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Haft II: Wiederinvollzugsetzung nach Verurteilung, oder: Gibt es „neue“ Haftumstände/-gründe?

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Die zweite Entscheidung des Tages stammt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 09.12.2024 – 1 Ws 248/24 -zur in Vollzugsetzung eines Haftbefehls Stellung genommen. Grund: Die erfolgte Verurteilung des Angeklagten zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe.

Erlassen worden war der Haftbefehl vom AG am 03.05.2024, das ihn dann am 31.05.2024 nach Festnahme des Angeklagten am Vortag außer Vollzug gesetzt hat. Den ihm erteilten Auflagen ist der Angeklagte in der Folge weitgehend pünktlich nachgekommen. Nach Anklageerhebung am 05.06.2024 hat das LG verbunden mit der Eröffnung des Hauptverfahrens den Haftbefehl aufrechterhalten und außer Vollzug belassen. Im Anschluss an die zwischen dem 02.09.2024 und dem 06.11.2024 an sechs Tagen durchgeführte Hauptverhandlung und Verkündung des Urteils am 06.11.2024 hat das LG den bestehenden Haftbefehl zunächst in Vollzug gesetzt. Seitdem befindet sich der Angeklagte ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 19.11.2024 hat das LG einen an die Verurteilung angepassten Haftbefehl erlassen und diesen dem Angeklagten verkündet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten. Er rügt die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr und die fehlenden Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des Haftbefehls.

Die Beschwerde hatte Erfolg. Das OLG hat den Haftbefehl wieder außer Vollzug gesetzt:

„2. Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs, 4 Nr. 3 StPO) nicht vor.

a) Ist ein Haftbefehl einmal unangefochten außer Vollzug gesetzt worden, so ist jede neue haftrechtliche Entscheidung, die den Wegfall der Haftverschonung zur Folge hat, aufgrund des Gewichts der grundrechtlich geschützten Verfahrensgarantie des § 116 Abs. 4 StPO nur unter den einschränkenden Voraussetzungen dieser Norm möglich. § 116 Abs. 4 StPO kommt auch dann zur Anwendung, wenn ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl aufgehoben wird und in der Folge ein neuer Haftbefehl erlassen und in Vollzug gesetzt wird. Insbesondere bei der Auslegung des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO (Erforderlichkeit der Verhaftung wegen neu hinzugetretener Tatsachen) sind strenge Maßstäbe anzusetzen. Die neu hervorgetretenen Umstände müssen sich auf die Haftgründe beziehen. Beziehen sich solche Umstände auf die Straferwartung, rechtfertigen sie die Wiederinvollzugsetzung dann, wenn sie zu einer Straferwartung führen, die von der Prognose des Haftrichters zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung erheblich zum Nachteil des Beschuldigten abweicht und sie nach einer Abwägung und Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles ergibt, dass sich die Fluchtgefahr durch die Abweichung ganz wesentlich erhöht hat. Stand dem Beschuldigten aber die Möglichkeit einer für ihn nachteiligen Änderung der Prognose während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen und kam er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nach, setzt sich insoweit der vom Beschuldigten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durch (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2020, Az.: 2 BvR 1787/20).

b) Gemessen an diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Invollzugsetzung des angefochtenen Haftbefehls nicht vor. Gegenstand des Haftbefehls vorn 03. Mai 202r war der Vorwurf der Vergewaltigung in fünf Fällen, der gefährlichen Körperverletzung in vier Einzelfällen und der der Körperverletzung in 20 Fällen. Ausgehend von dem Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB musste sich der Angeklagte demzufolge auf Grundlage der Beratung seines Verteidigers einer Verurteilung und der Verhängung einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe ausgesetzt sehen. Die Erwartung hat sich in dem Urteil der Strafkammer vom 6. November 2024 auch nach Verringerung der Tatvorwürfe verwirklicht. Allein der Umstand, dass der Angeklagte gleichwohl, wie von seinem Verteidiger beantragt, einen Freispruch erstrebt hat, kann vor diesem Hintergrund einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen (OLG Hamm, Beschluss vom 30. Januar 2024, Az.: 2 Ws 12/24).

c) Der Haftbefehl war daher unter Erteilung geeigneter Auflagen (§ 116 Abs. 2 StPO) außer Vollzug zu setzen.“

Nichts Neues, sondern ein bekanntes Problem, zu dem festzuhalten ist, dass die OLG an der Stelle mit der Bejahung „neuer“ Haftgründe auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG recht streng sind.

Haft II: Auslieferung eines „Kriegsdienstverweigerers“, oder: Auslieferungshindernis, ja oder nein?

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Und dann habe ich etwas aus dem Auslieferungsverfahren, nämlich den OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2024 – OAus 174/24.

Diesem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Verfolgte verließ 2018 die Ukraine, um in Polen zu arbeiten. Im November 2023 erlässt die Ukraine einen Haftbefehl gegen den Verfolgten und schreibt ihn international zur Fahndung aus. Dem Verfolgten wird vorgeworfen, im Jahr 2018 auf einer Polizeiwache in der Ukraine einen Polizisten beleidigt und durch Schläge verletzt zu haben. Im Mai 2024 wird der Verfolgte in Deutschland festgenommen und befindet sich seitdem in Auslieferungshaft.

Gegenüber der Auslieferung beruft sich der Verfolgte darauf, dass die Strafverfolgung nur vorgeschoben ist, um den Verfolgten in die Armee einzuziehen, sobald er ukrainischen Boden betritt. Er beruft sich insoweit darauf, dass er den Dienst an der Waffe aus Glaubens- und Gewissensgründen ablehne, es in der Ukraine aber keine Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gebe.

Damit stellt sich die Frage: Auslieferungshindernis? Ja oder nein? Das OLG Dresden möchte von der dazu bisher vroliegenden Rechtsprechung des BGH abweichen und vertritt die Auffassung, dass Art. 4 Abs. 3 GG kein Auslieferungshindernis begründet. Es hat wegen der Abweichung die Frage dem BGH vorgelegt.

Den fragt das OLG:

Verstößt die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat?

StPO III: Neufestsetzung einer Strafe nach dem KCanG, oder: Welches Gericht ist zuständig?

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Und dann im dritten Posting drei OLG-Entscheidungen zur – inzwischen in Rechtsprechung und Literatur – umstrittenen Frage: Wer ist eigentlich in den vom KCanG betroffenen Fällen für die erforderliche Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB zuständig? Ist das das erkennende Gericht oder ist das die Strafvollstreckungskammer?

Die OLG scheinen mehrheitlich zum Gericht des ersten Rechtszuges und nicht zur SttVK zu tendieren, so dass folgender Leitsatz passt:

Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 S. 2 EGStGB sowie für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.

Und dazu verweise ich auf:

Wie gesagt, die Frage ist umstritten. Nachweise zu den abweichenden Meinungen stehen in den verlinkten Volltexten. Da findet man dann auch weitere Nachweise zu den Gerichten, die es ebenso sehen wi OLG Dresden, OLG Nürnberg und OLG Stuttgart.

Was interessieren uns unsere eigenen Grundsätze?, oder: Pauschgebühren beim OLG Dresden

Smiley

Und dann im zweiten Gebührenposting zwei Entscheidungen zur Pauschgebühr des OLG Dresden, von denen zumindest eine falsch ist. Vorsicht: Das wird jetzt ein wenig viel zum Lesen, aber das muss mal sein.

Bei dem „falschen“ Beschluss handelt es sich um den OLG Dresden, Geschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22, der nach einem sehr umfangreichen und schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren, das beim LG Dresden mehrere Jahre anhängig war, ergangen ist.

Der antragstellende Rechtsanwalt ist am 06.11.2013 (!!) noch im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens hat der Verteidiger dann mit Schriftsatz vom 18.08.2022 die Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, in der Hauptverhandlung vor dem LG und in der Revisionsinstanz in Höhe von 300.000,00 EUR (netto) beantragt.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht ist zu dem Antrag gehört worden. Sie hat ihn wegen des (Akten-)Umfangs der Sache in Höhe von 2.240,00 EUR (!!!!) über die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 89.015,00 EUR befürwortet. Das OLG hat eine Pauschgebühr in Höhe von 23.000 EUR bewilligt.

Auch hier: Die allgemeinen Ausführungen des OLG, das übrigens durch den Einzelrichter entschieden hat, kann man sich sparen. Die kennen wir und haben wir schon zig-mal gelesen. Sie werden dadurch, dass die OLG sie immer wieder wiederholen, nicht besser/richtiger.

Dann aber die zur konkreten Sache:

„1. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 23.000,00 € gerechtfertigt. Der darüber hinausgehende Antrag ist als unbegründet zurückzuweisen.

a) Vorliegend ist das Verfahren aufgrund des Aktenumfangs als besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG anzusehen. So ist bis zur ersten Hauptverhandlung von einem wesentlichen Aktenumfang von bis zu 50.000 Blatt auszugehen, wobei sich der Umfang der Hauptakten bis zum Ende des Verfahrens jedoch deutlich erhöht hat. Auf die detaillierten Aus-führungen der Stellungnahme der Bezirksrevisorin wird insoweit Bezug genommen. Die von den Strafsenaten des Oberlandesgerichts für vergleichbare Fälle nach § 51 Abs. 1 RVG aufgestellten Grundsätze sehen vor, dass bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht ab einem Aktenumfang ab 1.200 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Eine lineare Fortführung der Tabelle kann im Einzelfall angemessen sein, ist aber nicht generell geboten. Diesen Grundsätzen folgend ergingen auch die Entscheidungen des Senats und der anderen Senate, auf die im Antrag bzw. den Anträgen der Mitverteidiger Bezug genommen wurde (etwa Beschluss vom 08. Februar 2016, Az.: 1 (S) AR 47115 – Wirtschaftsstrafsache). Dazu kommt, dass den Verteidigern umfangreiche elektronische Daten zur Verfügung gestellt wurden, unter anderem allein ein drei Terrabyte umfassendes Exzerpt digitalisierter Daten; eine nähere Beschreibung findet sich etwa in dem Antrag eines Mit-verteidigers Meißner auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 73/22. Andererseits ist insoweit zu beachten, dass es sich dabei nicht per se um klassischen Lesestoff handelt, vielmehr bedürfen die Inhalte in großen Teilen lediglich einer kursorischen Erfassung und sind Grundlage computergestützer Recherchen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. April 2018, Az.: 111-3 AR 256/16 – juris).

Im Hinblick auf den vorliegend besonders großen Akten- und Datenumfang hält der Einzelrichter hier eine deutliche Erhöhung der Grundgebühr für gerechtfertigt.

Einen besonderen Umfang hat der Verteidiger nachvollziehbar in Bezug auf die Haftsituation seines Mandanten, insbesondere die Vielzahl der benannten Haftbesuche bereits im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und in Bezug auf die im Zusammenhang mit Haftentscheidungen erstellten Schriftsätze dargetan. Dies fand bei der Entscheidung ebenso Berücksichtigung wie der v.a. angesichts der Urteilsgründe erhöhte Aufwand im Revisionsverfahren.

b) Keine Pauschvergütung rechtfertigt sich – selbst angesichts der hohen Zahl der Hauptverhandlungstage und des insoweit aufgetretenen Vor- und Nachbearbeitungsaufwandes – für den Umfang der Tätigkeit des Verteidigers während der Hauptverhandlung.

Insoweit fehlt es an der Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren, die nach dem klaren Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG und dem in der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (vgl. BT-Drs. 15/1971, Seite 201) zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (BVerfG, NJW 2007, 3420) neben einem besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren zusätzlich vorauszusetzen ist. Insbesondere vermag der Antragsteller vor diesem Hintergrund eine ausschließliche oder fast ausschließliche Inanspruchnahme nicht aufzuzeigen. Die zwischen dem 16. November 2015 und dem 09. Juli 2018 an insgesamt 168 Tagen durchgeführte Hauptverhandlung führte – bei quartalsmäßiger Betrachtung – zu einer Terminsdichte zwischen 0,7 und 1,6 Hauptverhandlungstagen pro Woche und bei einer Gesamtbetrachtung von 1,2 Hauptverhandlungstagen pro Woche.

Eine Berücksichtigung der Verhandlungsdichte kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung – auch des Senats – regelmäßig erst bei einer Terminsdichte von (mehrfach) mindestens drei ganztägigen Verhandlungen pro Woche in Betracht (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 10. Dezember 2021, Az.: 5 AR (P) 7/20 – juris). Die Anzahl der Hauptverhandlungstermine und deren Dauer wird durch die jeweiligen Terminsgebühren und gegebenenfalls Längenzuschläge erfasst. Eine Pauschvergütung ist auch durch die umfangreiche Nutzung des Selbstlese-verfahrens durch eine Vielzahl entsprechender Anordnungen und im Umfang von über 6.000 Seiten (vgl. Antragsbegründung im Verfahren 1(S) AR 51/22) nicht veranlasst. Bei „Aufteilung“ auf die Anzahl der Hauptverhandlungstage ergibt sich daraus lediglich ein Leseaufwand von etwas über 40 Seiten pro Hauptverhandlungstag, der ebenfalls als noch nicht unzumutbar ein-zuordnen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei regelmäßig um Unterlagen handelt, die ohnehin im Rahmen der Einarbeitung (dazu unter Buchst. a) zur Kenntnis zu nehmen waren (OLG Hamm, Beschluss vom 05. Mai 2022, Az.: III-5 RVGs 16/22 – juris).

Es ist überdies weder dargetan noch ersichtlich, dass die jeweils erforderliche Anreise zum Gerichtsort bei der Bemessung des Umfangs der Sache zu einer Überschreitung der Zumut-barkeitsgrenze führen würde (BGH NJW 2015, 2437). Der entsprechende und zu den reinen Verhandlungszeiten hinzutretende Zeitaufwand wird durch das Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) erfasst.

c) Im Übrigen war das Verfahren jedoch als besonders schwierig einzustufen. Die Schwierigkeit ging weit über ein durchschnittlich vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zu führendes Verfahren hinaus. Die Verteidiger hatten sich etwa mit besonderen Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank-und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts zu befassen (vgl. Antrag eines Mitverteidigers pp. auf Gewährung von Pauschvergütung vom 01. Dezember 2022, Az.: 1(S) AR 74/22). Es ist nachvollziehbar, dass damit ein höherer Vorbereitungs- und Be-sprechungsaufwand sowohl vor als auch im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung einher ging; dies gerade auch, um eine sachgerechte Befragung von Zeugen und Sachverständigen zu ermöglichen.

3. Nach Abwägung aller relevanten Umstände und unter Berücksichtigung der vom Verteidiger in seinen Schriftsätzen vorgebrachten Argumente erschien dem Einzelrichter angesichts des außergewöhnlichen Gepräges des Verfahrens, das – wie schon das Landgericht in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 03. Mai 2016 ausgeführt hat:

„Es geht im vorliegenden Fall nicht nur um ein für den Freistaat Sachsen bisher singuläres Betrugsverfahren, sowohl nach Zahl der mutmaßlichen Geschädigten wie nach der Schadenshöhe, sondern auch die Komplexität und der Umfang des Verfahrens machen dieses zu einem der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte.“ –

sich erheblich von durchschnittlichen Wirtschaftsstrafverfahren abhebt, zum Ausgleich der von ihm erbrachten Tätigkeiten eine (zusätzliche) Pauschvergütung in der ausgesprochenen Höhe für angemessen.

Die in den Besonderheiten des Verfahrens begründete Höhe der Pauschvergütung wird daher kein verallgemeinernder Maßstab für die zukünftige Handhabung des Senats in anderen Fällen sein.“

Dazu ist anzumerken:

Folgende Verfahrensumstände, die vom OLG nur mager mitgeteilt werden –  man verwendet lieber Zeit und Platz auf Selbstverständlichkeiten -, sind von Bedeutung:

  • 50.000 Blatt Akten bis zum Beginn der Hauptverhandlung, wobei offen bleibt, wie sich der Aktenbestand danach erhöht hat,
  • zusätzlich drei Terrabyte elektronische Daten,
  • insgesamt 168 Tagen Hauptverhandlungstermine zwischen dem 16.11.2015 und dem 9.7.2018, also eine Hauptverhandlungsdichte von 1,2 Hauptverhandlungstagen/Woche,
  • eine Vielzahl (wieviel konkret?) von Haftbesuchen,
  • „besonders schwierig“, da besondere Rechtsfragen aus den Gebieten des Versicherungsrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts, des Bank- und Kapitalmarktrechts, des Aktienrechts und des Insolvenzrechts eine Rolle gespielt haben,
  • lange Verfahrensdauer von fast 10 Jahren
  • das OLG braucht zur Entscheidung 15 Monate.

Man fragt sich bei den Umständen zunächst allgemein: Was soll es eigentlich, ein Verfahren wegen „seiner Komplexität und des Umfangs als eines „der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte“ anzusehen, wenn man dem dann bei der Bemessung der Pauschgebühr nicht gerecht wird? Und Ansatzpunkte waren genügend da. Vielleicht hätte man sich mal mit der Berücksichtigung des „Gesamtgepräges“ des Verfahrens (vgl. dazu mit der OLG Hamm, Beschl. v. 2.1.2007 – 2 [s] Sbd. IX-150/06]; Beschl. v. 16.3.2007 – 2 [s] Sbd. IX-30/07; vgl. auch OLG Stuttgart, RVGreport 2008, 383 = StRR 2008, 359 m. Anm. Burhoff = Rpfleger 2008, 441) befassen können? Das hätte sicherlich – allein schon wegen der langen Verfahrensdauer von fast 10 Jahren die – zugegeben nicht sehr hohe – Verhandlungsdichte – die zugrunde liegende Berechnungsmaßstäbe der OLG-Rechtsprechung als richtig unterstellt – relativiert, wobei offen bleibt, wie lange die Hauptverhandlungstermine durchschnittlich gedauert haben. Oder: Wie ist der Umstand zu bewerten, dass das Verfahren nicht nur „besonders umfangreich“, sondern eben auch „besonders schwierig“ war, wobei hier wohl – um einen Begriff aus der BGH-Rechtsprechung aufzugreifen – die Schwierigkeit nach Auffassung des OLG „exorbitant“ war. Alles in allem, „klebt“ der Beschluss m.E. zu sehr an Einzelumständen und lässt den Gesamteindruck, den das Verfahren macht, zu sehr außer Acht.

Von Bedeutung ist zudem ein weiterer Punkt. Das OLG verweist in Zusammenhang mit der Bewertung des Aktenumfangs auf seine insoweit geltenden Grundsätze (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 114). So schön, wie es ist, dass das OLG Dresden eines der OLG ist, dass solche Grundsätze aufgestellt hat und damit in gewissem Umfang Berechnungsgrundlagen offen gelegt hat. Nur: Was sollen solche Grundsätze, wenn man diese bei Anwendung sogleich selbst relativiert: – „Eine lineare Fortführung der Tabelle könne im Einzelfall angemessen sein, sei aber nicht generell geboten“ – und wegen der drei Terrabyte weiterer Daten überhaupt nicht erkennbar ist, welchen Einfluss die auf die Gewährung, vor allem die Bemessung der Pauschgebühr hatten? Da schreckt man offenbar vor den selbst aufgestellten Grundsätzen zurück, denn: 1 Terrabyte Speicherplatz sind – nach einer Internetrecherche – etwa 6,5 Millionen Dokumentseiten, die als Office-Dateien, PDF-Dateien und Präsentationen gespeichert werden. Noch Fragen hinsichtlich der Angemessenheit der Pauschgebühr?

Zusammenfassend: Wenn das OLG das Verfahren selbst wegen seiner Komplexität und des Umfangs als eines „der bundesweit herausragenden der letzten Jahrzehnte“ ansieht, spricht vieles dafür, dass die festgesetzte Pauschgebühr von 23.000 EUR erheblich zu niedrig ist. Ob nun die beantragten 300.000 EUR angemessen gewesen wären, kann man diskutieren, aber nur 23.000 EUR sind doch zu mager.

Und: Gelegenheit: Die von der Vertreterin der Staatskasse als angemessen angesehenen 2.240,00 EUR (!!) sind eine Frechheit und waren dann wohl selbst dem OLG zu niedrig.

Etwas zur Beruhigung trägt dann der zweite Beschluss bei, und zwar der OLG Dresden, Beschl. v. 02.01.2024 – 1 (S) AR 40/23. Da hat das OLG in einem amtsgerichtlichen Verfahren wegen des Aktenumfangs eine Pauschgebühr gewährt, denn – so der Leitsatz:

Bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht kann ab einem Aktenumfang von 800 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Für einen Umfang zwischen 2.000 und 3.000 Blatt ergibt sich eine 2-fache Erhöhung der Grundgebühr.

Aber: Eben nur etwas Beruhigung, denn man ärgert sich natürlich, dass bei dieser Pauschgebühr die Grundsätze zum Aktenumfang angewendet werden. Hier passt es. Ist ja auch nicht so viel, was man feststellen muss. Für mich ein Widerspruch, der die Gewährung von Pauschgebühren – beim OLG Dresden – unberechenbar macht. Im Übrigen: Hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschgebühr verwendet das OLG offensichtlich Textbausteine, da die Ausführungen dazu in dem Beschluss vom 02.01.2024 weitgehend wortgleich sind mit denen bei OLG Dresden, Beschl. v. 15.12.2023 – 1 (S) AR 53/22 sind.

Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers, oder: Erstreckung auch auf das Adhäsionsverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 Ws 298/23. Den Beschluss hätte ich auch an einem „Pflichti-Tag“ bringen können. Er passt aber wegen der gebührenrechtlichen Auswirkungen auch/besser an einem RVG-Tag.

Das OLG hat zum Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers entschieden, und zwar zur Frage der Erstreckung der Vertretung des Angeklagten auch auf das Adhäsionsverfahren. Dazu führt es nun aus:

„Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Diese in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage ist in der Rechtsprechung nunmehr geklärt. An seiner früheren entgegenstehenden Rechtsauffassung (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 2 Ws 569/13 – BeckRS 2014,00582) hält der Senat hält nicht fest.

Für eine Umfangsbeschränkung der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO auf die Abwehr allein des staatlichen Strafanspruchs findet sich im Gesetz keine Grundlage. Da das Adhäsionsverfahren Teil des Strafverfahrens ist, wie sich aus dessen gesetzlicher Regelung in den §§ 403 ff. StPO ergibt, erstreckt sich der Umfang der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO schon deshalb auch hierauf. Der Senat verweist hierzu auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 — 6 StR 307/21 juris Rdnr. 2 ff. m.w.N.; ebenso BGH, Urteil vom 30. Juni 2022 —1 StR 277/21 —, juris Rdnr. 4), der dies auf Grundlage der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/191 vom 26. Oktober 2016 überzeugend darlegt. Denn wenn die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 Abs. 1 StPO ist, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Eine Beschränkung des Umfangs der notwendigen Verteidigung auf die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs hat der Gesetzgeber in § 140 StPO nicht vorgenommen.

Die von der Staatskasse in Bezug genommene abweichende Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 08. Dezember 2021 — 5 StR 162/21 —, juris) enthält demgegenüber keine sachbezogene Begründung.

Geht doch 🙂