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Handy II: Das bloße Halten des Handys als Benutzung, oder: Das reicht auch dem OLG Oldenburg nicht mehr

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Als zweite „Handy-Entscheidung“ stelle ich dann den OLG Oldenburg, Beschl. v. 17.04.2019 – 2 Ss (OWi) 102/19 – vor.

OLG Oldenburg? Ja, richtig. Das sind die, die in dem OLG Oldenburg, Beschl. v. 25.07.2018 – 2 Ss (OWi) 201/18 – bei Anwendung der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO im bloßen In-der-Hand-Halten des elektronischen Gerätes einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO gesehen haben. Das das falsch ist, hatte u.a. auch ich unter Handy I: Mobiltelefon im Straßenverkehr, oder: Das Halten reicht, wirklich? dargelegt.

Jetzt hat das OLG dies „korrigiert“ = ist von seinem obiter dictum abgerückt (siehe aber unten 🙂 ):

„Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 06.06.2018 als Führer eines Kraftomnibusses die M… in O… befuhr. Als er vor einer rot zeigenden Lichtzeichenanlage zum Stehen kam, benutzte er sein Mobiltelefon, in dem es in die Hand nahm, in seinem Sichtfeld vor das Lenkrad hielt und auf das Display schaute.

….
Auch zur Fortbildung des materiellen Rechts ist die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.

Wann ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO nF vorliegt, ist mittlerweile – soweit hier von Bedeutung- geklärt.

Der Senat hatte in seiner Entscheidung vom 25.07.2018 (DAR 18, 577) ausgeführt, dass der dortige Betroffene dadurch, dass er das Smartphone gehalten habe, gegen § 23 Absatz 1a StVO n. F. verstoßen habe. Zugrunde lag dieser Entscheidung ein Sachverhalt, bei dem der Betroffene das Mobiltelefon in der rechten Hand gehalten und mehrere Sekunden auf das Display geschaut hatte.

Diese Entscheidung ist Gegenstand mehrerer Besprechungen bzw. Anmerkungen gewesen (Krenberger, juris PR-VerkR 18/2018 Anm. 6; Ternig, VD 2018, 300 ff.; Eggert in Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht 1. Aufl. 2016, § 23 StVO 1. Überarbeitung; RN 28.1; Bertlings, juris PR-StrafR 20/2018, Anm. 5).

Überwiegend wird darin die Ansicht vertreten, dass das bloße Halten des Gerätes zur Tatbestandserfüllung nicht ausreichend sei, da eine Nutzung hinzukommen müsse. Diese sei aber durch das vom Amtsgericht festgestellte sekundenlange Blicken auf das Display belegt.

Auch die Oberlandesgerichte Stuttgart (Beschluss vom 03.01. 2019, 2 Rb 24 Ss 1269/18, juris), OLG Hamm (Beschluss vom 28.02.2019 (4 RBs 30/19, juris) und Celle (Beschluss vom 07.02.2019, 3 Ss (OWi) 8/19, juris) vertreten die Auffassung, dass Voraussetzung für die Tatbestandserfüllung weiterhin die Benutzung des elektronischen Gerätes sei. Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 18.02.2019, 53 Ss-OWi 50/19, juris) hält ebenfalls eine Nutzung für erforderlich und führt aus, aus der Entscheidung des Senats vom 25.07.2018 ergebe sich nichts Anderes.

Dies gibt dem Senat Anlass, die auch durch den Leitsatz seiner Entscheidung zum Ausdruck gebrachte Aussage, dass es für einen Verstoß gegen § 23 Absatz 1a StVO n. F. ausreiche, ein elektronisches Gerät in der Hand zu halten, zu korrigieren.

Das OLG Celle weist zutreffend darauf hin, dass unzulässige Nutzung und Halten des Gerätes in der Neufassung der Vorschrift nicht gleichgesetzt werden, sondern durch das Wort „hierfür“ in § 23 Absatz 1a Satz 1 Nr. 1 StVO eine Zweckbestimmung zum Ausdruck gebracht wird.

Tatsächlich wird davon auszugehen sein, dass durch die Orientierung am Faktischen (Fromm, MMR 2018, 68 (69); Ternig a. a. O., Seite 303) den Gerichten lediglich die Feststellung einer verbotswidrigen Nutzung, die aber nach wie vor erforderlich ist, erleichtert werden sollte. In diesem Zusammenhang können bereits aus der Art und Weise, wie das Mobiltelefon gehalten wurde, Rückschlüsse auf die Nutzung einer Bedienfunktion gezogen werden (OLG Celle a.a.O.; vgl. auch OLG Hamm a.a.O.).

Durch die getroffenen Feststellungen ist hier die Nutzung eines elektronischen Gerätes, dass der Kommunikation, Information oder Organisation dient -in diesem Fall eines Mobiltelefons-ausreichend belegt.

Da es keine Anhaltspunkte dafür gab, dass der Betroffene auf ein ausgeschaltetes Mobiltelefon geschaut hat, musste das Amtsgericht einen derartigen Sachverhalt nicht zu Gunsten des Betroffenen unterstellen, zumal dieser bereits abgestritten hatte, überhaupt auf das Display geschaut zu haben.

Auf die vom OLG Hamm, a.a.O. offengelassene Frage, ob auch eine zweckentfremdete Benutzung genügt, kommt es auch hier nicht an.“

Dazu nur: Die Feststellungen des AG reichen wohl so gerade eben bzw. nur dann aus, wenn man davon ausgeht – ausgehen muss? -, dass der Betroffene nicht auf ein ausgeschaltetes Handy geschaut hat. Im Übrigen ist die – OLG-typische – Formulierung: „Tatsächlich wird davon auszugehen sein, …“ m.E. falsch/zu weich: Es wird nicht nur davon auszugehen sein, sondern es ist davon auszugehen. Warum kann das OLG nicht einfach mal schreiben: Das, was wir im Beschluss vom 25.07.2018 ausgeführt haben, war falsch?

OWi III: Geldbuße, oder: Welche Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sind erforderlich im Bußgeldurteil

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Einige OLG-Entscheidungen haben sich in der letzten Zeit mit den erforderlichen Feststellungen zu den wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen des Betroffenen im Bußgeldurteil befasst. Die sind insbesondere in Zusammenhang mit der Verhängung der Geldbuße von Bedeutung (vgl. KG, Beschl. v. 12.03.2019 – 3 Ws (B) 53/19; OLG Oldenburg, Beschl. 04.03.2019 – 2 Ss(0Wi) 49/19; OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.01.2019 – 6 Rb 26 Ss 731/18; OLG Schleswig, Beschl. v. 17.12.2018 – 2 Ss OWI 206/18 [135/18]).

Die Grundsätze der OLG-Rechtsprechung lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Liegt eine Geldbuße über der Geringfügigkeitsgrenze von 250 EUR, so müssen die Urteilsgründe grundsätzlich Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten. Dies gilt dann nicht, wenn das Tatgericht auf die – ggf. nach § 3 Abs. 4a BKatV erhöhte – Regelgeldbuße erkennt und keine Anhaltspunkte für ein unter- oder überdurchschnittliches Einkommen vorhanden sind.
  • Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen können auch dann erlässlich sein, wenn die Regelbuße lediglich um einen geringfügigen Betrag erhöht wird und sich die Bemessung ersichtlich noch an der Regelgeldbuße orientiert. Insbesondere bei einem zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen schweigenden Betroffenen gebietet es die gerichtliche Aufklärungspflicht dann nicht, Feststellungen durch ggf. mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen einhergehenden und zur Bedeutung der Tat und der Höhe der Geldbuße unverhältnismäßigen Maßnahmen zu treffen.

Allerdings ist bei den Fragen einiges im Fluß. Eingehend zur Geldbuße und den Anforderungen an die Feststellungen Gübner in:Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., 2018, Rn. 1732 ff.  Der kundige Leser weiß, wo er das Werk bestellen kann 🙂  .

OWi II: Geldbuße bei Fahrlässigkeitstat, oder: Keine Erhöhung wegen Uneinsichtigkeit

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.11.2018 – 2 Ss (OWi) 286/18, der sich zur Bemessung der Geldbuße äußert.

Das AG hat in seinem Urteil „die Regelgeldbuße erhöht. Es hat ausgeführt, dass die Betroffene sich völlig uneinsichtig gezeigt und darauf beharrt habe, sich vollkommen korrekt verhalten zu haben. Es sei ihr nicht zu vermitteln gewesen, dass sie sich falsch verhalten habe. Sie habe dem Unfallgegner erschwert, seine Ansprüche gegenüber ihr bzw. ihrer Haftpflichtversicherung durchzusetzen. Ein entsprechendes Nachtatverhalten sei bußgelderhöhend zu berücksichtigen.“

Dazu das OLG:

„Die Ausführungen des Amtsgerichtes widersprechen einhelliger Auffassung:

Uneinsichtigkeit des Betroffenen kann eine angemessene Erhöhung der Geldbuße nur dann rechtfertigen, wenn sie nach der Tat des Betroffenen und seiner Persönlichkeit darauf schließen lässt, dass er sich durch eine niedrige Geldbuße nicht hinreichend beeindrucken lassen wird, die Rechtsordnung künftig zu beachten (OLG Köln, VRS 81. Bd., 200; vgl. OLG Düsseldorf, VRS 78. Bd., 440; OLG Koblenz VRS 68. Bd., 223; Göhler, OWiG, 17. Aufl.-Gürtler, § 17 RN 26a m.w.N.).

Bei Fahrlässigkeitstaten im Straßenverkehr ist bei Würdigung des Verhaltens des Betroffenen vor Gericht besondere Zurückhaltung geboten, wenn auf Uneinsichtigkeit geschlossen werden soll (OLG Hamburg VRS 58. Bd., 52 OLG Koblenz a.a.O.)

Diesen Grundsätzen widersprechen die Ausführungen des Amtsgerichtes. Das Amtsgericht hat nicht festgestellt, dass hier, insbesondere vor dem Hintergrund einer fahrlässigen Begehungsweise, Umstände vorliegen, die Anlass zu der Annahme geben, die 83jährige Betroffene könne nur durch eine erhöhte Geldbuße von zukünftigen Zuwiderhandlungen abgehalten werden.

Das Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Auf die Inbegriffsrüge kommt es deshalb nicht an.“

StPO III: Die Ladung des Sehbehinderten zur Hauptverhandlung, oder: Hinweis auf barrierefreien Zugang

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Urheber Norbert Nagel

Und als dritte Entscheidung des Tages dann ein OLG-Beschluss, denn auch OLG können StPO 🙂 . Im OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.10.2018 – 1 Ws 434/18 – wird die Frage der Ordnungsgemäßheit einer Ladung des Angeklagten behandelt. Das AG hatte den Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG gem. § 329 Abs. 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte trotz nachgewiesener Ladung im Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Dagegen dann der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten, der beim OLG Erfolg hatte. Der Angeklagte hatte zur Begründung seines Antrags angeführt, aufgrund einer dem Gericht bekannten Sehbehinderung sei es ihm nicht möglich gewesen, die Terminszeit auf der an ihn gerichteten Ladung zu entziffern. Er habe sich deshalb am Ladungszeitpunkt seiner Tochter orientiert. Da diese aber, was ihm nicht bekannt gewesen sei, auf einen späteren Zeitpunkt geladen gewesen sei, sei er erst verspätet zum Termin erschienen. Das OLG meint dazu:

„Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung ist zulässig und begründet.

Der Angeklagte hat durch die Vorlage eines aktuellen fachärztlichen Attestes glaubhaft gemacht, dass er an einer Sehbehinderung leidet, aufgrund welcher er die auf der Ladung angegebene Terminszeit nicht lesen konnte. Die Erkrankung des Angeklagten und die daraus folgende dauerhafte Beeinträchtigung sind im Übrigen aktenkundig. Der erstinstanzliche Gerichtstermin musste aufgrund der eingetretenen Erkrankung verschoben werden. Es befinden sich mehrere Atteste in den Akten, aus denen auch hervorgeht, dass die Einschränkung dauerhaft besteht.

Allein diese – in hinreichender Weise glaubhaft gemachten Umstände – rechtfertigen eine Wiedereinsetzung in den Stand vor der Berufungshauptverhandlung, einer weitergehenden Glaubhaftmachung bedurfte es entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht, insbesondere nicht einer solchen hinsichtlich der Kontaktaufnahme des Angeklagten mit seiner Tochter bzw. des Inhaltes einer mit dieser geführten Unterredung.

Aufgrund der Sehbehinderung hatte der Angeklagte nämlich gem. § 191a Abs. 1 GVG einen Anspruch darauf, dass ihm die Ladung zur Hauptverhandlung in einer geeigneten, für ihn wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht wird.

§ 191a GVG bestimmt, dass blinden oder sehbehinderten Personen Schriftsätze und andere Dokumente eines gerichtlichen Verfahrens unter näheren, in einer Rechtsverordnung zu bestimmenden Voraussetzungen barrierefrei zugänglich zu machen sind. Gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung zur barrierefreien Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen im gerichtlichen Verfahren (ZMV) erstreckt sich der Anspruch auf Zugänglichmachung auf alle Dokumente, die der betroffenen Person zuzustellen oder formlos bekannt zu geben sind. Eine barrierefreie Zugänglichmachung erfolgt gem. § 4 Abs. 2 ZMV zwar nur auf Verlangen der berechtigten Person, doch ist das Gericht verpflichtet, die berechtigte Person auf ihren Anspruch hinzuweisen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 ZMV).

Ein solcher Hinweis ist vorliegend unterblieben. Er ist weder generell in den allgemeinen Formularen für die Ladungsverfügung vorgesehen noch vorliegend dem Angeklagten durch das Gericht erteilt worden, nachdem dieser seine Erkrankung bekannt gegeben hatte.

Der Hinweis erwies sich auch nicht mit Rücksicht auf die anwaltliche Vertretung des Angeklagten als entbehrlich. § 191a Abs. 1 Satz 4 GVG stellt ausdrücklich klar, dass die Rechte aus § 191a Abs. 1 Sätze 1-3 GVG und der ZMV auch für vertretene Personen gelten.

Die Verletzung der Hinweispflicht führt nicht zur Unwirksamkeit der Ladung. Gem. § 2 Abs. 2 ZMV bleiben die Vorschriften über die Zustellung von Dokumenten unberührt. Sie hat jedoch zur Folge, dass das Versäumen des Verhandlungstermins durch den Angeklagten als schuldlos anzusehen und ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist.

Unterbleibt der Hinweis an den Berechtigten, so liegt ein gerichtliches Verschulden vor, hinter das ein möglicherweise hinzutretendes eigenes Verschulden des Angeklagten zurücktritt (vgl. auch BSG, Beschluss vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 165/12 B – juris). Damit kommt es vorliegend nicht darauf an, ob der Angeklagte durch die Nachfrage bei seiner Tochter in ausreichender Weise sichergestellt hat, zu welcher Zeit er bei Gericht erscheinen muss. Er war nicht gehalten, die Folgen des gerichtlichen Versäumnisses auszugleichen. Bereits mit Rücksicht auf den gebotenen, aber unterlassenen Hinweis nach § 4 Abs. 2 S. 2 ZMV erwies sich die Verspätung als schuldlos.“

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Verkehrsrecht II: Begriff des Überholens, oder: Wo begann der Überholvorgang?

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Und die zweite Entscheidung des heutigen Tages ist der OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.10.2018 – 1 Ss 173/18. Er behandelt eine Problematik aus dem Bereich des § 315c StGB – Straßenverkehrsgefährdung, und dort dann der Abs. 1 Nr. 2b – Falsches Überholen.

AG und LG haben den Angeklagten verurteilt, und zwar auf der Grundlage folgender Feststellungen:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts brach der Angeklagte am 15. März 2016 gegen 7:40 Uhr mit seinem PKW A., amtliches Kennzeichen ., von zu Hause auf, um zu seinem Arbeitsplatz am W. Weg auf kürzester Strecke zu gelangen. Sein Fahrzeug war dabei auf dem Grundstückstreifen zwischen Wohnhaus und dem gepflasterten Gehweg der stadtauswärts führenden O. Straße geparkt. Da auf der O. Straße – wie an jedem Wochentag außerhalb der Schulferien – der Verkehr aufgrund seiner erhöhten Dichte ins Stocken geraten war, entschied sich der Angeklagte, diesen zu umgehen und die Entfernung bis zur nächsten Querstraße, der B. -Straße, in die er zum Wenden ohnehin einfahren wollte, auf dem Geh- und Radweg zurückzulegen. Die bis zur B. -Straße zurückzulegende Strecke von 15 m durchfuhr der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 10-15 km/h. Als er von dem Geh- und Radweg auf die B. -Straße fuhr, befand sich der Zeuge P. im Abbiegevorgang von der O. Straße auf die besagte Querstraße. Der Angeklagte wollte sich noch vor den Zeugen setzen und fuhr daher – zügiger als der Zeuge P.- weiter auf die Straße ein. Dieses Verhalten zwang den Zeugen dazu, abrupt abzubremsen und dem Angeklagten und seinem PKW auszuweichen, um einen Zusammenstoß zu verhindern. Das Fahrzeug H. des Zeugen P. kam in einem Abstand zum Fahrzeug des Angeklagten von wenigen Millimetern bis zu maximal 3 cm zum Stehen. Im Falle einer Kollision wäre am Fahrzeug des Zeugen P.ein Schaden von etwa 2.000-2.500 Euro entstanden.“

Das OLG hat das anders gesehen und hat insoweot aufgehoben und nur wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt:

2. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs nicht. Das Verhalten des Angeklagten erfüllt nicht die allein in Betracht kommende Tatbestandsalternative des falschen Überholens oder des sonstigen Falschfahrens bei Überholvorgängen (§ 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB).

Allerdings ist die Reichweite des Tatbestands des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB nicht auf Überholvorgänge im Sinne der Straßenverkehrsordnung – den tatsächlichen Vorgang des Vorbeifahrens von hinten an Fahrzeugen anderer Verkehrsteilnehmer, die sich auf derselben Fahrbahn in dieselbe Richtung bewegen oder verkehrsbedingt halten – beschränkt. Der Begriff des Überholens in § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB ist vielmehr durch Auslegung des Regelungsgehalts der Strafrechtsnorm zu bestimmen. Ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Sichbewegen auf derselben Fahrbahn kein taugliches Kriterium für eine abschließende Erfassung besonders gefährlicher Fälle des Vorbeifahrens liefert, wird das Tatbestandsmerkmal des Überholens auch durch ein Vorbeifahren von hinten an sich in derselben Richtung bewegenden oder verkehrsbedingt haltenden Fahrzeugen verwirklicht, das unter Benutzung von Flächen erfolgt, die nach den örtlichen Gegebenheiten zusammen mit der Fahrbahn einen einheitlichen Straßenraum bilden. Danach ist ein Überholen auch gegeben bei einem Vorbeifahren über Seiten- oder Grünstreifen, über Ein- oder Ausfädelspuren oder über lediglich durch Bordsteine oder einen befahrbaren Grünstreifen von der Fahrbahn abgesetzte Rad- oder Gehwege (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 26.01.1967, 2 Ss 1394/66, VRS 32, 449). Dagegen fehlt es an einem Überholvorgang etwa bei einem Vorbeifahren unter Benutzung einer von der Fahrbahn baulich getrennten Anliegerstraße oder mittels Durchfahren einer Parkplatz- oder Tank- und Rastanlage auf der Bundesautobahn (vgl. zu allem BGH, Beschluss v. 15.09.2016, 4 StR 90/16, BGHSt 61, 249 m.w.N.). Danach würde einer Strafbarkeit des Verhaltens des Angeklagten nach § 315c StGB der Umstand, dass er für das Vorbeifahren an dem Fahrzeug des Zeugen P.nicht die Fahrbahn, sondern den Gehweg an der O. Straße nutzte, nicht entgegenstehen.

Der Angeklagte hat jedoch sein Fahrmanöver nicht auf der Fahrbahn begonnen. Vielmehr war er mit seinem zunächst auf einem Streifen vor dem Haus geparkten PKW unmittelbar auf dem Gehweg losgefahren.

Zwar kommt es für den strafrechtlichen Begriff des Überholens nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB nicht darauf an, dass die Fahrt nach dem Vorbeifahren an dem anderen Fahrzeug auf dessen Fahrbahn fortgesetzt wird. Denn wollte man für das Überholen begrifflich auf eine das Vorbeifahren abschließende Rückkehr auf die Fahrbahn abstellen, bliebe die rechtliche Einordnung des tatsächlichen, eine bestimmte Absicht nicht erfordernden Vorgangs des Vorbeifahrens bis zu dessen Abschluss in der Schwebe (BGH, a.a.O.). Ob ein Überholen nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB aber auch dann vorliegt, wenn das Vorbeifahren nicht auf der von dem anderen Fahrzeug benutzten Fahrbahn seinen Ausgang nimmt, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden, vielmehr ausdrücklich offengelassen (vgl. zuletzt a.a.O. Rz. 10 a.E.).

Nach Auffassung des Senats ist dies zu verneinen.

Zwar vertritt Kubiciel in seiner Anmerkung zur genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes (jurisPR-StrafR 23/2016 Anm. 1) die Auffassung, auf der Grundlage des von ihm kritisch gesehenen weiten Straßenverständnisses des Bundesgerichtshofes müsse es konsequenterweise auch irrelevant sein, wo der Überholvorgang beginnt. Tatbestandlich könne danach auch derjenige handeln, der von einem Parkplatz auf einen Gehweg und auf diesem zu einem benachbarten öffentlichen Supermarktparkplatz fahre, um eine Autoschlange zu umgehen, die vor einer roten Ampel warte – eine Konsequenz, welche Kubiciel ersichtlich als schwer vertretbar ansieht.

Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Zwar setzt der weite Begriff des Überholens im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB eine Bewegung auf derselben Fahrbahn nicht voraus. Andererseits kann bei Bewegungsvorgängen auf Flächen außerhalb der Fahrbahn bzw. auf verschiedenen Fahrbahnen auch nicht jedes „Vorbeifahren eines Verkehrsteilnehmers von hinten an einem anderen, der sich in derselben Richtung bewegt,“ unter den strafrechtlichen Überholbegriff subsumiert werden (vgl. LK-König, StGB, 12. Aufl., § 315c Rz. 79). Taugliche Kriterien für eine Abgrenzung sind etwa, ob ein hinreichend enger Zusammenhang zwischen den jeweiligen Flächen besteht und wo der Schwerpunkt des „Überholvorgangs“ liegt. Wird der Überholvorgang von der durchgehenden Fahrbahn aus begonnen und kehrt der Vorbeifahrende unverzüglich wieder dahin zurück oder beabsichtigt er dies, so spricht dies für die Annahme des Überholens. Im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB überholt daher, wer von der Richtungsfahrbahn aus rechts auf den Verzögerungs- bzw. Beschleunigungsstreifen einer Autobahn ausschert, um sich nach Passieren des anderen Fahrzeugs vor dieses zu setzen (vgl. LK-König, a.a.O.).

Kein Überholen liegt demgegenüber vor, wenn der in eine Bundesautobahn Einfahrende schneller als der sich auf der Durchgangsfahrbahn bewegende Fahrzeugführer fährt und sich nach dem Einfahrvorgang vor diesen setzt. Denn hier ist mangels Beginns des „Überholvorgangs“ auf der durchgehenden Fahrbahn der Schwerpunkt nicht dort anzusiedeln (LK-König, a.a.O. Rz. 80).

So liegt es auch hier. Weder der Beginn des Fahrmanövers des Angeklagten noch das Vorbeifahren an dem Fahrzeug des Zeugen P. haben auf der durchgehenden Fahrbahn stattgefunden. Diese hat der Angeklagte erst zum Abschluss, beim Einbiegen auf die B. -Straße erreicht. Auch liegt der Schwerpunkt des Vorwurfs nicht in der Missachtung der sich aus § 5 StVO ergebenden Pflichten, sondern in einer Verletzung von § 10 StVO.

Nach alledem stellt das festgestellte Verhalten des Angeklagten kein Überholen im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB dar.“