Schlagwort-Archive: nachträgliche Beiordnung

Pflichti III: Abwarten mit der Beiordnung geht nicht, oder: Diese „Kungelei“…..

© Coloures-pic – Fotolia.com

Die dritte Pflichtverteidigungsentscheidung behandelt den in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten bereitenden Fall der nachträglichen Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach Einstellung des Verfahrens gem. § 154 Abs. 2 StPO. Hier hatte sich der Angeklagte in Haft befunden. Der Verteidiger hatte seine Beiordnung beantragt und sich dabei ausdrücklich auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO bezogen. Das Ag stört sich daran aber nicht, sondern „betreibt“ die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO. Es wird dann eingestellt und zugleich der Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts pp. abgelehnt, da „nunmehr weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO noch die des § 140 Abs. 2 StPO“ vorlägen. Dagegen die Beschwerde, die beim LG Mühlhausen im LG Mühlhausen, Beschl. v. 01.12.2017 – 3 Qs 205/17 – Erfolg hat:

„Die Kammer ist im Ansatz mit der Staatsanwaltschaft Mühlhausen der Auffassung, dass die von der herrschenden Lehre angenommene Unzulässigkeit einer rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung nicht ausnahmslos gelten darf. Der Gesetzgeber sieht gegen die Ver­sagung einer Beiordnung ein Rechtsmittel vor. Die dem Beschuldigten hierdurch kraft Ge­setzes gewährte Überprüfungsmöglichkeit darf ihm nicht dadurch entzogen werden, dass das Gericht schlicht untätig bleibt. Entscheidend für eine Ausnahme ist demnach, dass der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und die Frage einer Beiordnung entschei­dungsreif war. Ob dagegen – wie die Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf LG Pots­dam ausführt — die Gründe, warum das Amtsgericht den Antrag nicht beschieden hat, nach­vollziehbar sind oder nicht, ist aus Sicht der Kammer ohne Bedeutung. Hierbei handelt es sich um Umstände, die dem Einfluss der Verteidigung vollständig entzogen sind und aus denen daher auch kein Nachteil erwachsen kann.

Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend zur Aufhebung des Ablehnungsbe­schlusses. Der Antrag auf Beiordnung war rechtzeitig angebracht und auch entscheidungs­reif. Der Verteidiger hat ausdrücklich § 140 Abs. 1 Ziffer 5 StPO genannt. Dem Amtsge­richt war aus der Anklageschrift bekannt, dass ein Aufenthalt in pp. vorlag. Es hätte daher ohne Weiteres und sofort prüfen können, ob dieser auf einer behörd­lichen Unterbringung beruhte und bereits die im Gesetz geforderten drei Monate andauer­te. Da dies, wie sich aus den Gründen des Urteils des Landgerichts Magdeburg ergibt, der Fall war, hätte der Beiordnungsantrag bereits zu diesem Zeitpunkt positiv beschieden werden müssen.

Vorsorglich weist die Kammer für andere Fälle darauf hin, dass es auch ohne Inhaftierung des Angeklagten nicht zulässig ist, den weiteren Verlauf des Verfahrens abzuwarten und erst am Ende für den Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung zu prüfen, ob die Voraus­setzungen für eine Beiordnung (noch) vorliegen (letzter Absatz des angefochtenen Be­schlusses: „da nunmehr weder die Voraussetzungen …“, Hervorhebung durch die Kam­mer). Ausschlaggebend ist stets der Zeitpunkt der Antragstellung.“

Sehr schön und deutlich der letzte Absatz, der zeigt, was das LG von der Vorgehensweise des AG hält. Leider ist diese „Kungelei“ kein Einzelfall.

Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung, oder: Geht doch

© fotomek - Fotolia.com

© fotomek – Fotolia.com

In der Praxis gibt es immer wieder Streit um die Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers, insbesondere nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO. Die OLG lehnen das i.d.R. ab. In meinen Augen eine „heilige Kuh“ in ihrer Rechtsprechung, mit der nicht selten die Praxis der Instanzgerichte sanktioniert wird, die Entscheidung über einen rechtzeitig gestellten Beiordnungsantrag „hinaus zu schieben“, dann das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO einzustellen und dann dem Verteidiger zu sagen: Jetzt kann ich dich nicht mehr beiordnen, denn das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.

So ähnlich war das AG Magdeburg verfahren und hat sich dafür eine Aufhebung durch das LG Magdeburg eingefangen. Das führt im LG Magdeburg, Beschl. v. 11.10.2016 – 23 Qs 354 Js 13052/16 (18/16) – dazu kurz und knapp aus:

„Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Beiordnung ist trotz des Abschlusses des Verfahrens zulässig, weil es sich bei der Entscheidung über die Beiordnung um eine der Sicherung des Verfahrens dienende Anordnung handelt, die generell und unabhängig vom Verfahrensstadium beschwerdefähig ist, weil die angegriffene beschwerdende Anordnung auch nach Abschluss des Verfahrens bezüglich der Kostenerstattung fortwirkt (vgl. Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 15.04.2007, Az.: 22 Qs 336 Js 24294/06). Die Kammer vertritt diese Auffassung in Übereinstimmung mit der neueren Rechtsprechung vieler Landgerichte und hält die rückwirkende Bestellung für zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 141 Rd. 8)………..“

Auch hier: Geht doch 🙂 . Das LG Magdeburg ist mit seiner Auffassung übrigens nicht allein. M.E. ist es die h.M. der lG, die so verfährt.

Nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung: Man muss schon ein wenig vorarbeiten, Herr Rechtsanwalt

© pedrolieb -Fotolia.com

© pedrolieb -Fotolia.com

Es ist Montagnachmittag und damit an sich Zeit für die Lösung eines RVG-Rätsels. Da es aber (auch) am vergangenen Freitag – es war der 01.01.2016 – kein Gebührenrätsel gegeben hat, kann es heute auch keine Lösung geben. Aber dafür eine Entscheidung mit zumindest gebührenrechtlichem Einschlag. Dabei handelt es sich um den LG Saarbrücken, Beschl. v. 14.10.2015 – 4 Qs 14/15, der noch einmal die Problematik der nachträglichen Beiordnung des Pflichtverteidigers behandelt. Es geht aber mal nicht um die Beiordnung im Erkenntnisverfahren, sondern um die im Strafvollstreckungsverfahren.

Das LG wendet die Rechtsprechung der Obergerichte zur nachträglichen Beiordnung entsprechend an und sagt: Grundsätzlich keine nachträgliche Beiordnung. Ausnahmsweise aber ggf. Beiordnung durch schlüssiges Verhalten. Dafür ist aber erforderlich, dass das Verhalten des Vorsitzenden unter Beachtung der sonstigen maßgeblichen Umstände zweifelsfrei den Schluss auf eine Beiordnung rechtfertigt. Anerkannt ist eine solche konkludente Beiordnung in Fällen, in denen der Wahlverteidiger sein Mandat niedergelegt und beantragt hatte, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen, eine ausdrückliche Bestellung jedoch unterblieb. Das LG hat die Voraussetzungen dann verneint:

„Der Beschwerdeführer hat keine Beiordnung beantragt. Auch liegt kein Fall notwendiger Verteidigung analog § 140 Abs. 2 StPO vor, so dass die Mitwirkung eines Verteidigers rechtlich nicht geboten war. Der vorliegende Fall war im betreffenden Verfahrensstadium eindeutig weder rechtlich, noch tatsächlich schwierig, noch lag eine Schwere des Vollstreckungsfalls vor; dass der Verurteilte sich hinsichtlich des beabsichtigten Gesamtstrafenbeschlusses nicht selbst verteidigen konnte, ist nicht ersichtlich. Allein die möglicherweise damals problematische Zustellungssituation begründet noch keine der genannten Voraussetzungen. Die durch den Beschwerdeführer geltend gemachte Heroinabhängigkeit oder der Aufenthalt in Therapieeinrichtungen sind in vergleichbaren Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz regelmäßig gegeben und belegen auch dort regelmäßig nicht, dass der Verurteilte nicht in der Lage ist, sich im Nachtragsverfahren selbst zu verteidigen. Dass der Verurteilte aufgrund weiterer besonderer Umstände, insbesondere im Zusammenhang mit seiner Abhängigkeit nicht in der Lage war, sich zu verteidigen, hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass an eine Verteidigung im kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren weitaus höhere Anforderungen zu stellen sind, als an eine Verteidigung wie hier im Nachtragsverfahren, so dass auch der durch den Beschwerdeführer angestellte Vergleich mit der Beiordnung in anderen Strafverfahren gegen den Verurteilten nicht verfängt – zumal die Beiordnung in anderen Verfahren aufgrund (zusätzlicher) anderer Umstände erfolgt sein kann, als die durch den Beschwerdeführer angebrachten.

Auch im Übrigen gibt das Verhalten der Vorsitzenden keine Veranlassung eindeutig von einer Pflichtverteidigerbeiordnung auszugehen. Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzugeben, dass zumindest die Bezeichnung als Pflichtverteidiger in der Beschlussausfertigung vom 23.03.2011 für eine Beiordnung spricht, jedoch war der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits tätig geworden und das Nachtragsverfahren im Hinblick auf den zu bildenden Gesamtstrafenbeschluss vor dem Amtsgericht abgeschlossen. Zuvor wurde er ausweislich des Vollstreckungshefts gerade nicht als Pflichtverteidiger bezeichnet – insbesondere auch nicht in der Verfügung der Vorsitzenden vom 01.02.2011 (BI. 23 des Vollstreckungshefts). Außerdem kann die Bezeichnung in der Beschlussausfertigung im Hinblick auf die bereits dargestellten Gründe und die damalige Verfahrenssituation für einen erfahrenen Strafverteidiger nicht den Eindruck entstehen, das Gericht habe ihn für die Frage der Bildung eines Gesamtstrafenbeschlusses beiordnen wollen. Ein solcher Wille lag im konkreten Fall auch nicht nahe, da dieser zum fraglichen Zeitpunkt keinerlei Besonderheiten aufwies.“

Also: Auf jeden Fall einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger stellen und an dessen Erledigung dann auch erinnern. Ein bisschen Mitarbeit/Vorarbeit/Zuarbeit ist schon ganz hilfreich …….

Pflichti I: Rückwirkende Beiordnung, oder „Hase und Igel“

© Spencer - Fotolia.com

© Spencer – Fotolia.com

Der Kollege C. Hoenig und die Kollegin K. Rueber haben gestern zu Pflichtverteidigungsfragen gebloggt (vgl. hier der Kollege Hoenig mit Eine Pflichtverteidigung in Braunschweig und die Kollgein Rueber mit Dank des Pflichtverteidigers). Dabei haben sie eher „allgemeine Fragen“ der Pflichtverteidigung aufgegriffen. Ich will das Thema heute aufgreifen und drei Beschlüsse vorstellen, die mir in den letzten Tagen von Kollegen übersandt worden sind.

Den Auftakt will ich mit dem LG Stendal, Beschl. v. 26.11.2015 – 501 AR 9/15 – machen. Er behandelt noch einmal die Daueproblematik der nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung und zeigt m.E. sehr schön, wohin der BGH, Beschl. v. 9.9.2015 – 3 BGs 134/15 – (vgl. dazu Ein Schritt zurück beim BGH, oder: Die StA wird es schon richten) führt, wenn man ihn nur geschickt „einsetzt“. das tut das LG zwer nicht ausdrücklich, stellt aber auch auf die vom BGH vertretetene – in der Literatur abgelehnte – Auffassung ab.

Der Sachverhalt der Entscheidung wird dem ein oder anderen Kollegen sicherlich bekannt vorkommen: In einem Verfahren wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften, das gegen einen im Maßregelvollzug untergebrachten Beschuldigten anhängig war, hat der Rechtsanwalt seine Bestellung als Verteidiger am 04.03.2015 angezeigt. Mit Schriftsatz vom 15.04.2015 regte der Rechtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft an, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger für den Beschuldigten bei Gericht zu beantragen. Am 07.05.2015 erinnerte er die Staatsanwaltschaft an die Erledigung seiner Anträge. Mit Schriftsatz vom 18.06.2015 hat er seine Anregung, die Pflichtverteidigerbestellung bei Gericht zu beantragen, wiederholt. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren mit Verfügung vom 11.10.2015 nach § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt und dem Verteidiger Einstellungsnachricht erteilt. Danach hat der Rechtsanwalt die Staatsanwaltschaft erneut aufgefordert, seine Bestellung zum Pflichtverteidiger bei Gericht zu beantragen. Die Staatsanwaltschaft hat die Akte mit Verfügung vom 19.11.2015 der Kammer mit dem Antrag vorgelegt, den Rechtsanwalt rückwirkend zum notwendigen Verteidiger zu bestellen. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen.

Begründung: Grundsätzlich keine rückwirkende Beiordnung. ggf. ausnahmsweise doch, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde und zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 140 StPO bereits vorlagen. Das war aber nicht der Fall. Also: Aus der Traum, oder: Die Entscheidung zeigt im Grunde genommen sehr schön, dass die Fabel von Igel und Hase und „Ich bin schon da“ im übertragenen Sinn auch im Strafverfahren gilt. Wenn man nämlich mit der Entscheidung des LG Stendal und auch der des BGH Ernst machen, dann kann der Verteidiger, wenn die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nicht im Hinblick auf eine Pflichtverteidigerbestellung tätig wird, später tun, was er will: Er wird nicht mehr beigeordnet werden. Denn man sieht die rückwirkende Bestellung als unzulässig an, lässt zwar ggf. eine Ausnahme zu, um dann aber sofort darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für die Ausnahme nicht vorliegen, da die Staatsanwaltschaft keinen Antrag gestellt hat. Damit bleiben die Fälle der nachträglichen Bestellung beschränkt auf diejenigen, in denen die Staatsanwaltschaft einen Bestellungsantrag gestellt hat. Man fragt sich, was mit den anderen ist, in denen der Verteidiger insgesamt dreimal seine Bestellung beantragt bzw. daran erinnert hat, ohne dass es die Staatsanwaltschaft für nötig gehalten hat, tätig zu werden? Soll in denen die Ausnahme nicht mehr gelten? Und man fragt sich: Was soll der Verteidiger denn noch mehr tun als er hier mit drei Anträgen/Erinnerungen getan hat.

Es ist im Übrigen für mich unfassbar/nur schwer, wenn überhaupt, nachvollziehbar, dass man darauf bei der Staatsanwaltschaft in einem Zeitraum von sieben Monaten nicht reagiert hat. Da hilft der (zu späte) Reparaturversuch mit der Antragstellung nach Einstellung auch nicht mehr. Den Satz „Für eine Bestellung lediglich im Kosteninteresse des Beschuldigten und seines Verteidigers ist kein Raum“ muss der Verteidiger bei der Sachlage als blanken Hohn empfinden.