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OWi II: Absehen wegen wirtschaftlicher Härte, oder: Kannst dir ja einen Fahrer nehmen…

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.06.2019 – (2 B) 53 Ss-OWi 244/19 (89/19), ist eine „Fahrverbotsentscheidung“. Das AG hatte vom einem Fahrverbot abgesehen und das wie folgt begründet:

„Von der Verhängung des Fahrverbots hat das Gericht in Würdigung der Tatumstände sowie der Persönlichkeit des Betroffenen und seiner wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse abgesehen. Für den Betroffenen, welcher bis zur Tat auch straßenverkehrsrechtlieh noch nicht in Erscheinung getreten war, würde ein Fahrverbot zum einen eine unverhältnismäßige Härte darstellen. Er ist existenziell auf den Führerschein angewiesen, da er zum einen zum Erreichen seines 57 km entfernt liegenden Arbeitsortes auf die ständige Nutzung seines PKW als Selbstfahrer angewiesen ist, zudem ist er regelmäßig beruflich deutschlandweit tätig und auch hierbei auf seinen PKW angewiesen. Dies hat er durch Vorlage des exemplarischen Ausdrucks seiner umfangreichen Tätigkeitsnachweise/Fahrtenbuchausdrucke für die Zeit vom Januar bis Mai 2018, welche zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden, belegt (Blatt 63 bis 68 der Akte). Die mit einem Fahrverbot verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen für den Betroffenen stünden in keinem Verhältnis zu der hier zu ahndenden Ordnungswidrigkeit und wären auch nicht hinnehmbar.

Eine anderweitige Überbrückung des Fahrverbots steht dem Betroffenen nicht zur Verfügung.

Darüber hinaus hat sich der Betroffene auch intensiv mit seinem Verhalten im Straßenverkehr auseinandergesetzt und diesbezüglich eine zeit- und kostenintensive Maßnahme zur Fahreignung (,,avanti – Fahrverbot“ des Nord-Kurs – TUV NORD GROUP) absolviert (Blatt 74/75 der Akte). Eine solche Maßnahme stellt zwar nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung allem keinen Grund dar, vom Regelfahrverbot abzusehen, hier kommen aber weitere Gesichtspunkte hinzu – die oben dargestellte besondere persönliche Härte; der Umstand, dass seit der Tat inzwischen 15 Monate verstrichen sind-, welche in der Gesamtbetrachtung ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen.“

Gemäß § 4 Abs. 4 BKat hat das Gericht wegen des Absehens vom Fahrverbot und der Voreintragungen des Betroffenen im Fahreignungsregister die Geldbuße angemessen von 240,00 € auf 300,00 € erhöht. Eine weitere Erhöhung der Geldbuße sah das Gericht hier in der Gesamtschau aller Tat- und Schuldumstände, insbesondere auch des Nachtatverhaltens des Betroffenen, als nicht angezeigt an.“

Das passt der StA natürlich nicht, die Rechtsbeschwerde eingelegt und damit auch hinsichtliche des Fahrverbotes beim OLG Erfolg gehabt hat:

„2. Die Urteilsgründe tragen weiter nicht die Entscheidung, von der Anordnung eines Fahrverbotes abzusehen.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat dazu in ihrer Beschwerdebegründung 20. Februar 2019 weiter ausgeführt:

„Zur Ahndung der in Rede stehenden Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sieht der Bußgeldkatalog gemäß § 24 StVG i. V. m. Nummer 11.3.8. der Tabelle 1c) des Anhangs zum Bußgeldkatalog eine Geldbuße von 240 Euro sowie die Verhängung eines Fahrverbotes für die Dauer von 1 Monat vor.

Nach den Vorgaben des Verordnungsgebers ist grundsätzlich – soweit, wie hier, der Tatbestand des § 4 Abs. 1 BKatV erfüllt ist – das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG indiziert, so dass es in diesen Fällen regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf. Von der Anordnung eines Fahrverbots ist nur abzusehen, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung von Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.

Im Übrigen darf von einem Fahrverbot nur abgesehen werden, wenn unter Anlegung strenger Maßstäbe besondere Umstände äußerer oder innerer Art das Tatbild beherrschen bzw. das Fahrverbot eine Härte ganz ungewöhnlicher Art darstellen würde.

Das Gericht hat dem Betroffenen bei der Verhängung eines Fahrverbotes eine unverhältnismäßige Härte zugebilligt und dies in erster Linie damit begründet, dass er existentiell auf seine Führerlaubnis angewiesen sei, weil er zum Erreichen seines 57 km entfernt liegenden Arbeitsortes auf die ständige Nutzung seines PKW als Selbstfahrer zurückgreifen müsse sowie regelmäßig deutschlandweit tätig und auch aus diesem Grunde auf seinen PKW angewiesen sei.

Die Erwägung, das Fahrverbot gefährde den Betroffenen in seiner wirtschaftlichen Existenz, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Eine besondere Härte kann zwar aus wirtschaftlichen Gründen vorliegen. Dies gilt aber nur dann, wenn nachweislich schwere wirtschaftliche Schäden drohen, etwa der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Vernichtung der beruflichen Existenz (Bbg. OLG, 2. Strafsenat, Beschluss vom 27. März 2014 (2 B) 53 Js-OWi 129/14 (67/14)). Ob eine derartige Konstellation gegeben ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Allein der Umstand, dass der Betroffene „Vielfahrer“ ist, und nur dies findet sich im Urteil hierfür als der in erster Linie maßgebliche Aspekt, rechtfertigt nicht das Absehen vom Regelfahrverbot.

Dem Betroffenen ist grundsätzlich zuzumuten, Nachteile, die sich für ihn aus der Verhängung des Fahrverbotes ergeben, durch ihm zumutbare Maßnahmen zu kompensieren, z. B. durch die Inanspruchnahme von Urlaub. Das Urteil leidet in diesem Kontext an wesentlichen Darstellungsmängeln. Insbesondere ist nicht geprüft worden, ob der Betroffene die Dauer des einmonatigen Regelfahrverbotes durch die Inanspruchnahme von Urlaub oder Fahrern aus dem Kreis der Verwandten, Bekannten, Studenten bzw. Arbeitslosen zu überbrücken vermag oder ihm dies durch eine Kombination dieser beiden Varianten, gegebenenfalls unter Inanspruchnahme eines Ratenkredits (Bbg. OLG aaO), möglich ist. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass ihm die Regelung des § 25 Absatz 2a StVG hierfür einen zeitlichen Rahmen von 4 Monaten einräumt.

Auch die Teilnahme an einer Maßnahme zur Förderung der Fahreignung kann weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit den wenigen zusätzlichen, vom Bußgeldrichter für den Betroffenen angeführten Umständen, die Abstandnahme vom Fahrverbot rechtfertigen (OLG Bamberg, . Beschluss vom 17.03.2008 – 2 Ss OWi 265/08BeckRS 2008, 08851; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.05.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 5/17 – BeckRS 2017, 120482). Entgegen den bußgeldrichterlichen Erwägungen kann dem Aspekt bisheriger straßenverkehrsrechtlicher Unauffälligkeit des Betroffenen in diesem Zusammenhang schon im Hinblick darauf kein Gewicht beigemessen werden, dass die Regelsätze des Bußgeldkatalogs nach § 3 Abs. 1 BKatV Voreintragungen nicht berücksichtigen. Dies gilt, wie sich im Umkehrschluss zu § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV entnehmen lässt, auch für das Regelfahrverbot. Im gegebenen Falle kommt hinzu, dass das Amtsgericht Bad Liebenwerda zu Unrecht von der verkehrsrechtlichen Unauffälligkeit des Betroffenen bis zu der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Ordnungswidrigkeit ausgegangen ist. Denn nach den Urteilsfeststellungen war die der Voreintragung zu Grunde liegende Geschwindigkeitsüberschreitung am 19. September 2017 verwirklicht worden, während die hier gegenständliche vom 19. Oktober 2017 datiert.“

Auch diesen, ebenfalls zutreffenden, Erwägungen tritt der Senat bei. Sie entsprechen seiner ständigen Rechtsprechung.“

Immer wieder dieser Blödsinn mit dem Fahrer ….. Wenn ich es richtig sehe, hat sich biher noch kein OLG oder AG mal rchtig mit der Frage auseinander gesetzt, was es eigentlich kostet, einen Monat einen Fahrer zu beschäftigen.

OWi II: Vorsatz bei mehr als 100% Überschreitung außerorts, oder: Wie sind die wirtschaftlichen Verhältnisse?

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Die zweite OWi-Entscheidung kommt mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.06.2019 – (2 B) 53 Ss-OWi 132/19 (95/19) – aus Brandenburg. Sie hat zwei Themenkreise zum Inhalt, und zwar einmal die Frage des Vorsatzes bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung – das AG hatte bei einer Überschreitung um mehr als 100 % Vorsatz bejaht – und dann die Frage der Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bei einer Geldbuße von 1.250 €. Beim Vorsatz ist das OLG dem AG gefolgt, bei den wirtschaftlichen Verhältnissen hat es die Feststellungen des AG als nicht ausreichend angesehen.

„Dass das Tatgericht einen vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoß bejaht hat, liegt nach den getroffenen Feststellungen nahe und ist daher nicht zu beanstanden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass aufgestellte Verkehrszeichen von den Verkehrsteilnehmern auch wahr-genommen werden. Die Möglichkeit, dass ein Kraftfahrer ein Zeichen übersehen hat, braucht nur dann in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür konkrete Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Verfahren einwendet (vgl. BGHSt 43, 241, 250). Ein Übersehen der Zeichen ist von dem Betroffenen ausweislich der Urteilsgründe nicht geltend gemacht worden, dies war in Anbetracht des sogenannten Geschwindigkeitstrichters auch fernliegend.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ist der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein starkes Indiz für fahrlässiges bzw. vorsätzliches Handeln (vgl. KG NZV 2004, 598). Je höher die prozentuale Überschreitung ausfällt, desto eher wird sie von einem Kraftfahrer, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit kennt, auf Grund der stärkeren Fahrgeräusche und, der schneller vorbeiziehenden Umgebung bemerkt (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. Mai 2013 – 1 Ss (OWiZ) 85/13 -, juris). Bei einer Überschreitung um beinahe 50% liegt auch außerorts ein solches Bewusstsein nahe (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. April 2006 – 1 Ss 25/06 -, juris m. w. N.). Bei der vorliegend festgestellten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um mehr als 100% unterliegt die Annahme vorsätzlichen Handelns keinen Bedenken, sofern – wie hier – keine besonderen Umstände vorliegen.

Allerdings hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthält.

Zwar sind derartige Feststellungen entbehrlich, wenn bei der Festsetzung der Regelgeldbuße auch von mehr als 250,00 Euro keine Anhaltspunkte für außergewöhnlich gute oder außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorhanden sind und der Betroffene – wie hier – keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht hat (Senatsbeschluss vom 28. Juli 2016 – 2B Ss-OWi 149/16; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 1 Ss (OWi) 92/13). Teilweise wird anerkannt, dass dieser Grundsatz auch bei Erhöhung des Regelsatzes auf bis zu 500 Euro wegen vorsätzlicher Tatbegehung gelten soll (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. April 2017-1 OLG 151 SsBs 62/16).

Vorliegend hat das Amtsgericht allerdings die Regelgeldbuße von 600 Euro (lfd. Nr. 11.3.10 BKat) wegen vorsätzlicher Begehung gem. § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelt und unter Berücksichtigung der Vorahndungen nochmals auf 1.250 Euro erhöht. Bei dieser Sachlage durfte sich das Gericht nicht damit zufrieden geben, dass mangels Einlassung des Betroffenen eine wirtschaftliche Überforderung nicht feststellbar wäre (UA S. 7). Dass eine weitere Aufklärung ohne Erfolg geblieben wäre, ist nicht ersichtlich. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der Bezugnahme auf einen vom Gericht erteilten Hinweis vom 17. Mai 2018, dessen Inhalt nicht mitgeteilt wird. Auch lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, dass der in der Hauptverhandlung anwesende und mit nachgewiesener Vollmacht versehene Verteidiger ausdrücklich zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen befragt worden ist.

Da zwischen der Festsetzung der Geldbuße und der Anordnung des Fahrverbots ein innerer Zusammenhang besteht, ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben, zumal auch die Begründung der Verhängung eines Fahrverbots von drei Monaten nicht frei von Rechtsfehlern ist. Zutreffend weist der Rechtsbeschwerdeführer darauf hin, dass die Urteilsgründe nicht erkennen lassen, dass sich das Gericht bewusst war, dass bei besonderen Umständen nicht nur von einem Fahrverbot abgesehen, sondern auch dessen Dauer verringert werden kann.“

OWi I: Nochmals Mobiltelefon/elektronisches Gerät, oder: In-der-Hand-halten reicht nicht.

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Ich habe ja schon einige Entscheidungen zum „neuen“ § 23 Abs. 1a StVO vorgestellt, die sich mit der Frage befasst haben: Reicht das bloße In-der-Hand-Halten des elektronischen Gerätes jetzt aus zur Vollendung des Tatbestandes? Nachdem das OLG Oldenburg das in einem obiter dictum bejaht hat, haben alle anderen OLG, die sich mit der Frage befasst haben, diese verneint. Das waren die OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 07.02.2019 – 3 Ss (OWi) 8/19 und das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 28.02.2019 – 4 RBs 30/19. Und zu der letzten Gruppe gehört auch das OLG Brandenburg mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 18.02.2019 – (2 Z) 53 Ss-OWi 50/19 (25/19):

„Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Zulassung ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 23. Januar 2019 das Folgende ausgeführt:

„1.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zur Fortbildung des Rechts nicht geboten.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 23 Absatz 1a StVO in der alten Fassung war dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobiltelefons untersagt, wenn er es hierfür aufnimmt oder hält. In der obergerichtlichen Rechtsprechung war hinreichend geklärt, dass schon nach seinem Wortsinn der Begriff der Benutzung erfordert, dass die Handhabung des Mobiltelefons einen Bezug zu einer der Funktionen des Geräts aufweist. Nicht das Aufnehmen und Halten des Mobiltelefons als solches wurde untersagt, sondern – wie das zweckgerichtete Tatbestandsmerkmal „hierfür“ verdeutlichte – allein dessen bestimmungsgemäße Verwendung (vgl. OLG Düsseldorf NZV 2007, 95; OLG Köln NStZ 2006, 248). Demzufolge ist bei einem bloßen Aufheben oder Umlagern eines Mobiltelefons ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1 a StVO verneint worden, weil bei einer solchen Handhabung jeglicher Bezug zu einer gerätetechnischen Bedienfunktion fehlt (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Köln a.a.O.).

Nach der seit dem 19.10.2017 geltenden Fassung darf ein Fahrzeugführer ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird. Somit liegt auch nach der Neufassung ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1 a StVO nur vor, wenn das Mobiltelefon aufgenommen oder gehalten wird, um es zu benutzen. Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 25. Juli 2018 (2 Ss (OWi) 201/18), denn auch darin ist ausgeführt worden, dass eine Nutzung nur dann zulässig ist, wenn das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird. Nach den in jenem Verfahren getroffenen amtsrichterlichen Feststellungen hatte der Betroffene ein Mobiltelefon in der rechten Hand gehalten und mehrere Sekunden auf das Display geschaut, woraus das Amtsgericht geschlossen hatte, dass er das Mobiltelefon verwendet habe. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das OLG Oldenburg zu der Auffassung gelangt, dass der Betroffene bereits durch das Halten des Smartphones gegen § 23 Abs. 1 a StVO n.F. verstoßen hat. Aus der Entscheidung ergibt sich hingegen nicht, dass jegliches Halten, egal aus welchem Grund, einen Verstoß darstellen würde. Vielmehr ist z.B. das bloße In-die-Hand-Nehmen des Gerätes, um es nur woanders hinzulegen, nach wie vor keine Nutzung.

2.

Der vorliegende Sachverhalt gebietet auch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Dieser Zulassungsgrund dient der Verhinderung schwer erträglicher Unterschiede in der Rechtsprechung, die sich naturgemäß nur dort ergeben können, wo über den Einzelfall hinausreichende, übergreifende Gesichtspunkte betroffen sind (vgl. Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 80 Rn. 4 m.w.N.). Er ist gegeben, wenn ein Gericht in einer bestimmten Rechtsfrage bewusst oder in ständiger Praxis von der höchstgerichtlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung abweicht und deshalb auch in Zukunft mit fehlerhaften Entscheidungen dieses Gerichts gerechnet werden muss; er dient dagegen nicht der Einzelfallgerechtigkeit, das heißt, der Korrektur einer im Einzelfall unbewusst getroffenen Fehlentscheidung (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Dezember 1983 – 3 Ss OWi 1703/83 -, juris).

Zwar erweist sich die vom Bußgeldrichter getroffene Feststellung, schon allein das Halten des Mobiltelefons stelle einen Verstoß gegen § 23 Abs.1a StVO dar, da es auf die Frage, weshalb der Betroffene es in der Hand gehalten habe, nicht ankommen würde, nach den Ausführungen unter Ziff. 1 als rechtsfehlerhaft. Diese Auffassung findet in der Entscheidung des OLG Oldenburg keine Rechtsgrundlage. Es hätte vielmehr der Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen anhand des auch diesen Verstoß dokumentierenden Lichtbildes bedurft.

Es steht jedoch nicht zu besorgen, dass der Bußgeldrichter, dessen Entscheidung auf einem Missverständnis hinsichtlich der Auslegung der Entscheidung des OLG Oldenburg zu beruhen scheint, nach der Senatsentscheidung in vorliegender Sache in Zukunft die in jedem Einzelfall gebotene Auseinandersetzung mit der Einlassung des Betroffenen nicht vornehmen wird.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 80 Abs. 4 S. 3 OWiG ab.“

Tja, richtig gelesen. Die Entscheidung des AG war falsch, das OLG hat aber dennoch die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen mit der den Betroffenen sicherlich „freuenden“ Begründung: Ist zwar falsch, das AG wird es aber nicht wieder tun. M.E. hätte man auch den anderen Weg gehen können, wenn nicht müssen. Jedenfalls wird man die Entscheidung dem Betroffenen kaum vermitteln können.

Haft II: Der Sitzungshaftbefehl ergeht in der Hauptverhandlung, oder: Liegt auf der Hand

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Die zweite (Haft)Entscheidung stammt auch vom OLG Brandenburg. Das hat im OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.03.2019 – 1 Ws 35/19 – zum Erlass eines sog. Sitzungshaftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO und zum Rechtsmittel gegen eine solche Maßnahme Stellung genommen.

Das LG Potsdam hatt Hauptverhandlung auf den den 09.01.2019 anberaunmt. Nachdem der Angeklagte dem Folgetermin am 16. Januar 2019 trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt fernblieb, erließ das LG am 16.01.2019 außerhalb der Hauptverhandlung gegen ihn einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO. Der Angeklagte wurde daraufhin am 17.01.2019 festgenommen. Am 18.01.2019 wurde ihm der Haftbefehl verkündet. Dre Verteidiger hat Beschwerde eingelegt, der das LG unter dem 13.02.2019 nicht abgeholfen hat. Mit Beschluss vom 22.02.2019 hat das LG aber den Haftbefehl aufgehoben, da es das Verfahren nach § 229 Abs. 4 StPO ausgesetzt hat. Hintergrund der Aussetzung war eine mehr als dreiwöchige Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen der Erkrankung eines Schöffen.

Das OLG stellt fest: Die Beschwerde ist nicht gegenstandslos geworden und: Der Haftbefehl war rechtswidrig.

1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 16. Januar 2019 ist durch die Aufhebung des Haftbefehls und die Entlassung des Angeklagten aus der Haft am 22. Februar 2019 nicht gegenstandslos geworden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt das Erfordernis eines effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dem Betroffenen das Recht, die Berechtigung eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs auch dann noch gerichtlich klären zu lassen, wenn dieser tatsächlich nicht mehr fortwirkt. Während früher generell eine nachträgliche gerichtliche Klärung schwerwiegender Grundrechtseingriffe davon abhängig gemacht wurde, dass deren direkte Belastung sich typischerweise auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in dem von der maßgeblichen Prozessordnung vorgesehenen Verfahren kaum erlangen kann (vgl. BVerfGE 96, 27; 110, 77), hängt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Gewährung von Rechtsschutz im Hinblick auf das bei Freiheitsentziehungen bestehende Rehabilitierungsinteresse weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon ab, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden kann (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 11. April 2018 – 2 BvR 2601/17 -; BVerfGE 104, 220; BVerfGK 6, 303). Dies gilt sowohl für den Fall der strafrechtlichen Untersuchungshaft (vgl. BVerfGK 6, 303) als auch für die Konstellation eines Sitzungshaftbefehls (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Oktober 2006 – 2 BvR 473/06 -; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2017 – 2 BvR 1071/15 -). Die Beschwerde darf in solchen Fällen nicht wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden; vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischenzeitlich erledigten Maßnahme zu prüfen und gegebenenfalls deren Rechtswidrigkeit festzustellen (vgl. BVerfGE 96, 27; 104, 220; BVerfGK 6, 303; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Februar 2001 – 1 Ws 33/01 -; OLG Celle, Beschluss vom 21. Februar 2003 – 2 Ws 39/03 -; OLG München, Beschluss vom 31. Januar 2006 – 3 Ws 61/06 -, StV 2006, 317; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. Juni 2012 – Ws 162/12 -; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 5. Januar 2015 – 1 Ws 166/14 -; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 11. April 2018 – 2 BvR 2601/17 -).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Verhaftung eines nicht erschienen Angeklagten zur Sicherstellung der Hauptverhandlung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierte Grundrecht dar.

2. Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Die Beschwerde führt zur Feststellung, dass die Haftanordnung der Strafkammer rechtswidrig war.

Der auf § 230 Abs. 2 StPO gestützte Haftbefehl erweist sich bereits deshalb als rechtswidrig, weil er nicht ordnungsgemäß erlassen worden ist.

Über Zwangsmittel nach § 230 Abs. 2 StPO hat das erkennende Gericht grundsätzlich in der für die Hauptverhandlung maßgebenden Besetzung, mithin unter Mitwirkung der Schöffen, zu entscheiden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, § 230 Rn. 24 m.w.N.). Der angefochtene Haftbefehl wurde nicht in der Hauptverhandlung mit der hierfür maßgeblichen Besetzung erlassen. Zwar kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung einen Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO erlassen, wenn es sich diesen Erlass in der Hauptverhandlung vorbehält; Voraussetzung eines solchen Vorbehalts ist aber, dass eine vorgebrachte Entschuldigung geprüft oder der Eingang des glaubhaft angekündigten Nachweises abgewartet werden soll (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 29. Juni 2004 – 2 Ws 328/04). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, jedenfalls ergibt sich dies nicht aus dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 16. Januar 2019. Dass der spätere Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung nicht vorbehalten worden ist, wird durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen.“

Dass der Sitzungshaftbefehl in der Hauptverhandlung ergeht, liegt m.E. auf der Hand. Oder?

Und: <<Werbemodus an>>: Natürlich steht zum Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO einiges bei „Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl. 2019″, die man hier – zusammen mit dem Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019“ hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Haft I: Beschleunigung auch nach dem Urteil, oder: Wenn es u.a. beim BGH hakt

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Schon etwas länger schlummern in meinem Blogordner einige Entscheidungen zur (Untersuchungs)Haft, die ich heute vorstellen werde.

Ich eröffne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.01.2019 – 1 Ws 203/18, der auf die Haftbeschwerde eines Angeklagten ergangen ist. Dem wird ein im Jahr 2014 angeblich begangener Brandanschlag zur Last gelegt. Der Angeklagte befand sich seit seit zwei Jahren und zehn Monaten ununterbrochen in Untersuchungshaft. Das OLG hat den Haftbefehl auf die Beschwerde des Angeklagten aufgehoben. Begründung: Mehrere vermeidbare Verfahrensverzögerungen durch die Justiz, die sich in ihrer Summe auf über sechs Monate belaufen haben.

Ich sehe hier mal von der Darstellung des Verfahrensgangs ab und stelle nur die Begründung des OLG zur Unverhältnismäßigkeit der weiteren Fortdauer der U-Haft und zu den eingetretenen Verfahrensverzögerungen ein – Rest bitte bitte selbst lesen:

„3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft erweist sich jedoch infolge vermeidbarer, dem Angeklagten nicht zuzurechnender Verfahrensverzögerungen, die in einer Gesamtschau des Verfahrens nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils mit dem Recht des Angeklagten auf Beachtung des im rechtsstaatlichen Verfahren verankerten Beschleunigungsgebots nicht mehr vereinbar sind, als unverhältnismäßig……

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe verkennt der Senat nicht, dass das Ermittlungsverfahren zügig geführt wurde. Da das Verfahren gegen 15 Beschuldigte geführt worden ist, in erheblichem Umfang gegen sechs Beschuldigte Telefonüberwachungsmaßnahmen und bei neun Beschuldigten Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, Mobiltelefone von fünf Beschuldigten und Personalcomputer von sieben Beschuldigten beschlagnahmt und ausgewertet werden mussten, ist die Anklageerhebung weniger als fünf Monate nach der Inhaftierung des Angeklagten S. nicht zu beanstanden. Auch haben die – gerichtsbekannt hochbelastete – 1. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam das Hauptverfahren vom 24. November 2016 bis zum 9. Februar 2017 und die ebenso stark belastete 5. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam seit dem 10. Oktober 2018 die Hauptverhandlung stringent und zügig geführt, dabei an einzelnen Sitzungstagen sogar bis nach 18 Uhr verhandelt.

Dennoch kam es zu erheblichen Verfahrensverzögerungen sowohl beim Landgericht Potsdam als auch beim Bundesgerichtshof, die nicht nachvollziehbar und daher der Justiz zuzurechnen und mit dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung in Haftsachen nicht mehr vereinbar sind.

c) Das Verfahren nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils, nachdem der Angeklagte S. bereits knapp ein Jahr Untersuchungshaft verbüßt hatte, ist nicht in einer Weise gefördert worden, die den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht wird. Die nach Urteilserlass entstandenen Verfahrensverzögerungen verstoßen gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen.

aa) Mit dem verfassungsrechtlich zu beachtenden Beschleunigungsgebot ist es vorliegend unvereinbar, dass das Hauptverhandlungsprotokoll erst am 7. Juli 2018 fertiggestellt wurde und Urteil und Protokoll erst am 8. August 2018 bei den Verteidigern eingegangen sind.

Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt nämlich auch, dass die Erstellung eines kompletten Hauptverhandlungsprotokolls im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2005, 2 BvR 2057/05, StV 2006, 81, bei juris Rn 70; OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. September 2018, 2 Ws 645/18, BeckRS 2018, 25539).

Bei Beachtung dieser Vorgaben und des Umstandes, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung seit elf Monaten in Untersuchungshaft befand, ist das Verfahren zu diesem Zeitpunkt dadurch erheblich verzögert worden, dass die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls nicht zeitnah zur Urteilserstellung erfolgt ist. Vom Tag der Urteilsverkündung am 9. Februar 2017 bis zur Fertigstellung des Protokolls am 7. Juli 2017 vergingen fünf Monate. Selbst ab dem 12. April 2017, dem Zeitpunkt, an dem das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, dauerte die Fertigstellung des Protokolls, die gemäß § 273 Abs. 4 StPO Voraussetzung für die Wirksamkeit der Urteilszustellung ist, knapp drei Monate. Vom Tag der Fertigstellung des Urteils bis zur Zustellung des Urteils und des Protokolls an die Verteidiger vergingen insgesamt drei Monate und 26 Tage. Der Fortgang des Revisionsverfahrens hat sich durch die verspätete Fertigstellung des Protokolls erheblich verzögert. Die Revisionsbegründungsfrist hat nämlich gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO erst mit der Zustellung des Urteils an die Verteidiger zu laufen begonnen.

Die verspätete Fertigstellung des Protokolls war sachlich nicht gerechtfertigt und vermeidbar. Die Hauptverhandlung erstreckte sich über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten mit 13 Hauptverhandlungstagen, wobei das Protokoll der Hauptverhandlung keinen außergewöhnlichen Umfang erreichte. Es hat lediglich einen Umfang von 165 Seiten nebst Anlagen. Für die Prüfung und Korrektur des Protokolls stand mit dem über zweimonatigen Zeitraum vom 9. Februar 2018 bis zum 12. April 2018 ausreichend Zeit zur Verfügung. Die Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls hätte somit durchaus im unmittelbaren Anschluss an die Hauptverhandlung und damit parallel zur Erstellung der Urteilsgründe erfolgen können. Durch die gebotene zügige Vorgehensweise wäre eine Verfahrensverzögerung von knapp drei Monaten (12. April 2018 bis 7. Juli 2018) vermieden worden.

Eine weitere Verzögerung ist dadurch eingetreten, dass der Kammervorsitzende am 10. Juli 2018 die förmliche Zustellung des Urteils und des Hauptverhandlungsprotokolls verfügte, die jedoch durch die Geschäftsstelle erst am 4. August 2018 ausgeführt worden ist, ohne dass Gründe für diese späte Erledigung ersichtlich sind. Unter Berücksichtigung der üblichen Bearbeitungszeit von drei Tagen ergibt sich hierdurch eine weitere Verzögerung von drei Wochen.

Die eingetretene Verzögerung von insgesamt über dreieinhalb Monaten kann nicht mit der auch dem Senat bekannten außerordentlichen Belastung der 1. großen Strafkammer (Staatsschutzkammer) des Landgerichts Potsdam gerechtfertigt werden. Die Überlastung der Strafkammer ist allein der Sphäre des Gerichts und nicht der des Angeklagten zuzurechnen (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O.). Der hohe Geschäftsanfall ist nicht unvorhersehbar kurzfristig eingetreten und nur von vorübergehender Dauer. Darauf lässt bereits die Tatsache, dass im ersten Halbjahr 2018 von derselben Kammer acht Schwurgerichtssachen aus dem Jahre 2017 verhandelt wurden, schließen. Die Sicherstellung einer beschleunigten Bearbeitung von Haftsachen hätte rechtzeitig durch geeignete gerichtsorganisatorische Maßnahmen der Justiz erfolgen müssen.

bb) Eine weitere Verfahrensverzögerung ist darin zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft unter dem Datum des 5. Oktober 2017 die Revisionsgegenerklärung nach § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO abgegeben, die Übersendung der Akten an den Bundesgerichtshof jedoch erst am 1. November 2017 verfügt hat. Unter Berücksichtigung einer Frist zur Fertigung der Reinschrift von drei Tagen ergibt sich hier eine weitere vermeidbare Verfahrensverzögerung von über drei Wochen.

cc) Auch der zeitliche Ablauf im Geschäftsbereich des Bundesgerichthofs entspricht nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Zügigkeit des Verfahrens in Haftsachen.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar festgestellt, dass es von Verfassung wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, die infolge der Durchführung eines Revisionsverfahrens verstrichene Zeit nicht der ermittelten Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2003, 2 BvR 29/03, NJW 2003, 2228; BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2005, 2 BvR 1964/05, NJW 2006, 672). Ebenso unmissverständlich hat es aber auch darauf hingewiesen, dass hiervon eine Ausnahme zu machen ist, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat (so ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2003, 2 BvR 153/03, NJW 2003, 2897, 2898; ebenso BVerfG, Beschluss vom 21. Januar 2004, 2 BvR 1471/03, BVerfGK 2, 239, 251). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht für den Fall einer Aufhebung des Urteils wegen eines der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers von einer Einbeziehung des infolge der Durchführung des Revisionsverfahrens verstrichenen Zeitraums aus (vgl. EGMR NJW 2002, 2856, 2857). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Nachdem der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs durch einstimmig gefassten Beschluss (§ 349 Abs. 4 StPO) vom 6. März 2018 das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 9. Februar 2017 hinsichtlich des Angeklagten S. wegen eines Verfahrensfehlers mit den Feststellungen aufgehoben hatte, datiert die Schlussverfügung u. a. zur Zustellung der Entscheidung und Rücksendung der Akten an die Staatsanwaltschaft Potsdam erst vom 1. Juni 2018. Die Schlussverfügung wurde zudem erst knapp zwei Wochen später, am 13. Juni 2018 ausgeführt. Der Zeitraum zwischen – zügiger – Beschlussfassung (6. März 2018) und Rücksendung der Akten (13. Juni 2018) ist nicht nachvollziehbar, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich der Angeklagte S. zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits zwei Jahre in Untersuchungshaft befand. Unter Berücksichtigung der für die Absetzung der Beschlussgründe, die (ohne Rubrum und Tenor) sieben Seiten umfassen, und der für die Erstellung der erforderlichen Ausfertigungen notwendigen Zeit liegt auch hier eine in der Sphäre der Justiz liegende und vermeidbare, mithin der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung von mindestens zwei Monaten (bis zur Schlussverfügung) und einer Woche (Rücksendung der Akten) vor.

dd) Die vorgenannten vermeidbaren Verfahrensverzögerungen addieren sich auf eine Gesamtzeit von mehr als sechs Monaten. Hierbei handelt es sich in der Gesamtschau um einen erheblichen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot, bei dem – wie oben dargelegt – allein die Schwere der Taten und die sich daraus ergebende Straferwartung nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft dienen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2014, 2 BvR 1457/14, zitiert nach juris, Rn. 21, 22). Auch infolge der zügig durchgeführten Ermittlungen und Hauptverhandlungen vor der 1. großen Strafkammer und der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam ist nicht im Wege einer „Überbeschleunigung“ eine hinreichende Kompensation der aufgezeigten Verfahrensverzögerungen eingetreten.“

Tja, das wird man beim BGH nicht alles selbst lesen.

Was mir übrigens nicht einleuchtet: Warum macht sich das OLG die Mühe mit dem dringenden Tatverdacht und dem Haftgrund. Die Ausführungen sind m.E.überflüssig, wenn man den Haftbefehl doch auch anderen Gründen aufhebt.