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OWi I: Fahrlässige Geschwindigkeitskeitsüberschreitung?, oder: Verkehrszeichen nur in anderer Richtung

entnommen wikimedia.org

Für den OWi-Bereich liegen mir derzeit nicht so viele Entscheidungen vor. Aber für einen weiteren OWi-Tag heute reicht es dann doch (noch) 🙂 .

Ich starte mit dem OLG Oldenburg, Beschl. 30.04.2020 – 2 Ss (OWi) 111/20. Die Problematik: Kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann in Betracht kommen, wenn in der Fahrtrichtung, in der der Betroffene gefahren ist, kein Verkehrszeichen passiert wurde?

Das OLG meint: Grundsätzlich ja. Zu entscheiden war folgender Sachverhalt:

„Der Betroffene befuhr in Ort3 eine innerstädtische Straße in nördlicher Richtung. Er passierte dabei das die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzende Verkehrszeichen 274 in Kombination mit Verkehrszeichen 123 (Arbeitsstelle). Anschließend bog er auf den Parkplatz seiner Arbeitsstätte ab. Nach mehreren Stunden verließ er mit seinem Fahrzeug den Parkplatz, um nunmehr in südlicher Richtung auf der oben genannten Straße zurückzufahren. Bis zur Messstelle passierte er in dieser Fahrtrichtung kein die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen, da dieses nördlich des Parkplatzes aufgestellt war.“

Das AG hat verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er meint, die sei zuzulassen zur Klärung der Frage, ob eine Beschilderung einer Geschwindigkeitsbegrenzung in Verbindung mit dem Hinweis auf eine Baustelle im Bereich der Baustelle auch für den Gegenverkehr gilt, der auf dieser Fahrspur die dort vorhandene Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht passiert hat.

Dazu das OLG:

„Die Rechtsbeschwerde ist hier nicht zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen.

Die in diesem Zusammenhang relevanten Rechtsfragen sind geklärt.

Das Streckenverbot galt im vom Betroffenen befahrenen Bereich auch in südlicher Richtung. Zwar soll unter anderem das Zeichen 274 hinter Kreuzungen und Einmündungen wiederholt werden, an denen mit dem Einbiegen ortsunkundiger Kraftfahrer zu rechnen ist. Selbst wenn man die Zufahrt zum Parkplatz mit einer Einmündung gleichsetzen würde, wäre allein hierdurch das Streckenverbot aber nicht aufgehoben worden (vergleiche Senat, NJW 2011, 3593).

Grundsätzlich entfalten Verkehrszeichen das Gebot einer Geschwindigkeitsbeschränkung aber nur in der Fahrtrichtung für die sie aufgestellt und für den Betroffenen auch sichtbar sind (Senat VRS 89, 53; OLG Celle DAR 2000, 578; OLG Bamberg Beschluss vom 17. Juli 2013, 3 SsOWi 944/13, juris).

Insoweit unterscheidet sich der hier vorliegende Sachverhalt von demjenigen, der der Entscheidung des Senats NJW 2011, 3593 zugrunde lag, da dort der Betroffene nach Verlassen des Parkplatzes in derselben Richtung weitergefahren war. Auf dem Hinweg war er an dem Verkehrszeichen vorbeigefahren.

Hier hatte der Betroffene jedoch in seiner –späteren- Fahrtrichtung kein Verkehrszeichen passiert.

Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist jedoch vergleichbar mit demjenigen, der der Entscheidung BGHSt 11, 7 ff. zugrunde lag. Dort war es so, dass „die Angeklagten“ mit einem unbeladenen Lastzug ein Verkehrszeichen passiert hatten, mit dem die Straße für Fahrzeuge über 6 t Gesamtgewicht gesperrt war. Unterwegs beluden sie den Lastzug in einem abseits gelegenen Waldstück mit Holz, sodass die Grenze von 6 t überschritten war und fuhren anschließend auf dem Waldweg zurück zur Landstraße, um in die Richtung zurückzufahren, aus der sie gekommen waren, wobei in diesem Streckenverlauf kein Verbotsschild aufgestellt war.

Der BGH hat ausgeführt, dass die Verkehrsbeschränkung für den gesamten Straßenabschnitt, ohne dass die Anordnung für denjenigen, der das Schild an einem der beiden Anfangspunkt wahrgenommen hatte, unterwegs durch zusätzliche Verbotstafeln wiederholt zu werden brauchte, gegolten hätte. „Wenn also ein Kraftfahrer sein Fahrzeug vor Erreichen des Endpunktes der Sperrstrecke über das zugelassene Höchstgewicht beladen und die Fahrt in gleicher Richtung fortgesetzt hätte, könnte er nicht erfolgreich geltend machen, das für die ganze Strecke gültige Verbot sei auch nicht in ihrem letzten Teilstück durch amtliche Verkehrszeichen sichtbar gemacht“ (BGH a. a. O.).

Weiter heißt es dort:

„Ob nun die Fahrt in derselben oder in der entgegengesetzten Richtung fortgesetzt wird, in beiden Fällen wird vom Kraftfahrer verlangt, dass er sich ein für längere Strecke geltendes Verbotsschild mindestens dann merkt und einprägt, wenn es zuvor wahrgenommen hat.“ Diese Ansicht bedeute kein Abgehen vom Sichtbarkeitsgrundsatz. Sie wolle nur seiner allzu weitgehenden Übersteigerung, die zu kaum verständlichen Ergebnissen im Verkehr führen würde, entgegentreten. „Die Angeklagten“ hätten das Verbotszeichen auf der einheitlichen Fahrt befolgen müssen, solange sie diese Straße genutzt hätten. Die noch am selben Tag unmittelbar an das Beladen sich anschließende Rückfahrt über die gleiche Strecke könne nämlich nicht unabhängig von der vorangegangenen Benutzung als neue, selbständige Fahrt angesehen werden.

Der BGH hat seine Entscheidung weiter damit begründet, dass die dortige Belastungsbeschränkung erkennbar für beide Fahrtrichtungen gegolten hätte.

Dieser Gedanke lässt sich allerdings nicht in jedem Fall auf die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung übertragen. Zwar mag in der Praxis häufig eine Geschwindigkeitsbeschränkung für beide Richtungen eines Streckenabschnitts gelten, wobei sich die Streckenabschnitte mit beschränkter Geschwindigkeit für die gegenläufigen Fahrtrichtungen aber keineswegs decken müssen (OLG Celle a. a. O.).

Sowohl das OLG Celle als auch das OLG Bamberg halten es in den oben genannten Entscheidungen jedoch für möglich, dass ein Betroffener aufgrund der Umstände davon ausgehen muss, dass auch für die Gegenfahrbahn ein entsprechendes Geschwindigkeitsgebot bestand. Anders als in den Sachverhalten, die den dortigen Entscheidungen zugrunde lagen, sind hier aber vom Amtsgericht Umstände festgestellt worden, aufgrund derer der Betroffene davon ausgehen musste, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung auch für seine Fahrtrichtung galt:

Zum einen war die Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Kombination mit dem Verkehrszeichen „Arbeitsstelle“ angeordnet worden. Zum anderen befand sich die Baustelle nach den Feststellungen des Amtsgerichtes mittig auf den nicht durch Leitplanken getrennt Fahrbahnen. Wenn bei einer derartigen Örtlichkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung für eine Fahrtrichtung angeordnet worden ist, drängt sich auf, dass für die entgegengesetzte Fahrtrichtung nichts anderes gilt.

Letztlich ist die Frage, ob dem Betroffenen aufgrund der Örtlichkeit ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine solche des konkreten Einzelfalles und deshalb der Fortbildung des Rechts nicht zugänglich, während die sonstigen Fragen in diesem Zusammenhang geklärt sind.“

Ich habe meine Zweifel, ob die Auffassung des OLG zutreffend ist, wobei – hier – allerdings nicht übersehen werden darf, dass der Betroffene ortskundig war. Allerdings stellt sich die Frage, ob man die Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt. Letztlich ist die Frage, ob einem Betroffenen aufgrund der (ihm bekannten) Örtlichkeit ggf. ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen ist, aber eine des konkreten Einzelfalles – so auch das OLG – und kann deshalb wohl mit einem Zulassungsantrag zur Fortbildung des Rechts nicht angegriffen werden. Allerdings bietet das für den Verteidiger wiederum ein Einfallstor, um vorzutragen, warum sich dem Betroffenen im Einzelfall die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht aufdrängen musste.

 

Der Richter mit Reichweitenproblemen, oder: Besorgnis der Befangenheit

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.06.2019 – 5 W 19/19, hat eine Befangenheitsproblematik in einem Zivilprozess betreffend ein Elektrofahrzeug zum Gegenstand.

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über einen Elektrofahrzeug/Pkw1 geschlossen. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihr zugesagt, das Fahrzeug habe eine Reichweite von 300 km. Diese könne aber bei winterlichen Temperaturen nicht erreicht werden. Sie hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und begehrt dessen Rückabwicklung.

Der zuständige Einzelrichter hatte die Parteien darauf hingewiesen, er habe selbst im Sommer 2014 ein Pkw vom Typ Elektrofahrzeug/Pkw2 gekauft. Er sei damit jahrelang zwischen Ort2 und Ort3 gependelt. Im Winter 2014/2015 habe er entgegen seiner Erwartung festgestellt, dass es nicht möglich sei, bei Minusgraden mit eingeschalteter Heizung oder einer Geschwindigkeit auf der Autobahn von mehr als 80 km/h von Ort2 nach Ort3 und zurück zu kommen.

Die Beklagte hat daraufhin den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das LG hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt. Das OLG sieht das anders:

„Das Ablehnungsgesuch ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Dem Senat ist bekannt, dass in der 13. Zivilkammer wegen einer personellen Veränderung eine Umverteilung der Zuständigkeiten ansteht. Der bislang zuständige Einzelrichter pp. wird in dieser Sache zwar seine Zuständigkeit verlieren. Er wird aber der Kammer weiter angehören und in dieser Sache als Vertreter in zweiter Linie zuständig bleiben. Dass der Vertretungsfall eintreten wird, ist insbesondere wegen der anstehenden Urlaubszeit nicht völlig unwahrscheinlich.

Gegen Richter p. besteht hier der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Zwar hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der zuständige Einzelrichter diese Sache ohne Parteinahme für die eine oder die andere Partei bearbeiten würde. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Zöller/G. Vollkommer, 32. Aufl., § 42 ZPO, Rn. 9). Hier hat der zuständige Richter ähnliche Reichweiteprobleme mit einem – wenn auch nicht typengleichen – Elektrofahrzeug desselben Herstellers gehabt, wie die Klägerin sie in diesem Rechtsstreit behauptet, und zwar im Wesentlichen auf der gleichen Strecke wie diese (von Ort2 nach Ort3 und zurück). Dass die Beklagte hierauf die Befürchtung stützt, der zuständige Einzelrichter könne vor dem Hintergrund der von ihm angezeigten Erfahrungen möglicherweise den Standpunkt der Klägerin besser nachvollziehen als ihren eigenen und sich hierdurch bei seiner Entscheidung leiten lassen, ist bei vernünftiger Sichtweise nachvollziehbar. Dass der Einzelrichter pflichtgemäß von sich aus diese Umstände angezeigt hat, lässt die Besorgnis der Befangenheit nicht entfallen.“

OWi I: ES 8.0 ist standardisiert, oder: Alles andere war überflüssig

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Heute geht es dann mit OWi-Entscheidungen weiter. Und ich stelle in der kleinen Serie zunächst den OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.09.2019 – 2 Ss (OWi) 233/19 – vor.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 120 EUR verurteilt. Festgestellt worden ist die Geschwindigkeitsüberschreitung durch eine Messung mit dem Einheitensensor ES 8.0 der Firma ESO. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat das OLG zugelassen, sie dann jedoch als unbegründet verworfen:

„Die Rechtsbeschwerde war zur Klärung der Frage zuzulassen, ob es sich bei Messungen mit dem Messgerät ES 8.0 um ein standardisiertes Verfahren handelt. Soweit ersichtlich, ist dieses in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt.

Die Frage ist zu bejahen.

Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH St 43, 277 ff).

Das Messgerät ES 8.0 ist ein von der Physikalisch Technischen Bundesanstalt zugelassenes Lichtschrankenmessgerät. Es handelt sich um ein System, das dem bisherigen ES 3.0 ähnelt (Krumm, Neues Messgerät ES 8.0 – Was ist wirklich neu?, ZfSch 2019, 368 ff.). Ebenso wie bei letztgenanntem System (hierzu: Beck/Löhle/Schmedding/Siegert- Siemer, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 12. Aufl § 10 RN 63) wird der Messwert mittels der Sensoreinheit mit 5 optischen Helligkeitssensoren festgestellt. Dabei sind 3 Sensoren parallel eingestellt – nur diese dienen der Geschwindigkeitsmessung. Die beiden übrigen Sensoren dienen der Abstandsmessung (Krumm a.a.O.).

Technische Messsysteme, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen sind, werden daher grundsätzlich als standardisierte Messverfahren anerkannt (OLG Bamberg, Beschluss vom 12. Dezember 2012 – 3 Ss OWi 450/12 –, Rn. 11, juris).

Ebenso wie das Messverfahren ES 3.0 (Senat, DAR 16, 404) ist deshalb auch dieses Messgerät als standardisiertes Messverfahren anzuerkennen (so auch Krumm, a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund lässt das angefochtene Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen.“

Das OLG setzt sich dann ausführlich mit der Rüge auseinander, der Verteidigung sei es nicht möglich, Anhaltspunkte für einen Messfehler darzulegen, da die Rohmessdaten unterdrückt würden. Dabei lässt es OLG dahinstehen, ob es sich bei dem hier eingesetzten Messgerät um ein solches handelt, bei dem Rohmessdaten nicht gespeichert werden, da eine derartige Feststellung vom AG nicht getroffen worden. Denn der Senat folge der Entscheidung des VerfGH Saarland v. 5.7.2019 (Lv 7/17) ohnehin nicht.

Die Ausführungen lasse ich hier mal weg; wer Interesse daran hat zu erfahren, warum auch das OLG Oldenburg – nicht unerwartet – dem VerfGH Saarland nicht folgt, kann es im verlinkten Volltext nachlesen. Denn: Warum das OLG da so weit ausholt und zu der Frage Stellung nimmt, erschließt sich nicht. Denn man sollte es als gerichtsbekannt voraussetzen dürfen, dass auch das OLG Oldenburg weiß, dass ES 8.0 ebenso wie das Vorgängergerät ES 3.0 alle Rohdaten einer Fahrzeugmessung speichert. Auf die Ausführungen des OLG zum VerfG Saarland kam es gar nicht an. Der Vorsitzende des Senats beim OLG Hamm in dem ich Anfang der 90-ziger Jahre zur Erprobung war, hätte mir die Akte um die Ohren gehauen, wenn ich so umfangreich unnötig Stellung genommen hätte. „Wir entscheiden nicht, was wir nicht entscheiden müssen.“ war seine (zutreffende) Devise.

Nun einen Grund, warum das OLG Stellung bezieht, kann ich mir denken. Es kann natürlcih sein, dass das OLG auf den Zug: Ablehnung der VerfGH Saarland, aufspringen, ihn nicht verpassen und möglichst bald in den Chor derjenigen einstimmen wollte, die dem VerfGH Saarland nicht folgen. Das Ganze nach wie vor ein Trauerspiel, wenn man sieht, wie die Gerichte anderer Bundesländer über ein Verfassungsgericht herfallen.

Wer sich über den Stand der Diskussion um den VerfGH Saarland informieren will, dem empfehle ich auch mal einen Blick in das VerkehrsrechtsBlog des Kollegen Gratz aus Saarbrücken. Der hat auch immer die aktuellen Entscheidungen….

Urteil III: Fahreridentifizierung, oder: „sehr wahrscheinlich Fahrer“ ist zu wenig

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Die dritte Entscheidung, die ich heute vorstelle, kommt aus dem Bußgeldverfahren. Es ist der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.08.2019 – 2 Ss (OWi) 220/19, den mir der Kollege Egbers aus Lingen überlassen hat. Auch er hat ein „Dauerbrennerthema“ zum Inhalt, nämlich die Anforderungen an die Urteilsgründe bei der Identifizierung des Betroffenen anhand eines vom Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes.

Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Verurteilung hat u.a. auch ein Sachverständigengutachten zugrunde gelegt. Die Sachverständige hat es (aber nur) als „sehr wahrscheinlich“ angesehen, dass der Betroffene Fahrer gewesen ist. Das reicht dem OLG nicht:

„Die Feststellungen zur Fahreridentität halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass an der Fahrereigenschaft kein Zweifel bestehe. Bei einem Vergleich des bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Lichtbildes mit dem Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung hätten durch das Gericht keinerlei abweichende Merkmale festgestellt werden können. Die vom Gericht beigezogene Sachverständige komme in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Identität zwischen der abgebildeten Person mit dem Betroffenen sehr wahrscheinlich sei. Das Gericht habe das Gutachten nachvollzogen und mache es sich vollinhaltlich zu eigen.

Diese Ausführungen entsprechen nicht den Grundsätzen, die der Senat im Zusammenhang mit der Identifizierung von Fahrzeugführern aufgestellt hat. Er hat im Beschluss vom 12. Oktober 2011 (2SsBs 241/11) folgendes ausgeführt:

„Ausweislich der Urteilsgründe ist davon auszugehen, dass das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen allein auf das Sachverständigengutachten gestützt hat. Stützt das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen jedoch ausschließlich auf das Gutachten, wird dieses den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 1995 (BGHSt 41, 377 ff) und dem folgend der Senat in seinem Beschluss vom 30.09.2008, (DAR 2009, 43 ff.) aufgestellt hat, nicht gerecht:

Aus dem Umstand, dass das Amtsgericht Anlass gesehen hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, ergibt sich, dass es das Lichtbild zur Identifizierung des Betroffenen offensichtlich nur als eingeschränkt geeignet angesehen hat. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Betroffene Fahrer gewesen sei, als „höchstwahrscheinlich“ angesehen. Dies ist zwar ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, jedoch weniger als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Auch wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein deshalb nicht den Schluss auf die Fahrereigenschaft zulässt, kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände, der sich aus dem Foto ergebenen Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien, etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit gleichwohl zur Überführung des Betroffenen ausreichen (vgl. BGH a.a.O.). Der Senat hat in der oben genannten Entscheidung ausgeführt, dass eine seitens eines Sachverständigen festgestellte hohe Identitätswahrscheinlichkeit eine Verurteilung nicht allein trage, wenn das Foto eine mindere Qualität aufweise. Ein Rückschluss auf den Fahrer erfordere zumindest die zusätzliche Feststellung, dass der Betroffene entweder Halter des PKW sei oder in einer solchen Beziehung zum Halter des PKW stehe, dass ein Zugriff auf den PKW zu der fraglichen Zeit nicht auszuschließen sei“.

Zwar hat das Amtsgericht dargelegt, dass es keinen Zweifel an der Täterschaft des Betroffenen habe. Andererseits führt das Amtsgericht aus, dass es das Gutachten der Sachverständigen nachvollzogen habe und es sich voll inhaltlich zu eigen mache, wobei die Sachverständige die Identitätswahrscheinlichkeit allerdings mit (nur) „sehr wahrscheinlich“ eingestuft hatte.

Das Amtsgericht hat jedoch keine weiteren Gesichtspunkte aufgeführt, die für eine Fahrereigenschaft des Betroffenen sprechen. Dass jemand „sehr wahrscheinlich“ eine Straftat oder wie hier eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, rechtfertigt eine Verurteilung jedoch nicht.

Der Senat hatte in der Vergangenheit in denjenigen Fällen, in denen zu erwarten war, dass das Amtsgericht die im Beschluss über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde erteilten Hinweise zukünftig berücksichtigen werde, von der Zulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen. An dieser Rechtsprechung sieht er sich jedoch durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.10.2015 – 2 BvR 3071/14, BeckRs 2016, 40852 gehindert. Dort hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet, dass das Oberlandesgericht eine Rechtsbeschwerde nicht ohne weiteres mit der Begründung als unzulässig habe verwerfen dürfen, dass die Entscheidung auf einem Fehler im Einzelfall beruhe, sich das Gericht nicht bewusst über die obergerichtliche Rechtsprechung hinweggesetzt habe und den Fehler angesichts der Ausführungen des Oberlandesgerichts nicht wiederholen werde. Da die Annahme des Oberlandesgerichts, es habe sich nur um einen Fehler im Einzelfall gehandelt, keine andere Grundlage als die Vermutung habe, dass sich das Gericht durch die Ausführungen des Oberlandesgerichts belehren lassen werden, werde der Zulassungsgrund der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung in einer Weise ausgelegt und angewendet, die jede Vorhersehbarkeit zunichtemache und die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde weitgehend leerlaufen lasse.

Der Senat konnte es deshalb nicht allein mit einem Hinweis auf seine entgegenstehende Rechtsprechung bewenden lassen.“

„Sehr wahrscheinlich“ Fahrer ist also zu wenig. Ich denke, dass ist zutreffend 🙂 .

OWI III: Abwesenheitsverfahren, oder: Es muss alles auf den Tisch

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Und die dritte OWi-Entscheidung ist eine verfahrensrechtliche. Der OLG Oldenburg, Beschl. v. 22.05.2019 – 2 Ss (OWi) 140/19 – verhält sich mal wieder zur Verletzung des rechtlichen Gehörs im sog. Abwesenheitsverfahren:

„Der Betroffene hatte insbesondere mit Schriftsatz vom 17.12.2018 umfangreich vorgetragen und unter anderem Einwendungen gegen die Messung erhoben.

Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG sind frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder Verlesung in die Haupthandlung einzuführen. Die Verlesung bzw. Bekanntgabe gehört dabei zu den wesentlichen Förmlichkeiten, deren Beobachtung nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BayObLG, NZV 1996, 211). Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung ist dieser Schriftsatz und auch derjenige vom 6.7.2018, gerichtet an den Landkreis Emsland, nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden.

In den Urteilsgründen wird auf den Schriftsatz vom 17.12.2018 lediglich bezüglich des Widerspruchs gegen die Verwertung in der Akte befindlicher Urkunden und eines Aussetzungsantrages eingegangen.

Eine weitergehende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Verteidigers ist, über die vorgenannten Punkte hinausgehend, nicht erfolgt.

Das wäre jedoch erforderlich gewesen (vgl. BayObLG a. a. 0.; OLG Dresden DAR 2014, 708 f.). Dies gilt unabhängig davon, dass außerhalb der Hauptverhandlung angebrachte Anträge nur als Beweisanregungen zu bewerten sind.

Es ist deshalb zu besorgen, dass das Amtsgericht die Ausführung des Verteidigers nicht ausreichend zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung nicht in Erwägung gezogen hat.

Wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs war die Rechtsbeschwerde deshalb zuzulassen, die sich aus diesem Grunde auch als begründet erweist.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vorn 20.5.2019 ausführt, dass die Gehörsrüge deshalb nicht durchgreife, weil diese nur in Betracht komme, wenn ein Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde, hier aber der Rechtsweg wegen eines nicht gestellten Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 Abs. 4 OWiG nicht ausgeschöpft worden sei, greift diese Argumentation nicht durch. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG gehörend bestimmt (DAR 1977,46). Anders als im dortigen Fall war es hier aber so, dass der Betroffene keinen Antrag auf Terminsaufhebung gestellt hatte, sondern antragsgemäß von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden war. Deshalb macht der Betroffene hier auch nicht geltend, dass er unverschuldet an der Wahrung einer Frist oder der Wahrnehmung eines Termins gehindert gewesen wäre. Wiedereinsetzung kam deshalb in dieser Konstellation ohnehin nicht in Betracht.“