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„Wer schreibt, der bleibt“, oder: Rücknahme ist Rücknahme

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Wir alle kennen die Redensart, „Wer schreibt, der bleibt“. Die passt ganz gut zu den Fällen der Anfechtung einer einmal erklärten Rechtsmittelrücknahme. Dies Fälle dürften häufig mit einem Verteidigerwechsel zusammen hängen, meist haben sie keinen Erfolg. So auch in dem dem BGH, Beschl. v.  15.12.2015 – 4 StR 491/15 – zugrunde liegenden Verfahren, in dem es allerdings nicht um einen Verteidigerwechsel ging, sondern der Angeklagte wohl einfach nur inzwischen seine Meinung geändert hatte. In dem Beschluss stellt der BGH dann noch einmal die Vorgaben für eine „wirksame Rücknahme der Rücknahme“ zusammen.

„b) Der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte bei Abgabe der Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig war.

aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen (vgl. Meyer-Goßner, aaO, Einl. Rn. 97, § 302 Rn. 8a). Dies wird – wie etwa § 415 Abs. 1 und 3 StPO für das Siche-rungsverfahren gegen einen Schuldunfähigen belegt – allein durch eine Ge-schäfts- oder Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlos-sen (Meyer-Goßner, aaO, § 302 Rn. 8a mwN). Vielmehr ist von einer Unwirk-samkeit der Rücknahmeerklärung – wie ausgeführt – erst auszugehen, wenn  hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten (BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341; vom 11. Oktober 2007 – 3 StR 368/07 mwN).

bb) Hiervon ausgehend hat der Senat keine Zweifel an der Verhand-lungs- und prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten bei Abgabe der Rücknahmeerklärung.“

Und zu der Problematik passt dann ganz gut der KG, Beschl. v. 12.02.2106 – 3 Ws 77/16 – 141 AR 77/16 – mit den Leitsätzen:

  1. Eine wirksam erklärte Rechtsmittelrücknahme ist – wie der Rechtsmittelverzicht – unwiderruflich und unanfechtbar.
  1. Ein zurückgenommenes Rechtsmittel kann nicht erneuert werden. Dies gilt auch, wenn die Annahme der Entscheidung möglicherweise unüberlegt oder voreilig war.

Das KG weist noch zusätzlich darauf hin, dass die Rücknahme eines Rechtsmittels auch dann unwirksam ist, „wenn der Angeklagte durch objektiv unrichtige oder irreführende Auskünfte des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft in einen für seine Erklärung ursächlichen Rechtsirrtum versetzt (vgl. KG, Beschlüsse vom 1. April 2015 – 4/2 Ws 223/14 REHA – und vom 5. Mai 1997 – 5 Ws 234/97 -) oder wenn sie durch Drohung bzw. durch Täuschung veranlasst worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2001 – 5 StR 53/01 [juris]), wobei der dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft anzulastende Sachverhalt allerdings mit Sicherheit  feststehen muss und der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht gilt (vgl. KG, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 3 Ws (B) 92/07).“

Rechtsmittel der StA zu Gunsten oder zu Ungunsten eingelegt?

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Manche Vorschriften führen ein Schattendasein bzw. sind, da man mit ihnen nicht alltäglich zu tun hat, nicht sofort präsent. So z.B. § 302 Abs. 1 Satz 3 StPO, der die Rücknahme eines zugunsten des Angeklagten von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels ausschließt, wenn der Angeklagte der Rücknahme nicht zustimmt. Der Hintergrund dieser Regelung ist bei dem zugunsten des Angeklagten vom Gegner 🙂 eingelegten Rechtsmittel klar.

Mit der Vorschrift hatte sich jetzt der BGH im BGH, Beschl. v. 28.05.2013 -3 StR 426/12 – zu befassen, wobei die Frage: Zu Gunsten oder zu Ungunsten eingelegt?, eine Rolle spielte. Das LG hatte den Angeklagten  wegen Mordes zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre – unbegründet gebliebene -Revision hat die Staatsanwaltschaft dann später zurückgenommen. Das LG hat festgestellt, dass diese Zurücknahme der Revision nicht wirksam und die Strafvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts unzulässig sei. Der BGH sieht es anders und er bezieht sich dabei auf die Ausführungen des GBA:

Die Rücknahme der von der Staatsanwaltschaft Hannover am 24. April 2012 eingelegten Revision bezüglich des Angeklagten T. war wirksam. Entgegen der Auffassung des Landgerichts und des Angeklagten bedurfte es zur Rücknahme des Rechtsmittels keiner Zustimmung des Angeklagten gemäß § 302 Abs. 1 S. 3 StPO. Die Revision war nicht zu seinen Gunsten eingelegt worden. Zugunsten eines Beschuldigten ist ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nur eingelegt, wenn sich dies aus der Einlegung oder Begründung ergibt (Paul in Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 296 Rn. 5). Ist ein derartiger Wille weder aus der Rechtsmittelschrift noch aus der Begründung zu entnehmen, fehlt es also an jeglicher entsprechenden Erklärung, dass das Rechtsmittel zugunsten des Beschuldigten eingelegt werde, muss regelmäßig ein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel als zu dessen Ungunsten geltend gemacht angesehen werden (BGHSt 2, 41 ff.; RGSt 65, 231, 235; Frisch in Systematischer Kommentar, StPO, § 296 Rn. 13; Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 296 Rn. 47; Paul in Karlsruher Kommentar aaO.)

So verhält es sich hier: Die Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft vom 24. April 2012 erschöpft sich in der Benennung der beiden Angeklagten des Verfahrens … im Rubrum und der Erklärung, dass gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 23. April 2012 Rechtsmittel eingelegt werde. In der Revisionsbegründung vom 12. Juli 2012 wurden ausschließlich Ausführungen zur Verurteilung des Angeklagten B. gemacht und die Revision hinsichtlich des Angeklagten T. zurückgenommen. Hinweise, dass die Revision hinsichtlich des Angeklagten T. von der Staatsanwaltschaft zu dessen Gunsten eingelegt worden sein könnte, lassen sich deshalb weder der Rechtsmittelschrift noch deren Begründung entnehmen. Eine Einlegung zu dessen Gunsten ergibt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht inzident aus dem Umstand, dass der Angeklagte T. vom Schwurgericht des Landgerichts Hannover zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, denn auch gegen eine solche Verurteilung kann die Staatsanwaltschaft Revision zuungunsten eines Angeklagten einlegen, soweit – wie hier (vgl. UA S. 59) – eine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verneint worden ist. Schließlich lässt sich entgegen der Auffassung des Angeklagten auch nichts aus dem Umstand folgern, dass die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung in ihrem Schlussvortrag nicht auf Mord, sondern auf Totschlag plädiert hatte, denn die Frage, ob ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zugunsten eines Beschuldigten eingelegt ist, ist nur nach dem Gesamtinhalt der Rechtsmittelerklärungen zu beantworten, nicht nach Umständen außerhalb dieser Erklärungen (BGHSt 2, 41 ff.).

Mithin hat es damit sein Bewenden, dass im Zweifelsfall von einer Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft zuungunsten eines Beschuldigten auszugehen ist (s.o.). Somit ist vorliegend die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme festzustellen. Mit dieser Feststellung erledigt sich zugleich auch der dem Senat vorliegende Antrag des Angeklagten vom 22. Februar 2013.“

 

Vorsicht: Rechtsmittelrücknahme – unwiderruflich und unanfechtbar

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Das LG ordnet gegen den Beschuldigten die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die vom Verteidiger rechtzeitig eingelegte Revision hat dieser später zurückgenommen. Hiergegen hat sich der Beschuldigte gewandt und vorgetragen, er habe „die Revision nicht … einstellen lassen und auch nicht über den Pflichtverteidiger“ …, weil er „mit ihm diesbezüglich keine Absprachen getroffen habe“. Außerdem bitte er „um Wiedereinsetzung in den alten Stand, d.h. Unterbringung gemäß § 126a StPO“. Der Verteidiger hat dazu erklärt, dass er bei dem letzten Gespräch mit dem Beschuldigten „aufgrund der Diskussion über die Erfolgsaussichten der Revision und der daraufhin von Herrn S. getätigten Aussagen unmissverständlich davon ausgehen“ musste, dass „die Revision nicht durchgeführt werden soll“.

Was nun in dieser „Aussage-gegen-Aussage-Situation“? Der BGH, Beschl. v. 19.06.2012 – 3 StR 190/12 – sieht die Rechtsmittelrücknahme als wirksam an:

1. Der Verteidiger war zur Rechtsmittelrücknahme wirksam ermächtigt. Dies ergibt sich schlüssig aus seinem Vortrag mit Schriftsatz vom 14. März 2012 (Bl. 97, Band II d. A.). Danach musste der Verteidiger unmissverständlich nach einer Diskussion der Erfolgsaussichten davon ausgehen, dass die Revision nicht durchgeführt wer-den soll. Zweifel an der Darstellung des Verteidigers bestehen nicht und ergeben sich auch nicht daraus, dass sich der Beschuldigte von der Revisionsrücknahme überrascht zeigt und eine Ermächtigung in Abrede stellt. Für die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vor-geschrieben. Sie kann auch mündlich erfolgen und braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden (BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6). Für den Nachweis der Ermächtigung, der noch nach Abgabe der Erklärung geführt werden kann, genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (BGH NStZ-RR 2010, 55; NStZ-RR 2005, 211, 212; NStZ 2001, 104; BGH, Beschluss vom 13. September 2007 – 4 StR 394/07).

Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Ermächtigung ergeben sich nicht deshalb, weil die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten nach den Urteilsfeststellungen im Tatzeitpunkt nicht sicher aus-schließbar vollständig aufgehoben war (UA S. 14). Eine wirksame Ermächtigung setzt lediglich voraus, dass der Ermächtigende bei Abgabe seiner Erklärung verhandlungsfähig im Sinne des Strafverfahrensrechts und in der Lage ist, die Bedeutung von Prozesserklärungen zu erkennen (BGH NStZ 83, 280). Weder die Urteilsgründe noch das Hauptverhandlungsprotokoll ergeben einen Hinweis da-rauf, dass der Beschuldigte verhandlungsunfähig war. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt und sich zum Tatvorwurf eingelassen. Hatte das Tatgericht – wie hier – keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (Senat NStZ-RR 2002, 101 f.; BGH NStZ 1984, 181; NStZ 1996, 297). Hinzu kommt, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten ausweislich der Urteilsfeststellungen zum Tatzeitpunkt weder erheblich vermindert noch aufgehoben war, und der Beschuldigte trotz seiner wahnhaften Erkrankung moralische Normen und Werte nennen und begründen konnte (UA S. 13). Anhaltspunkte dafür, dass sich nach der Hauptverhandlung Änderungen im psychischen Zustand des Beschuldigten ergeben haben, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Diese Fälle „später Reue“ sind ja nicht selten. Dagegen und vor dem Hin und Her kann sich der Verteidiger – wenn überhaupt – nur schützen, wenn er dem Mandanten unmissverständlich klar macht, worum es geht und man das auch schriftlich festhält. Und man muss ihm auch deutlich machen, dass er an eine wirksame Rücknahme der Revision gebunden ist – „… sie ist unwiderruflich und unanfechtbar (BGH NStZ 1983, 280, 281)“.

BGH als „Streitschlichter“ :-)

Nicht selten wird in der Praxis, häufig nach einem Verteidigerwechsel über die Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme gestritten. Der BGH hat dazu – noch einmal – ausgeführt: Wird die Wirksamkeit einer Revisionsrücknahme von einem Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Sache des Revisionsgerichts, hierüber eine feststellende Erklärung zu treffen. Das Rechtsmittelgericht ist zur abschließenden Entscheidung über die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme berufen (BGH, Beschl. v. 17.02.2011 – 4 StR 691/10)

Schon wieder Vollmacht: Wirksamkeit der nachträglichen Berufungsbeschränkung

Vollmachtsfragen spielen immer wieder eine Rolle. In dem Zusammenhang spielt der § 302 StPO in der Praxis eine nicht unerheblich Rolle. Der verlangt für die Rechtsmittelrücknahme eine ausdrückliche Ermächtigung für den Verteidiger. Das gilt – so das OLG Stuttgart in seinem Beschl. v. 26.10.2010 – 2 Ss 618/10 auch für die nachträglichen Berufungsbeschränkung.

An die ganze Problematik muss man als Verteidiger denken, wenn man erst später ins Verfahren kommt und es um die Wirksamkeit einer (Teil)Rücknahme eines früheren Verteidigers geht. Manchmal ist an der Stelle dann noch etwas zu retten, wen dieser keine ausdrückliche Genehmigung hatte.