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StPO II: In der HV nachgeholter Eröffnungsbeschluss, oder: Das geht nur ohne Schöffen

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem OLG Hamburg, Beschl. v. 04.03.2021 – 2 Rev 9/21 – geht es um die Nachholung der Eröffnungsentscheidung in der laufenden Hauptverhandlung. Aber mal nicht Klassiker bei der großen Strafkammer, sondern „nur“ beim Schöffengericht. Aber da gilt nichts anderes: Entschieden werden kann nur mit der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung, also ohne Schöffen:

„Auf die zulässig erhobene und begründete Revision des Angeklagten (§§ 341, 344, 345 StPO) war das Verfahren im Hinblick auf die zur Verurteilung gelangte Tat aus der Anklageschrift vom 8. Juni 2020 wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses gem. § 260 Abs. 3 StPO einzustellen.

Es mangelt an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.

1. Mit dem Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens lässt das Gericht gem. § 207 Abs. 1 StPO die Anklage zur Hauptverhandlung zu und bezeichnet das Gericht, vor dem letztere stattfinden soll. Die Entscheidung muss in schriftlich verkörperter Form vorliegen (LK-Stuckenberg § 207 Rn. 33 m.w.N.).

Spricht das Gericht die Zulassung der Anklage nicht ausdrücklich aus, kann diese auch aus schlüssiger Erklärung zu entnehmen sein, sofern dem ausgelegten richterlichen Willensakt deutlich zu entnehmen ist, dass das Gericht die Anklage nach Prüfung und Annahme der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zulassen wollte (MüKo-StPO/Wenske § 207 Rn. 26; LR-Stuckenberg § 207 Rn. 54), weshalb insbesondere eine – im Ergebnis bejahende – Auseinandersetzung des Gerichts mit der Frage hinreichenden Tatverdacht erkennbar sein muss (vgl. BGH Beschl. v. 20. November 1987, Az.: 3 StR 493/87; Wenske aaO.; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 17; HK-Julius/Schmidt § 207 Rn. 17). In der nur begrenzt einheitlichen Grundsätzen folgenden obergerichtlichen Rechtsprechung sind unter anderem ein Verbindungsbeschluss, eine Besetzungsentscheidung bei zugleich ergangenem Haftbefehl, und die zeitlich eng mit einer Haftfortdauerentscheidung zusammenfallende Bestimmung eines Hauptverhandlungstermins als schlüssige Eröffnungsentscheidung ausgelegt worden, während ein Übernahmebeschluss oder eine Termins- und Ladungsverfügung für sich genommen regelhaft nicht ausreichen (Schneider aaO. m.w.N.; Stuckenberg aaO.).

Eine zunächst unterbliebene Eröffnung des Hauptverfahrens kann auch noch während laufender (erstinstanzlicher) Hauptverhandlung nachgeholt werden (grundlegend: BGHSt 29, 224; vgl. ferner: BGH Beschl. v. 20. Mai 2015, Az.: 2 StR 45/14; BGH Beschl. v. 2. November 2005, Az.: 4 StR 417/05; BGH Beschl. v. 27. Februar 2014, Az.: 1 StR 50/14; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 21 m.w.N.), wobei die mündliche Verkündung und Protokollierung in der Sitzungsniederschrift dem Schriftformerfordernis genügt (BGH Beschl. v. 3. Mai 2001, Az.: 4 StR 59/01; Meyer-Goßner/ Schmitt § 207 Rn. 8).

Die nachgeholte Eröffnungsentscheidung muss allerdings in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgesehenen Besetzung und mithin ohne etwaig der Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung angehörende Schöffen erfolgen (jeweils für Verfahren vor der Großen Strafkammer: BGH Beschl. v. 20. Mai 2015, Az.: 2 StR 45/14; BGH Beschl. v. 27. Februar 2014, Az.: 1 StR 50/14; BGH Beschl. v. 2. November 2005, Az.: 4 StR 418/05; vgl. LR-Stuckenberg § 207 Rn. 61). In Verfahren vor dem Amtsgericht entscheidet außerhalb der Hauptverhandlung – gemäß § 30 Abs. 2 GVG auch soweit diese vor dem Schöffengericht geführt wird – der zuständige Richter am Amtsgericht allein.

Die Mitwirkung der Schöffen an der Eröffnungsentscheidung verbietet sich über die gesetzliche Zuständigkeitsbestimmung hinaus auch generell schon deshalb, weil diesen die für die Entscheidung nach § 203 StPO erforderliche umfassende Aktenkenntnis fehlt (vgl. BGH Beschl. v. 2. November 2005, Az.: 4 StR 418/05). Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass gemäß § 30 Abs. 1 GVG die Schöffen an den im Laufe der Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen auch dann teilnehmen, wenn diese in keiner Beziehung zu der Urteilsfällung stehen und auch ohne mündliche Verhandlung erlassen werden können. Der Umstand, dass noch nach Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eine Nachholung der Eröffnung des Hauptverfahrens richterrechtlich für zulässig erachtet wird, führt nicht dazu, dass es sich um eine im gesetzlichen Sinne „im Laufe der Hauptverhandlung“ zu erlassende Entscheidung handelt (BGH aaO.). Zur Nachholung der Eröffnungsentscheidung ist daher grundsätzlich das Verfahren zu unterbrechen und die Eröffnungsentscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung nachzuholen (BGH aaO.).

Mangelt es an einem schriftlich abgefassten Eröffnungsbeschluss, so ist das Verfahren in jeder Lage von Amts wegen aufgrund des dadurch begründeten Verfahrenshindernisses einzustellen (BGH, Beschl. v. 16. August 2017, Az.: 2 StR 199/17; KK-StPO/Schneider § 207 Rn. 15, 20 m. w. Nachw.). Eine Zurückverweisung kommt nicht in Betracht (Schneider aaO. Rn. 20 m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen fehlt es vorliegend an einer wirksamen Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens.

a) Bis zum Beginn der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung ist eine die Anklage vom 8. Juni 2020 zulassende Eröffnungsentscheidung weder ausdrücklich noch konkludent ergangen. Insbesondere ist nicht schon der Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins und der Ladung der Verfahrensbeteiligten durch das Amtsgericht eine konkludente Zulassung der Anklage vom 8. Juni 2020 zu entnehmen. Die für die Eröffnungsentscheidung erforderliche richterliche Auseinandersetzung mit der Frage hinreichenden Tatverdachts geht aus diesen Verfügungen nicht hervor.

b) Die Eröffnungsentscheidung ist auch nicht durch den in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung vom 29. Juli 2020 gefassten Beschluss über die Verbindung der unter den Geschäftszeichen 726b Ds 125/19 und 726b Ls 79/20 geführten Verfahren und die Zulassung der Anklage vom 8. Juni 2020 nachgeholt worden. Als Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist diese Entscheidung unwirksam, da sie ausweislich der Sitzungsniederschrift unter Mitwirkung der Schöffen und damit nicht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung nach § 30 Abs. 2 GVG vorgeschriebenen Besetzung ergangen ist.

Daraus, dass nach der amtsgerichtlichen Sitzungsniederschrift die Entscheidung über die Verfahrensverbindung und die Zulassung der Anklage vom 8. Juni 2020 in der Hauptverhandlung „Beschlossen und verkündet“ worden ist, folgt, dass das Gericht diese Entscheidung in der im Protokolleingang genannten Gerichtsbesetzung mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen getroffen hat. Anhaltspunkte dafür, dass es sich stattdessen um eine allein durch den Abteilungsvorsitzenden und damit in der in § 30 Abs. 2 GVG vorgesehenen Besetzung getroffene Entscheidung handelt, ergeben sich aus dem Protokoll nicht, insbesondere weist dieses auch keine der Verkündung der Entscheidung vorangehende Unterbrechung der Hauptverhandlung aus. Für die Annahme, der Vorsitzende könnte die Entscheidung bereits vor Beginn der Hauptverhandlung getroffen und lediglich in der Hauptverhandlung bekannt gemacht haben, lässt die vorgenannte Dokumentation, wonach die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht nur verkündet, sondern auch „beschlossen“ worden ist, ebenfalls keinen Raum. Schließlich ist in der Sitzungsniederschrift der nachfolgend ergangene weitere Beschluss über die teilweise Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO, der in der Hauptverhandlung gem. § 30 Abs. 1 GVG unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu ergehen hatte, ebenfalls mit der Eingangsformel „Beschlossen und verkündet:“ und damit in identischer Weise dokumentiert.“

Nachgeholte Kostengrundentscheidung, oder: Geht das eigentlich?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Dortmund, Beschl. v. 29.11.2019 – 53 Qs 56/19 – behandelt eines Problematik, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielt, nämlich die Frage nach der Möglichkeit der Nachholung einer Kostengrundentscheidung. Ja, ggf. geht das, und zwar:.

Das Amtsgericht hatte den Betroffenen im Bußgeldverfahren frei gesprochen. Dagegen legte die  Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde ein, die sie auch begründete. Mit Schriftsatz vom 13.12.2018 nahm der Verteidiger des Betroffenen Stellung zum Rechtsmittel. Nach Prüfung durch die Generalstaatsanwaltschaft Hamm nahm die Staatsanwaltschaft die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts zurück. Eine Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund über die Kostentragung im Rechtsbeschwerdeverfahren erging nach Rücknahme der Rechtsbeschwerde nicht.

Der Verteidiger hat dann Kostenfestsetzung beantragt. Die Rechtspflegerin teilte ihm mit, dass seinem Kostenfestsetzungsantrag nicht entsprochen werden könne, da keine Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren vorliege. darum entbrennt Streit. Das Amtsgericht  hat den Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers schließlich zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde, die Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 19.08.2019 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 25.07.2019 ist nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464b, 304 ff., 311 StPO, 103 Abs. 2 Satz 1, 104 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 ZPO, 1 1 Abs. 1, 21 Nr. 1 RPflG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Bei Zurücknahme eines Rechtsmittels (§ 302 StPO) kommt es regelmäßig zu einer isolierten Kostenentscheidung. Darin werden demjenigen die Kosten des zurückgenommenen Rechtsmittels auferlegt, der es eingelegt hat (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO). Hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zu Ungunsten des Betroffenen eingelegt, muss die Staatskasse außerdem neben den Kosten des Verfahrens nach § 473 Abs. 2 S. 1 StPO auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Rechtsmittelverfahren tragen.

Dabei ist eine ausdrückliche Kostenentscheidung entgegen der Ansicht des Verteidigers allerdings auch dann notwendig, wenn sich die Kostenfolge unmittelbar und zwingend aus dem Gesetz ergibt. Erst der gerichtliche Ausspruch bildet als Kostentitel die Grundlage der Kostenfestsetzung (vgl. § 464b S. 3 StPO i. V. m. § 103 ZPO; vgl. Temming/Schmidt in: Gercke/Julius/ Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 464, Rn. 7).

Zuständig für die Kostenentscheidung ist jeweils das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist (BGH NJW 1959, 348; Temming/Schmidt in: Gercke/Julius/Temming/ Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 473, Rn. 5). Das Amtsgericht Dortmund hätte somit nach der Rücknahme der Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Kostengrundentscheidung treffen müssen.

Dass dies unterblieben ist, kann nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. Eine Kostengrundentscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen an den Betroffenen aus der Staatskasse kann — und muss — vom Amtsgericht Dortmund im vorliegenden Fall vielmehr nachträglich getroffen werden.

Da die Kostenentscheidung eine notwendige Nebenentscheidung der das Verfahren abschließenden Hauptentscheidung ist, kann eine in der Hauptentscheidung unterbliebene Kostenentscheidung zwar nach Rechtskraft der Hauptentscheidung nicht nachgeholt werden (BGH NStZ-RR 1996, 35). Vorliegend ist aber hinsichtlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens gerade keine Hauptentscheidung ergangen; dieses endete allein durch die Rücknahme der Rechtsbeschwerde durch die Staatsanwaltschaft. Eine Kostengrundentscheidung hinsichtlich der Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens steht noch aus; diese kann auch noch nachgeholt werden.“

 

Einziehung, oder: Eine „vergessene“ Einziehungsentscheidung kann nicht nachgeholt werden

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Und aus dem Reservoir der Entscheidungen zu Einziehungsfragen dann als zweite Montagsentscheidung der AG Dortmund, Beschl. v. 22.02.2019 – 767 Ls-800 Js 380/18-66/18.  Der lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten mit Anklageschrift vom 19.09.2018 angeklagt, am 08.04.2018 Dortmund mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben. Dabei war eine Einziehungsentscheidung beantragt worden hinsichtlich sichergestellter Betäubungsmittel nebst Verpackungsmaterialien. Im Anschluss kam es zu einer Eröffnung des Verfahrens und zu einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Eine Einziehungsentscheidung erfolgte ausweislich der Gründe des Urteils deshalb nicht, weil der Angeklagte sich mit einer außergerichtlichen Einziehung der genannten Gegenstände einverstanden erklärt hatte.

Mit Antrag vom 03.01.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft dann im selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 435 StPO eine Nachholung einer Einziehung von 1.883 €, die zu Beginn des Ermittlungsverfahrens bei dem Beschuldigten sichergestellt worden waren und hinsichtlich derer der Beschuldigte angegeben hatte, dass es sich um Gewinne aus Drogenverkäufen gehandelt habe.

Das AG hat den Antrag zurückgewiesen.

„Ein Verfahren gemäß § 435 StPO wurde bereits nicht zulässig beantragt. Vielmehr ist ein solches selbstständiges Einziehungsverfahren mit einer gesonderten Antragsschrift  einzuleiten, die hinsichtlich ihrer formellen Anforderungen im Großen und Ganzen einer Anklageschrift angenähert ist, vergleiche § 435 Abs. 2 StPO. Hieran fehlt es im vorliegenden Falle. Vielmehr lag eine einfache Übersendungsverfügung vor. Im Übrigen betrifft das Verfahren nach § 435 StPO materiell-rechtlich die selbständige Einziehung nach §  76a StGB. Voraussetzung der Anwendung dieser Norm ist wiederum in Abs. 1 die  Nichtverfolgung oder Nichtverurteilung oder in Abs. 2 die Verjährung. Keines von beidem liegt hier vor. Es liegt auch keine Einstellung bzw. Absehen von Strafe nach § 76a Abs. 3 StGB vor.

Ebenso wenig liegt ein Fall eines weiterzuführenden Einziehungsverfahren nach Abtrennung, §§ 422, 423 StPO, vor. Eine solche Abtrennung hat weder im sonstigen Verfahren, noch in der Hauptverhandlung stattgefunden und zwar auch nicht konkludent.

Schließlich liegt auch kein Fall einer nachträglichen Entscheidung nach § 462 Abs. 1 S. 2 StPO vor und zwar auch nicht durch analoge Anwendung dieser Vorschrift. Dieser Vorschrift knüpft materiell-rechtlich an § 76 StGB an und an die Frage, ob die angeordnete Einziehung unzureichend oder nicht ausführbar ist. Ein solcher Fall liegt dann nicht vor, wenn die Einziehung komplett unterblieben ist und im Urteilstenor wie hier gar nicht anklingt. Dies gilt umso mehr, als auch in den Entscheidungsgründen im vorliegenden Falle der nach Ansicht der Staatsanwaltschaft einzuziehende Betrag von 1883 € keinen Widerhall gefunden hat. Schließlich ist darauf zu verweisen, dass auch in der Anklageschrift keinerlei Hinweis dahingehend vorhanden ist, dass auch ein Geldbetrag eingezogen werden sollte.

Schließlich wird darauf hingewiesen, dass auch der Bundesgerichtshof in einem Fall aus der Übergangszeit  vom alten zum neuen Vermögensabschöpfungsrecht eine nachträgliche Anordnung für nicht möglich gehalten hat, vergleiche BGH, Urteil vom 29.03.2018 – 4 StR 568 / 17.“

Verteidiger plötzlich krank – dann Nachholung der Verfahrensrüge möglich

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Was häufig im Revisionsrecht übersehen wird: I.d.R. wird keine Wiedereinsetzung zur sog. Nachholung von Verfahrensrügen gewährt. Das ist insbesondere dann misslich, wenn im Revisionsverfahren ein neuer Verteidiger die Verteidigung übernimmt. Davon gibt es im Grunde nur zwei Ausnahmen, nämlich einmal, dass dem Angeklagten die zur Begründung der Verfahrensrüge erforderliche Akteneinsicht nicht rechtzeitig gewährt worden ist und zum anderen eine plötzliche Erkrankung des Verteidigers. Auf den letzten Umstand weist der BGH, Beschl. v. 27.01.2014 – 1 StR 367/13 noch einmal hin:

Dem Wiedereinsetzungsgesuch liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Nachdem der Angeklagte durch einen seiner beiden Verteidiger, Rechtsanwalt Sc. , fristgerecht Revision eingelegt hatte, wurde dem Angeklagten das Urteil am 13. April 2013 zugestellt. Bis zum Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO am 13. Mai 2013 ging keine Revisionsbegründung ein. Am 23. Mai 2013 bat der weitere Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt N. , um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und holte die bis dahin fehlende Begründung mit Schriftsatz vom 27. Mai 2013 u.a. mit der Erhebung zahlreicher Verfahrensrügen nach. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat Rechtsanwalt N. unter Vor-lage einer ärztlichen Bescheinigung vorgetragen, aufgrund einer bei ihm zwischen dem 8. und dem 18. Mai 2013 bestehenden, durch eine Zahnerkrankung bedingten Arbeitsunfähigkeit an der rechtzeitigen Erstellung der Revisionsbegründung gehindert gewesen zu sein.

Die Wiedereinsetzung war zu gewähren, weil der Angeklagte ohne sein Verschulden daran gehindert war, innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO sein Rechtsmittel unter Einschluss der zahlreichen Verfahrensrügen zu begründen. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senat, Beschluss vom 14. August 1984 – 1 StR 322/84, NStZ 1985, 204), rechtfertigt eine kurz vor  Ablauf der Begründungsfrist eintretende Erkrankung des mit der Revisionsbegründung beauftragten Rechtsanwaltes ausnahmsweise die hier begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung (Nachholung) von Verfahrensrügen.“

Gebracht hat es nichts: Wiedereinsetzung ist zwar gewährt worden, aber die Revision hatte dann doch keinen Erfolg

Wenn schon (nachgeholte) Verfahrensrüge, denn schon = dann muss es aber auch passen…

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Das Urteil des BVerfG v. 19.03.2013 zur Verständigung (vgl. hier: Da ist die Entscheidung aus Karlsruhe: Die genehmigte Verständigung, der verbotene Deal ) wirft allmählich Wellen in der Rechtsprechung des BGH (vgl. dazu schon hier: Gedanken des BGH nach dem Absprache-Urteil des BVerfG: Der “Sonderstrafrahmen”). Der BGH, Beschl. v. 22.05.2013 – 4 StR 121/13 – behandelt in dem Zusammenhang einen interessanten Nebenaspekt:

Der Verteidiger des u.a. wegen versuchten Mordes verurteilten Angeklagten hatte gegen das Urteil des LG Passau v. 23.11.2012 Revision eingelegt. Über die war bei Erlass des Urteils des BVerfG vom 19.03.2013 noch nicht entschieden. Der Verteidiger hat dann einen Wiedereinsetzungsantrag zur Nachholung einer Verfahrensrüge gestellt, und zwar wollte er die Rüge des fehlenden Negativattestes (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) erheben (vgl. dazu das BVerfG, Urteil, a.a.O.).

Das ist beim BGH aus zwei Gründen gescheitert:

Grund 1: Die Rüge scheitert schon aus formalen Gründen, weil sie nicht den strengen Anforderungen des BGH an diese Rügen entsprochen hat. Schon das irritiert im Hinblick auf die erhobene Rüge. Wenn schon, denn schon..

Grund 2: Der vom BGH angeführte Grund 2 irritiert mich noch mehr. Der BGH führt aus:

„2. Auch bei Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bliebe die Rüge ohne Erfolg; denn sie wäre unbegründet. Aus dem Rügevorbringen ergibt sich, dass Verständigungsgespräche zu keinem Zeitpunkt stattgefunden haben (Schriftsatz vom 24. April 2013, S. 5 f.). Es kann somit sicher ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Absprache oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht (BVerfG, NJW 2013, 1058, 1067).“

Man fragt sich danach schon: Was soll dann mit der Rüge eigentlich  erreicht werden?