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OWi III: Nochmals „zwei Künstler“, oder: Wenn der Amtsrichter dem Betroffenen den A…. rettet

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Der ein oder andere Leser wird sich erinnern, dass ich im vergangenen Jahr über den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.05.2017 – 1 RBs 55/16 berichtet habe (Zwei “Künstler” am Werk, oder: Wenn der Amtsrichter den Verteidiger “rettet”).

Jetzt stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 22.06.2018 – III – 2 RBs 86/18 – vor, der eine ähnliche Konstellation zum Gegenstand hat. Auch hier hatte der Verteidiger einen (Beweis)Antrag gestellt, der mit „ob“ formuliert war. An sich tötlich für einen Antrag, weil dann die Annahme eines Beweisermittlungsantrages nahe liegt und das Gericht nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 StPo gebunden ist. Das AG springt aber nicht auf den Zug, sondern macht es sich einfach und bescheidet den Antrag lieber gleich gar nicht. Das rettet dann aber wieder den Verteidiger/den Betroffenen. Denn das ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und führt zur Aufhebung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG:

„Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs einen – zumindest vorläufigen – Erfolg.

Die Rüge ist in zulässiger Form erhoben worden. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist wie eine Verfahrensrüge, also gemäß 344 Abs. 2 §. 2 StPO zu begründen. Es müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden, so dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Rechtsbeschwerde zutrifft (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, 344 Rdnr. 21 f). Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Rechtsbeschwerdebegründung.

So ist nach den Darlegungen des Betroffenen ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 19.02.2018 auf den Schriftsatz vom 30.01.2018 sowie Anlage 2 des Sitzungsprotokolls in der Hauptverhandlung Bezug genommen und diese verlesen worden (BI. 136 d.A.). Anlage 2 des Sitzungsprotokolls beinhaltet jedoch einen Beweisantrag hinsichtlich der Vernehmung der Messbeamten N. und G. (BL 142 d.A.), hinsichtlich dessen eine Bescheidung nicht erfolgt und welcher entgegen § 273 StPO auch nicht protokolliert worden ist. Seitens des Amtsgerichts entschieden wurde lediglich über den ebenfalls in dem Schriftsatz enthaltenen Widerspruch gegen die Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des Messprotokolls. Anhaltspunkte dafür, dass seitens des Betroffenen erklärt worden wäre, dass über den Beweisantrag nicht entschieden werden solle, ergeben sich zudem nicht.

Insoweit kann auch dahinstehen, ob es sich bei dem gestellten Antrag um einen Beweisantrag oder einen Beweisermittlungsantrag handelt, weil nach dem Vorbringen des Betroffenen dieser letztlich Beweis darüber begehrt, „ob“ bestimmte Tatsachen vorgelegen haben. Dies ändert indes nichts daran, dass über den Antrag eine Entscheidung hätte getroffen werden müssen, entweder durch die Anordnung des Tatrichters, dass dem Begehren nachzugehen ist, oder aber durch die Ablehnung des Antrags, die nach 34 StPO so zu begründen gewesen wäre, dass der Antragsteller über den Grund der Ablehnung ausreichend unterrichtet und dadurch in die Lage versetzt wird, sein weiteres Prozessverhalten darauf einzustellen und eventuell weitere Beweisanträge zu stellen (zu vgl. BGH, Beschluss vom 02.10.2010 – 3 StR 373/07 -). Eine solche Entscheidung ist unerlässlich, denn der Antragsteller darf – schon aufgrund seines Anspruchs auf rechtliches Gehör – nicht im Unklaren darüber gelassen werden, warum seinem Antrag nicht nachgegangen wird (zu vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.05.2017 – IV 1 RBs 55/16 -). Gegen diese Grundsatze, die nicht nur für die Anwendung des   244 StPO im Strafverfahren, sondern nach 71 OWiG (mit den Einschränkungen des § 77 OWiG) auch im Bußgeldverfahren gelten (zu vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.) hat das Amtsgericht durch die völlige Außerachtlassung und Nichtbescheidung des zur Rede stehenden Beweisbegehrens verstoßen und hierdurch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (zu vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811, OLG Hamm, NZV 2008, 417).“

Und: Schönschreiben ist angesagt:

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich das Protokoll der Hauptverhandlung in Teilbereichen an der Grenze zur Unleserlichkeit bewegt und es dadurch seiner sich aus §§ 273. 274 StPO ergebenden Bedeutung kaum noch gerecht wird.“

Strafvollzug II: Aushändigung einer Playstation, oder: Dauerbrenner

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle, hat thematisch einen Dauerbrenner zum Gegenstand, nämlich die Zulässigkeit der Aushändigung einer PlayStation 1 im Strfavollzug. Der Betroffene befindet sich in Strafhaft in der JVA Schwerte und wünscht die Aushändigung einer Spielekonsole Sony PlayStation 1, was seitens der JVA Schwerte mündlich abgelehnt worden war. Die  Spielekonsole war vom Betroffenen im Rahmen seines vorangehenden Aufenthaltes in der JVA Bielefeld-Brackwede nach entsprechender Genehmigung der dortigen Anstaltsleitung angeschafft worden. Auch im Rahmen einer nachfolgenden Inhaftierung in der JVA Hamm war ihm der Besitz dieser Spielekonsole nach seinem Vorbringen gestattet. Die StVK hat den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen, das OLG Hamm gibt ihm im OLG Hamm, Beschl. v. 22.05.2018 – 1 Vollz (Ws) 137/18  – statt:

„1. Der Senat hat in Übereinstimmung mit anderweitiger obergerichtlicher Rechtsprechung bereits mehrfach ausgeführt, dass die einem Gegenstand allgemein innewohnende Gefährlichkeit die Versagung einer Genehmigung zum Besitz aus Gründen der Anstaltssicherheit zu rechtfertigen vermag, so etwa aufgrund einer etwaigen Internetfähigkeit von Geräten oder aber der (ohne weitere technischen Hilfsmittel gegebenen) Möglichkeit der Speicherung von Texten. Dabei bezog sich die Rechtsprechung des Senats jeweils auf Fallkonstellationen, in denen sich eine allgemeine abstrakte Gefährlichkeit aus den technischen Möglichkeiten des jeweiligen Gerätes selbst oder allenfalls unter Hinzuziehung vorhandener oder für den Betroffenen unschwer zu beschaffender weiterer technischer Hilfsmittel ergab, mithin ohne das Hinzutreten besonders aufwändiger oder nur mit entsprechendem Spezialwissen zu bewerkstelligender technischer Veränderungen.

Soweit die Strafvollstreckungskammer insoweit ausführt, die Behauptung des Betroffenen, es gebe derzeit kein Programm zur Speicherung von Texten auf den Memory Cards der PlayStation 1, sei unerheblich, da entsprechende Programme geschrieben werden könnten und es lediglich auf das allgemeine Gefährdungspotenzial ankomme, entspricht dies zumindest ohne nähere Erläuterungen nicht mehr dem Begriff der abstrakten Gefährlichkeit, welche für sich genommen die Annahme einer Gefährdung der Sicherheit der Anstalt zu rechtfertigen geeignet ist. Vielmehr würde eine entsprechende Auslegung dazu führen, letztlich jedem beliebigen Gegenstand durch Hinzudenken zusätzlicher Bedingungen bzw. auch eher entfernt liegender technischer Veränderungen eine abstrakte Gefährlichkeit beizumessen.

Zur Begründung einer tatsächlich abstrakten Gefährlichkeit wären insoweit weitere Erläuterungen dazu erforderlich, dass die Möglichkeit des Schreibens und Einbringens zusätzlicher Programme, welche die Speicherung von Informationen auf den Memory Cards der PlayStation 1 auch in Bezug auf die Person des Betroffenen als zumindest nicht fernliegend anzusehen ist. Hierzu fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Da sich die PlayStation 1 selbst als nicht programmierbar darstellt, wäre ein externes Schreiben eines entsprechenden Programmes und ein entsprechendes Einbringen in die Vollzugsanstalt erforderlich. Aus welchem Grund sich tatsächlich jemand die Mühe machen sollte, einen möglicherweise höheren programmiertechnischen Aufwand zu betreiben, um im Ergebnis gegebenenfalls eine unstreitig ohnehin in jedem Fall beschwerliche Eingabe von Texten in Form von Einzelbuchstaben in eine bereits seit langer Zeit nicht mehr hergestellten Spielekonsole zu ermöglichen, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass anlässlich eines nachfolgend auch beim Senat anhängigen Verfahren (111-1 Vollz 301/15 OLG Hamm) seitens des Landgerichts Bielefeld (101 StVK 2179/14) ein Sachverständigengutachten zur Möglichkeit von Textspeicherungen auf den Memory Cards der PlayStation 1 eingeholt worden ist, welches dementsprechend als senatsbekannt anzusehen ist. Im Rahmen dieser Begutachtung kam der bestellte Sachverständige Andreas Herden in seinem schriftlichen Gutachten vom 20. April 2015 zu dem Ergebnis, dass es zumindest in dem ihm vorgelegten Exemplar der PlayStation 1 überhaupt nicht möglich war, manipulierte Texte auf die original zugehörigen Memory Cards zu speichern. Eine entsprechende Möglichkeit ergab sich erst bei entsprechenden Memorycards, welche von Drittherstellern angeboten wurden. Eine Ablichtung des Gutachtens wird seitens des Senats im Hinblick auf die weitere Bearbeitung der Angelegenheit den Akten beigefügt. Ob den auch obergerichtlich vertretenen Auffassungen, dass von einer PlayStation 1 generell keine die Versagung der Herausgabe begründende Gefahr ausgeht (vgl. dazu OLG Dresden, Beschluss vom 16. September 1999 — 2 Ws 637/98, juris ), zu folgen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, auch wenn diese Bewertung nach Maßgabe der senatsbekannten Umstände zumindest im Fall der ausschließlichen Verwendung von Originalzubehör sehr naheliegend erscheint.

Danach spricht vorläufig alles dafür, dass eine Gefährlichkeit von der vom Betroffenen begehrten Spielekonsole zumindest bei entsprechender Verplombung gerade nicht ausgeht. Eine solche Verplombung wäre zudem nach Auffassung des Senats auch geeignet, die aufgezeigten Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit der Nutzung als Drogenversteck auszuräumen (vgl. OLG Dresden. a.a.O.). Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine entsprechende Problematik nahezu jedem Gegenstand innewohnt, welcher körperliche Hohlräume bildet.
Abschließend weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch die „pädagogischen“ Bedenken der Vollzugsanstalt im Hinblick auf die Überlassung der Spielekonsole deren Aushändigung aus Gründen der Gefährdung des Vollzugsziels unter dem Gesichtspunkt einer „einseitigen Fixierung auf das Erreichen bestimmter Levels“ nach Bewertung des Senats nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. dazu auch OLG Dresden, a.a.O.).“

Das OLG moniert zudem, dass sich die Strafvollstreckungskammer nicht mit der Frage befasst hat, inwieweit dem Betroffenen wegen des „Vorbesitzes“ vertrauenswürdiger Bestandsschutz zu gewähren ist.

Filmberichterstattung im/vom Strafverfahren, oder: Pressefreiheit

Und als dritte Entscheidung dann endlich der OLG Hamm, Bschl. v. 21.12.2017 – 5 Ws 578/17 u. 5 Ws 579/17 -, endlich, weil der Beschluss schon etwas älter ist. Er behandelt die in der Praxis immer wieder auftauchende Problematik der Anfechtbarkeit einer sitzungspolizeilichen Anordnung nach § 176 GVG. Ergangen ist der Beschluss in einem beim LG Essen anhängigen Wirtschaftsstrafverfahren um angeblich „gepantschte“ Onkologie-Medikamente. Es geht um die Bildberichterstattung und Filmaufnahmen, die eingeschränkt worden waren. Dazu das OLG in den Leitsätzen des Beschlusses:

1. Die sitzungspolizeiliche Anordnung eines Kammervorsitzenden gemäß § 176 GVG ist mit der Beschwerde gemäß § 304 StPO anfechtbar, wenn durch die Anordnung Rechtspositionen eines Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus dauerhaft berührt und beeinträchtigt werden.

2. In der Sache überprüft das Beschwerdegericht eine gemäß § 176 GVG angeordnete Maßnahme nur darauf, ob die Anordnung einen zulässigen Zweck verfolgt, verhältnismäßig ist und der Vorsitzende sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Stellt die Anordnung einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Pressefreiheit dar, muss der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgeblichen Gründe offenlegen und dadurch für die Betroffenen erkennen lassen, dass er die betroffenen Rechtsgüter und gegenläufigen Interessen der Beteiligten – einerseits die Pressefreiheit und andererseits der Schutz der allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten, die Gewährleistung der ungestörten Wahrheits- und Rechtsfindung – in die Abwägung eingestellt hat.

3. Eine notwendige Begründung kann in der Nichtabhilfeentscheidung nachgeholt werden.

4. In dem zu beurteilenden Fall hat der Kammervorsitzende zulässigerweise angeordnet, dass – bei fehlendem Einverständnis der Verfahrensbeteiligten – Foto- und Filmaufnahmen in den Verhandlungspausen und nach der Hauptverhandlung (nur) im Foyer vor dem Sitzungssaal gestattet sind und dass der Angeklagte und die Nebenkläger bei der Veröffentlichung der Aufnahmen unkenntlich zu machen sind.

Auslieferung III: In die Türkei soll es gehen, oder: Nicht grundsätzlich unzulässig

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Author David Benbennick

Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen, die sich mit der Auslieferung an die Türkei befassen. Es handelt sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 11.12.2017 – 2 Ausl. 147/17 – Auslieferung aus Deutschland in die Türkei zur Strafverfolgung – und um den KG, Beschl. v. 21.12.2017 – (4) 151 AuslA 77/16 (107/16) – Auslieferung an die Türkei zur Strafvollstreckung.

Beider Gerichte sagen: Die Auslieferung in die Türkei ist nicht grundsätzlich unzulässig.

Dazu aus dem Beschluss des OLG Hamm:

Der Senat ist – in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Köln (vgl. Beschluss vom 01.02.2017, Az. 6 Ausl A 70/16 – 58), dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (vgl. Beschluss vom 12.05.2017, Az. 2 Ausl A 76/15), dem Kammergericht Berlin (vgl. Beschluss vom 17.01.2017, Az. (4) 151 AuslA 11/16 (10/17)) und dem Oberlandesgericht München (vgl. Beschluss vom 16.08.2016, Az. 1 AR 252/16) – auch nicht der Auffassung, dass die Auslieferung eines Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung derzeit generell unzulässig ist (Beschlüsse des Senats vom 12.06.2017, Az. Az. III – 2 Ausl. 94/17, und vom 08.06.2017, Az. III – 2 Ausl. 133/16).

Die aktuellen politischen und sozialen Umstände und Entwicklungen in der Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 und deren Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit und die Haftbedingungen dort können zwar insbesondere im Hinblick auf die Haftbedingungen ein Auslieferungshindernis im Sinne des § 73 IRG begründen, ein diesbezügliches mögliches Auslieferungshindernis kann jedoch aus Sicht des Senats dadurch ausgeräumt werden, dass die türkischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung in Bezug auf das in Rede stehende Auslieferungshindernis abgeben. Im Auslieferungsverkehr zwischen Deutschland und anderen Staaten ist dem ersuchenden Staat im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen (BVerfG, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 2 BvR 348/16; Beschluss vom 15.12.2015, Az. 2 BvR 2735/14; Beschluss vom 05.11.2003, Az. 2 BvR 1243/03), wobei die von einem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr abgegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen aufgrund des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich auch geeignet sind, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.03.2016, Az. 2 BvR 348/16; Beschluss vom 09.04.2015, Az. 2 BvR 221/15; Beschluss vom 01.12.2003, Az. 2 BvR 879/03; Beschluss vom 23.02.1983, Az. 1 BvR 1019/82).

Aufgrund des Schreibens des Bundesamtes für Justiz vom 24.02.2017 über die Auswirkungen des Ausnahmezustandes in der Türkei auf die Rechtsstaatlichkeit und die dortigen Haftbedingungen, wonach die von den türkischen Behörden abgegebenen Zusicherungen nach dem derzeitigen Kenntnisstand belastbar seien und bei Bedarf auch überprüft werden können, sieht der Senat derzeit auch weiterhin keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die von den türkischen Behörden im abgegebenen Zusicherungen auch tatsächlich beachtet und eingehalten werden sowie bei Bedarf auch überprüft werden können.

Im vorliegenden Fall stehen der Auslieferung des Verfolgten in die Türkei wegen der aktuellen politischen und sozialen Umstände und Entwicklungen in der Türkei seit der Verhängung des Ausnahmezustandes im Juli 2016 und deren Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit und die Haftbedingungen aber Auslieferungshindernisse im Sinne des § 73 IRG entgegen………..“

Und vom KG-Beschluss die Leitsätze:

  1. Die Auslieferung an die Türkei (jedenfalls) zum Zwecke der Strafvollstreckung der wegen einer Straftat der Allgemeinkriminalität verhängten Strafe ist in der Regel zulässig, wenn die Türkei völkerrechtlich verbindlich zusichert, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung während der Strafhaft in einer Haftanstalt untergebracht wird, deren Bedingungen Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – Empfehlung des Europarates REC(2006)2 – entsprechen, dass er keiner Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen wird und dass der zuständigen deutschen Auslandsvertretung die Möglichkeit eingeräumt wird, den Verfolgten durch einen Mitarbeiter zu besuchen und sich vor Ort über die bestehenden Verhältnisse zu informieren.
  2. An seinen weitergehenden, erstmals im Beschluss vom 17. Januar 2017 – (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) – (juris = StraFo 2017, 70 = NJ 2017, 114 = StV 2017, 249 [LS]) formulierten Anforderungen hält der Senat für diesen Fall nicht mehr fest.

Pflicht II: Kein Pflichtverteidiger bei richterlicher Vernehmung ==> kein Beweisverwertungsverbot, oder: Lippenbekenntnis

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Als zweite Entscheidung betreffend Pflichtverteidigungsfragen dann der OLG Hamm, Beschl. v. 15.05.2018 – 4 RVs 47/18. Eine in meinen Augen „erstaunliche“ Entscheidung. Warum? Dazu siehe unten.

Zunächst die Entscheidung, bei der das OLG über folgenden Sachverhalt zu entscheiden hatte: Dem Angeklagten ist der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gemacht worden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ist die Belastungszeugin T richterlich vernommen worden. Der Angeklagte war von dieser Vernehmung ausgeschlossen, ohne dass ihm ein Pflichtverteidiger bestellt wurde. In der Hauptverhandlung hat das AG u.a. den Vernehmungsrichter als Zeugen vernommen sowie einen Arztbericht verlesen und Lichtbilder in Augenschein genommen. Das AG hat den Angeklagte freigesprochen. Auf die gegen das Urteil gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft hat das LG das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg.

Das OLG meinet: Es hatte ein Verteidiger nach § 141 Abs. 3 StPO i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK   bestellt werden müssen. Denn jedenfalls im Verlauf der richterlichen Vernehmung, von der A gemäß § 168c Abs. 3 StPO ausgeschlossen worden sei, habe sich abgezeichnet, dass die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren notwendig sein würde.

Aber: Kein Beweisverwertungsverbot bze. der Verfahrensfehler führe aber nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage der richterlichen Verhörperson, sondern – vergleichbar mit Fällen einer pflichtwidrig versagten Beteiligung an der richterlichen Vernehmung oder des anonymen Zeugen – zu besonders strengen Beweis- und Begründungsanforderungen.

Warum nun eine erstaunliche Entscheidung? Erstaunlich m.E. deshalb, weil das OLG mit keinem Wort auf die durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.2017 (BGBl I, S. 3202) geschaffene neue Rechtslage eingeht, sondern sich auf die zum alten Recht ergangene Rechtsprechung zurückzieht (vgl. dazu BGHSt 34, 231; BGHSt NStZ 1998, 312; BGH StV 2017, 776; s.a. noch BGHSt 46, 93, 103). Zwar hat zum Zeitpunkt der Vernehmung der Belastungszeugin der neue § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO noch nicht gegolten, die Neuregelung hat aber genau den hier vom OLG entschiedenen Fall im Auge und sieht dafür jetzt zwingend die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor. Man hätte daher m.E. schon erwarten können/dürfen, dass sich das OLG im Hinblick auf die neue Rechtslage – ich gehe davon aus, dass dem OLG die bekannt ist – und die Intention des Gesetzgebers dann vielleicht doch mal zu der neu zu entscheidenden Frage eines Beweisverwertungsverbotes Stellung nimmt und nicht einfach nur „alten Wein in neuen Schläuchen“ präsentiert. An anderer Stelle hat man ja – wenn es zu Lasten der Angeklagten geht – auch kein Problem damit, die Neuregelung auf Altfälle anzuwenden (vgl. dazu OLG Rostock, Beschl. v. 03.11.2017 – 1 Ss 94/17 und Blutentnahme nach altem Recht – “gesund gebetet” nach neuem Recht, oder: Asche auf mein Haupt betreffend „Richtervorbehalt“). Hätte man das getan, hätte man m.E. nicht (mehr) guten Gewissens ein Beweisverwertungsverbot verneinen und sich auf die Beweiswürdigungslösung des BGH, die ja auch nicht unumstritten ist, zurückziehen müssen. Denn das Gesetz verlangt in dem hier entschiedenen Fall vergleichbaren Fällen jetzt ausdrücklich einen Pflichtverteidiger. Wird der nicht bestellt, wird man das sanktionieren müssen. Denn was sollen alle Gebote, wenn deren Übertretung keine Folgen haben soll? Dann sind sie nichts als Lippenbekenntnisse.