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Mord III: Freiwilliger Rücktritt vom Mordversuch, oder: „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben?

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In der dritten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 14.01.2020 – 2 StR 284/19 – geht es schließlich um die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts von einem Mordversuch. Das LG hatte die Annahme von Freiwilligkeit abgelehnt. Das beanstandet der BGH:

„1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem räuberischen Diebstahl und gefährlicher Körperverletzung hat keinen Bestand, weil das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten von dem versuchten Tötungsdelikt nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der Angeklagte am 26. Juli 2018 gegen 4.45 Uhr mit der Geschädigten Z. , derer er sich zu diesem Zeitpunkt gewaltsam bemächtigt hatte, um mit ihr . nach Ende ihrer Beziehung . zu reden und sie für sich zurückzugewinnen, auf den in einem Gebüsch schlafenden Geschädigten P. . Der Angeklagte führte in seiner rechten Hand ein Messer. Ihm kam die Idee, P. dessen Geld zu entwenden. Er zog dem schlafenden Geschädigten das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und steckte es in seine Gürteltasche. Sodann durchsuchte er dessen Rucksack nach Stehlenswertem. Als er den Rucksack wieder auf den Boden legte, erwachte P. . Um sich den Besitz der Geldbörse zu sichern und die befürchtete Gegenwehr des Geschädigten im Keim zu ersticken, stach der Angeklagte unvermittelt viermal kraftvoll auf P. ein, wobei er dessen Tod zumindest billigend in Kauf nahm.

Der völlig überraschte Geschädigte sprang nach dem vierten Stich plötzlich auf und lief in Richtung einer nahegelegenen Böschung. Der Angeklagte setzte ihm etwa zwei bis drei Meter nach und versetzte ihm noch einen weiteren Stich in die linke Schulter. Es gelang dem Geschädigten, die Böschung zu einer Straße hochzulaufen. In dieser Situation ließ der Angeklagte von dem Geschädigten ab, weil er nicht gleichzeitig diesen weiterverfolgen und die Geschädigte Z. , der sein Interesse in erster Linie galt, überwachen konnte. Er entschloss sich daher, mit der Geschädigten Z. seinen Weg fortzusetzen und P. nicht weiter zu verfolgen. Der lebensgefährlich verletzte Geschädigte wurde kurz darauf von Passanten gefunden und gerettet.

Das Landgericht ist – rechtsfehlerfrei . von einem unbeendeten Tötungsversuch ausgegangen. Es hat einen strafbefreienden – freiwilligen . Rücktritt verneint, weil der Angeklagte „zwangsläufig und notgedrungen von dem Nebenkläger abgelassen (habe) …, um die Zeugin Z. weiter im Auge behalten zu können, ihr keine Fluchtmöglichkeit zu geben und um mit ihr zur Verfolgung seines angestrebten Ziels, sie zurückzugewinnen und für sich zu haben, den Weg fortzusetzen“. Damit habe er „nicht aus selbst gesetzten Motiven von der weiteren Tatbegehung Abstand genommen“. Zudem habe bei einer weiteren Verfolgung die Gefahr bestanden, entdeckt zu werden. Schließlich liege auch ein fehlgeschlagener Versuch vor.

b) Die Erwägungen des Schwurgerichts, mit denen es einen strafbefreienden Rücktritt vom Tötungsversuch abgelehnt hat, halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

aa) Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB kann der Täter eines versuchten Delikts durch die Aufgabe der weiteren Tatausführung strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt. Freiwilligkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert, noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 3. April 2014 – 2 StR 643/13, NStZ-RR 2014, 241; BGH, Urteile vom 28. September 2017 – 4 StR 282/17, juris Rn. 10; vom 10. April 2019 – 1 StR 646/18, juris Rn. 8, jeweils mwN). Erst wenn durch von außen kommende Ereignisse aus Sicht des Täters ein Hindernis geschaffen worden ist, das der Tatvollendung zwingend entgegensteht, ist er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse und eine daraufhin erfolgte Abstandnahme von der weiteren Tatausführung als unfreiwillig anzusehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. April 2019 – 1 StR 646/18, aaO).

bb) Hieran gemessen tragen die Feststellungen des Landgerichts den Ausschluss eines strafbefreienden, freiwilligen Rücktritts des Angeklagten nicht. Weder war er durch objektive Umstände noch aufgrund seiner psychischen Verfassung daran gehindert, dem bereits schwer verletzten Geschädigten weiter nachzusetzen und seine Tötungshandlung fortzusetzen. Dass dem Angeklagten die Weiterverfolgung des Geschädigten nicht möglich war, ohne die Geschädigte Z. , der sein vorrangiges Interesse galt, aus den Augen zu lassen, steht der Freiwilligkeit nicht entgegen. Denn die Freiwilligkeit des Rücktritts wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Angeklagte nicht aus einem sittlich billigenswerten Motiv von weiteren Angriffen auf sein Opfer absieht, sondern nur deshalb, weil er sein weiteres Opfer, nicht entkommen lassen will (vgl. Senat, Urteil vom 29. September 2004 – 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151). Die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung erweist sich hier als das Ergebnis einer nüchternen Abwägung, bei der der Angeklagte Herr seiner Entschlüsse blieb.

cc) Einem Rücktritt steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht die Durchführung seines gesamten strafrechtlich relevanten Vorhabens aufgab, sondern nur darauf verzichtete, den Geschädigten P. weiter zu verfolgen, und stattdessen seine Tat zum Nachteil der Geschädigten Z. fortsetzte. Zwar kann grundsätzlich nur derjenige strafbefreiend zurücktreten, der die Durchführung des kriminellen Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgibt. Diese Erwägung betrifft aber stets nur den Entschluss, von der Vollendung eines bestimmten Verbrechens oder Vergehens im Sinne eines gesetzlich umschriebenen Straftatbestandes abzusehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 1985 – 3 StR 481/84, BGHSt 33, 142, 144 f.; Senat, Beschluss vom 13. Januar 1988 – 2 StR 665/87, BGHSt 35, 184, 186 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2017 – 4 StR 539/17, juris Rn. 6; Beschluss vom 5. Juni 2019 – 1 StR 34/19, juris Rn. 18 f. mit Anm. Kudlich in JA 2020, 64, 66 und Anm. Schiemann in NJW 2019, 3662). Dementsprechend steht einem Rücktritt nicht entgegen, wenn der Täter den zunächst Geschädigten nicht weiterverfolgt, um sich einem anderen Opfer zuzuwenden, dessen Tötung er für vordringlich erachtet (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Januar 1988 – 2 StR 665/87, aaO).

dd) Auch dass der Angeklagte mit der Flucht des P. sein weiterge- hendes, mit Blick auf den Tötungsversuch außertatbestandliches Ziel der Beutesicherung erreicht hatte, rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder die Annahme eines Fehlschlags noch der Unfreiwilligkeit (vgl. zur außertatbestandlichen Zielerreichung BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 230 ff.; Senat, Beschluss vom 26. Juni 2019 – 2 StR 110/19, NStZ-RR 2019, 271).

ee) Einem freiwilligen Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsdelikt steht schließlich auch nicht die Feststellung der Strafkammer entgegen, dass dem Angeklagten die Gefahr drohte, bei der Verfolgung des P. entdeckt zu werden. Abgesehen davon, dass sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob der Angeklagte die aus Sicht der Strafkammer bestehende objektive Gefahr der Entdeckung in sein Vorstellungsbild aufgenommen hatte, kann die Gefahr einer Entdeckung erst dann die Annahme einer Freiwilligkeit des Rücktritts hindern, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei einem weiteren Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9, 10 und vom 28. September 2017 – 4 StR 282/17, StraFo 2018, 31 f. mwN). Allein die Erhöhung des Entdeckungsrisikos steht der Annahme der Freiwilligkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht von vornherein entgegen, da der Täter in der Zeit bis zum Eintreffen von feststellungsbereiten Dritten noch ungehindert weitere Ausführungshandlungen vornehmen kann, ohne dass damit für ihn eine beträchtliche Risikoerhöhung verbunden sein muss (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2018 – 1 StR 83/18, NStZ-RR 2018, 169, 170 mwN). Umstände, die die Vorstellung des Angeklagten belegen könnten, er sei von einer unvertretbaren Risikosteigerung im Falle einer Verfolgung des P. ausge- gangen, hat die Strafkammer indes nicht festgestellt.

ff) Da dem Angeklagten nach seiner Vorstellung die weitere Ausführung der Tötungshandlung möglich war, scheidet auch die Annahme eines Fehlschlags aus (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 4 StR 493/18, juris Rn. 7 mwN). Fehlgeschlagen ist ein Versuch erst dann, wenn dem Täter die Herbeiführung des Erfolgseintritts nach der letzten Ausführungshandlung im unmittelbaren Handlungsfortgang und mit naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr möglich ist und er dies erkennt, oder wenn er den Erfolg subjektiv nicht mehr für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228). Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann der Tatplan des Angeklagten für die Annahme eines Fehlschlags nur insoweit eine Rolle spielen, als der Täter nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen die Notwendigkeit erkennt, Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2013 – 3 StR 205/13, juris Rn. 7). Der Angeklagte hatte jedoch nach seiner Vorstellung die Möglichkeit, P. nachzusetzen, um diesem weitere Messerstiche zuzu- fügen.

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler bedingt die Aufhebung des an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruchs wegen des tateinheitlich verwirklichten besonders schweren räuberischen Diebstahls in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.“

Mord II: Niedrige Bewegründe beim Motivbündel, oder: Hauptmotiv „niedrig“?

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, befasst sich auch noch einmal mit dem Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes. Das LG hatte in dem dem BGH, Beschl. v.  22.01.2020 – 5 StR 407/19 – zugrunde liegenden Urteil folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

„1. Die in Polen lebenden Angeklagten kamen im Januar 2016 nach Deutschland, um hier auf dem Bau zu arbeiten. Am 30. Januar 2016 lernten sie den auch für sie ersichtlich homosexuellen J. R. in einem Berliner Hostel kennen, wo sie mit diesem ein Zimmer teilten. Gemeinsam mit J. R. verbrachten sie den Tag mit dem Konsum von Alkohol und Kokain. Am nächsten Tag konsumierten sie teils zusammen mit ihrem Zimmergenossen, teils zu zweit erneut Kokain und Alkohol.

Gegen 23 Uhr begaben sich die aufgrund des Alkoholkonsums in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkten Angeklagten in ihr Zimmer, wo sie auf den ebenfalls alkoholisierten J. R. trafen. In der Folge unterhielten sie sich in ausgelassener Stimmung. In der Hoffnung auf einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zog J. R. gegen Mitternacht seine Hose herunter, zeigte den Angeklagten seinen Penis und streckte ihnen sein entblößtes Gesäß entgegen. Die – wie J. R. wusste – heterosexuellen Angeklagten waren empört und wütend über die homosexuellen Avancen. Gleichzeitig fühlten sie sich von ihrem Zimmergenossen sexuell bedrängt und belästigt. Sie forderten ihn lautstark auf, sich wieder anzuziehen. J. R., der die Ablehnung als „feindselige Reaktion“ ansah, schrie daraufhin seinerseits die Angeklagten an. Aus Wut über dessen Verhalten stürzten sich die Angeklagten auf J. R. und malträtierten ihn aufgrund einer spontanen Übereinkunft mit Faustschlägen und Fußtritten. Zudem schlugen sie auf ihn mit einem Holzstuhl ein, bis dieser in seine Einzelteile zerbrach. Auch nachdem J. R. zu Boden gegangen war, setzen die Angeklagten die Gewalthandlungen fort. Diese führten zu Rippenbrüchen und infolgedessen zu Verletzungen der Lungenflügel, der Milz sowie der Leber. Sie erkannten, dass J. R. infolge ihres brutalen Angriffs versterben könnte; dies war ihnen jedoch gleichgültig.

Nachdem der schwerverletzte J. R. – wie von den Angeklagten bemerkt – das Bewusstsein verloren hatte, stießen sie nacheinander unter anderem zwei Stuhlbeine heftig und kraftvoll in dessen Anus, wobei sie die eingetretenen lebensbedrohlichen Darmdurchbrüche billigend in Kauf nahmen. Anschließend führten sie eine Zucchini vollständig in seinen After ein, legten das ersichtlich lebensgefährlich verletzte Opfer in eines der Betten und gingen schlafen. Am nächsten Morgen verließen sie das Hostel und fuhren mit einem Fernbus nach Polen.

Ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen, verstarb J. R. noch in der Nacht infolge der Lungenverletzungen. Die lebensbedrohlichen Verletzungen des Darms und deren Folgen beschleunigten den Todeseintritt nicht.

2. Das Landgericht hat die Tat als einen besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 1 und 2 StGB) in Tateinheit mit einem besonders schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 7 i.V.m. § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a und b StGB aF) bewertet. An einer Verurteilung wegen Mordes hat es sich gehindert gesehen. Insbesondere liege kein niedriger Beweggrund vor. Zwar komme in der Tat eine latente Homophobie zum Ausdruck, was eine Bewertung des Tatantriebs als niedrig begründen könne. Die Tat sei aber auch von einer – in der Gesamtschau menschlich nachvollziehbaren – Wut und Empörung über das von den Angeklagten als sexuelle Belästigung und Verletzung ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts empfundene Angebot ihres Zimmergenossen zum Geschlechtsverkehr motiviert gewesen. Beide Tatmotive hätten sich wechselseitig überlagert und beeinflusst. Da die homosexuelle Orientierung des Opfers danach nicht das Hauptmotiv in dem Motivbündel der Angeklagten gewesen sei, könne die Tötung nicht unter die Motivgeneralklausel des § 211 Abs. 2 StGB subsumiert werden. Andere – hier in Betracht kommende – Mordmerkmale seien ebenfalls nicht verwirklicht. Eine grausame Tötung liege nicht vor, weil J. R. nicht ausschließbar zum Zeitpunkt der Penetration bereits bewusstlos und deshalb nicht mehr in der Lage gewesen sei, die ihm zugefügten Schmerzen und Qualen körperlich zu empfinden. Für die Annahme von Heimtücke fehle es angesichts des offen feindseligen Angriffs an der Arglosigkeit des Opfers. Schließlich liege auch keine Tötung aus Habgier vor, da die Tat nicht entscheidend durch ein Gewinnstreben beeinflusst gewesen sei.“

Dagegen dann die Revision der Staatsanwaltschaft un der Nebenklägerinnen. Die hatte keinen Erfolg:

„Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerinnen haben keinen Erfolg. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes verneint hat.

1. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330, 331 mwN).

2. Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.

a) Das Schwurgericht hat den zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt. Es hat insbesondere nicht verkannt, dass ein allein an die sexuelle Orientierung anknüpfender Tatantrieb einen niedrigen Beweggrund darstellen kann.

Nach den Urteilsfeststellungen war das Tatmotiv der Angeklagten hingegen Wut und Empörung über die sexuellen Avancen ihres Zimmergenossen. Diese Gefühle beruhten einerseits auf ihrer (latenten) Homophobie, wurden aber – so das Schwurgericht – überlagert von der Erregung über die von ihnen als bedrängend empfundene sexuelle Belästigung durch den angebotenen Geschlechtsverkehr. Da beim Vorliegen eines Motivbündels die vorsätzliche Tötung aber nur dann auf niedrigen Beweggründen beruht, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist, war dem Landgericht vorliegend die Annahme des Mordmerkmals verwehrt (vgl. BGH, Urteile vom 9. September 2003 – 5 StR 126/03, NStZ-RR 2004, 14, 15; vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06, StraFo 2007, 123, 124). Anders als die Staatsanwaltschaft meint, hat das Landgericht mithin keine „Zweiteilung“ oder „Aufspaltung“ der Motivlage vorgenommen, sondern den zutreffenden rechtlichen Maßstab an die Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei Vorliegen eines Motivbündels angelegt.

b) Das Landgericht hat die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei alle maßgeblichen Faktoren einbezogen. Insbesondere durfte und musste es berücksichtigen, dass die Angeklagten bis zu den sexuellen Avancen freundlich, entspannt und frei von Aversionen mit J. R. umgingen, obgleich sie angesichts seines Auftretens und Erscheinungsbildes schon zuvor von dessen Homosexualität ausgegangen waren. Dass das Schwurgericht dies als gegen die Homophobie der Angeklagten als bewusstseinsdominantes Tötungsmotiv sprechenden Umstand herangezogen hat, ist als möglicher Schluss revisionsrechtlich hinzunehmen. Soweit die Nebenklage in diesem Zusammenhang vorträgt, dass die Homophobie das Hauptmotiv der Angeklagten gewesen sei, setzt sie – revisionsrechtlich unbeachtlich – ihre eigene Wertung an die des Tatgerichts.

Das Landgericht hat bei seiner Beweiswürdigung zum Tatmotiv auch das Tatbild ausreichend berücksichtigt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 5 StR 380/14, BGHSt 60, 52, 55).“

Mord I: Niedrige Beweggründe, oder: Motivlage nicht berücksichtigt

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Heute stelle ich dann drei Entscheidung zum Mordparagrafen vor (§  211 StGB). Den Anfang mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 07.04.2020 – 4 StR 34/20. Das LG Hagen hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine dagegen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision hatte in vollem Umfang Erfolg.

„Die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das vom Landgericht angenommene mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen ist nicht ausreichend mit Tatsachen belegt.

1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils lernte der Angeklagte die später Getötete Z. Ende 2017 kennen und verliebte sich in sie, obwohl er sich selbst in einer festen Beziehung befand. Frau Z. , die zu der Zeit mit einem griechischen Gastwirt liiert war, nahm zwar die Hilfe des Angeklagten etwa bei Behördenangelegenheiten gerne an, sagte ihm aber, dass es für sie beide keine gemeinsame Zukunft geben werde. Auch vermied sie es, mit dem Angeklagten alleine zusammen zu sein. Nachdem der Angeklagte und Frau Z. ihre jeweiligen Beziehungen beendet hatten, verfolgte der Angeklagte Frau Z. verstärkt. Er rief sie bis zu zweihundertmal täglich an, folgte ihr auf dem Weg zur Arbeit und zurück, so dass sich Frau Z. von einer Arbeitskollegin begleiten ließ. Ab Februar 2019 nahm Frau Z. eine neue Beziehung mit Adam L. auf. Am 25. Februar 2019 beobachtete der Angeklagte, dass Adam L. Z. in ihrer Wohnung besuchte. Aufgebracht und unruhig nahm er Kontakt zu zwei Bekannten der Frau Z. auf, die ihn aufforderten, die Frau in Ruhe zu lassen. Als L. die Wohnung der Frau Z. verlassen hatte, klopfte der Angeklagte wiederholt an ihrer Tür, bis sie ihn nach einem Anruf um 5.03 Uhr einließ. In der Wohnung kam es zum Streit. Möglicherweise reagierte Frau Z. aufgrund des Genusses von Alkohol und Amphetamin aggressiv, sie griff den Angeklagten aber nicht körperlich an. Der schubste sie, so dass sie zu Boden fiel und sich eine blutende Platzwunde am Hinterkopf zuzog. Anschließend würgte er sie mindestens dreißig Sekunden lang, bis sie starb. Ihren Tod nahm er billigend in Kauf. Er handelte aus Eifersucht und damit sie sich keinem anderen Mann zuwenden konnte.

Das Schwurgericht hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen. Maßgebliches Tötungsmotiv sei die Durchsetzung eines personalen Besitzanspruchs gegen Z. gewesen, in die er bereits seit Monaten verliebt gewesen sei und die er nunmehr erstmalig mit einem anderen Mann gesehen habe. Er sei nicht bereit gewesen zu akzeptieren, dass Frau Z. ein Leben in einer neuen Beziehung führe. Dabei habe er keinerlei Anlass oder Berechtigung gehabt, an eine zwischen ihm und der Frau bestehende Beziehung zu glauben.

2. Die Annahme niedriger Beweggründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (vgl. BGH, Urteile vom 14. Dezember 2006 – 4 StR 419/06 Rn. 9, juris; vom 10. März 2006 – 2 StR 561/05, NStZ 2006, 338, 340 mwN). Die Beurteilung der Frage, welches Motiv handlungsleitend für die Tötung des Opfers war, setzt eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren voraus (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127; vom 19. Oktober 2001 – 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 130). Den Anforderungen an eine vollständige Gesamtwürdigung wird das Landgericht nicht gerecht; es lässt für das Geschehen maßgebliche Umstände außer Acht.

Die Strafkammer hat bei der Feststellung der Motivlage des Angeklagten nicht berücksichtigt, dass der Tötung ein Streit vorausging (UA 9). Diese Feststellung stützt die Strafkammer offenbar auf die Aussage des Angeklagten gegenüber dem Polizeibeamten K. am Tattag (UA 19), in der Beweiswürdigung wird der Streit nicht ausdrücklich angesprochen. Die Strafkammer hat zudem nicht auszuschließen vermocht, dass Frau Z. auf das Anliegen des Angeklagten verbal aggressiv reagierte. Sie hat dieses Geschehen sodann aber nicht in seiner für das Mordmerkmal relevanten Bedeutung erfasst. Der Streit mit dem verbal aggressiven späteren Tatopfer wäre bei der anzustellenden Gesamtwürdigung einzubeziehen gewesen, da nicht auszuschließen ist, dass diese Umstände für den Angeklagten ebenfalls handlungsleitend waren und einem ausschließlich aus übersteigerter Eifersucht und unbegründeten Besitzansprüchen beruhenden Angriff des Angeklagten entgegenstanden, zumal das angenommene Tötungsmotiv auch nicht ohne Weiteres zu einem (nur) bedingten Tötungsvorsatz passt.

Auf dieser mangelhaften Würdigung beruht die angefochtene Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass bei fehlerfreier Prüfung das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint worden wäre.“

Verkehrsrecht I: Noch ein „Raser-Fall“ in Berlin, oder: BGH moniert Beweiswürdigung

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Heute mal wieder ein wenig Verkehrsrecht mit drei Entscheidungen, von denen eine vom BGH, eine vom LG Freiburg und eine vom AG Dortmund kommt.

Lassen wir dem BGH den Vortritt mit dem BGH, Beschl. v. 10.10.2019 – 4 StR 96/19 -, also schon etwas älter. Der Beschluss ist aber, aus welchen Gründen auch immer, erst in den letzten Tagen auf der Homepage des BGH veröffentlicht worden.

Es ist noch mal ein „Raser-Fall“, über den der BGH zu entscheiden hatte. Das LG Berlin hatte den Angeklagten u.a. wegen wegen versuchten Mordes in zwei (tateinheitlichen) Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Dagegen die Revision. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war und sich illegal in Deutschland aufhielt, am Morgen des Tattages kurz vor 8 Uhr in erheblich alkoholisiertem Zustand einen Pkw; eine ihm um 10.25 Uhr entnommene Blutprobe ergab neben Rückständen von Cannabis und Kokain eine Blutalkoholkonzentration von 1,93 Promille. Im Kofferraum des Fahrzeugs transportierte er gestohlene Baumaschinen. Nach kurzer Fahrt parkte er am Straßenrand (II.2. der Urteilsgründe).

Dort fiel das Fahrzeug gegen 8 Uhr mit noch laufendem Motor zwei Polizeibeamten auf. Die Beamten hielten ihr Dienstfahrzeug in entgegengesetzter Fahrtrichtung schräg vor dem Pkw des Angeklagten an und stiegen aus. Als einer der Beamten am Fahrzeug des Angeklagten stand und ihn aufforderte, den Motor abzustellen und auszusteigen, fuhr der Angeklagte, der wegen seiner vorausgegangenen Straftaten seiner Entdeckung und seiner Festnahme entgehen wollte, los. Er fuhr mit dem linken Hinterrad einem der Beamten über den Fuß, was zu einem kurzen Druckschmerz, jedoch keiner Verletzung führte, und stieß mit seinem Pkw gegen die offene Fahrertür des Polizeifahrzeugs, wodurch dieses leicht beschädigt wurde.

Auf der Flucht vor dem ihm folgenden Polizeifahrzeug befuhr der Angeklagte mit stark überhöhter Geschwindigkeit eine innerörtliche Straße, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war, und überholte dort trotz starken Gegenverkehrs ein vor ihm fahrendes Fahrzeug, weshalb das entgegenkommende Fahrzeug zur Vermeidung einer Kollision eine Vollbremsung unternahm. Der Angeklagte hatte sich „spätestens jetzt entschlossen, seine Flucht um jeden Preis, auch unter Inkaufnahme der Verletzung oder Tötung Dritter, fortzusetzen“. Er fuhr nun „mit zunehmender Geschwindigkeit“ auf eine durch eine Lichtzeichenanlage geregelte Kreuzung zu. An der Haltelinie der Lichtzeichenanlage, die für Fahrzeuge aus Richtung des Angeklagten bereits seit mindestens 37 Sekunden rotes Licht zeigte, standen in einer Linksabbiegerspur ein Pkw und auf der äußerst rechten Spur ein Lastenfahrrad. Auf der Fahrspur zwischen dem Linksabbieger und dem Lastenfahrrad befand sich kein Fahrzeug.

Die Fußgängerampel an der Kreuzungseinmündung zeigte bereits seit zehn Sekunden grünes Licht, und Fußgänger querten die Fahrbahn. Der Angeklagte, der spätestens nach dem Überholen des vor ihm fahrenden Fahrzeugs und damit aus einer Entfernung von mehr als 400 Metern das rote Ampellicht an der Kreuzung und die bereits passierenden Fußgänger sah, fuhr . bei erlaubten 30 km/h . mit einer Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h durch die höchstens vier Meter breite Lücke zwischen dem Linksabbieger und dem Lastenfahrrad und überquerte die Haltelinie der für Fahrzeuge aus seiner Richtung weiterhin rotes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage. Da er im Wissen um seine vorangegangenen Straftaten um jeden Preis seiner Festnahme durch die ihm folgenden Polizeibeamten entgehen wollte, nahm er dabei billigend in Kauf, dass er die Fahrbahn querende Fußgänger erfassen und verletzen oder töten könnte. Unmittelbar hinter der Haltelinie erfasste er mit der rechten Front seines Fahrzeugs zwei Fußgängerinnen, die bei grünem Licht der Fußgängerampel die Fahrbahn querten. Durch die Kollision erlitten die beiden Geschädigten schwerste und lebensgefährliche Verletzungen.

Der Angeklagte, der die Kollision bemerkt hatte, fuhr nun, um seiner Festnahme zu entgehen, unter weiterer Beschleunigung mit 100 bis 120 km/h über die Kreuzung und bog anschließend in eine Querstraße ab. Als ihm wenig später zwei Polizeibeamte mit ihrem Einsatzfahrzeug unter Verwendung von Sonderzeichen entgegenkamen, fuhr er mit überhöhter Geschwindigkeit und ohne auszuweichen frontal auf das Einsatzfahrzeug zu, so dass dieses „abrupt“ über die Bordsteinkante auf den Bürgersteig ausweichen musste (II.3. der Urteilsgründe).

Der Angeklagte parkte sodann, stieg aus und setzte seine Flucht zu Fuß fort. Er konnte kurz darauf festgenommen werden. Am Einsatzfahrzeug der Polizei trat er um sich und gegen die Tür des Dienstfahrzeugs, um sich losreißen und flüchten zu können, was ihm jedoch nicht gelang (II.4. der Urteilsgründe).“

Der BGH hat aufgehoben und u.a. das wie folgt begründet:

„a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen hat aus mehreren Gründen keinen Bestand. Zum einen sind die Feststellungen zum konkreten Unfallgeschehen, auf das die Strafkammer ihre Annahme, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, gestützt hat, in wesentlichen Punkten lückenhaft bzw. stehen mit dem weiteren Urteilsinhalt nicht in Einklang. Zum anderen halten die Beweiserwägungen, mit denen die Schwurgerichtskammer einen auf ein Tötungsdelikt bezogenen bedingten Vorsatz des Angeklagten bejaht hat, auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 . 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 Rn. 16; vom 5. Dezember 2017 . 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206; vom 27. Juli 2017 . 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37; Beschluss vom 7. Juni 1979 . 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20; Franke in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Nicht nachvollziehbar festgestellt und belegt sind bereits die für die Annahme vorsätzlichen Handelns wesentlichen Sichtverhältnisse für den Angeklagten an der Unfallstelle, insbesondere seine Sicht auf die Fußgänger bei seiner Annäherung an die Fußgängerfurt. Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass bei Annäherung des Angeklagten an die Unfallkreuzung bereits mehrere Fußgänger die Fahrbahn „querten“ . unter ihnen die Geschädigten und drei Zeugen . und der Angeklagte die „bereits passierenden Fußgänger sah“ (UA S. 12). Aus dem Urteil geht aber auch unter Berücksichtigung seines Gesamtzusammenhangs schon nicht hervor, aus welcher Richtung die Passanten . die Geschädigten eingeschlossen . kamen. Die Feststellung eines „Querens“ oder „Passierens“ der Furt durch die drei Zeugen widerspricht darüber hinaus den Ausführungen des Landgerichts in der Beweiswürdigung. Danach gingen der Zeuge F. und der Zeuge B. hinter den Geschädigten, der Zeuge L. kam den Tatopfern entgegen (UA S. 20). Keiner dieser Zeugen hatte danach die Fußgängerfurt vollständig überquert. Es bleibt vielmehr aufgrund der lückenhaften Feststellungen und der Widersprüche unklar, wo sich diese Fußgänger und die Tatopfer bei Annäherung des Angeklagten befanden und ob er freie Sicht auf sie hatte oder ob sie – etwa durch den an der Haltelinie der Linksabbiegerspur wartenden Pkw – vorübergehend verdeckt waren. Weiteres Fußgängeraufkommen an der Furt bei Annäherung des Angeklagten, das für ihn ein Warnsignal gewesen sein könnte, ist nicht belegt.

Überdies verhalten sich die Urteilsgründe insoweit auch widersprüchlich dazu, ob der Angeklagte Passanten auf der Fußgängerfurt tatsächlich wahrnahm. Denn während das Urteil einerseits darauf abstellt, dass der Angeklagte die passierenden Fußgänger „sah“ bzw. „erkannte“ (UA S. 12 und 28), ist an anderen Stellen des Urteils lediglich davon die Rede, es sei für den Angeklagten „erkennbar“ gewesen, dass sich in der Fußgängerfurt Menschen befanden (UA S. 29 und 30).

bb) Einer tragfähigen Grundlage entbehren auch die im angefochtenen Urteil festgestellten und vom Landgericht als vorsatzbegründender Umstand herangezogenen (UA S. 29) zeitlichen Zusammenhänge des Unfallgeschehens in Bezug auf die Dauer des roten Ampellichts für den Angeklagten sowie des grünen Ampellichts für die Fußgänger.

Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte zu einem Zeitpunkt über die Haltelinie der Lichtzeichenanlage fuhr, als diese für ihn bereits „seit mindestens 37 Sekunden rotes Licht“ und die Fußgängerampel „schon zehn Sekunden grün“ zeigte (UA S. 12). Eine nachvollziehbare Begründung für diese Annahme findet sich im Urteil nicht.

Das Landgericht hat sich in der Beweiswürdigung insoweit auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt. Dieser hat seinerseits auf die Angaben von Zeugen Bezug genommen und ausgeführt, „entsprechend den Wahrnehmungen der Zeugen an der Kreuzung“ sei das vom Angeklagten geführte Fahrzeug in der 41. bis 51. Sekunde des Phasenlaufplanes über die Haltelinie gefahren (UA S. 22). Jedoch ergibt sich aus der Beweiswürdigung weder, auf welche Zeugenaussage mit welchem Inhalt sich der Sachverständige hierbei bezogen hat, noch was die Zeugen insoweit bekundet haben. Ausweislich der im Urteil mitgeteilten Angaben der Zeugen hat lediglich die Fahrerin des Lastenfahrrads ausgesagt, sie habe schon „eine Weile“ gestanden (UA S. 19). Im Übrigen haben die Zeugen nur bekundet, dass es „rot“ gewesen sei, als der Angeklagte über die Ampel fuhr. Die zeitlichen Zusammenhänge zwischen dem Phasenplan der Ampel einerseits und den Annahmen der Strafkammer andererseits, dass die Ampel für den Angeklagten „seit mindestens 37 Sekunden rotes Licht“ und die Fußgängerampel „schon zehn Sekunden grün“ gezeigt habe, als er die Haltelinie passierte, erschließen sich auf der Grundlage dieser Begründung nicht.

cc) Auch die Feststellungen zu der vom Angeklagten zum Zeitpunkt des Unfalls gefahrenen Geschwindigkeit sind nicht tragfähig belegt. Diesem Umstand hat die Strafkammer bei der Begründung des Tötungsvorsatzes maßgebliche Bedeutung beigemessen; so hat sie unter anderem ausgeführt, es könne „kein Zweifel daran bestehen, dass es dem Angeklagten angesichts der sehr hohen Geschwindigkeit bewusst gewesen ist, dass ein getroffener Fußgänger sehr wahrscheinlich tödlich verletzt werden würde“ (UA S. 29).

Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass die vom Angeklagten an der Unfallstelle erreichte Geschwindigkeit „mindestens 75 km/h“ betrug (UA S. 12). Zum Beleg hierfür hat es sich in der Beweiswürdigung den Ausführungen des Verkehrsunfallsachverständigen angeschlossen, der bekundet hat, es sei „von einem Vollanstoß mit 53 bis 75 km/h auszugehen, wobei aufgrund der Angaben der unmittelbaren Tatzeugen der obere Wert hoch wahrscheinlich erscheine“ (UA S. 22).

Mit dieser bloßen Bezugnahme auf die Angaben des Sachverständigen ist die festgestellte Geschwindigkeit von „mindestens 75 km/h“ jedoch nicht tragfähig begründet. Zum einen hat die Strafkammer nicht dargelegt, auf welche konkreten Zeugenangaben sich der Sachverständige bei seiner Einschätzung der gefahrenen Geschwindigkeit gestützt hat. Zum anderen fehlt es an einer Begründung, warum die Strafkammer sich die sichere Überzeugung verschafft hat, dass der von dem Sachverständigen lediglich als „hoch wahrscheinlich“ erachtete obere Wert der Geschwindigkeitsspanne von 53 bis 75 km/h erreicht worden sei, und warum – insofern abweichend von der Einschätzung des Sachverständigen – sogar eine Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h feststehe.

Soweit das Landgericht an anderer Stelle in der Beweiswürdigung referiert hat, was einzelne Zeugen zu der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit bekundet haben (UA S. 19 f.), wird der im Urteil festgestellte (Mindest-)Wert auch durch diese vagen Zeugenangaben nicht ausreichend belegt, zumal deren Angaben erheblich von der vom Sachverständigen ermittelten Höchstgeschwindigkeit abwichen. Insofern fehlt es bereits an einer eigenen Würdigung dieser bloßen Geschwindigkeitsschätzungen der Zeugen durch die Strafkammer und der erforderlichen kritischen Prüfung der Zuverlässigkeit solcher Schätzungen durch nicht verkehrsgeschulte Zeugen (vgl. etwa KG VRS 131, 328, 329; NZV 2008, 626, 627; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2008, 321, 322; OLG Hamm VRS 58, 380, 381; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 3 StVO Rn. 63/64 mwN). Nicht auszuschließen ist deshalb, dass auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Würdigung zu Gunsten des Angeklagten von einer geringeren Annäherungsgeschwindigkeit auszugehen gewesen wäre.

dd) Als unzureichend erweist sich schließlich die Beweiswürdigung im Hinblick auf das von der Strafkammer bei der Begründung des Tötungsvorsatzes im Rahmen der rechtlichen Würdigung angeführte weitere Beschleunigen (UA S. 29) durch den Angeklagten kurz vor der Unfallstelle. Denn für ein weiteres Beschleunigen durch den Angeklagten zu diesem Zeitpunkt fehlt in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils jeglicher Beleg.“

Na ja, ob das im nächsten „Rechtsgang“ besser wird…./werden kann …..

Mord im Straßenverkehr, oder: Hamburger Raser Fall

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So, zu Beginn der 10. KW. dann heute zwei Entscheidungen des BGH zum Verkehrsstrafrecht. Vielleicht nicht unbedingt das Richtige zum Rosenmontag, aber es gibt ja Teile in der Bundesrepublik da wird gearbeitet und nicht gefeiert.

Ich eröffne mit dem BGH, Beschl. v. 16.01.2019 – 4 StR 345/18. Der ist schon als Entscheidung des BGH im sog. Hamburger-Raser-Fall über die Ticker gelaufen. Die – so weit ich das übersehe – erste Entscheidung zur Frage des Mordes im Straßenverkehr. Der BGH hat in diesem Fall die Entscheidung des LG Hamburg, der u.a. wegen Mordes (§ 211 StGB) verurteilt worden ist, bestätigt  und folgenden Zusatz angefügt:

„Das Landgericht hat den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt. Nach den Feststellungen war dem Angeklagten, als er absichtlich im Übergangsbereich der Straße An der Alster in die Straße Ferdinandstor auf die Gegenfahrbahn der mehrspurigen nunmehr durch Verkehrsinseln getrennten innerstädtischen Straßen mit möglichst hoher Geschwindigkeit fuhr, bewusst, „dass es mit hoher, letztlich unkalkulierbarer und nur vom Zufall abhängender Wahrscheinlichkeit zu einem frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen kommen würde.“ Ihm war auch „bewusst, dass ein Frontalunfall mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tod eines oder mehrerer direkter Unfallbeteiligter sowie eventuell zur Schädigung weiterer Personen führen würde.“ All dies, auch der eigene Tod, wurde vom Angeklagten gebilligt, weil er „kompromisslos das Ziel, der Polizei zu entkommen“, verfolgte. Der Zurechnung des eingetretenen Todeserfolges zu dem vom Vorsatz des Angeklagten umfassten Kausalverlauf steht daher nicht entgegen, dass der Angeklagte nicht unmittelbar mit einem entgegenkommenden Fahrzeug kollidierte, sondern infolge der Kollisionen mit dem Kantstein am rechten Fahrbahnrand und einer der Verkehrsinseln die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und nach Überqueren des Glockengießerwalls auf der gegenüberliegenden Seite, am Einmündungsbereich des Ballindamms, mit einer Geschwindigkeit von „ca. 130 bis 143 km/h“ ungebremst frontal mit dem ihm entgegenkommenden Taxi des Geschädigten Y.    kollidierte.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift steht der vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verdeckungsabsicht nicht entgegen, dass das Schwurgericht „tatsachenalternativ“ ein Handeln des Angeklagten in suizidaler Absicht festgestellt hätte. Das Schwurgericht hat vielmehr „nicht klären“ können, ob „auch suizidale Gedanken mit motivgebend waren“; „im Ergebnis“ – so das Landgericht weiter – „war ihm die Chance auf ein Entkommen wichtiger als das sichere Überleben“; dies stellt das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht in Frage (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 211 Rn. 68b). Daher kann der Senat offenlassen, ob auch die Voraussetzungen des vom Landgericht weiterhin angenommenen Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln erfüllt sind.“

Gespannt sein darf man da ja immer noch auf die Entscheidung aus Berlin, und zwar aus dem Verfahren, das ja schon mal beim BGH war. Da hatte allerdings ja das LG Berlin zunächst mal einen „Boxenstopp“ einlegen müssen (vgl. 2. Durchgang im Berliner-Kudamm-Raser-Fall vorerst geplatzt, oder: Besorgnis der Befangenheit der Kammer begründet.