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So ein Quatsch, oder: Wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht.

© beermedia.de -Fotolia.com

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Ja, sorry, liebes OLG Köln, so einen Quatsch, wie im OLG Köln, Beschl. v. 06.03.2015 – 1 RVGs 9/15 – habe ich ja schon lange nicht mehr gelesen. Da hatte der Pflichtverteidiger eine Pauschgebühr beantragt und dazu u.a. auf eine größere Anzahl von JVA-Besuchen verwiesen. Das OLG hat – durch die Einzelrichterin – offenbar eine („Erprobungs“)Richterin am AG – den Antrag abgelehnt.

Nun lassen wir mal die Frage dahingestellt, ob es sich um ein besonders umfangreiches oder schwieriges Schwurgerichtsverfahren gehandelt hat oder nicht. Es spricht sicherlich manches dafür, dass das nicht der Fall war. Insoweit kann ich dem OLG ja auch noch folgen. Allerdings:  Auch das OLG Köln übernimmt offenbar ohne weiteres den in meinen Augen falschen Ansatz des BGH zur Pauschgebühr, wenn es im Beschluss heißt: „Die Bewilligung setzt voraus, dass die anwaltliche Mühewaltung sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in ganz erheblicher Weise abheben muss (vgl. BGH, 3 StR 117/12, Beschluss vom 17.09.2013; BGH, 4 StR 73/10, Beschluss vom 11.02.2014; jeweils: „in exorbitanter Weise“).“ Wo steht das denn?

„Quatsch“ ist dann aber, was das OLG zu den JVA-Besuchen schreibt:

„Was die JVA-Besuche anbelangt, geht deren Anzahl zwar über die 3 Besuche hinaus, die nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig mit der gesetzlichen Gebühr abgegolten sind (SenE v. 03.11.2009 – 1 ARs 101/09 -; SenE v. 06.02.2009 – 1 ARs 15/09 -; SenE v. 21.03.2013 – III-1 RVGs 23/13 -). Der hier vorgetragene Mehraufwand erfährt aber eine Kompensation durch die Gebühren für die Hauptverhandlung. Denn der Antragsteller hat für die Teilnahme an 4 Hauptverhandlungsterminen jeweils eine Gebühr nach Nr. 4121 W RVG und zudem den Längenzuschlag nach Nr. 4122 VV RVG erhalten hat. Damit ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ein zeitlicher Aufwand von bis zu 32 Stunden angemessen vergütet. Diesen Gebühren steht nach der insoweit unwidersprochenen Stellungnahme des Vertreters des Landes NRW vom 05.02.2015 in vorliegender Sache eine tatsächliche Inanspruchnahme des Antragstellers durch die Teilnahme an der Hauptverhandlung von insgesamt 27 Stunden und 14 Minuten gegenüber. Hieraus folgt, dass der Antragsteller für die von ihm aufgewendete Zeit zur Einarbeitung in die Sache und für Besprechungen mit dem Angeklagten durch die bereits an sie ausgekehrten gesetzlichen Gebühren angemessen entschädigt ist.“

Das ist schlicht falsch, denn:

1. Fraglich ist schon, ob man überhaupt „kompensieren“ aufrechnen kann. Das ist in Rechtsprechung und Literatur nicht unbestritten und dazu hätte man sich dann als OLG schon mal äußern dürfen.

2. Falsch ist es dann jedenfalls, die Zeit für die JVA-Besuche mit Hauptverhandlungszeit und/oder Längenzuschlägen zu verrechnen. Dabei übersieht die Einzelrichterin, dass die von ihr errechneten 32 Stunden, die nach Vorstellung des Gesetzgebers den Gebühren Nrn. 4121, 4122 VV RVG zugrunde liegen sollen, Hauptverhandlungszeit sind und es sich zudem um pauschale Festbetragsgebühren handelt, die eben bis zu acht Stunden Hauptverhandlung abgelten. Die Zeit, die für JVA-Besuche aufgebracht wird bzw. aufgebracht worden ist, wird aber gar nicht von diesen Gebühren abgegolten, sondern von der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nr. 4118, 4119 VV RVG. Das kann man nach den Strukturen des RVG nicht gegeneinander aufrechnen. Das ist so, als wenn Äpfel mit Birnen verglichen werden. Das steht im Übrigen auch in allen gängigen RVG-Kommentaren. Vielleicht hätte ein Blick dort hinein ja der – besseren – Rechtsfindung gedient.

Solche Beschlüsse ärgern – zumindest mich.

Pflichtverteidigerwechsel – OLG Köln: Einmal „Hui“, gebührenrechtlich ein kleines „Pfui“

© Haramis Kalfar - Fotolia.com

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Vor einigen Tagen hat mir die Kollegin, die den OLG Köln, Beschl. v. 26.06.2014 –  2 Ws 344/14 – erstritten hat, diesen übersandt. Nach erstem Lesen meine ich: Soweit das OLG Fragen der Pflichtverteidigung entscheidet: Hui, soweit es dabei zu gebührenrechtlichen Problemen Stellung nimmt. M.E. eher „Pfui“.

Die Entscheidung behandelt ein Problem der Pflichtverteidigung, und zwar die Frage der Auswechselung/Umbeiordnung. Da hatte das LG, das dem Beschuldigten eine Frist zur Benennung eines Pflichtverteidigers gesetzt hatte, die der Beschuldigte versäumt hat, diesem einem (eigenen) Pflichtverteidiger beigeordnet. Dann melden sich die „Verteidiger des Vertrauens“ und beantragen ihre Beiordnung.  Das LG lehnt das unter Hinweis auf die versäumte Frist ab. Das OLG sieht das – m.E. zutreffend – anders und sagt: Nach § 142 Abs. 1 S. 1 StPO soll dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. Allein der Ablauf einer gesetzten Benennungsfrist kann dem Beschuldigten dieses Recht nicht nehmen. Denn die Benennungsfrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Deshalb ist im Zweifel umbeizuordnen. Insoweit „hui“.

Allerdings meine ich: Gebührenrechtlich fängt sich das OLG ein „pfui“ ein. Denn seinen in dem Zusammenhang gemachten gebührenrechtlichen Ausführungen kann man nun gar nicht folgen. Das OLG nimmt zum Entstehen und zum Abgeltungsbereich von Verfahrens- und Grundgebühr Stellung. Das hätte es aber besser mal gelassen bzw. erst mal einen Blick in das (neue) RVG geworfen und dann – hoffentlich – bemerkt, dass es im Verhältnis Grund-/Verfahrensgebühr und für das Entstehen der Gebühren auf die Frage, ob der Abgeltungsbereich der Grundgebühr schon überschritten ist, seit dem 01.08.2013 nicht mehr ankommt. Denn Grundgebühr und Verfahrensgebühr entstehen jetzt immer nebeneinander. Die Frage des Abgeltungsbereich hat nur noch bei der Bemessung der Gebühren Bedeutung. Auf die kam es aber nicht. Denn es ging um die gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers. Und das sind – unabhängig vom Umfang der erbrachten Tätigkeiten – Festbetragsgebühren.

Begründung des Wiedereinsetzungsantrages – ist das denn so schwer?

Gesicht ärgerlichSo schwer kann es doch an sich nicht sein, einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen. Die Kommentare und Handbücher sind doch voll von Rechtsprechung, so dass man sich da m.E. gut informieren kann, wenn man als Verteidiger einen Wiedereinsetzungsantrag begründen muss. Das hat der Verteidiger, der in einem Verfahren beim OLG Köln Wiedereinsetzung beantragt hatte, offenbar nicht getan, denn sonst hätte er gemerkt, dass sein Antrag nicht ausreichend begründet war.

Versäumt war die Frist zur Einlegung der Revision. Zur Begründung wurde vorgetragen, die Angeklagte habe im unmittelbaren Anschluss an Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung in Anwesenheit des Vorsitzenden der Strafkammer, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle sowie ihres (ehemaligen) Verteidigers zum Ausdruck gebracht, dass sie gegen das soeben verkündete Urteil Revision einlegen wolle. Der Strafkammervorsitzende habe sie daraufhin an den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle verwiesen, an den sie sich jedoch nicht gewandt habe. Vielmehr habe sie im folgenden mit ihrem Verteidiger darüber diskutiert, dass sie mit dem Urteil nicht einverstanden sei und sich zu Unrecht verurteilt fühle. Erst anlässlich der formlosen Übersendung des Urteils am 24.12.2013 sei sie gewahr geworden, dass dieses am 06.12.2013 Rechtskraft erlangt habe. Nachdem es ihr am 31.12.2013 gelungen sei, ihren Verteidiger telefonisch zu erreichen, habe dieser ihr mitgeteilt, dass er von einer Revision abrate. Weitergehende Belehrungen – insbesondere über die Notwendigkeit eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – seien im Rahmen dieses Telefonats nicht erfolgt. Ihr Verteidiger habe dann das Gespräch beendet.

Das reicht dem OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 21.03.2014 – 1 RVs 37/14 – nicht:

„Aber auch mit der Behauptung, sie habe mit ihrem Verteidiger noch im Sitzungssaal und im Hinausgehen darüber diskutiert, dass sie mit dem Urteil nicht einverstanden sei und sich zu Unrecht verurteilt fühle, ist kein Sachverhalt vorgetragen, der ein Verschulden der Angeklagten an der Versäumung der Revisionseinlegungsfrist auszuschließen vermöchte.

Grundsätzlich kann zwar der Betroffene, der seinen Verteidiger (rechtzeitig) mit der Durchführung eines Rechtsmittels beauftragt hat, davon ausgehen, dass dieser den Auftrag vollständig und ordnungsgemäß erledigt (SenE v. 03.04.2002 – Ss 134/02 B -; vgl. a. SenE v. 21.10.2003 – Ss 410/03 B- = zfs 2004, 88 [89]; SenE v. 18.11.2003 – Ss 475/03 -; SenE v. 13.04.2010 – III-1 RVs 39/10 -; SenE v. 10.02.2012 – III-1 RBs 42/12 -; SenE v. 12.06.2012 – III-1 RVs 106/12 – m. w. Nachw.; SenE v. 18.06.2013 – III-1 RVs 113/13 -; SenE v. 21.112013 – III-1 RBs 319/13). Eine Pflicht zur Überwachung des Verteidigers besteht grundsätzlich nicht (SenE v. 21.10.2003 – Ss 410/03 B – = zfs 2004, 88 [89]; SenE v. 18.11.2003 – Ss 475/03 -).

Die zitierte Rechtsprechung beansprucht indessen zunächst Geltung für die Fallgestaltung einer Versäumung der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels durch den beauftragten Rechtsanwalt. In dieser Konstellation kann wegen der vorherigen Einlegung des Rechtsmittels regelmäßig kein Zweifel daran bestehen, dass der Verteidiger den Auftrag, eine Entscheidung anzufechten, auch angenommen hat. Anders ist dies indessen in der hier in Rede stehenden Sachgestaltung, in der die Angeklagte eine Beauftragung ihres Verteidigers mit der Einlegung eines Rechtsmittels behauptet. Zum schlüssigen Wiederaufnahmevorbringen insoweit gehört auch Vortrag dazu, dass und wie der Verteidiger die Einlegung des Rechtsmittels zugesagt, den Auftrag also angenommen hat (BGH NStZ 2004, 166; vgl. weiter OLG Düsseldorf VRS 96, 374).

Solcher Vortrag fehlt indessen. Die Angeklagte teilt nicht mit, mit welchen Ausgangspositionen und insbesondere mit welchem Ergebnis sie über die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das soeben verkündete Urteil mit ihrem Verteidiger noch im Gerichtssaal und beim Hinausgehen „diskutiert“ habe. Offen bleibt daher, welche Haltung der Verteidiger am Ende des Gesprächs eingenommen hat und auf welcher Grundlage sie meinte, ein entsprechendes Tätigwerden von seiner Seite erwarten zu dürfen. …. „

Das Sichtfahrgebot auf der BAB

© frogarts - Fotolia.com

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Nach einem Unfall auf eine BAB geht es um die Frage: Verstoß gegen das Sichtfahrgebot und unangepasste Geschwindigkeit?  Der Klägers hatte bei Dunkelheit und mit einer Fahrgeschwindigkeit von 80-100 km/h auf der Autobahn A 1 Reifen- und sonstige Fahrzeugteile, die zuvor von einem bulgarischen LKW aufgrund einer Reifepanne verloren bzw. abgerissen worden waren und die verstreut auf der Fahrbahn lagen, überfahren. Seine Versicherung „sperrte“ sich gegen die Unfallschadenregulierung. Das OLG sagt im OLG Köln, Beschl. v. 06.02.2014 – 19 U 158/13  – in Übereinstimmung mit dem LG: Sie muss zahlen:

1. Eine Mithaftung des Klägers zu 30 % wegen eines Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot hat das Landgericht zu Recht verneint. Denn das Sichtfahrgebot gilt auch auf Autobahnen nicht für solche Hindernisse, die gemessen an den jeweils herrschenden Sichtbedingungen erst außergewöhnlich spät erkennbar sind (BGH, Urteil vom 15.05.1984, VI ZR 161/82; OLG Celle, Urteil vom 05.09.2007, 14 U 71/07 zitiert nach juris). Nach den unbestrittenen Ausführungen des Klägers überfuhr er bei Dunkelheit und mit einer Fahrgeschwindigkeit von 80-100 km/h auf der Autobahn A 1 Reifen- und sonstige Fahrzeugteile, die zuvor von einem bulgarischen LKW aufgrund einer Reifepanne verloren bzw. abgerissen worden waren und die verstreut auf der Fahrbahn lagen. Nach der vom Beklagten selbst vorgelegten polizeilichen Unfallmitteilung waren vor dem Kläger bereits mehrere Fahrzeuge über die Reifen- und Fahrzeugteile (Spanngurte/Ratschen) gefahren, wodurch diese sich über alle Fahrstreifen verteilt hatten. Bei dieser Situation handelt es sich bei den überfahrenen Gegenständen um relativ kleine (kleiner als ein ganzer Reifen), sich bei Dunkelheit kaum von der Fahrbahn abhebende Gegenstände, die besonders schwer erkennbar sind (vergleichbar mit Splitthaufen: BGH, VersR 1960, 636; Absperrstange eines Weidezauns: BGH, VersR 1972, 1057; Reifenprotektor von 20 cm Höhe: BayObLG VRS 22, 380; Reserverad: BGH, Urt. vom 15.05.1984, a.a.O. zitiert nach juris; Reifendecke: LG Bielefeld, Urteil vom 24.09.1990, 22 O 180/90; Reifenkarkasse: AG Sinzig, ZfSch 2011, 381). In dieser Konstellation spricht – anders als beim Auffahren auf ein größeres Hindernis, z.B. auf ein liegen gebliebenes Fahrzeug – nicht der Beweis des ersten Anscheins für einen Verstoß gegen das Sichtfahrgebot und damit eine unangepasste Geschwindigkeit des Klägers. Der Beklagte hat auch keine Umstände aufgezeigt, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise doch für eine Erkennbarkeit der Reifenteile für den Kläger sprechen. Insofern fehlen auch für das vom Beklagten beantragte Sachverständigengutachten geeignete Anknüpfungstatsachen. Auf die entsprechenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil wird verwiesen.“

Die beklagte Versicherung ist dem Hinweis des OLG nicht gefolgt und hat die Berufung nicht zurückgenommen. Mit OLG Köln, Beschl. v. 06.02.2014 – 19 U 158/13 – ist die Berufung dann zurückgewiesen worden.

Unfallmanipulation – die Indizienkette des OLG Köln

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

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Unfallmanipulation bzw. fingierte Unfälle waren hier ja schon häufiger Thema (vgl. z.B. Unfallmanipulation – wann? zum OLG Köln, Urt .v . 12.04.2013 – 19 U 96/12 weiteren Verweisen). Vor einigen Tagen bin ich dann auf eine weitere Entscheidung gestoßen, und zwar auf das OLG Köln, Urt. v. 18.10.2013 – 19 U 78/13, das sich (noch einmal) mit den damit zusammenhängenden Fragen auseinandersetzt. Das OLG Köln stellt eine Indizienkette fest, die die Annahme, dass es sich bei dem Unfallgeschehen, das Gegenstand der Klage war, um einen fingierten Unfall gehandelt hat, stützt. das OLG argumentiert wie folgt:

Bei Häufung von Anzeichen, die auf eine Manipulation des Unfallgeschehens hindeuten, spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Rechtsgutverletzung mit Einwilligung des Verletzten erfolgte und der Verkehrsunfall manipuliert, mithin nur vorgetäuscht war. Solche Anzeichen sind:

  • vier Unfälle desselben Fahrzeugführers im Abstand von nur wenigen Monaten,
  • Leichte Auffahr- bzw. Ein- oder Ausparkunfälle ohne Personenschäden und ohne unmittelbare Zeugen mit nicht nachvollziehbarer Einschaltung der Polizei,
  • die am Unfall beteiligten geschädigten Fahrzeuge sind im Vergleich zum Schädigerfahrzeug höherwertig. Dafür spricht insbesondere, dass das schädigende Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt bereits 16 Jahre alt war,
  • an den Unfällen waren auf beiden Seiten Personen aus derselben Region in Italien beteiligt, was kein Zufall sein kann,
  • teilweise Inkompatibilität der Schäden.