Ich hoffe, alle haben die Osterfeiertage gut überstanden und sind frisch für die Restwoche. In die starte ich dann mit drei Entscheidungen zum Auto, zwei verkehrsrechtlichen und eine Owi-Entscheidung betreffend das „Auto“
Von den verkehrsrechtlichen Entscheidungen hier zuerst der OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2022 – 4 RVs 2/22, den ich heute zunächst nur wegen der Ausführungen des OLG zum Fahrverbot nach § 44 StGB vorstelle. Wegen anderer Frage komme ich noch einmal auf die Entscheidudng zurück.
Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamten gleichstehenden Personen in Tatmehrheit mit Beleidigung und falscher Verdächtigungen zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätze zu 65 EUR und einem viermonatigen Fahrverbot verurteilt. Das AG hatte festgestellt, dass bei einem Unfall im September 2019 sich ein Helfer um eine am Kopf blutende ältere Radfahrerin gekümmert und sein Auto zur Sicherung auf die Fahrbahn gestellt hatte. Ein Polizeistreifenwagen stellte sich schräg gegenüber. Durch die Lücke konnte der Verkehr einspurig abfließen.
Obwohl der Angeklagte die blutende Frau am Boden liegen sah, blieb er mit seinem Auto stehen und beschwerte sich über die geparkten Fahrzeuge. Dem ankommenden Rettungswagen versperrte er so den Weg zur Unfallstelle. Er fuhr erst weiter, als er dazu mehrmals von der Polizei aufgefordert wurde. Allerdings hielt er wenige Meter später erneut an, öffnete seine Fahrertür und blockierte den Krankenwagen weiter. Nach Überzeugung des AG verzögerte der Angeklagte die Ankunft der Rettungskräfte so um mindestens eine Minute. Außerdem beleidigte der Mann Ersthelfer und stellte unzutreffende Strafanzeigen gegen Polizeibeamte.
Das OLG hat die Revision verworfen. Es führt zum Fahrverbot aus:
„bb) Die Revision greift auch nicht durch, sofern gerügt wird, dass es das Tatgericht bei der Verhängung des viermonatigen Fahrverbots unterlassen hat, die annähernd zweijährige Verfahrensdauer ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.
Das Amtsgericht hat ein viermonatiges Fahrverbot für erforderlich, aber auch ausreichend und angemessen erachtet, um auf den Angeklagten „noch einmal einzuwirken“. Hierzu hat es folgendes ausgeführt: „Das gesamte Tatverhalten und sein Nachtatverhalten zeigt, dass es erforderlich ist, dem Angeklagten noch einmal vor Augen zu führen, dass im Straßenverkehr Regeln gelten, die auch dazu dienen, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer zu retten. Diese Regeln sind wichtiger als das flüssige und schnelle Vorankommen auf den Straßen. Unter nochmaliger Berücksichtigung des Geschehenen und der Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie in der Tat und in der mündlichen Hauptverhandlung zu Tage getreten ist, erscheint daher eine Dauer des Fahrverbots von vier Monaten erforderlich und ausreichend.“
Die Verhängung einer Nebenstrafe gem. § 44 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ordnet es ein Fahrverbot neben einer allgemeinen Strafe an, so hat es die Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe zu bedenken, die beide zusammen die Tatschuld nicht überschreiten dürfen (vgl. nur Fischer, a.a.O., § 44 Rn. 12, 17). Beide Sanktionen verfolgen einen überwiegend identischen Strafzweck, der aber mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden soll. Als Nebenstrafe soll das Fahrverbot zusammen mit der Hauptstrafe diesem Zweck dienen und kommt in aller Regel in Betracht, wenn der mit ihm angestrebte spezialpräventive Zweck mit der Hauptstrafe allein nicht verwirklicht werden kann und die Verhängung deshalb erforderlich ist. Es ist daher stets auch zu prüfen, ob der angestrebte spezialpräventive Erfolg nicht durch eine höher bemessene Hauptstrafe erreicht werden kann (s. hierzu OLG Hamm, NZV 2004, 598, 599).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht seinen Ermessenspielraum erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
Aus der Formulierung, es sei erforderlich, dem Angeklagten die Straßenverkehrsregeln „noch einmal“ vor Augen zu führen, ist abzuleiten, dass das Tatgericht sich der Wechselwirkung der beiden Strafen bewusst war. Die Abwägung unter Berücksichtigung des Geschehenen und auch der Persönlichkeit des Angeklagten lässt erkennen, dass das Amtsgericht bewusst von einer höher bemessenen Hauptstrafe anstatt einer zusätzlichen Nebenstrafe abgesehen hat. Dies spiegelt sich auch in der äußerst maßvollen Erhöhung der Einsatzstrafe von 90 Tagessätzen auf eine Gesamtgeldstrafe von nur 110 Tagessätzen wider.
Es ist schließlich auch rechtens gewesen, trotz der Verfahrensdauer ein Fahrverbot zu verhängen. Das Fahrverbot ist als Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Fahrer gedacht, um sie vor einem Rückfall zu warnen und ihnen ein Gefühl für den zeitweisen Verlust des Führerscheins und den Verzicht auf die aktive Teilnahme am Straßenverkehr zu vermitteln (vgl. OLG Hamm NZV 2004, 598, 599; BT-Drs. IV/651, S. 12). Längst ist ein überwiegender Teil der Bevölkerung auf die regelmäßige bis ständige Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen, so dass es kaum eine wirkungsvollere Sanktion als das Fahrverbot gibt, um dem nachlässigen oder gar rücksichtslosen Fahrer die Möglichkeit zu geben, sich auf die Gefahren im Straßenverkehr zu besinnen und damit auch auf die Notwendigkeit, dessen Regeln zu beachten. Diese Besinnungsfunktion kann das Fahrverbot in der Regel aber nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt. Vergeht zu viel Zeit, verliert der spezialpräventive und aufrüttelnde Zweck des Fahrverbots seine Wirkung und reduziert sich auf eine bloße Strafe (s. OLG Hamm a.a.O.; s.a. zu einem Fahrverbot gem. § 25 StVG: OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323; OLG Schleswig, DAR 2000, 584). Zudem kann in einem solchen Fall der spezialpräventive Zweck der Maßnahme bereits durch die lange Zeit des Schwebezustandes und die für den Angeklagten damit verbundene Ungewissheit über das Fahrverbot erreicht sein (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Schleswig a.a.O.). Die Rechtsprechung hat sich insoweit einer Grenze von zwei Jahren zwischen der Tatzeit und der Aburteilung angenähert, wenn die lange Verfahrensdauer nicht vom Angeklagten zu vertreten war und er seit der Tat nicht (erneut) straßenverkehrsrechtlich auffällig geworden ist (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, a.a.O., § 44 Rn. 15). Die Frage, ob bzw. ab wann von einem erheblichen Zeitraum zwischen der Tat und ihrer Ahndung durch ein Fahrverbot auszugehen ist, lässt sich aber nicht anhand bestimmter bzw. starrer Regelgrenzen beantworten, sondern ist im Einzelfall unter Abwägung aller relevanten Umstände zu entscheiden.
Für den vorliegenden Fall ergibt diese Abwägung, dass wegen des Zeitablaufs nicht von einem Fahrverbot abzusehen war. Zwar wurde die Tat bereits am 24. September 2019 begangen und das Urteil erst am 03. September 2021, mithin knapp zwei Jahre später, verkündet. Die Verfahrensdauer ist auch nicht etwa durch den Angeklagten zu vertreten gewesen, sondern beruht auf der vorübergehenden Einstellung und späteren Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens sowie auch eingelegten Rechtsmitteln. Jedoch können die Gründe für die Verfahrensdauer ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Angeklagte seitdem erneut gegen Straßenverkehrsrecht verstoßen hat. Auch wenn der Zeitablauf hier nahe an die – allerdings nicht starre (s.o.) – 2-Jahres-Grenze heranreicht, bedarf es im Fall des Angeklagten unzweifelhaft der Warnungs- und Besinnungsstrafe des § 44 StGB. Der Angeklagte hat sein Fahrzeug im Straßenverkehr benutzt, um Rettungssanitätern die Zufahrt zu einer schwer verletzten Person zu blockieren. Er hat damit sein Fahrzeug in durchaus schwerwiegender Weise im Straßenverkehr missbraucht, so dass es einer Erörterung, ob wegen der Verfahrensdauer die Denkzettelfunktion des Fahrverbots entfallen musste, gar nicht bedurft hätte. Die eingangs wiedergegebene Formulierung des Tatrichters zeigt aber, dass diesem die lange Verfahrensdauer und sein Ermessenspielraum hinreichend bewusst waren.“