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58 Punkte in Flensburg glauben wir, oder: „Habt Ihr sie noch alle?“

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Und als zweite Strafzumessungsentscheidung dann der OLG Naumburg, Beschl. v. 04.09.2017 – 2 Rv 95/17. Das ist eine, „wie sie im Buche steht“. Man fragt sich, wenn man die Ausführungen des LG liest, was sich die Berufungskammer eigentlich bei ihrer Entscheidung gedacht hat und was das LG eigentlich getan hat. Beides Fragen kann man m.E., nur mit „Nichts“ beantworten.

Das LG hat den Angeklagten im Berufungsverfahren wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt (Einzelstrafen: viermal acht Monate). Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die zur Aufhebung des Strafausspruchs führt:

Das Gericht hat ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt, „dass der Angeklagte, wie die erhebliche Anzahl der im Fahreignungsregister vermerkten Punkte zeigt, zum Führen eines Fahrzeuges ungeeignet ist und somit eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellt“. Hinsichtlich der vermerkten Punkte hat die Kammer ausgeführt, im Fahreignungsregister seien auf dem Punktekonto des Angeklagten 58 Punkte vermerkt, wobei sie diese vermeintliche Erkenntnis allein auf die Einlassung des Angeklagten stützt.

Die strafschärfende Berücksichtigung der 58 Punkte und der daraus gefolgerten fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen offenbart zwei Rechtsfehler. Zum einen durfte die Kammer die Feststellung der 58 Punkte nicht allein auf die Einlassung des Angeklagten stützen. Es ist anerkannt, dass Angaben, mit denen der Angeklagte sich selbst belastet, jedenfalls dann nicht ohne weitere Nachprüfung den Feststellungen zugrunde gelegt werden dürfen, wenn sie in höchstem Maße unwahrscheinlich sind. Ein Punktestand von 58 im Fahreignungsregister dürfte angesichts der Tilgungsvorschriften und der Tatsache, dass die Punktzahlen für einzelne Ordnungswidrigkeiten seit Beginn des Fahreignungsregisters drastisch minimiert worden sind, kaum möglich sein. Den beiden Mitgliedern des Senates, die seit Anfang 2011 durchgängig Verkehrsordnungswidrigkeiten bearbeiten, ist jedenfalls in über 1500 Verfahren kein einziger Fall untergekommen, in dem auch nur die Hälfte von 58, also 29 Punkte, erreicht worden ist. Das gilt auch für die Geltungszeit des Verkehrszentralregisters, in der die Anzahl der Punkte für die einzelnen Verfehlungen im Schnitt mehr als doppelt so hoch war wie gegenwärtig. Das Gericht hätte daher die Angaben des Angeklagten über sein Punktekonto nur zu seinem Nachteil verwerten dürfen, wenn es diese, etwa durch Einholung einer Auskunft aus dem Fahreignungsregister, verifiziert hätte.

Am Rande bemerkt der Senat, wenngleich revisionsrechtlich unerheblich, dass eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister betreffend den Angeklagten vom 29. August 2017 einen Punktestand von vier ergab, wovon zwei Punkte auf eine Eintragung entfallen, die am Tag der Berufungshauptverhandlung noch nicht registriert war.

Auch abgesehen von der rechtsfehlerhaften Feststellung des Punktestandes hätte das Gericht die hieraus geschlossene Ungeeignetheit des Beschwerdeführers zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht strafschärfend berücksichtigen dürfen. Der Gesetzgeber hat nämlich Fahren ohne Fahrerlaubnis im Wesentlichen deswegen unter Strafe gestellt, weil er zu Recht davon ausgeht, dass eine Person, die keine gültige Fahrerlaubnis hat, zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die strafschärfende Berücksichtigung der Ungeeignetheit verstößt daher gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ziehen die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen auch die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Zwar ist der Angeklagte massiv, überwiegend einschlägig, vorbestraft. Es liegen jedoch bei allen Taten zwei gewichtige Milderungsgründe vor, nämlich das umfassende Geständnis und die Tatsache, dass die Fahrstrecke jeweils kurz war. Von diesem Hintergrund kommen durchaus auch mildere Einzelstrafen als die hier verhängten, zwei Drittel des Strafrahmens ausschöpfenden jeweils acht Monate und damit auch eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht.“

Wenn man das liest, fragt man sich, ob man sich bei der Berufungskammer des LG Halle eigentlich die „Hose mit der berühmten Kneifzange zumacht“? Oder: warum kommt man eigentlich nicht auf die Idee, einen vom Angeklagten angegebenen Punktestand von 58 Punkten (!!) im FAER zu hinterfragen. M;an glaubt doch sonst Angeklagten auch nicht alles. Und was hätte man, wenn man seine Hausaufhaben in Form einer Anfrage in Flensburg gemacht hätte, festgestellt: Es waren wohl zum Zeitpunkt des Berufungsverfahrens nur zwei Punkte. Man fasst es wirklich nicht.

Auch die weitere Strafzumessungserwägung: Strafschärfung beim Fahren ohne Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen zeugt nicht von besonderem Sachverstand in der Berufungskammer.

Solche Revisionen sind Selbstläufer.

Fahrverbot am Bahnübergang?, oder: Nicht, wenn man hinter dem Zug herfährt….

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Bei der zweiten Entscheidung des OLG Naumburg, die ich jetzt vorstelle, handelt es sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 21.03.2017 – 2 Ws 6/17. Er behandelt eine etwas exotische Verkehrsordnungswidrigkeit, nämlich einen Verstoß gegen § 19 StVO – Überqueren eines Bahnübergangs. Dazu gibt es seit dem 01.05.2006 ein Regelfahrverbot in der BKaktV. Trotzdem hat der Verstoß/die Regelung m.E. keine große parktische Bedeutung, obwohl sie damals mit viel Tam-Tam eingeführt worden ist.

Hier hatte das AG festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Pkw einen Bahnübergang unter Verstoß gegen die Wartepflicht überqueret, obwohl rotes Blinklicht gegeben wurde. Es handelte sich um einen beschrankten Bahnübergang, der Betroffene hatte zunächst vor der geschlossenen Schranke angehalten. Nach Passieren des Zuges und nachdem die Schranken begonnen hatten, sich zu öffnen, passierte der Betroffene den Bahnübergang, obwohl sich die Schranken noch nicht vollständig geöffnet hatten und das Rotlicht noch leuchtete und blinkte.

Der Betroffene ist also quasi hinter dem Zug hergefahren. Das AG hatte dennoch auch ein Fahrverbot festgesetzt. Das OLG sagt: Passt nicht:

„Die Feststellungen belegen, dass der Betroffenen unter Verstoß gegen seine Wartepflicht den Bahnübergang überquert hat, obgleich noch rotes Blinklicht gegeben wurde (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO). Dass die Schranken sich gleichzeitig weder senkten noch geschlossen waren, sondern bereits öffneten, ändert an diesem Verstoß nichts. Indes rechtfertigen die Feststellungen weder die Verhängung der Geldbuße von 240,00 €, noch die Verhängung eines Fahrverbots.

Zwar sind diese Sanktionen im Regelfall nach § 4 BKatV, Nr. 83b.2 BKatV vorgesehen. Ein Regelfall liegt indes weder hinsichtlich der Bußgeldhöhe noch hinsichtlich des Fahrverbotes vor.

Nach § 1 Abs. 2 BKatV sind die im Bußgeldkatalog bestimmten Beträge Regelsätze, sie gehen von gewöhnlichen Tatumständen aus. Solche liegen nicht vor, vielmehr hat das Verhalten des Betroffenen nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt, wie es in der Regel bei Verstößen gegen § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO der Fall ist.

Die Schranken am Bahnübergang beginnen sich erst zu öffnen, wenn in absehbarer Zeit kein weiterer Zug durchfährt. Das gilt auch, wenn das rote Blinklicht (planwidrig?) noch nicht erloschen ist. Der Fall liegt insoweit anders als in der Konstellation, dass beim unbeschrankten Bahnübergang das Blinklicht leuchtet und der Verkehrsteilnehmer sich aus seiner Sicht zutreffend davon überzeugt hat, dass sich kein Schienenverkehr nähert. In diesen Fällen ist ein Irrtum seinerseits nie auszuschließen, weshalb ein Verstoß gegen die Haltepflicht unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung stets eine jedenfalls abstrakte Gefahr einer Kollision mit dem Schienenverkehr begründet. Mit Beginn der Schrankenöffnung besteht dagegen auch die abstrakte Gefahr einer Kollision nicht mehr.

Der Senat hat in der Sache durchentschieden. Er erachtet die Verhängung einer Geldbuße von 80,00 €, die im Bußgeldkatalog für den Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 StVO vorgesehen ist, als angemessen.

Ein Fahrverbot kommt hier nicht in Betracht. Nach § 25 Abs. 1 StVG kann ein solches nur verhängt werden, wenn der Betroffene eine Ordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Beharrlichkeit scheidet hier aus, eine grobe Pflichtwidrigkeit erfordert unter anderem objektiv die besondere Gefährlichkeit des Verstoßes (Erfolgsunwert). Das Überqueren des Bahnübergangs während der Öffnung der Schranken führt nicht zu einer abstrakten, geschweige denn zu einer konkreten Gefahr.“

Die mit § 19 StVO zusammenhängenden Fragen sind natürlich <<Werbemodus an>> auch in unserem OWi-HB „Burhoff (Hrsg.), Handuch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren“ behandelt, das Ende Okrober/Anfang November in 5. Auflage erscheint. Zum Bestellformular geht es hier. <<Werbemodus aus >>.

„Schrittgeschwindigkeit“ – was ist das?, oder: Nicht mehr als 10 km/h

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Jetzt bin ich mit den Hinweisen auf die Änderungen in der StVO den Tag mit  einem OWi-Posting angefangen – an sich hatte ich etwas anderes geplant – dann will ich ihn auch mit zwei Entscheidungen aus dem Bereich fortsetzen, und zwar mit zwei Beschlüssen des OLG Naumburg. Beide sind schon etwas älter sind, mir aber erst vor kurzem bekannt geworden.

Zunächst will ich auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 21.03.2017 – 2 Ws 45/17 – hinweisen. Er legt noch einmal fest, was unter dem Begriff der „Schrittgeschwindigkeit“ i.S. v. § 42 Abs. 2 StVO i. V. m. Nr. 12 Anlage 3 zu verstehen ist. Das OLG sieht eine Geschwindigkeit von höchstens 10 km/h als solche an, das AG hatte seiner Entscheidung beim Rechtsfolgenausspruch – Höhe der Geldbuße, kein Fahrverbot – 15 km/h zugrunde gelegt. Dazu das OLG:

„Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts, Schrittgeschwindigkeit sei angesichts der örtlichen Gegebenheiten hier eine solche von bis zu 15 km/h, nicht. Eine Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h kann nach dem Wortsinn nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit angesehen werden. Der Begriff „Schrittgeschwindigkeit“ kann auch nicht je nach den örtlichen Gegebenheiten oder dem Grad der Gefährdung unterschiedliche Geschwindigkeiten bezeichnen. Wäre solches vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, hätte er nicht den Begriff Schrittgeschwindigkeit gewählt, sondern etwa die „den Umständen entsprechend ungefährliche Geschwindigkeit“ angeordnet.

Nach der Rechtsprechung gilt teilweise eine Geschwindigkeit von 4 bis zu 7 km/h als Schrittgeschwindigkeit (Brandenburgisches OLG, DAR 2005, 570; OLG Düsseldorf NZV 1993, 158; OLG Köln VRS 68, 382), das OLG Hamm nennt eine Spanne von 4 bis 10 km/h (VRS 6, 222). Das Amtsgericht Leipzig (DAR 2005, 703) hält eine Geschwindigkeit von 15 km/h noch für Schrittgeschwindigkeit. Zur Begründung führt es im Anschluss an Hentschel u. a. (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, RdNr. 181 zu § 42 StVO) aus, dass eine bestimmte Geschwindigkeit zwischen 4 und 10 km/h nicht als Grenzwert in Betracht komme, denn eine solche wäre mittels Tacho nicht zuverlässig messbar, außerdem würden Radfahrer, die Fußgängergeschwindigkeit fahren, unsicher werden und zu schwanken beginnen. Der Senat ist der Auffassung, dass das höchste vom Oberlandesgericht Hamm als Schrittgeschwindigkeit bezeichnete Tempo von 10 km/h gerade noch als solche angesehen werden kann. Wer sich noch schneller fortbewegt, geht bzw. schreitet nicht, sondern läuft. Mit dem vom Amtsgericht zu Grunde gelegten Tempo von 15 km/h wäre etwa ein Teilnehmer des Berlin Marathon 2016 mit einer Zeit von ca. 2 Stunden und 50 Minuten unter den besten 4% der 35.999 Läufer, die das Ziel erreicht haben, gelandet. Eine solche Geschwindigkeit lässt sich nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit definieren.

Mit einer Höchstgrenze von 10 km/h ist auch den Hinweisen von Hentschel u. a. hinreichend Rechnung getragen. Eine Überschreitung von 10 km/h lässt sich am Autotacho feststellen, auch kann jeder Autofahrer dieses Tempo problemlos einhalten, wenn das Standgas nicht zu hoch eingestellt ist. Soweit Radfahrer bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h unsicher werden und zu schwanken beginnen, sind sie volltrunken und müssen ihr Fahrrad deshalb schon zur Vermeidung einer Strafbarkeit nach § 316 StGB schieben.“

Auf ein Neues beim AG. Dort wird jetzt um ein Fahrverbot gekämpft.

 

Pflichti I: Wenn die StA einen Antrag stellt, muss das Gericht beiordnen, oder: Kein Ermessen

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Der heutige Tag ist „Pflichtverteidigungsentscheidungen“ gewidmet. Ich beginne mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 11.05.2017 – 2 RV 65/17, den mir der Kollege Glaser aus Halberstadt geschickt hat. Die Revision seine Mandaten gegen ein Urteil des AG Halberstandt hatte mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO Erfolg. Im Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft beantragt, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger beizuordnen, das AG hatte das abgelehnt. Dazu dann das OLG:

„Beantragt die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen die Bestellung eines Pflichtverteidigers, ist dem Antrag in jedem Fall zu entsprechen (§ 141 Abs. 3 S. 3 StPO). Aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich, dass der Vorsitzende diesen Antrag unter keinen Umständen ablehnen kann, auch wenn seine Prüfung ergibt, dass die Voraussetzung des § 140 StPO ohne diesen Antrag nicht vorlägen. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber die unwiderlegliche Vermutung begründet, dass die Voraussetzungen von § 140 Abs. 2 StPO vorliegen, wenn die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt. Dementsprechend hat der Vorsitzende, wenn er die Auffassung vertritt, dass ohne den Antrag der Staatsanwaltschaft kein Pflichtverteidiger beizuordnen wäre, die Beiordnung vorzunehmen und auf § 140 Abs. 2 StPO zu stützen (KK-Laufhütte/VVillnow, StPO, 7. Auflage, Rdnr. 6 zu § 141).

Damit lag hier eine notwendige Verteidigung nach § 140 StPO vor, weshalb die Abwesenheit eines Verteidigers den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründet.“

Und:

„Ergänzend bemerkt der Senat: Selbst wenn das Übergehen des Antrages der Staatsanwaltschaft auf Bestellung eines Pflichtverteidigers keinen absoluten Revisionsgrund begründet hätte, sondern „nur“ einen Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 2 StPO darstellen würde, könnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Erscheint in der Hauptverhandlung infolge fehlerhaften Vorgehens des Gerichts kein Verteidiger, kann in der Regel nicht ausgeschlossen werden, dass diese in Anwesenheit des Verteidigers für den Angeklagten günstiger verlaufen wäre (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, Rdnr. 15 zu § 218 m. w. N. für den gegenüber der unterbliebenen Verteidigerbestellung eher weniger bedeutsamen Verstoß gegen die Verpflichtung, den Verteidiger zur Hauptverhandlung zu laden).“

Und zur Strafzumessung gibt es dann auch gleich noch einen „Hinweis“:

„Für das weitere Verfahren bemerkt der Senat: Eine Freiheitsstrafe von drei Monaten ist hier angesichts des Geständnisses, des geringen Wertes der beim Ladendiebstahl erbeuteten Ware (6,14 €) und der Tatsache, dass die Ware sofort nach Vollendung des Diebstahls unbeschädigt an die Geschädigte zurückgelangt ist, auch angesichts der zahlreichen einschlägigen und sonstigen Vorstrafen der Angeklagten nicht mehr schuldangemessen, weil sie zur Bedeutung der Tat außer Verhältnis steht.“

Tankstellenunfall, oder: Achtung für Fußgänger und Kraftfahrer an der Tankstelle

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Urheber joho345

Ein Tankstellenunfall ist Gegenstand des OLG Naumburg, Urt. v. 25.02.2016 – 1 U 99/15 – gewesen; „25.02.2016“ – also nicht mehr taufrisch 🙂 die Entscheidung, aber dennoch noch interessant, weil es sich um einen m.E. recht alltäglich Grundsachverhalt handelt. Es geht um die Haftung nach einem Unfall auf einem Tankstellengelände. Folgender sachverhalt: Die Beklagte will mit ihrem Pkw das Tankstellengelände verlassen. Es kommt zum Zusammenstoß mit der Kläger, der zu Fuß zwischen den Tankstelleninseln auf dem Weg zur Kasse war und die Fahrbahn des Pkw der Beklagten überquerte. Der Kläger wurde verletzt. Gestritten wird dann um die Anwendung der StVO und die Haftungsquote:

Zur Anwendung der StVO:

„3. Ergibt sich die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten gegenüber dem unstreitig vom fahrenden Kraftfahrzeug verletzten Kläger schon aus der Betriebsgefahr, lassen sich die geltend gemachten Ansprüche nur unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens über § 9 StVG einschränken. Davon ist im Ergebnis der Beweisaufnahme auszugehen. Bei der Entstehung des eigenen Schadens hat zur Überzeugung des Senats ein Verschulden des Klägers mitgewirkt.

a) Zwischen den einzelnen Tankinseln hatten sowohl der Kläger als auch die Beklagte zu 2. die Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung zu beachten. Der von den Kunden zu befahrende Bereich zwischen den Zapfsäulen ist dem Straßenverkehr zugänglicher öffentlicher Verkehrsraum (BGH VersR 1985, 835; OLG Düsseldorf NZV 1988, 231; Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 1 StVO Rdn. 14 f.).

b) Der Kläger war auf seinem Weg zur Kasse nicht nur nach 1 Abs. 1 StVO zur ständigen Vorsicht angehalten. Entgegen der Auffassung der Klage trafen ihn auch die aus § 25 StVO folgenden speziellen Fußgängerpflichten.

Die Tankstelle ist wie eine Straße mit Fahrbahnen und gehweggleichen Inseln ausgebaut. Schon ihr Erscheinungsbild entspricht damit dem sonstigen öffentlichen Verkehrsraum. Die Fahrbahnen dienen den Fahrzeugen zum Erreichen und Verlassen der Zapfsäulen, während die Inseln ein sicheres Betanken gewährleisten sollen. Gerade weil der Fahrzeugverkehr die Nutzung des Tankstellengeländes besonders prägt, gibt es keinen Anlass zu der Annahme, hier hätten plötzlich Fußgänger Vorrang. Dies wird auch durch das notwendige Überqueren der Fahrbahnen durch sich zur Kasse bewegende Fußgänger nicht verlangt. Vielmehr geben die außerhalb ihrer Fahrzeuge hantierenden, einkaufenden und bezahlenden Kunden dem Fahrzeugverkehr „lediglich“ zu außergewöhnlicher Vorsicht, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme Anlass.

Für den Kläger bedeutet dies, er hatte beim Überqueren der Fahrbahn den Fahrzeugverkehr zu beachten (§ 25 Abs. 3 Satz 1 StVO). Auch von ihm war erhöhte Sorgfalt gefordert. Insbesondere musste er sich vor dem Überqueren der Fahrbahn vergewissern, keinem Fahrzeug in den Weg zu laufen (Hentschel/König/Dauer, § 2 StVO Rdn. 10; § 25 StVO Rdn. 22; § 9 StVO Rdn. 13). Dies kann der Kläger nach dem nahezu unstreitigen Unfallhergang und den Feststellungen des Sachverständigen nicht getan haben. Es ist nach der Lebenserfahrung nicht vorstellbar, wie der Kläger bei hinreichender Aufmerksamkeit unter das unstreitig langsam angefahrene Fahrzeug der Beklagten gekommen sein soll. Man könnte daher meinen, der Kläger habe einen für sein unfallursächliches Verschulden sprechenden und nicht erschütterten Anscheinsbeweis gegen sich. Entscheidend kommt es hierauf nicht an. Wie schon vom Landgericht angenommen, wurde der bevorrechtigte Verkehr vom Kläger nicht im ausreichenden Maße beachtet. Dies lässt sich zur Überzeugung des Senats positiv feststellen, woraus sich zweifelsohne ein unfallmitursächliches Eigenverschulden ergibt (vgl. bspw. BGH NJW 2000, 3069, 3070)…………“

Und zur Haftungsquote:

„c) Bei der Abwägung der Verursachungsanteile gelangt der Senat zur Schadensteilung bzw. zu einem hälftigen Mitverschulden des Klägers.

Im Ausgangspunkt lässt sich der Unfall ohne die Aufmerksamkeitsdefizite des Klägers und der Beklagten zu 2. nicht erklären. Es hätte nicht zu der Kollision kommen dürfen. Gleichwohl wiegt das Verschulden des Klägers schwerer. Es gehört zu den grundlegendsten Anforderungen an das Verhalten im Straßenverkehr, sich vor dem Überqueren einer Fahrbahn zu vergewissern, dass sich kein Vorrang beanspruchendes Kraftfahrzeug nähert. Auf die Beachtung dieser einfachen und gewöhnlich verinnerlichten Regel durch den Kläger konnte die Beklagte zu 2. auch in einer Tankstelle grundsätzlich erst einmal vertrauen. Ihre dennoch nicht zu entschuldigende Unaufmerksamkeit ist dagegen eher verständlich und damit von geringerem Gewicht. Sie erhöht die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges nur leicht. Insgesamt betrachtet sieht der Senat in Abwägung dieser Umstände gleiche Verursachungsbeiträge.“