angeklagte, die für ihre beiden Söhne Kindergeld beantragt hatte und dieses seit der Antragstellung jeweils fortlaufend bezog, es unterlassen hat, die Familienkasse über den Umzug der Kinder in die Türkei zu unterrichten. Sie erlauben jedoch nicht den Schluss, dass die Angeklagte damit ihre Verpflichtung zur Mitteilung steuerlich erheblicher Tatsachen verletzt und dadurch nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat.

Zwar sind Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem EWR?Staat haben, nach § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG (zuvor: § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG) bei der Zahlung von Kindergeld grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähig. Die Gesamtumstände legen auch nahe, dass die Kinder der Angeklagten ihren Inlandswohnsitz aufgegeben haben, da sie sich zum Zwecke einer Schul- oder Berufsausbildung zu Verwandten – ihrem Vater – ins Ausland begeben und dort unter Begründung eines (neuen) Wohnsitzes über einen langen Zeitraum aufgehalten haben (dazu und zu möglichen Ausnahmen bei besuchsweisen Aufenthalten im Inland vgl. eingehend FG München, Beschluss vom 28. Februar 2008 ? 5 K 1273/07 ? juris Rdn. 18; Felix in: Kirchhof, EStG 15. Aufl., § 63 Rdn. 4). Auch dürften die Voraussetzungen der in § 63 Abs. 1 Satz 6 2. Halbs. EStG (zuvor: § 63 Abs. 1 Satz 3 2. Halbs. EStG) normierten Ausnahme vom Territorialitätsprinzip nicht gegeben sein; denn die Feststellungen legen nahe, dass der Vater – anders als die Angeklagte und die gemeinsamen Kinder ? nicht deutscher (sondern wahrscheinlich türkischer) Staatsangehöriger ist bzw. war und daher im Zeitraum des Kindergeldbezuges nicht Berechtigter im Sinne des § 62 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2a EStG war, da er als Ausländer nicht der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 EStG unterlag. Im Übrigen wäre im Falle der Anspruchsberechtigung des Vaters das Kindergeld grundsätzlich an diesen und nicht an die Angeklagte zu zahlen gewesen (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG).

Jedoch sind in Abweichung vom nationalen Kindergeldrecht Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Türkei bei den nach § 62 EStG anspruchsberechtigten Personen zu berücksichtigen, sofern die Voraussetzungen des mit der Türkei geschlossenen Abkommens über soziale Sicherheit (SozSichAbk TUR; BGBl. II 1965 S. 1170, 1182) erfüllt sind (vgl. Felix, a.a.O., § 63 Rdn. 6; Hillmoth in Kanzler/Kraft/Bäuml, EStG, § 63 Rdn. 37 m.w.N.). Ob dies – zumindest in einem Teil des Bezugszeitraums – der Fall war, so dass jedenfalls ein Anspruch auf Abkommenskindergeld in der jeweils vorgesehenen Höhe bestand, lässt sich anhand der Feststellungen nicht abschließend beurteilen, da schon nicht mitgeteilt wird, ob die Angeklagte die deutsche Staatsangehörigkeit vor, während oder erst nach Ablauf dieses Zeitraums erworben hat (zur Relevanz der Staatsangehörigkeit vgl. etwa BFHE 239, 109; 230, 545 ? jeweils juris; Weber?Grellet in Schmidt, EStG 35. Aufl., § 63 Rdn. 4).

bb) Die Feststellungen zum Zeitpunkt des Umzugs der Söhne der Angeklagten in die Türkei erweisen sich als widersprüchlich. Während die Kammer zunächst ausführt, dass sich die Kinder seit spätestens August 2003 bei ihrem Vater in der Türkei aufgehalten hätten (UA S. 4), heißt es im Rahmen der Beweiswürdigung, der ältere Sohn, der im August 2003 schulpflichtig geworden sei, habe sich spätestens seit Januar 2004 in der Türkei aufgehalten; dies gelte auch für den jüngeren Sohn, da davon auszugehen sei, dass beide zusammen in die Türkei gegangen seien. Unklar bleibt danach, für welchen Zeitraum die Angeklagte (bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen) unberechtigt Kindergeld bezogen hat.“

Und am subjektiven Tatbestand haperte es auch…. das bitte selbst lesen 🙂 .

Steuerhinterziehung: Anklage und Verjährung

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Steuerhinterziehungsverfahren  spielen derzeit in der Praxis eine große Rolle – U. Hoeneß lässt grüßen. Mit einem Steuerhinterziehungsfall befasst sich auch der AG Dresden, Beschl. v. 11.04.2014 – 231 Ds 115 Js 22856/13, der nichts wesentlich Neues bringt, aber doch zwei Umstände noch einmal ins Gedächtnis ruft. Im Verfahren war die Ordnungsgemäßheit der Anklage erhoben worden. dazu ds AG:

  • Bei einem Tatvorwurf der Steuerhinterziehung ist im Anklagesatz allein das relevante Verhalten und der Taterfolg im Sinne von § 370 AO  anzuführen, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bedarf es dort nicht (BGH wistra 2012, 489f.). Denn Ausführungen zur Schadensberechnung können keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten und unter Umständen sogar dazu führen, dass der Tatvorwurf im Anklagesatz nicht klar, übersichtlich und verständlich dargestellt wird.
  • Aber: Eine Anklage, die den Anforderungen des § 200 StPO nicht entspricht, hat keine verjährungsunterbrechende Maßnahme im Sinne des § 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB (BGH wistra 2009, 205 f.).

Ergebnis: 2 : 2 = bei zwei Angeschuldigten ist das Hauptverfahren eröffnet worden, bei zwei anderen hat das AG eingestellt

Uli Hoeneß und die Selbstanzeige – reicht sie/es? Und: Mehr als 50.000 €?

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Da macht man gestern einen Wochenspiegel und hat kein richtiges Top-Thema, aber dann: Es entwickelt sich eins am letzten Tag der Woche, nämlich die Selbstanzeige und die Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß. Davon sind die Gazetten und die Blogs voll. War klar, dass jemand, der so polarisiert und ggf. schweres Geschütz auffährt, mit heftigem Trommelfeuer rechnen muss. War auch klar, dass die Politik sich melden würde. Ist ja auch zu schön, die Steilvorlage  und alle haben etwas dazu zu sagen (vgl. hier).

Für diejenige, die sich informieren wollen, was bislang so geschrieben worden ist, ein „Zwischenüberblick“. Da haben wir

In der Presse dann weitere Details (entnommen LTO), vgl. die Hinweise auf: „die  Montags-SZ ( Andreas Burkert/Hans Leyendecker / Klaus Ott) und bild.de (Alfred Draxler)“.

Was in der Tat irritiert: Es soll eine Hausdurchsuchung bei Uli Hoeneß stattgefunden haben. Das dürfte „auf Unstimmigkeiten in der Selbstanzeige hin„deuten. Wenn das aber der Fall ist, dann könnte es  eng werden. Denn warum eine Hausdurchsuchung, wenn die Selbstanzeige ok war. Ich gehen mal davon aus, dass die Ermittlungsbehörden nicht wissen wollten, wie Uli Hoeneß wohnt. Eng deshalb, weil nur eine wirksame Selbstanzeige Straffreiheit bringt (s. § 371 Abs. 1 AO) – “ in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt“.

Eng ist/wird es aber ggf. so oder so schon, denn nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO tritt Straffreiheit tritt nicht ein, wenn „die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50 000 Euro je Tat übersteigt.“

Aber das muss man alles mal sehen. Jedenfalls steckt Musik drin.

Nachtrag um 11.47 Uhr: Natürlich gibt es auch noch den § 398a AO. Danke für die Hinweise 😀 (siehe bei den Kommentaren). Aber auch dessen Anwendung setzt ja mal zunächst eine wirksame Selbstanzeige voraus.

Wie gesagt: Es ist Musik drin.

Nachtrag um 12.45: Sehr schön auch die Zusammenstellung bei Handelsblatt.com. Natürlich auch, weil auf diesen Blogbeitrag verwiesen wird 🙂 😀 😉