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Corona I: Streichung der U-Haft-„Aufschlusszeiten“, oder: Wie muss das Ermessen ausgeübt werden?

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In die 41. KW. starte ich dann mal wieder mit zwei „Corona-Entscheidungen“. Die mit der Pandemie zusammenhängenden Fragen werden angesichts der steigenden Zahlen in der nächsten zeit sicherlich wieder an Bedeutung zunehmen.

Ich beginne hier mit dem OLG Hamburg, Beschl. v. 10.06.2022 – 1 Ws 16/22. Er behandelt eine Problematik, die in der „Anfangszeit“ der Pandemie in Haftanstalten eine größere Rolle gespielt hat, nämlich die Frage einer (zu) umfassenden Einschlussregelung. So auch hier. Die Hamburger Untersuchungshaftanstalt hatte sämtliche sog. Aufschlusszeiten gestrichen. Dagegen hat sich der U-Haft-Gefangene gewehrt. Das OLG nimmt dann im Juni 2022 (!) zum fortwirkenden Feststellungsinteresse – inzwischen ist die angefochtene Entscsheidungen aufgehoben – und zur Frage des Ermessensgebrauchs durch die JVA Stellung, und zwar zu letzterem wie folgt:

„bb) Nach dieser Maßgabe hat die UHA das ihr in § 42 Abs. 6 HmbUVollzG eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt.

(1) Im Rahmen der ihr eingeräumten Ermessensspielräume hat die Justizvollzugsanstalt die Grundrechte und Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere nach Interaktion mit Mitgefangenen, und die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 29.08.2019 – 1 Ws (s) 269/19 – juris, Rn. 16; OLG Celle, Beschluss vom 03. März 1981 ? 3 Ws 410/80?, NStZ 1981, 238). Bei der Anwendung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts hat sie dabei stets der besonderen Stellung Untersuchungsgefangener und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb lediglich unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 2008 – 2 BvR 1229/07 –, juris; BVerfG, Beschluss vom 6. April 1976 – 2 BvR 61/76 –, NJW 1976, 1311; Beschluss vom 31. August 1993 – 2 BvR 1479/93 –, NStZ 1994, 52; Beschluss vom 30.Oktober 2014 – 2 BvR 1513/14 –, NStZ-RR 2015, 79, 80). Untersuchungsgefangene sind gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 HmbUVollzG so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten. Vor diesem Hintergrund erlangen die Grundrechte der Gefangenen ein erhöhtes Gewicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11BVerfGK 20, 107, 113). Als Konsequenz hieraus hat die Justizvollzugsanstalt u.a. den in § 5 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG zum Ausdruck gebrachten Angleichungsgrundsatz zu beachten und möglichst darauf hinzuwirken, dass Untersuchungsgefangene eine angemessene Zeit des Tages außerhalb ihrer Hafträume verbringen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.10.2012 – 2 BvR 736/11BVerfGK 20, 93, 101).

(2) Den vorgenannten Anforderungen hat die UHA nicht genügt. Die einschlägigen Rechte und Interessen der Gefangenen haben bei ihrer Entscheidung keine ausreichende Berücksichtigung gefunden.

(a) Insoweit kann dahinstehen, auf welchen Zeitpunkt es bei der Prüfung der Ermessensentscheidung ankommt und ob und inwieweit die UHA im gerichtlichen Verfahren Gründe nachschieben kann.

(b) Denn jedenfalls genügen die Erwägungen der UHA auch unter Berücksichtigung der erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens geäußerten Überlegungen nicht den Anforderungen an eine fehlerfreie und vollständige Ermessensentscheidung.

Der gebotenen Berücksichtigung des Bedürfnisses der Gefangenen an Interaktion und internen Freiräumen kam im vorliegenden Fall besonderes Gewicht zu. Die Auswirkungen der Anordnung für die Gefangenen ähnelten einer Einzelhaft, die als besondere Sicherungsmaßnahme in § 54 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 HmbUVollzG spezifisch geregelt ist und einen schweren Eingriff in Grundrechte bewirkt (vgl. BVerfGK 20, 93, 103).

Die deswegen gebotene hinreichende Abwägung mit den Interessen der Gefangenen hat ausweislich der von der UHA mitgeteilten Erwägungen nicht stattgefunden. Die Begründung der UHA erschöpft sich auch in den nachgeschobenen Erwägungen in der Rechtfertigung der Maßnahme mit dem Infektionsschutz und der sich aus § 36 Abs. 1 Nr. 6 IfSG ergebenden Pflicht der Behörde zur Festlegung innerbetrieblicher Verfahrensweisen zur Infektionshygiene. Zwar hat die Anstaltsleitung hierzu weiter ausgeführt und erläutert, warum nach ihrer Auffassung mildere Mittel nicht in Betracht kämen. Bezüglich der beeinträchtigten Rechte der Gefangenen hat sie dagegen lediglich pauschal darauf verwiesen, dass diese durch die Anordnung gewahrt seien. Ihre Ausführungen lassen nicht erkennen, dass sie sich in ihrer Abwägung der entgegenstehenden Belange eingehend mit den konkret beeinträchtigten Grundrechten der Betroffenen und deren Gewicht auseinandergesetzt und hierbei insbesondere den Angleichungsgrundsatz und die Sonderstellung von Untersuchungsgefangenen berücksichtigt hat. Stattdessen waren die Überlegungen der UHA einseitig darauf ausgerichtet, dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken. Wenngleich dies im Ansatz richtig und dem Sinne des Gesetzes entsprechend war, hätte die UHA in einem zweiten Schritt vor dem Hintergrund der besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffe erwägen müssen, ob und inwieweit zumindest in Grenzen eine Konkordanz mit den Rechten der Gefangenen möglich und vertretbar gewesen wäre. Die UHA hätte sich hierzu näher verhalten und zusätzlich prüfen müssen, ob alternative Konzepte umsetzbar gewesen wären, die zumindest einen kürzeren und eingeschränkten Kontakt zu anderen Gefangenen ermöglicht hätten und hierbei zu einem derart geringen Restrisiko für Belange des Gesundheitsschutzes geführt hätten, dass die rechtlichen geschützten Interessen der Gefangenen dessen Hinnahme als noch vertretbar und damit gerechtfertigt hätten erscheinen lassen.

Dies wäre, soweit ersichtlich, nach Lage der Dinge jedenfalls für geimpfte und genesene Gefangene wie den Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen gewesen. Den Versuch eines Interessenausgleichs hätte die UHA etwa durch die Prüfung der Frage unternehmen können, ob dem Grundbedürfnis an Kommunikation zumindest durch ein Minimum an zusätzlichen Freiräumen hätte entsprochen werden können. Zu denken gewesen wäre an deutlich verkürzte Öffnungszeiten, zu denen jeweils nur wenige Gefangene – bei Aufteilung in feste Gruppen – die Gelegenheit zu intern freier Bewegung gehabt hätten. Die Pflicht zur Tragung von Masken hätte in diesem verminderten Rahmen eher mit dem zur Verfügung stehenden Personal überwacht werden können; ihre Durchsetzung hätte durch den Verlust der Vergünstigung erfolgen können. Soweit die UHA in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass eine unterschiedliche Behandlung von Gefangenen („Binnendifferenzierung“) die Einrichtung einer abgetrennten Station erfordert hätte und dies aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen wäre, weil dies dazu geführt hätte, dass Plätze auf dieser Station nicht voll hätten belegt werden können, falls nicht ausreichend geimpfte oder genesene Gefangene vorhanden gewesen wären, erscheinen die Überlegungen aus sich heraus nicht nachvollziehbar. Insbesondere ist nicht erkennbar, warum nicht einzelne Gefangene auf einer sonst (zeitweise) geöffneten Station im Einschluss hätten verbleiben können.

Ob die entsprechenden Überlegungen zu einem Interessenausgleich, wie von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten, notwendig zu Ausnahmen von der Einschlussregelung hätten führen müssen, weil letztere andernfalls unverhältnismäßig wäre, kann hier dahinstehen. Ein Ermessensfehler liegt alleine schon darin, dass die UHA das Gewicht der Gefangenenrechte und dementsprechend ihre Bedeutung bei der Ermessensausübung verkannt hat.“

U-Haft III: Keine „Aufschlusszeiten“ wegen Corona, oder: Interaktionsbedürfnis des U-Haft-Gefangenen

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Und zum Schluss des Tages dann noch etwas aus dem U-Haft-Vollzug. der OLG Hamburg, Beschl. v. 12.07.2022 – 1 Ws 27/22 – hätte übrigens auch an einem „Corona-Tag“ vorgestellt werden können. Denn es geht um die Frage der Rechtmäßigkeit einer Streichung von sog. Aufschlusszeiten.

Der Beschuldigte war während seiner Unterbringung in der Untersuchungshaftanstalt auf einer offenen Station untergebracht, auf der er (zunächst) innerhalb der von der Anstalt vorgegebenen Zeiten – 08.30 Uhr bis 12:30 Uhr sowie 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr – am Aufschluss teilnehmen und dadurch insbesondenre duschen, telefonieren, die Küche nutzen sowie sich mit Mitgefangenen unterhalten konnte. Vor dem Hintergrund der Auswirkungen und Gefahren der Covid-1 B-Pandemie ordnete der Leiter der Untersuchungshaftanstalt am 03.12.2021 aus Gründen des Infektionsschutzes nach Rücksprache mit den in der Ambulanz der Anstalt tätigen Ärzten formlos – mitgeteilt über den hausinternen „Info-Pool“ – die Streichung sämtlicher Aufschlusszeiten an. Im Anschluss hieran wurde der Beschuldigte entsprechend dieser Regelung behandelt. Er hat vorgetragen, aufgrund dessen in der Regel 23 Stunden in seinem Haftraum eingeschlossen gewesen zu sein.

Das OLG Hamburg hat diese Maßnahme als rechtswidirig angesehen. Aus dem umfangreichen Beschluss hier nur folgende Passage:

„(2) Nach dieser Maßgabe hat die UHA das ihr in § 42 Abs. 6 HmbUVollzG eingeräumte Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt.

(a) Im Rahmen der ihr eingeräumten Ermessensspielräume hat die Justizvollzugsanstalt die Grundrechte und Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere nach Interaktion mit Mitgefangenen, und die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 29.08.2019 -1 Ws (s) 269/191 – juris, Rn. 16; OLG Celle, Beschl. v. 03.03.1981 – 3 Ws 410/80 -, NStZ 1981, 2218). Bei der Anwendung der Vorschriften des Untersuchungshaftrechts hat sie dabei stets der besonderen Stellung Untersuchungsgefangener und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb lediglich unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.01 .2008 – 2 BvR 1229/07 -, juris; BVerfG, Beschl. v. 16.06.04.1976- 2 BvR 61/76-, NJW 1976, 1311 ; Beschl. v. 31 .08.1993- 2 BvR 1479/93 -, NStZ 1994, 52; Beschl. v. 30.10.2014 – 2 BvR 1513/14-, NStZ-RR 2015, 79, 80).

Untersuchungsgefangene sind gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 HmbUVollzG so zu behandeln, dass der Anschein vermieden wird, sie würden zur Verbüßung einer Strafe festgehalten. Vor diesem Hintergrund erlangen die Grundrechte der Gefangenen ein erhöhtes Gewicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.10.2012 – 2 BvR 737/11BVerfGK 20, 107, 113). Als Konsequenz hieraus hat die Justizvollzugsanstalt u.a. den in § 5 Abs. 1 S. 1 HmbUVollzG zum Ausdruck gebrachten Angleichungsgrundsatz zu beachten und möglichst darauf hinzuwirken, dass Untersuchungsgefangene eine angemessene Zeit des Tages außerhalb ihrer Hafträume verbringen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.10.2012- 2 BvR 736/11BVerfGK 20, 93, 101).

(b) Den vorgenannten Anforderungen hat die UHA nicht genügt. Die einschlägigen Rechte und Interessen der Gefangenen haben bei ihrer Entscheidung keine ausreichende Berücksichtigung gefunden.

(aa) Insoweit kann dahinstehen, auf welchen Zeitpunkt es bei der Prüfung der Ermessensentscheidung ankommt und ob und inwieweit die UHA im gerichtlichen Verfahren Gründe nachschieben kann.

(bb) Denn jedenfalls genügen die Erwägungen der UHA auch unter Berücksichtigung der erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens geäußerten Überlegungen nicht den Anforderungen an eine fehlerfreie und vollständige Ermessensentscheidung.

Der gebotenen Berücksichtigung des Bedürfnisses der Gefangenen an lnteraktion und internen Freiräumen kam im vorliegenden Fall besonderes Gewicht zu. Die Auswirkungen der Anordnung für die Gefangenen ähnelten einer Einzelhaft, die als besondere Sicherungsmaßnahme in § 54 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 HmbUVollzG spezifisch geregelt ist und einen schweren Eingriff in Grundrechte bewirkt (vgl. BVerfGK 20, 93, 103).

Die deswegen gebotene hinreichende Abwägung mit den Interessen der Gefangenen hat ausweislich der von der UHA mitgeteilten Erwägungen nicht stattgefunden. Die Begründung der UHA erschöpft sich auch in den nachgeschobenen Erwägungen in der Rechtfertigung der Maßnahme mit dem Infektionsschutz und der sich aus § 36 Abs. 1 Nr. 6 lfSG ergebenden Pflicht der Behörde zur Festlegung innerbetrieblicher Verfahrensweisen zur Infektionshygiene. Zwar hat die Anstaltsleitung hierzu weiter ausgeführt und erläutert, warum nach ihrer Auffassung mildere Mittel nicht in Betracht kämen. Bezüglich der beeinträchtigten Rechte der Gefangenen hat sie dagegen lediglich pauschal darauf verwiesen, dass diese durch die Anordnung gewahrt seien.

Ihre Ausführungen lassen nicht erkennen, dass sie sich in ihrer Abwägung der entgegenstehenden Belange eingehend mit den konkret beeinträchtigten Grundrechten der Betroffenen und deren Gewicht auseinandergesetzt und hierbei insbesondere den Angleichungsgrundsatz und die Sonderstellung von Untersuchungsgefangenen berücksichtigt hat. Stattdessen waren die Überlegungen der UHA einseitig darauf ausgerichtet, dem Infektionsgeschehen entgegenzuwirken.

Wenngleich dies im Ansatz richtig und dem Sinne des Gesetzes entsprechend war, hätte die UHA in einem zweiten Schritt vor dem Hintergrund der besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffe erwägen müssen, ob und inwieweit zumindest in Grenzen eine Konkordanz mit den Rechten der Gefangenen möglich und vertretbar gewesen wäre. Die UHA hätte sich hierzu näher verhalten und zusätzlich prüfen müssen, ob alternative Konzepte umsetzbar gewesen wären, die zumindest einen kürzeren und eingeschränkten Kontakt zu anderen Gefangenen ermöglicht hätten und hierbei zu einem derart geringen Restrisiko für Belange des Gesundheitsschutzes geführt hätten, dass die rechtlichen geschützten Interessen der Gefangenen dessen Hinnahme als noch vertretbar und damit gerechtfertigt hätten erscheinen lassen.

Dies wäre, soweit ersichtlich, nach Lage der Dinge jedenfalls für geimpfte und genesene Gefangene wie den Beschwerdeführer nicht  ausgeschlossen gewesen. Den Versuch eines Interessenausgleichs hätte die UHA etwa durch die Prüfung der Frage unternehmen können, ob dem Grundbedürfnis an Kommunikation zumindest durch ein Minimum an zusätzlichen Freiräumen hätte entsprochen werden können. Zu denken gewesen wäre an deutlich verkürzte Öffnungszeiten, zu denen jeweils nur wenige Gefangene – bei Aufteilung in feste Gruppen – die Gelegenheit zu intern freier Bewegung gehabt hätten. Die Pflicht zur Tragung von Masken hätte in diesem verminderten Rahmen eher mit dem zur Verfügung stehenden Personal! überwacht werden können; ihre Durchsetzung hätte durch den Verlust der Vergünstigung im Falle eines Fehlverhaltens erfolgen können. Soweit die UHA in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass eine unterschiedliche Behandlung von Gefangenen (,,Binnendifferenzierung“) die Einrichtung einer abgetrennten Station erfordert hätte und dies aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen wäre, weil dies dazu geführt hätte, dass Plätze auf dieser Station nicht voll hätten belegt werden können, falls nicht ausreichend geimpfte oder genesene Gefangene vorhanden gewesen wären, erscheinen die Überlegungen aus sich heraus nicht nachvollziehbar.

Insbesondere ist nicht erkennbar, warum nicht einzelne Gefangene auf einer sonst (zeitweise) geöffneten Station im Einschluss hätten verbleiben können. Ob die entsprechenden Überlegungen zu einem Interessenausgleich, wie von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten, notwendig zu Ausnahmen von der Einschlussregelung hätten führen müssen, weil letztere andernfalls unverhältnismäßig wäre, kann hier dahinstehen. Ein Ermessensfehler liegt alleine schon darin, dass die UHA das Gewicht der Gefangenenrechte und dementsprechend ihre Bedeutung bei der Ermessensausübung verkannt hat.“

beA II: Diverses zum beA, oder: eigenhändiger Versand, Eingang mit „Ü“, Glaubhaftmachung, Behördennutzung

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Und im zweiten „beA-Posting“ eine kleine Zusammenstellung von Entscheidungen. Alles, was sich so in den letzten Tagen angesammelt hat. Das sind:

Ein über das beA bei Gericht eingereichter Schriftsatz ist mit der Speicherung auf dem Intermediär-Server des Gerichts eingegangen, auch wenn die Weiterleitungsfähigkeit gerichtsintern am Umlaut „ü“ im Dateinamen scheitert. Zwar muss ein eingereichtes elektronisches Dokument nach § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Diese Frage bestimmt sich aber allein nach den Regelungen, die der Verordnungsgeber auf der Grundlage von § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO getroffen hat. § 2 ERVV sieht aber ein  Verbot von Umlauten nicht vor.

1. Ein mittels beA gestellter Antrag zur Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist in einer Familienstreitsache muss von dem Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten verantwortet und mit seinem Wissen und Wollen eingereicht werden.

2. §§ 130a Abs. 3, 4 Nr. 2, 130d ZPO erfordert, dass ein elektronisches Dokument eigenhändig vom Verfahrensbevollmächtigten versandt wird.

1. Zur Glaubhaftmachung gemäß § 55d Satz 4 Halbsatz 1 VwGO, dass die Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments auf technischen Gründen im Sinn von § 55d Satz 3 VwGO beruhte, gehört die belastbare Angabe, dass die formgerechte (elektronische) Übermittlung aus technischen Gründen nur vorübergehend nicht möglich war.

2. Eine solche Unmöglichkeit ist nicht glaubhaft gemacht, wenn die Angaben auch den Schluss zulassen, dass der Verwender generell versäumt hat, sich rechtzeitig und mit der gebotenen Sorgfalt um die Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen zu bemühen.

Die durch § 55d VwGO vorgesehene aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form für professionelle Prozessteilnehmer gilt auch für Behörden.

Corona II: Nochmals Fälschung von Impfausweisen pp, oder: Doch keine Sperrwirkung zu § 267 StGB

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Und als zweites Posting dann hier der Hinweis auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 27.01.2022 – 1 Ws 114/21. Ein sog. Abrundungsposting, das OLG behandelt nämlich eine Frage, mit der wir es aufgrund der Gesetzesänderungen im StGB am 24.11.2021 nicht mehr lange zu tun haben, nämlich Strafbarkeit der Impfpassfälschung nach altem Recht.

Ergangen ist der OLG-Beschluss auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen eine teilweise Nichteröffnung einer Anklage in Bezug auf zehn dem zur Last gelegte Taten.

Den Angeschuldigten wird in dem zugrunde liegenden Verfahren vorgeworfen, zwischen Juli und September 2021 gemeinschaftlich unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben (Fall 1 der Anklage vom 22. November 2021). Darüber hinaus wird dem Angeschuldigten pp. zur Last gelegt, in zehn Fällen gewerbsmäßig Urkundenfälschung begangen zu haben. Zur Begehung dieser Taten soll der Angeklagte jeweils in der Absicht, sich aus dem wiederholten Verkauf von gefälschten Impfpässen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen, entweder an seiner Wohnanschrift in der pp., 22111 Hamburg, oder in einer Wohnung in der pp., 22147 Hamburg (Blanko-) Impfpässe mit den Namen seiner jeweiligen Kunden versehen, Eintragungen über angeblich erfolgte Erst- und Zweitimpfungen gegen das Sars-CoV-2-Virus mit Daten der beiden Impfungen, dem Impfstoff „Comirnaty“ und jeweils einer Chargennummer eingetragen, das Dokument mit einem Stempel mit dem Aufdruck „Landkreis Harburg, Impfzentrum Buchholz, Richard-Schmidt-Straße 27, 21244 Buchholz i.d.N.“ versehen und die Eintragungen mit einer nachgeahmten bzw. erfundenen Unterschrift des angeblichen Impfarztes abgezeichnet und die so hergestellten Impfzertifikate für zumeist je 200,- € je Stück an seine – wie er wusste – nicht gegen das Sars-CoV-2-Virus geimpften Kunden übergeben haben, damit diese die Möglichkeit hatten, sich gegenüber Dritten, z.B. in Apotheken, bei Veranstaltungen, in der Gastronomie, beim Reisen oder beim Arbeitgeber als geimpfte Personen auszugeben (Fälle 2 bis 11 der Anklage vom 22. November 2021). In Fall 10 der Anklage enthielt der Impfausweis allerdings noch keine Angaben zu der angeblich geimpften Person. In Fall 9 soll die Abnehmerin den manipulierten Impfpass in einer Apotheke vorgezeigt haben, um sich auch ohne tatsächlich durchgeführte Vakzination ein digitales Impfzertifikat ausstellen zu lassen, was aber nicht gelang, weil die Fälschung erkannt wurde.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2021 hat das Landgericht Hamburg das Hauptverfahren nur hinsichtlich der BTM-Delikte eröffnet und die Eröffnung hinsichtlich der übrigen Fälle der Anklage aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich zwar bei einem Impfausweis um ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 277 StGB a.F. handele, es jedoch an einem Gebrauchmachen des Gesundheitszeugnisses fehle. Auch eine Strafbarkeit nach § 267 StGB scheide aus, da die Anwendung dieser Vorschrift durch § 277 StGB a.F. als speziellere Regelung gesperrt werde, obschon die weiteren Voraussetzungen der Strafbarkeit nach § 277 StGB a.F. nicht gegeben seien.

Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die weitgehend Erfolg hatte. Das OLG Hamburg sieht die Rechtslage betreffend §§ 277StGB/§ 267 StGB anders als die wohl herrschende Meinung und begründet das umfangreich. Ich stelle hier aber mal nur (meinen) Leitsatz ein, und zwar:

„Die Anwendung des Straftatbestandes der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) wird auch nach altem Recht nicht durch § 277 StGB in der zur bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung ausgeschlossen.“

Rest dann bitte selbst lesen.

Divers II: Beteiligung des Betreuers am Strafverfahren, oder: Rechtsmittelbefugnis?

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Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamburg. Es geht im OLG Hamburg, Beschl. v. 05.02.2021 – 2 Ws 4/21 – um die Beteiligung des Betreuer in einem einem gegen den Betreuten durchgeführten Straf- oder Sicherungsverfahren. Das OLG sagt im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob ein vom Betreuer eingelegtes Rechtsmittel zulässig ist: Grundsätzlich keine Beteiligung.

„Die sofortige Beschwerde der Rechtsanwältin V. ist unzulässig, da sie zur Einlegung des Rechtsmittels nicht berechtigt gewesen ist.

1. Ein Handeln als bevollmächtigte Verteidigerin mit der hieraus folgenden Ermächtigung, im eigenen Namen (§ 297 StPO) Rechtsmittel einzulegen, ist ihrem Schreiben vom 18. Dezember 2020 nicht zu entnehmen. Das Rechtsmittel hat sie nicht kraft eigenen Rechts als Verteidigerin, sondern ausdrücklich „für den Betroffenen“ eingelegt. Der von ihr verwendete Begriff des Betroffenen zur Bezeichnung des Untergebrachten hat zudem betreuungsrechtlichen Bezug, denn er wird im betreuungsgerichtlichen Verfahren zur Bezeichnung des Betreuten als Verfahrensbeteiligten verwendet und findet sich auch auf dem Betreuerausweis, welchen die Rechtsanwältin zur Legitimation bereits im Überprüfungsverfahren vor der Strafkammer mit Schreiben vom 16. September 2020 unter Anzeige ihrer Betreuerbestellung zur Akte gereicht hat. Selbst auf die Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 13. Januar 2020, im Hinblick auf ihren Antrag auf Akteneinsicht eine Vollmacht vorzulegen, hat sich die Rechtsanwältin mit Schreiben vom 14. Januar 2021 zunächst wiederum auf ihre Betreuerbestellung bezogen.

2. Die Beschwerdeführerin ist auch nicht aufgrund ihrer Stellung als Betreuerin des Untergebrachten zur Rechtsmitteleinlegung befugt gewesen.

a) Das eigene Recht eines gesetzlichen Vertreters zur Rechtsmitteleinlegung gemäß § 298 StPO setzt für den Betreuer voraus, dass sich dessen Aufgabenbereich speziell oder nach dem allgemeinen Umfang der Bestellung auf eine Betreuung als Vertreter im Strafverfahren bezieht (Senatsbeschluss vom 17. Juni 2013, Az.: 2 Ws 23-25/13; OLG Hamm NStZ 2008, 119; LR/Jesse, § 298 Rn. 3). Grundsätzlich ist in einem gegen den Betreuten durchgeführten Straf- oder Sicherungsverfahren der Betreuer nicht zu beteiligen. Die funktionsbedingte Wahrnehmung der Interessen eines Beschuldigten, für den ein Betreuer bestellt ist, legt das Strafverfahrensrecht allein in die Hände des – notwendigen – Verteidigers (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juni 2013, a.a.O.; BGH NStZ 1996, 610). Für das Strafvollstreckungsverfahren gilt nichts anderes.

Gemäß § 1902 BGB vertritt der Betreuer in seinem Aufgabenkreis den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich, so dass in der Betreuerbestellung ausdrücklich auch für einen Aufgabenkreis der „Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten“ im Regelfall lediglich eine entbehrliche, aber unschädliche Klarstellung hinsichtlich der sich aus der Vorschrift ergebenden Vertretungsberechtigung des Betreuers liegt, es sei denn, der Betreute neige krankheitsbedingt dazu, sich durch das Betreiben einer Vielzahl von sinnlosen Verfahren zu schädigen (BGH NJW-RR 2016, 387; KG FamRZ 2008, 919). Anderenfalls muss in der Bestimmung des Aufgabenkreises ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Angelegenheit oder einem bestimmten behördlichen oder gerichtlichen Verfahren hergestellt werden, für den die Notwendigkeit der Bestellung eines Betreuers besteht (Senatsbeschluss vom 17. Juni 2013, a.a.O.; BGH a.a.O.; OLG Hamm NStZ 2008, 119; OLG Brandenburg FamRZ 2012, 1166). Fehlt es hieran, ist im Hinblick auf die Notwendigkeit einer hinreichenden Bestimmtheit des Aufgabenkreises eine Vertretungsbefugnis des Betreuers in dem konkreten Gerichtsverfahren nicht gegeben (OLG Brandenburg a.a.O.).

b) Nach diesen Maßstäben zählte die Vertretung des Untergebrachten im Verfahren über die Überprüfung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB fortzudauern hat, nicht zu den Aufgabenkreisen der Betreuerin.

Im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung war die Betreuerin nach dem Inhalt ihres Betreuerausweises vom 11. Juni 2020 und dem Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg – Betreuungsgericht – vom 28. April 2020 für die Aufgabenkreise der „Vermögenssorge“ sowie „Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern“ bestellt. Während der erstere bereits von vornherein als Grundlage ausscheidet, kommt der letztere mangels Bezugs zu dieser konkreten Rechtssache nicht in Betracht, abgesehen davon, dass die Vertretung in Gerichtsverfahren nicht einmal als solche erwähnt ist. Gerichte sind als Teil der dritten Staatsgewalt keine Behörden im Sinne von Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (vgl. § 1 Abs. 4 VwVfG); in der Aufzählung neben Versicherungen und Renten- und Sozialleistungsträgern sind nur solche Behörden gemeint.

Die nachträgliche – nach Einlegung der sofortigen Beschwerde – mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 19. Januar 2021 vorgenommene Erweiterung des Aufgabenkreises hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens gegen den angefochtenen Beschluss vor dem Senat ändert nichts an diesem Befund. Zum einen wirkt die Entscheidung nicht auf den Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung zurück (vgl. § 287 Abs. 1, 2 FamFG), zum anderen wäre mit der Erweiterung des Umfangs der Betreuerbestellung auf eine „Vertretung in dem Beschwerdeverfahren“ nicht die Befugnis begründet, durch Rechtsmitteleinlegung ein Beschwerdeverfahren überhaupt erst herbeizuführen.

3. Die nachträgliche Erweiterung des Aufgabenkreises hat auch im übrigen keine Heilung des Handelns ohne Vertretungsmacht der Beschwerdeführerin bei Rechtsmitteleinlegung bewirkt.

Zwar kann auch ein Vertreter, der nicht Verteidiger oder Betreuer ist, für den Beschuldigten Rechtsmittel einlegen; dann bedarf es aber des Nachweises einer Vollmacht, die bei der Rechtsmitteleinlegung erteilt gewesen sein muss (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 297 Rn. 4; KK/ Paul, § 298 Rn. 3; LR/Jesse, § 298 Rn. 9). An einem solchen – auch noch nach Ablauf der Einlegungsfrist möglichen – Nachweis fehlt es hier aber. Die Erklärung der Rechtsanwältin mit Schreiben vom 14. Januar 2021, sie zeige die rechtliche Vertretung für den Betroffenen an, sollte das Gericht weiterhin die Vorlage einer Vollmacht erbitten, stellte den Umständen nach bereits inhaltlich keine anwaltliche Versicherung dar, eine Vollmacht sei erteilt.

Eine nachträgliche Genehmigung des Berechtigten kann die Unwirksamkeit nicht mehr beheben (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2003, Az.: 2 Ws 44/03; RGSt 66, 265; LR/Jesse, § 298 Rn. 5). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob in der Mitteilung der Rechtsanwältin vom 19. Januar 2021 bezüglich der Erweiterung des Aufgabenkreises verbunden mit der Erklärung, es werde die Vertretung für das gegenständliche Verfahren angezeigt, zugleich auch eine Genehmigung namens des Untergebrachten in Bezug auf ihre Rechtsmitteleinlegung erblickt werden könnte. Die öffentlich-rechtliche Natur des Prozesses und die im öffentlich-rechtlichen Interesse zu fordernde Sicherstellung eines geordneten Verfahrens verlangen einen zweifelsfreien Bestand der auf Einlegung, Verzicht oder Zurücknahme eines Rechtsmittels gerichteten Willenserklärung; hiermit ist ein Schwebezustand unvereinbar (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Februar 2003 und RG, jeweils a.a.O.; vgl. auch § 180 S. 1 BGB).“